(19)
(11) EP 0 583 763 A2

(12) EUROPÄISCHE PATENTANMELDUNG

(43) Veröffentlichungstag:
23.02.1994  Patentblatt  1994/08

(21) Anmeldenummer: 93113070.2

(22) Anmeldetag:  16.08.1993
(51) Internationale Patentklassifikation (IPC)5C10M 171/00, C10M 125/30
(84) Benannte Vertragsstaaten:
AT BE CH DE DK ES FR GB IE IT LI NL PT SE

(30) Priorität: 20.08.1992 DE 4227546

(71) Anmelder: HOECHST AKTIENGESELLSCHAFT
D-65929 Frankfurt am Main (DE)

(72) Erfinder:
  • Hierholzer, Bernhard, Dr.
    D-60385 Frankfurt am Main (DE)
  • Mayer, Michael, Dr.
    D-63773 Goldbach (DE)


(56) Entgegenhaltungen: : 
   
       


    (54) Elektrorheologische Fluide auf der Basis synthetischer Schichtsilikate


    (57) Es wurden elektrorheologische Fluide entwickelt, die im wesentlichen ein aluminiumfreies Metallsilikathydrat, das eine Schichtstruktur besitzt, ein Dispergiermittel sowie ein inertes aprotisches Dispersionsmittel enthalten. Das Metallsilikathydrat gehört vorzugsweise zum Kenyait-, Magadiit- und/oder Kanemittyp. Das Dispersionsmedium ist vorzugsweise ein Silikonöl mit einem Viskositätsbereich von 0,5 bis 1000 mPas bzw. ein Mineralöl oder ein Paraffinöl, mit einem Viskositätsbereich von 0,1 bis 1000 mPas. Das Metallsilikathydrat wird der elektrorheologischen Flüssigkeit in einer Konzentration von 1 bis 50 Gew-% zugefügt.


    Beschreibung


    [0001] Elektrorheologische Fluide (ER-Fluid), so genannt um eine klare Abgrenzung zu den literaturbekannten elektroviskosen Phänomenen bei geladenen Kolloiden (T.C. Jordan, M.T. Shaw, IEEE Trans. Electr. Insul., Vol. 24, No. 5, 1989, 849 ff) zu erzielen, sind Dispersionen feinteiliger, polarisierbarer Feststoffe in inerten (hydrophoben) und elektrisch nichtleitenden Flüssigkeiten, deren Fließverhalten sich im elektrischen Feld stark verändert.

    [0002] So führen ausreichend starke elektrische Felder sowohl zu einer Viskositätsänderung wie zur Ausbildung einer deutlichen Fließgrenze, d.h. bei Unterschreitung einer Grenzscherkraft verhält das Fluid sich als elastischer Festkörper. Rheologisch betrachtet verändern die Fluide sich von einfachen Flüssigkeiten (newtonsche Systeme) zu pseudoplastischen Flüssigkeiten (Bingham-Körper).

    [0003] Dieses bereits seit den 40er Jahren bekannte Verhalten (US-Patent 2,417,850 und 3,047,507) läßt sich an geeigneten Fluiden sowohl mit elektrischer Gleich- als auch Wechselspannung erzielen (T.W. Martinek US-Patent 4,502,973). Hierbei ist es technisch wünschenswert einen geringen bis vernachlässigbaren Stromfluß zu realisieren. Der elektrorheologische Effekt reagiert auf Wechsel des elektrischen Spannungsniveaus in äußerst kurzen Zeiten, typischerweise mit Zeitkonstanten im Millisekunden-Bereich. Technisch einsetzbar sind diese als "Smart Fluids" bezeichneten Systeme beim Übertragen und Dämpfen großer Kräfte mit Hilfe geringer elektrischer Leistungen in kurzen Zeiten, wie z.B. in Dämpfern, Vibratoren, Kupplungen, als Hydraulikventile und aktiven Fahrgestelle. Ein deutlicher Fortschritt beim Übergang konventioneller passiver Systeme zu elektrorheologischen Systemen ist durch die elektrische Anpassung der Viskositäts-Fließgrenze an den momentanen Bewegungszustand möglich. Solche aktiven, rückkoppelnden Systeme werden zunehmend zur Bewältigung der technischen Probleme bewegter Systeme gefordert.

