(19)
(11) EP 0 365 985 A1

(12) EUROPÄISCHE PATENTANMELDUNG

(43) Veröffentlichungstag:
02.05.1990  Patentblatt  1990/18

(21) Anmeldenummer: 89119308.8

(22) Anmeldetag:  18.10.1989
(51) Internationale Patentklassifikation (IPC)5C23C 8/70, C21D 1/76
(84) Benannte Vertragsstaaten:
AT BE CH DE ES FR GB GR IT LI LU NL SE

(30) Priorität: 22.10.1988 DE 3836102
26.05.1989 DE 3917071

(71) Anmelder: Thyssen Edelstahlwerke AG
D-40211 Düsseldorf (DE)

(72) Erfinder:
  • Brandis, Helmut, Dr.-Ing.
    D-4150 Krefeld (DE)
  • Huchtemann, Bernd, Dr.-Ing.
    D-4150 Krefeld (DE)
  • Schüler, Peter, Dr.-Ing.
    D-4150 Krefeld (DE)
  • Werner, Dietrich, Dr.-Ing.
    D-4150 Krefeld (DE)

(74) Vertreter: Cohausz & Florack Patentanwälte 
Postfach 33 02 29
40435 Düsseldorf
40435 Düsseldorf (DE)


(56) Entgegenhaltungen: : 
   
       


    (54) Borlegierte Stähle und Verfahren zum Glühen derselben


    (57) Die Erfindung betrifft borlegierte Stähle und ein Verfahren zum Glühen von Erzeugnissen aus Stählen mit Gehalten bis 200 ppm Bor im Temperaturbereich von 850 bis 1.050 oC. Kennzeichen der Erfindung ist, daß die Erzeugnisse in einer nichtoxidierenden Gasatmosphäre mit einem durch eine Quelle aus pulverförmigem Boroxid gelieferten Borpotential einer solchen Größe im Gleichgewichtszustand geglüht werden, daß die Erzeugnisse ihren Borgehalt beibehalten oder aufnehmen. Die Borquelle beträgt mengenmäßig etwa 100 g B₂O₃ pro m³ Glühraum.
    In einer hauptsächlich aus Wasserstoff bestehenden Glühgas-­atmosphäre bei Atmosphärendruck kann der Wasserdampfpartialdruck in Gegenwart von B₂O₃ auf die gewünschte Boraktivität innerhalb des Bereichs von 10⁻³ bis 10⁻⁵ eingestellt werden.
    Die Erzeugnisse können während des Glühens gleichzeitig auch einsatzgehärtet werden. Dabei kann das Einsatzhärtemittel, mit pulverförmigem Boroxid als Borquelle vermischt sein.


    Beschreibung


    [0001] Die Erfindung betrifft borlegierte Stähle und ein Verfahren zum Glühen von Erzeugnissen aus Stählen mit Borgehalten bis 200 ppm im Temperaturbereich von 850 bis 1.050 oC.

    [0002] Beim Glühen von Stählen, die Bor in gelöster Form, also bis 100 ppm, enthalten, im Bereich erhöhter Temperatur um 1.000 oC ist immer wieder beobachtet worden, daß die Erzeugnisse zumindest im Oberflächenbereich in unerwünschter Weise an Bor verarmen. So fanden z.B. T. Inoue und Y. Ochida in: Lecture No. S. 1351, presented at the 102nd ISIJ meeting 1981 bei einem niedriglegierten Stahl mit 0,2 % C und 30 ppm B nach einem Glühen bei 900 oC für 2 h in strömendem Argon eine Borverarmung bis zu einer Tiefe von 0,4 mm von der Oberfläche. Das gleiche Ergebnis wurde erzielt, wenn anstelle von Argon in Luft geglüht wurde. Sie empfahlen daher borlegierte Stähle unter Vakuum von 13,3 mPa in Anwesenheit eines Zirkoniumgetters zu glühen. Auch P.E. Busby, M.E. Warga und C. Wells in: Journal of Metals, November 1953, S. 1463/8 beobachteten bei Glühungen im Austenitgebiet, also oberhalb von etwa 900 oC, ein gleichzeitiges Abdampfen von Kohlenstoff und Bor aus einem niedriglegierten Stahl mit 0,43 % C und 38 ppm B in feuchtem Wasserstoff. M.E. Nicholson in: Journal of Metals, February 1954, S. 185/90 stellten eine stärkere Anreicherung von Bor im Kern der Proben fest und führten dies auf die Bildung von Borverbindungen zurück. Sie empfahlen, bei der Borzugabe vor allem den Sauerstoffgehalt zu berücksichtigen, denn ein Teil desselben würde sich mit Bor zu Boroxid verbinden, wodurch der lösliche Anteil von Bor, der härtbarkeitssteigernd wirkt, verringert würde.

