[0001] Die Erfindung betrifft ein Verfahren zur chemisch-thermischen Zersetzung von halogenierten
Kohlenwasserstoffen unter Luftausschluß durch Reaktion mit einer überstöchiometrischen
Menge von Kalziumoxid und/oder Kalziumhydroxid bei Temperaturen von 600 bis 800
o C in einem Reaktor.
[0002] Halogenierte Kohlenwasserstoffe werden in Industrie und Forschung sehr häufig eingesetzt.
So dienen Fluorkohlenwasserstoffe als Treibgas und Kältemittel und sind Ausgangsstoffe
zur Herstellung von chemisch sehr beständigen Kunststoffen. Chlorkohlenwasserstoffe
werden in großen Mengen als Entfettungsmittel in metallverarbeitenden Betrieben eingesetzt.
Weitere Anwendungsgebiete sind chemische Reinigungen aller Art. Darüberhinaus sind
die Chlorkohlenwasserstoffe Ausgangsstoffe zur Herstellung von Polymeren, Pestiziden
und Herbiziden. Insbesondere die polychlorierten Kohlenwasserstoffe wurden aufgrund
ihrer hohen chemischen und thermischen Beständigkeit als Wärmeträgeröle oder Hydraulikflüssigkeiten
eingesetzt. Die polychlorierten Biphenyle (PCB) sind typische Vertreter dieser Stoffklasse.
[0003] Obwohl von der Möglichkeit der Rezyklierung gebrauchter Halogenkohlenwasserstoffe,
soweit dies technisch möglich und wirtschaftlich vertretbar ist, Gebrauch gemacht
wird, fallen allein in der Bundesrepublik Deutschland jährlich ca. 30 000 bis 40 000
t Chlorkohlenwasserstoffe mit Chlorgehalten von mehr als 20 Gew. % an, die entsorgt
werden müssen.
[0004] Bei diesen Sonderabfällen handelt es sich neben Rückständen aus Rezyklierungsanlagen
und Produktionsrückständen auch um Stoffe, deren Verwendung aus sicherheits- und umwelttechnischen
Gesichtspunkten immer mehr eingeschränkt wird und die letztendlich einer Entsorgung
zugeführt werden müssen. Das bekannteste Beispiel hierfür sind die polychlorierten
Biphenyle, die in der Vergangenheit hauptsächlich als Trafoöle und als Dielektrika
in Kondensatoren eingesetzt wurden. Allein durch Austausch dieser Flüssigkeiten gegen
Ersatzstoffe rechnet man in der Bundesrepublik in den nächsten zehn Jahren mit jährlich
ca. 6 000 t zu entsorgenden polychlorierten Biphenylen.
[0005] Die Entsorgung von Halogenkohlenwasserstoffen erfolgt derzeit hauptsächlich durch
Verbrennung auf See. Internationale Abkommen (Osloer und Londoner Konvention) zielen
jedoch darauf hin, die Verbrennung auf See bis Ende dieses Jahrzehnts gänzlich einzuschränken.
Als Alternative dazu bleibt dann nur noch die Verbrennung an Land. Die Verbrennung
von Halogenkohlenwasserstoffen, insbesondere fluorierten und höher chlorierten, in
bestehenden Sonderabfallverbrennungsanlagen ist problematisch. Die wesentlichen Gründe
für die Schwierigkeiten sind die Korrosionsgefahr für die Ausmauerung und die Abgasstrecke
durch eine hohe Rohgasbeladung an Halogenwasserstoffen (HF und HCl), die Emissionssituation,
insbesondere bei Verbrennung von fluorierten Kohlenwasserstoffen, der hohe Einsatz
an Energie sowie der durch den hohen Halogengehalt im Abgas in Verbindung mit dem
zur Verfügung stehenden Rauchgasreinigungssystem begrenzte Durchsatz.
[0006] Besonders durch den Umstand, daß bei unzureichenden Verbrennungsbedingungen bei der
Chlorkohlenwasserstoff-Verbrennung hochgiftige polychlorierte Dibenzodioxine und Dibenzofurane
gebildet werden können, ist diese Entsorgungspraxis zunehmender Kritik ausgesetzt.