    [0004] Der technische Einsatz eines ER-Fluids erfordert neben einem ausreichenden ER-Effekt eine hohe Temperaturstabilität und chemische Beständigkeit des Fluids, geringe elektrische Leitfähigkeit, vernachlässigbare elektrophoretische Effekte, geringe Abrasivität und ausreichende Scher- und Sedimentationstabilität. In jedem Fall muß das Fluid sich auch bei längerem Stehen gut redispergieren lassen und beim Kontakt mit elastomeren Werkstoffen kein Anquellen oder Auflösen zeigen.

    [0005] Beim größeren Teil der ER-Fluide, welche den Stand der Technik repräsentieren, besteht die disperse Phase aus Polyelektrolyten (US-Patent 3970573 3047507 4992192 4994198), Zeoliten und Silikagelen (DE 3517281 A1, DE 356934 A1) oder aber exotischen anorganischen Verbindungen wie Li-Hydraziniumsulfat (US 4 772 407), deren Effekt durch die Beladung der dispersen Phase mit erheblichen Wassermengen (bis zu 20 %) erzielt wird. Die Wasseranteile ermöglichen durch Solvatation der vorhandenen Ionen und Oberflächenladungen eine Erhöhung der ionischen Leitfähigkeit und erzeugen somit die, für den ER-Effekt notwendige Polarisierbarkeit der dispersen Teilchen. Die im E-Feld polarisierten Teilchen agglomerieren aufgrund von Dipol-Dipol-Wechselwirkung und erzeugen eine erhöhte Viskosität, zusätzlich spielt Wasserstoffbrückenbildung eine Rolle. Der Effekt ist reversibel. Solche wasserhaltigen Systeme neigen zur Elektrolyse, zeigen eine geringe chemische Stabilität und sind oftmals korrosiv. Daneben ist der nutzbare Temperaturbereich, in dem diese ER-Fluide reversibel eingesetzt werden können auf unter 110 °C beschränkt.

    [0006] Bisherige elektrorheologische Fluide auf Basis beschichteter metallisch leitender Partikel, polarisierbarer bzw. halbleitender Polymere und wasserfreie Aluminiumsilikate leiden neben unzureichender Dispersionsstabilität an zu kleinen ER-Effekten, technisch nicht mehr akzeptablen Leitfähigkeiten und mit Ausnahme der organischen Materialien an der hohen materialspezifischen Abrasivität.

    [0007] Der Einsatz halbleitender organischer Materialien scheitert an der Instabilität (Redoxempfindlichkeit) und am Preis der bisher bekannten Materialien. So sind zur Zeit keine vermarkteten Produkte bekannt.

    [0008] Die Aufgabe war daher, ein preiswertes und effizientes ER-Fluid zu entwickeln, daß sowohl im notwendigen, technisch relevanten, Temperaturbereich (bis 140 °C) eine hohe Elektroaktivität wie eine geringe elektrische Leitfähigkeit besitzt und auch eine gute Dispersionsstabilität und geringe Abrasivität aufweist. Es wurden verschiedene synthetische Schichtsilikate als anisotrope, dotierbare, hochpolarisierbare Dielektrika rein dargestellt und in inerten Ölen gegebenenfalls unter Verwendung verschiedener Dispergierhilfsmittel dispergiert.

    [0009] Überraschend wurde nun gefunden, daß bei Verwendung aluminiumfreier Metallsilikathydrate mit Schichtstruktur, die obengenannten Forderungen erfüllt werden.

    [0010] Die Erfindung betrifft somit elektrorheologische Fluide enthaltend im wesentlichen aluminiumfreie Metallsilikathydrate mit Schichtstruktur, ein Dispergierhilfsmittel sowie ein inertes aprotisches Dispersionsmedium.