    [0003] Borlegierte Stähle zeigen häufig sehr unterschiedliche Härtbarkeit. Da es in dieser Hinsicht an einer systematischen Untersuchung fehlt, ist der Ursachzusammenhang bislang ungeklärt.

    [0004] Der Erfindung liegt nun die Aufgabe zugrunde, beim Hochtemperaturglühen von Erzeugnissen aus Stählen mit Bor in gelöster Form zu verhindern, daß Bor entweicht bzw. Bor dem Stahl sogar in definiert vorgebbarer Menge in gelöster Form zugeführt wird, ohne daß sich an der Oberfläche eine harte Boridschicht bildet.

    [0005] Zur Lösung dieser Aufgabe wird erfindungsgemäß ein Stahl nach Anspruch 1 und ein Verfahren vorgeschlagen, bei dem die Erzeugnisse in einer nichtoxidierenden Gasatmosphäre mit einem durch eine Quelle aus pulverförmigem Boroxid (B₂O₃) gelieferten Borpotential einer solchen Größe im Gleichgewichtszustand geglüht werden, daß die Erzeugnisse ihren Borgehalt beibehalten oder aufnehmen.

    [0006] Das erfindungsgemäße Verfahren ist nicht mit dem bekannten Borieren von Stählen vergleichbar, bei dem die Boraktivität in der Glühatmosphäre in einer ganz anderen Größenordnung um oder über 1 liegt, während sie beim erfindungsgemäßen Verfahren um mehrere Zehnerpotenzen niedriger liegt. Dementsprechend nimmt der Stahl in der borierten Zone beim Borieren unter Bildung von Eisenborid (FeB und Fe₂B) Borgehalte im %-Bereich auf, also Gehalte, die weit oberhalb der Löslichkeitsgrenze (im Gamma-Eisen bei 1000 oC circa 75 ppm B) liegen. Das Borieren ist beschrieben in dem Fachbuch "Borieren" von A. Graf von Matuschka (1977), Carl Hanser Verlag. Borierverfahren sind auch bekannt aus der DE-OS 2 126 379 und GB-PS 1 435 045.

    [0007] Beim erfindungsgemäßen Verfahren soll im Gleichgewichtszustand, also unter konstanten Temperatur-, Druck- und Konzentrationsbedingungen, einschließlich konstanter Boraktivität bzw. konstantem Borpartialdruck in der Glühatmosphäre geglüht werden. Fig. 1 macht die Abhängigkeit des Borgehalts von der Boraktivität deutlich. Danach steigt der Borgehalt mit temperaturabhängigem Gradienten mit zunehmender Boraktivität und beträgt im Gamma-Eisen bei 1000oC bei einer Boraktivität aB = 10⁻³ etwa 70 ppm B, entsprechend einem Molenbruch des Bors von XB = 3,5 . 10⁻⁴. Im Bereich löslicher Borgehalte im Eisen, d.h. bis etwa 200 ppm B, liegt die Boraktivität nach Fig. 1 also im Bereich von 10⁻³ bis 10⁻⁴, während sie beim Borieren wie vorerwähnt wesentlich größer ist. Das erfindungsgemäße Verfahren zielt also auf das schichtfreie Einstellen eines Gehaltes an gelöstem Bor in der Matrix ab, ohne daß eine dabei entstandene harte Borierschicht entfernt werden muß.

    [0008] Wie sich bei Versuchen herausgestellt hat, kommt man mit einem Einsatz vom 100 g B₂O₃ pro m³ Glühraum als Borquelle für die einige Stunden in Anspruch nehmende Glühung unter Gleichgewichtsbedingungen aus. Man stellt dabei die Glühbedingungen (Druck, Temperatur, Zusammensetzung des Glühgasgemischs) ein und glüht dann im Gleichgewichtszustand, so daß reproduzierbare Verhältnisse herrschen.

    [0009] Wenn die Glühgasatmosphäre hauptsächlich aus Wasserstoff besteht, kann in Gegenwart von B₂O₃ das Borpotential stark verringert werden, weil allenfalls noch Spuren von Sauerstoff in der Glühgasatmosphäre enthalten sind.