[0007] In der DE-OS 30 28 193 wird ein Verfahren zur pyrolytischen Zersetzung von Halogene
und/oder Phosphor enthaltenden organischen Substanzen beschrieben, wobei diese mit
Kalziumoxid/Kalziumhydroxid in einem überstöchiometrischen Verhältnis gemischt und
bei Temperaturen von 300 bis 800
o C in einem Reaktor umgesetzt werden. Nachteilig bei diesem Verfahren ist es, daß
nicht alle Halogenkohlenwasserstoffe problemlos zersetzt werden können. Die notwendigen
Temperaturen zur quantitativen Zersetzung der chemisch und thermisch sehr stabilen
höherhalogenierten Kohlenwasserstoffe, zu denen insbesondere die polychlorierten Biphenyle
gezählt werden müssen, liegen über 600
o C. Oberhalb dieser Temperatur bilden Mischungen aus CaO und Ca(OH)₂ mit den entsprechenden
Kalziumchloriden Schmelzen. Diese Tatsache bereitet erhebliche Schwierigkeiten, da
der notwendige kontinuierliche Feststoffdurchsatz durch den Reaktor dadurch behindert
und unter Umständen sogar unmöglich wird. Neben den verfahrenstechnischen Schwierigkeiten
führt die Bildung von Schmelzen gleichzeitig zu einer erheblichen Herabsetzung der
Zersetzungsrate der halogenierten Kohlenwasserstoffe. Dies ist auf die starke Verringerung
der Oberfläche der festen Reaktonspartner zurückzuführen, die bei Gas-Feststoffreaktionen
einen wesentlichen Einfluß auf die Reaktion ausüben. Selbst ein starker Überschuß
der genannten basischen Verbindungen vermag bei Temperaturen über 600
o C eine Schmelzenbildung mit anschließender Verkrustung in der Abkühlphase nicht zu
verhindern.
[0008] In der DE-OS 34 47 337 wird ein Verfahren zur chemisch-thermischen Zersetzung von
höher halogenierten Kohlenwasserstoffen durch Umsetzung mit Kalziumoxid und/oder Kalziumhydroxid
in einem überstöchiometrischen Verhältnis bei Temperaturen von 600 bis 800
o C in einem Reaktor beschrieben, bei dem durch Zusatz von Eisenoxid die Bildung von
Schmelzen im Temperaturbereich von 600 bis 800
o C vermieden wird.
[0009] Nachteilig bei diesem Verfahren ist, daß die Temperatur von 800
o C nicht überschritten werden darf, wenn Verkrustungen zuverlässig verhindert werden
sollen. Das Vermeiden von Verkrustungen im Reaktorbereich ist aber notwendige Voraussetzung
für den Erfolg dieses Zersetzungs-Verfahrens. Zwar reicht eine Temperatur von 800
o C für die Umsetzung der chemisch und thermisch äußerst stabilen PCB aus, doch kann
die Reaktion der hochhalogenierten Kohlenwasserstoffe mit CaO stark exotherm sein.
Es kann also bei entsprechend hoher Dosierrate zu einem starken Temperaturanstieg
im Reaktor kommen, der dann durch entsprechende Maßnahmen auf 800
o C begrenzt werden muß, was in der Praxis auf eine Begrenzung der Dosierrate an halogenierten
Kohlenwasserstoffen hinausläuft.
[0010] Beide Verfahren weisen darüberhinaus den schwerwiegenden Nachteil auf, daß durch
überstöchiometrische Zugabe von Reaktionspartnern eine im Vergleich zum Durchsatz
an halogenierten Kohlenwasserstoffen wesentlich größere Sekundärabfallmenge - Reaktionsprodukt
(Kalziumhalogenid) und überschüssige Reaktionspartner - ebenfalls als Sonderabfall
zu entsorgen ist.
[0011] Es war daher Aufgabe der vorliegenden Erfindung, ein Verfahren zur chemisch-thermischen
Zersetzung von halogenierten Kohlenwasserstoffen unter Luftabschluß durch Reaktion
mit einer überstöchiometrischen Menge von Kalziumoxid und/oder Kalziumhydroxid bei
Temperaturen von 600 bis 800
o C in einem Reaktor zu entwickeln, bei dem sehr hohe Zerstörungseffizienzen für halogenierte
Kohlenwasserstoffe erzielt werden, ohne Bildung von Dioxinen und Furanen, ohne Bildung
von Schmelzen bzw. irreversiblen Verkrustungen und ohne wesentlichen Anfall an zu
entsorgenden Sekundärabfällen.