    [0011] Die aluminiumfreien Metallsilikathydrate sind im wesentlichen ternäre Systeme enthaltend Metalloxyd M₂O (M vorzugsweise Na), Siliciumdioxid SiO₂ und Wasser H₂O. Für die erfindungsgemäßen ER-Fluide werden als aluminiumfreie Metallsilikathydrate, vorzugsweise solche vom Kenyait-, Magadiit- und Kanemittyp eingesetzt. Das SiO₂/M₂O-Molverhältnis ist 2-10 für Kanemit, 8 bis 29 für Magadiit und > 19 für Kenyait. Der Wassergehalt beläuft sich vor dem Trocknungsschritt auf 0 bis
    30 Gew%.

    [0012] In den erfindungsgemäßen ER-Fluide können ferner Metall-, Ammonium-, Alkylammonium- und Arylammonium dotierte Schichtsilikate sowie Mischungen der verschiedenen Struktur- und Dotierungstypen eingesetzt werden.

    [0013] Die Metallsilikathydrate werden in Konzentrationen von 1 bis 50 Gew.-%, vorzugsweise 15 bis 40 Gew.-%, bezogen auf das Gesamtgewicht des elektrorheologischen Fluids eingesetzt.

    [0014] Die chemisch reine Herstellung der Metallsilikathydrate erfolgt nach dem Hydrothermalverfahren (DE-OS 3400130, DE-OS 3400132, DE-OS 3521227). Durch Ionenaustausch mit mineralischen Säuren erhält man die Säureform der Schichtsilikate und durch redotieren mit geeigneten Metallsalz- oder Ammoniumsalzlösungen neue dotierte Silikathydrate. (DE-OS 312300, F. Wolf, W. Schwieger, Z. Anorg. allgem. Chemie, 457 (1979), 224).

    [0015] Vorzugsweise werden die im folgenden aufgeführten Dispergierhilfsmittel und deren Mischungen aus neutralen und nichtneutralen Tensiden sowie Betaine verwendet:

    Kationische Tenside:



    [0016] 
    • Dialkyldimethylammoniumsalze, Alkylkette C₈-C₂₂, vorzugsweise C₁₆-C₁₈
    • Alkyltrimethylammoniumsalze, Alkylkette C₈-C₁₈, vorzugsweise C₁₆-C₁₈
    • Oxyethylierte Amine R-N(C₂H₄O)xH (C₂H₄O)yH, Alkylkette C₈-C₁₈,

      und deren Ammoniumsalze.
    • Perfluoralkyltrimethylammoniumsalze, Alkylkette C₈-C₁₈
    • Poly-diallyldimethylammoniumsalze

    Nichtionische Tenside



    [0017] 
    • AB-, ABA-, BAB-Blockcopolymere aus einem Polydimethylsiloxanblock (A) und einem Polyoxyalkylenblock (B) Alkylen-C-Länge 2,3,4
    • Polydimethylsiloxanblock auf den Polyoxyalkylenblöcke aufgepfropft sind
    • Polyether (MW < 10⁷)
    • Ester und Halbester der Alkanphosphon- und 1-Hydroxy-1,1-alkandiphosphonsäuren, Alkanreste C₈-C₁₈