    [0010] Außerdem schützt die neutrale Atmosphäre den Stahl vor einer Verzunderung und Borverarmung. In bevorzugter Ausgestaltung des erfindungsgemäßen Verfahrens wird dabei empfohlen, den Wasserdampfpartialdruck in der H₂-Glühgasatmosphäre auf die gewünschte Boraktivität einzustellen, sorgfältig zu messen und beim Auftreten von Anderungen des Wasserdampfpartialdrucks diesen auf den Sollwert im Bereich von 10⁻³ bis 10⁻⁵ einzuregulieren. Über die von der Bildungsgleichung von Boroxid abgeleitete Partialdruckbeziehung

    ist die Boraktivität aB in einer reinen Wasserstoffatmosphäre nämlich nur noch vom Wasserdampfpartialdruck PH₂O abhängig(K = Konstante).

    [0011] Damit ergibt sich die Möglichkeit, die Boraktivität in der Glühgasatmosphäre über eine Änderung des Wasserdampfpartialdrucks zu beeinflussen.

    [0012] Bevorzugt erfolgt das Glühen in der borhaltigen Gasatmosphäre im Kasten ohne Umwälzen der Gasatmosphäre, denn dann kann ein Verarmen der Glühatmosphäre an Bor durch Auskondensieren des Boroxids verhindert werden. Stattdessen kann das Borpotential auch über Stunden in der Glühgasatmosphäre erhalten bleiben.

    [0013] Entgegen herrschender Meinung (Nicholson a.a.O. und Grabke/Paju in: Steel Research 8/88 S. 336) gelingt es mit dem erfindungsgemäßen Verfahren borhaltige Erzeugnisse auch einsatzzuhärten und sogar Erzeugnisse aus einem Stahl, der kein Bor enthält, einsatzzuhärten und gleichzeitig mit löslichem Bor in einer Menge bis etwa 200 ppm B zu legieren.

    [0014] Nicholson war es nur dann gelungen, Eisen aus einer Eisenboridüberzugsschicht mit Bor aufzulegieren, wenn die Probe beim Glühen in einer Wasserstoffatmosphäre vollständig mit Borpulver umgeben war. In Vakuum oder unter Helium als Schutzgas gelang das Eindiffundieren von Bor in eine Eisenprobe dagegen nicht. Grabke/Paju (a.a.O.) hielten erst kürzlich das gleichzeitige Aufkohlen von Stahl und Auflegieren mit Bor nicht für möglich.

    [0015] Die aus preiswertem pulverförmigen Boroxid bestehende Borquelle kann beim Glühen mit gleichzeitigem Aufkohlen mit dem Einsatzhärtemittel vermischt werden.


    Ansprüche

    1. Borlegierte Stähle, dadurch gekennzeichnet, daß sie im geglühten Zustand einen definierten (gelösten) Borgehalt im Bereich bis 200 ppm besitzen.
     
    2. Verfahren zum Glühen von Erzeugnissen aus Stählen mit Gehalten bis 200 ppm Bor im Temperaturbereich von 850 bis 1.050 oC, dadurch gekennzeichnet, daß die Erzeugnisse in einer nichtoxidierenden Gasatmosphäre mit einem durch eine Quelle aus pulverförmigem Boroxid (B₂O₃) gelieferten Borpotential einer solchen Größe im Gleichgewichtszustand geglüht werden, daß die Erzeugnisse ihren gelösten Borgehalt beibehalten oder aufnehmen.
     
    3. Verfahren nach Anspruch 2, dadurch gekennzeichnet, daß 100 g B₂O₃ pro m³ Glühraum eingesetzt wird.
     
    4. Verfahren nach Anspruch 2 oder 3, dadurch gekennzeichnet, daß in einer hauptsächlich aus Wasserstoff bestehenden Glühgas- atmosphäre bei Atmosphärendruck der Wasserdampfpartialdruck in Gegenwart von B₂O₃ auf die gewünschte Boraktivität innerhalb des Bereichs von 10⁻³ bis 10⁻⁵ eingestellt wird.
     
    5. Verfahren nach einem der Ansprüche 2, 3 oder 4, dadurch gekennzeichnet, daß die Erzeugnisse während des Glühens einsatzgehärtet werden.
     
    6. Verfahren nach Anspruch 5, dadurch gekennzeichnet, daß das Einsatzhärtemittel, mit pulverförmigem Boroxid vermischt, verwendet wird.
     




    Zeichnung







    Recherchenbericht