[0012] Diese Aufgabe wird erfindungsgemäß dadurch gelöst, daß mit dem Kalziumoxid und/oder
Kalziumhydroxid 1 bis 10 Gewichtsteile Sand, bezogen auf einen Teil Kalziumoxid, in
den Reaktor eingeführt werden, daß das vorwiegend aus Kalziumhalogenid und Sand bestehende
Reaktionsprodukt mit Wasserdampf bei Temperaturen von 150 bis 800
o C in einem anderen Reaktor dehalogeniert wird, und daß das so erhaltene Gemisch aus
Kalziumoxid und Sand wieder dem ersten Reaktor zugeführt wird.
[0013] Vorzugsweise setzt man dem Kalziumoxid und/oder Kalziumhydroxid 2 bis 5 Gewichtsteile
Sand zu. Weiterhin ist es günstig, wenn die Dehalogenierung bei Temperaturen von 500
bis 800
o C durchgeführt wird. Außerdem ist es von Vorteil, dem Wasserdampf Luft oder Sauerstoff
zuzumischen, um den im festen Reaktionsprodukt enthaltenen Kohlenstoff zu verbrennen.
[0014] Es hat sich überraschenderweise gezeigt, daß durch Zuführung von Sand in den Reaktor,
welcher als Kugel-Rührbettreaktor gemäß DE-OS 30 28 193 oder DE-OS 32 05 569 ausgeführt
sein kann, Verkrustungen an der Reaktorwand, auf dem Rührer und an den Kugeln auch
bei Temperaturen oberhalb von 800
o C sicher vermieden werden können.
[0015] Das anfallende Reaktionsprodukt (Kalziumhalogenid mit Sand und überschüssigem Kalziumoxid)
läßt sich vorzugsweise bei 500 bis 800
o C zu dem ursprünglich eingesetzten Kalziumoxid regenerieren, bzw. dehalogenieren.
Hierbei fällt als einziger Sekundärabfall Säure an - bei chlorierten Kohlenwasserstoffen
z.B. Salzsäure - die gegebenenfalls verwertet werden kann.
[0016] Für die Durchführung der Dehalogenierungsreaktion verwendet man wegen seiner hervorragenden
Wärme- und Stoffübergangseigenschaften vorzugsweise ein Wirbelbett.
[0017] Kombiniert man die beiden Verfahrensschritte, die Zersetzungsreaktion der Halogenkohlenwasserstoffe
und die Dehalogenierung der Reaktionsprodukte zu einem geschlossenen Kreislauf für
die Feststoffe, ergibt sich energetisch der günstigste Weg, wenn die Temperatur des
Feststoffs zu keinem Zeitpunkt nennenswert unter die Rea ktionstemperaturabsinkt.
Man muß dann lediglich für den Zersetzungsprozeß die flüssigen Halogenkohlenwasserstoffe
verdampfen und die Gasphase bis zur Reaktionstemperatur aufheizen. Die für die Dehalogenisierungsreaktion
notwendige Energie liefert einerseits das aufgeheizte feste Reaktionsprodukt sowie
der zugeführte Wasserdampf, der in der Regel in einem nachgeschalteten Verbrennungsschritt
der Abgase durch Wärmeaustausch erzueugt wird.
[0018] Mit dem erfindungsgemäßen Verfahren erreicht man Zerstörungseffizienzen für halogenierte
Kohlenwasserstoffe, die oberhalb von 99,99999 % liegen.
[0019] Das Verfahren der chemisch-thermischen Zersetzung von Halogenkohlenwasserstoffen
beruht im wesentlichen darauf, daß die in den HKW enthaltenen Halogen-Atome an ein
festes, zur Reaktion mit den organischen Halogeniden befähigtes Reagenz, wie pulverförmiges
Kalziumoxid, unter Sauerstoff-Ausschluß (Inertgas-Atmosphäre) bei 600 bis 800
o C gebunden werden. Die Reaktion erfolgt nach folgender Reaktionsgleichung:
Bei der Reaktion entstehen demnach gasförmige Reaktionsprodukte, die verbrannt werden,
sowie feste Reaktionsprodukte bestehend aus CaCl₂ und Kohlenstoff sowie überschüssigem
CaO.