    Anionische Tenside



    [0018] 
    • Dialkylnaphthalinsulfonsäure mit Formaldehyd kondensiert als Na-Salz Alkylkette: C₈-C₁₈
    • Diphenylethersulfonsäure mit Formaldehyd kondensiert als Triethanol-aminsalz
    • 1 mol 3-Kern-nonylphenol-novolak + 10 bis 20 mol Ethylenoxid als dreifacher Sulfobernsteinsäurehalbester Na-Salz
    • 1 mol 7-Kern-nonylphenol-novolak + 10 bis 120 mol Ethylenoxid
    • 1 mol 7-Kern-nonylphenol-novolak + 10 bis 120 mol Ethylenoxid als Mischester aus Benzoesäure und Maleinsäure mit angelagertem Na-Sulfit als Na-Salz
    • Vernetzte Copolymere aus Acrylsäure und Acrylamid
    • Vernetzte Polyacrylate
    • Copolymere aus Acrylamid und 2-Acrylamido-2-methylpropansulfonsäure
    • Copolymer aus 2-Acrylamido-2-methylpropansulfonsäure und Methacryl amido-N,N-dimethylmethylamin
    • 1-Hydroxy-alkan-1,1-diphosphonat als Alkylammonium-, Dialkylammonium-, Na-, und Li-Salze, Alkanreste: C₈-C₁₈, Alkylreste im Ammoniumion C₂-C₁₈
    • Alkanphosphonat als Alkylammonium-, Dialkylammonium-,Na-, und Li-Salze, Alkanreste: C₈-C₁₈, Alkylreste im Ammoniumion C₂-C₁₈
    • N-Oleyl-sarcosin-Na
    • N-Oleyl-methyltaurin-Na
    • Alkyl-oxyalkylen-sulfonsäure, Alkylrest:C₈-C₁₈, 2-7 Oxyalkyleneinheiten
    • 2,4,6-tributyl-1-polyethersulfonsäure-benzol, 2-7 Oxyalkyleneinheiten
    • p-Alkylbenzolsulfonate, Alkylrest:C₈-C₁₈
    • Dialkylmethansulfonsäuren Summe der C-Atome der Alkylreste ist 14.
    • Natrium-O-oleylisothionat
    • Alkyl-polyethersulfonate, Alkylrest C₈-C₁₄, 2-7 Oxyalkylene
    • Alkylpolyethercarbonsäuren, Alkylrest C₈-C₁₄, 2-7 Oxyalkylene
    • Alkylaminopropanphosphonate
    • Copolymere aus Acrylsäure und 10 Gew% an
         Diallylamino-methylenphosphonsäure
         Diallylamino-methylendiphosphonsäure
         Diallylamino-methandiphosphonsäure-tetraethylester
         Allylamino-bis(methylenphosphonsäure)
         Diallylamino-methylenphosphonsäure-diethylester

    Betaine



    [0019] 
    • Betainsalz aus der Substitutionsreaktion von Monochloressigsäure und Alkyldimethylaminen Alkylreste C₈-C₁₈
    • Betainsalz aus der Substitutionsreaktion von Monochloressigsäure und Alkylamidopropyl-N,N-dimethylamin Alkylreste C₆-C₁₈
    • Betainsalz aus der Substitutionsreaktion von Monochloressigsäurealkylester und Alkyldimethylaminen, Alkylreste in beiden Fällen C₆-C₁₈
    • Betainsalz aus der Substitutionsreaktion von Monochloressigsäurealkylester und 1-Hydroxyethyl-2-alkylimidazol, Alkylreste in beiden Fällen C₆-C₁₈

    Als Basisöle können inerte aprotische Dispersionsmedien eingesetzt werden. Bevorzugt werden Silikonöle in einem Viskositätsbereich von 0.5 bis 1000 mPas und Mineral- bzw. Paraffinöle in einem Viskositätsbereich von 0.1 bis 5000 mPas verwendet.

    [0020] Zur Herstellung der ER-Fluide erwiesen sich folgende Verfahren als günstig:

    Methode 1)



    [0021] Die schichtstrukturierten Metallsilikathydrate werden in einer alkalischen (pH = 8-14), wäßrigen Lösung von Dispergierhilfsmitteln mit einem Gehalt von 2 bis 30 Gew%, vorzugsweise 2 bis 10 Gew%, an Dispergierhilfsmittel bezogen auf die eingesetzte Menge an Silikat (Silikat/Lösung 1:2) dispergiert und bei Temperaturen von 60 bis 80 °C drei bis zehn Stunden gerührt.

    [0022] Nach Abtrennen der wäßrigen Phase durch Filtration oder Zentrifugation wird der feuchte Feststoff bei Temperaturen von 80 bis 180 °C, vorzugsweise bei 120 bis 140 °C, getrocknet.

    [0023] Nach dem Aufmahlen und gegebenenfalls erneutem Dispergieren in Silikon- oder Mineralöl, wird die resultierende Mischung in einer Kugelmühle vermahlen.

    Methode 2)



    [0024] Nach der Trocknung des Schichtsilikats zwischen 120 und 240 °C, vorzugsweise 140 °C oder 180 °C, bis zur Gewichtskonstanz wird das Schichtsilikat mit 2 bis 30 Gew% an Dispergierhilfsmittel bezogen auf die Silikatmenge in Silikon- oder Mineralöl dispergiert und mehrere Stunden gerührt. Anschließend wird die Dispersion in einer Kugelmühle vermahlen.

    Methode 3)



    [0025] Entspricht der Methode 2 nur ohne Trocknungsschritt.

    Methode 4)



    [0026] Das Schichtsilikat wird analog der Methode 2 getrocknet. Es wird in aprotischen, unpolaren Lösungsmitteln mit einem Dispergierhilfsmittel (Ansatzmengen 2 bis 30 Gew% des Schichtsilikates) dispergiert und mehrere Stunden bei Temperaturen, die 60 bis 80 % des Siedepunktes des Lösungsmittels entsprechen, gerührt. Das Lösungsmittel wird durch Filtration oder Zentrifugation abgetrennt, der verbleibende Feststoff getrocknet, erneut gemahlen und in Silikon- oder Mineralöl dispergiert. Diese Öldispersion wird anschließend in einer Kugelmühle gemahlen.

    [0027] Mit der Erfindung werden folgende Vorteile erzielt:
    Bis zu Gewichtskonstanz getrocknete aluminiumfreie Metallsilikathydrate mit Schichtstruktur, insbesondere metalldotierte Silikathydrate, zeigen überraschenderweise deutlich größere elektrorheologische Effekte als solche mit andersartigen dielektrischen Materialien bei sehr niedriger Grundviskosität. Die Fluide sind wasserfrei und auch oberhalb 110 °C aktiv. Der ER-Effekt nimmt mit der Temperatur zu, wobei die Leitfähigkeit gering bleibt. Elektrische Leistungsaufnahmen von 10 bis 20 mW pro Quadratzentimeter Elektrodenoberfläche bei 20 °C und 80 bis 120 mW/cm² bei 140 °C sind typische Werte.

    [0028] Im weiteren Vergleich zu ER-Fluiden auf der Basis aluminiumhaltiger Schichtsilikate sind die erfindungsgemäßen Fluide frei fließend, nicht thixotrop und was sehr wichtig ist dispersionsstabil. ER-Fluide mit Alumosilikaten als Dielektrikum zeigen im Gegensatz zu den hier beschriebenen zu kleine ER-Effekte, technisch nicht mehr akzeptable Leitfähigkeiten und eine hohe materialspezifische Abrasivität, wodurch Bauteile, in denen das Fluid eingesetzt werden soll, zerstört werden.

    [0029] Aufgrund der Reinheit der zum Einsatz kommenden mineralischen Materialien im Vergleich zu natürlich vorkommenden Alumosilikaten ist der Aufbau genau definierter ER-Fluide gegeben, was der Grund für die reproduzierbare Herstellung und die damit verbundene definierte Einstellung von rheologischen Eigenschaften ist.

    [0030] Das Erzeugen von strukturviskosen Eigenschaften im E-feldfreien Zustand durch die Dotierung der Schichtsilikate und die Belegung mit oberflächenaktiven Substanzen ermöglicht auch sehr gute elektromechanische Eigenschaften bei hohen Schergeschwindigkeiten, wodurch eine Anwendung dieser Fluide im Vergleich zu Fluiden auf der Basis von Alumosilikaten für Drehmomentüberträger und Kupplungen erst möglich wird.

    [0031] Für die, im Dispergiermittel Silikonöl hergestellten ER-Fluide gilt außerdem, daß sie mit gummiartigen Materialien verträglich und ungiftig (d.h. physiologisch unbedenklich) sind.

    Beispiele


    Charakterisierung der ER-Fluide



    [0032] Die ER-Fluide werden in einem ER-Rotationsrheometer der Firma Haake, Karlsruhe mit der Typenbezeichnung CV20 und den Meßsystemen PQ20, PG45, SV0,5ER, SV1.0ER, SV0.2ER und DA45 untersucht, wobei Spaltweiten von 0,2, 0,5 oder 1 mm und Feldstärken bis 10 kV zur Anwendung kommen. Es werden statische und dynamische Messungen ausgewertet und Gleich- oder Wechselspannung aufgebracht. Zur Meßwerterfassung dient ein Rheocontroller RC20 und ein Rotovisko RV20 derselben Firma. Vergleichbare Apparaturen sowie die Meß- bzw. Auswertemethoden sind in der Literatur ausführlich beschrieben (vgl. W. Winslow, J. Appl. Phys. 20 (1949) 1137, R. T. Bonnecaze, J. F. Brady, J. Rheol. 36(1) 1992).