[0020] Die flüssigen Halogenkohlenwasserstoffe und der gegebenenfalls vorgeheizte Feststoff,
bestehend aus Kalziumoxid bzw. Kalziumhydroxid und Sand, werden in bestimmten Massenstrom-Verhältnissen
über entsprechende Eintragungs- und Dosiervorrichtungen unter Stickstoff (Sauerstoff-Ausschluß)
getrennt beispielsweise in einen Kugel-Rührbettreaktor eingespeist. Im Reaktor befindet
sich eine Schüttung aus Keramikkugeln. Diese liegt auf einem für Gas und feine Feststoffpartikeln
durchlässigen Boden, wird langsam gerührt (2 bis 4 min⁻¹ ) und über die Reaktorwand
elektrisch beheizt. Die chemisch-thermische Zersetzung findet unter Sauerstoff-Ausschluß
(N₂-AtmospHäre) auf den Kugeloberflächen sowie innerhalb der Kugelzwischenräume statt.
Das sich bildende feste Reaktionsprodukt und das überstöchiometrisch eingesetzte Kalziumoxid
werden durch die langsame Rührbewegung über den als Tragrost ausgebildeten Boden nach
unten über eine Schleuse aus dem Reaktor ausgetragen. Der zudosierte Sand wirkt dabei
als zuverlässiges Abrasionsmittel. Der geringe Gasvolumenstrom verläßt den Reaktionsraum
ebenfalls über den Tragrost und wird nach einer Hochtemperatur-Entstaubung mit rückblasbaren
Filterkerzen in einer Nachbrennkammer vollständig verbrannt oder einer Sondermüllverbrennungsanlage
zugeführt. Das Rauchgas wird gereinigt und über einen Kamin in die Umgebung abgegeben.
[0021] Das entstandene feste Reaktonsprodukt wird kontinuierlich ausgetragen und beispiuelsweise
in einer Wirbelbettapparatur mit Wasserdampf und gegebenenfalls Stickstoff fluidisiert.
Das zugeführte Reaktionsprodukt braucht nicht aufgeheizt zu werden, da es mit 600
- 800
o C aus dem Rührbett austritt und die Dehalogenierung vorzugsweise im gleichen Temperaturbereich
erfolgt.
[0022] Bei der Dehalogenierung läuft folgende Reaktion ab:
[0023] Da der Wasserdampf im Überschuß eingesetzt wird, fällt eine verdünnte Salzsäure an,
die nach einer angeschlossenen Aufkonzentrierungs- und Reinigungsstufe weiter verwertet
werden kann.
1. Verfahren zur chemisch-thermischen Zersetzung von halogenierten Kohlenwasserstoffen
unter Luftabschluss durch Reaktion mit einer überstöchiometrischen Menge von Kalziumoxid
und/oder Kalziumhydroxid bei Temperaturen von 600 bis 800o C in einem Reaktor,
dadurch gekennzeichnet,
daß mit dem Kalziumoxid und/oder Kalziumhydroxid 1 bis 10 Gewichtsteile Sand, bezogen
auf einen Teil Kalziumoxid, in den Reaktor eingeführt werden, daß das vorwiegend aus
Kalziumhalogenid und Sand bestehende Reaktionsprodukt mit Wasserdampf bei Temperaturen
von 150 bis 800o C in einem anderen Reaktor dehalogeniert wird, und daß das so erhaltene Gemisch aus
Kalziumoxid und Sand wieder dem ersten Reaktor zugeführt wird.
2. Verfahren nach Anspruch 1,
dadurch gekennzeichnet,
daß jedem Teil Kalziumoxid 2 bis 5 Gewichtsteile Sand zugesetzt werden.
3. Verfahren nach Anspruch 1 oder 2,
dadurch gekennzeichnet,
daß die Dehalogenierung bei Temperaturen von 500 bis 800o C durchgeführt wird.
4. Verfahren nach Anspruch 1 bis 3,
dadurch gekennzeichnet,
daß dem Wasserdampf bei der Dehalogenierung Luft oder Sauerstoff zugemischt wird.