    [0033] In den Tabellen sind, im Vergleich zum Stand der Technik der Aufbau der Fluide, d.h. verwendetes Dielektrikum in Grundöl mit Dispergierhilfsmittel sowie Viskosität mit und ohne Feld und der Verstärkungsfaktor bei 100 s⁻¹ sowie die statische Fließgrenze zur Charakterisierung aufgeführt.

    [0034] Die in den Ausführungsbeispielen ersten drei Rezepturen entsprechen den Vergleichsmustern, die folgenden Beispiele den erfindungsgemäßen ER-Fluiden, wobei verdeutlicht wird, daß verschiedenartige Zusammensetzung der dispersen Phase und unterschiedliche Dispergierhilfsmittel (vgl. Beispiel 4 - 23) zu Dispersionen mit guten ER-Eigenschaften führen, insbesondere gute Wirkung bei Temperaturen oberhalb 110 °C.

    1. Inertes Dispergiermedium (bei 25 °C):

    a) Polydimethylsiloxan (AK 10 Wacker)

    Viskosität:
    9,4 mPas
    Dichte
    0,930 - 0,933 g/cm³

    b) Polymethylphenylsiloxan (TR 50 Wacker)

    Viskosität:
    50 ± 5 mPas
    Dichte:
    0,955 - 0,957 g/cm³

    c) Mineralöl

    Viskosität:
    7,15 mPas
    Dichte:
    0,8399 g/cm³

    d) Paraffinöl

    Viskosität:
    254 mPas
    Dichte:
    0,873 g/cm3

    2. Dispergierte Festkörper

    a) Schichtsilikat Kenyaittyp

    b) Schichtsilikat Magadiittyp

    c) Schichtsilikat Kanemittyp

    d) Mischung a - c

    e) Ionengetauschtes Schichtsilikat Typ a - c

    3. Dispergierhilfsmittel


    Kationische Tenside:



    [0035] 
    • Distearyldimethylammoniumchlorid
    • Perfluorstearyltrimethylammoniumiodid

    Nichtionische Tenside



    [0036] 
    • AB-Blockcopolymere aus einem Polydimethylsiloxanblock (A) und einem Polyoxyalkylenblock (B), Alkylen-C-Länge 2,(Wackerhandelsprodukt VP1633),

    Anionische Tenside



    [0037] 
    • Dioctylnaphthalinsulfonsäure mit Formaldehyd kondensiert als Na-Salz
    • 1 mol 7-Kern-nonylphenol-novolak + 10 bis 120 mol Ethylenoxid
    • 1 mol 7-Kern-nonylphenol-novolak + 10 bis 120 mol Ethylenoxid als Mischester aus Benzoesäure und Maleinsäure mit angelagertem Na-Sulfit als Na-Salz
    • Vernetztes Na-Polyacrylat
    • 1-Hydroxy-dodecan-1,1-diphosphonat als Dibutylammoniumsalz
    • Decanphosphonat als Na-Salz
    • 2,4,6-tributyl-1-polyethersulfonsäure-benzol, 7 Oxyalkyleneinheiten
    • p-Dodecylbenzolsulfonate
    • Alkyl-polyethersulfonate, Alkylreste C₁₂:C₁₃:C₁₄ Verhältnis = 30:1:5, 7 Oxyalkylene
    • Copolymere aus Acrylsäure und 10 Gew% an Diallylaminomethandiphosphonsäure -tetraethylester

    Betaine



    [0038] 
    • Betainsalz aus der Substitutionsreaktion von Monochloressigsäure und Stearyldimethylamin
    • Betainsalz aus der Substitutionsreaktion von Monochloressigsäurestearylester und 1-Hydroxyethyl-2-stearylimidazol

    Vergleichsbeispiel 1



    [0039] Entsprechend Beispiel 3 der Patentanmeldung EP 0361106 A1 wurde das auf Basis eines Peches bestehende ER-Fluid hergestellt. Dispergierhilfsmittel wurden analog der Patentanmeldung nicht eingesetzt.

    Vergleichsbeispiel 2



    [0040] Das ER-Fluid wurde von Advanced Fluid Systems Ltd. zur Verfügung gestellt. Es ist ein ERF-Fluid auf Basis eines Lithiumpolyacrylats nach UK-Patent 1570234.

    Vergleichsbeispiel 3



    [0041] Muster gemäß der Patentanmeldung DE 3536934 A1 mit 40 Gew% Aluminiumsilikat als disperse Phase und (R)Baysilon als Dispergierhilfsmittel (5 Gew%), entsprechend Beispiel 4 hergestellt.

    Beispiel 4



    [0042] 5 g Dispergierhilfsmittel (Dioctylnaphtalinsulfonsäure kondensiert mit Formaldehyd als Na-Salz) werden in 1 l Wasser gelöst. In einem thermostatisierten Behälter wird in diese Lösung mittels eines Pendraulik Dissolver LD50 100 g synthetischer Kenyait eindispergiert. Die Temperatur wird für 30 min bei 70 °C gehalten. Die Suspension wird zentrifugiert und der Rückstand bei 140 °C im Vakuum bis zur Gewichtskonstanz getrocknet. Anschließend wird das so beschichtete Material aufgemahlen und gesiebt. Die Fraktion mit Teilchengrößen < 32 µm wird in 70 Gew% Silikonöl (AK10) aufgeschlämmt und in mehreren Mahlgängen in einer Fryma Perlmühle, Typ Co Ball Mill, auf eine Feinheit von 1 - 2 µm d₅₀ homogenisiert. Die so erhaltene Dispersion ist nicht thixotrop, freifließend und nichtabsetzend.

    Beispiel 5



    [0043] Der im Beispiel 4 angegebenen Herstellweise folgend wird ein ER-Fluid hergestellt mit synthetischem Magadiit als Festkörper und einer Mischung aus einem 7-Kern-nonylphenolnovolak und Ethylenoxid als Dispergierhilfsmittel.

    Beispiel 6



    [0044] Herstellung analog Beispiel 4 mit 1-Decanphosphonsäure als Dispergierhilfsmittel.

    Beispiel 7



    [0045] Herstellung analog Beispiel 4 mit Block-(polysiloxan)-polyoxyalkylen (VP 1633 Wackerchemie) als Dispergierhilfsmittel.

    Beispiel 8



    [0046] Herstellung analog Beispiel 4 mit einer quartären Ammoniumverbindung (Betain aus Monochloressigsäurestearylester + Stearyldimethylamin) als Dispergierhilfsmittel.

    Beispiel 9



    [0047] Herstellung analog Beispiel 4 mit einem Gemisch aus synthetischem Kenyait/Magadiit (70 : 30) und Na-polyacrylat (MW 10⁶) als Dispergierhilfsmittel.

    Beispiel 10



    [0048] Herstellung analog Beispiel 9 mit einem Dibutylammoniumsalz des 1-Oxy-dodecan-1,1-diphosphonat als Dispergierhilfsmittel.

    Beispiel 11



    [0049] Herstellung eines ER-Fluids mit synthetischem Kanemit als dielektrisches Material und Baysilon OF (Bayer-Handelprodukt) als Dispergierhilfsmittel. Die Formulierung erfolgt entsprechend Beispiel 4.

    Beispiel 12



    [0050] Herstellung analog Beispiel 4 mit einem 7-Kern-nonylphenol-novolak mit Ethylenoxid als Mischester aus Benzoesäure und Maleinsäure mit angelagertem Na-Sulfit als Dispergierhilfsmittel.

    Beispiel 13



    [0051] Herstellung eines ER-Fluids mit einem Gemisch aus synthetischem Kenyait/Magadiit (vgl. Beispiel 9) und einem Distearyldimethylammoniumchlorid als Dispergierhilfsmittel. Auf einen wässrigen Präparationsschritt wurde verzichtet (vgl. Beispiel 4) und direkt in der Perlmühle mit 16 Durchgängen die Dispersion hergestellt.

    Beispiel 14



    [0052] Herstellung analog Beispiel 13 mit Mineralöl als Grundflüssigkeit. Dispergierhilfsmittel ist eine mit Formaldehyd kondensiente Dioctylnaphtalinsulfonsäure als Na-Salz.

    Beispiel 15



    [0053] Herstellung analog Beispiel 4 mit Li-Ionengetauschtem Kenyait und 1-Oxy-dodecan-1,1-diphosphonat als Dispergierhilfsmittel.

    Beispiel 16



    [0054] Herstellung analog Beispiel 4 nur anstelle des Kenyaits wurde ein Magadiit verwendet mit Dibutylammonium-p-dodecylbenzolsulfonat als Dispergierhilfsmittel

    Beispiel 17



    [0055] Herstellung analog Beispiel 16 mit Calcium-p-dodecylbenzolsulfonat als Dispergierhilfsmittel

    Beispiel 18



    [0056] Herstellung analog Beispiel 16 mit Paraffinöl als Grundöl und Calcium-p-Dodecylbenzolsulfonat als Tensid

    Beispiel 19



    [0057] Herstellung analog Beispiel 16 mit einem Dodecyl-polyethersulfonat und 7 Oxyethyleneinheiten als Tensid

    Beispiel 20



    [0058] Herstellung analog Beispiel 16 mit einem Copolymeren aus Acrylsäure und 10 Gew% Diallylamino-methandiphosphonsäure-tetraethylester als Tensid

    Beispiel 21



    [0059] Herstellung analog Beispiel 16 mit einem Copolymeren aus Acrylsäure und 10 Gew% Dialylamino-methandiphosphonsäure-tetraethylester als Dispergierhilfsmittel und Paraffinöl als Grundöl

    Beispiel 22



    [0060] Herstellung nach Beispiel 16 mit 2,4,6-Tributyl-1-polyethersulfonsäurebenzol, welches 7 Oxyethyleneinheiten enthält, als Tensid

    Beispiel 23



    [0061] 520 g Magadiit wird bei 180 °C bis zur Gewichtskonstanz getrocknet. Danach wird er in 1 l einer Lösung aus Silikonöl AK10 und dem Betain aus Monochloressigsäurealkylester und 1-Hydroxyethyl-2-alkylimidazol eingetragen und 3 Stunden mit einem Pendraulik Dissolver LD50 bei 90 °C gerührt. Die Menge an Betain ist in diesem Falle 5 Gew% der eingesetzten Schichtsilikatmenge. Diese Ölsuspension wird anschließend in einer Co-Ball-Mill MS12 in mehrerern Durchgängen vermahlen.

    Beispiel 24



    [0062] Herstellung analog Beispiel 4 mit Distearyldimethylammoniumchlorid als Dispergierhilfsmittel.

    Beispiel 25



    [0063] Herstellung analog Beispiel 4 mit Perfluorstearyltrimethylammoniumiodid als Dispergierhilfsmittel.



















    [0064] Wesentlich für die Beurteilung eines ER-Fluides ist die Bestimmung der relativen Leistungsaufnahme unter Spannung im Vergleich zum feldfreien Zustand.


    Hierbei ist τ die gemessene Schubspannung und D die vorgegebene Scherrate. Der Indix E steht für Meßergebnisse im elektrischen Feld, der Index 0 for solche ohne Feld. Diese Größe wurde optimiert.

    [0065] Aus den resultierenden Kurven ist das Verhältnis der notwendigen, zu dissipierenden, mechanischen Energien mit und ohne elektrisches Feld bei verschiedenen Schergeschwindigkeiten erkennbar.
    Diese Größe ist wesentlich für die Auslegung technischer Bauteile.

    [0066] Abbildung 1 und 3 stellen den Zusammenhang zwischen gemessener Schubspannung als Funktion der elektrischen Feldstärke und der gegebenen Scherrate dar. Die Abbildungen 2, 4, 5, und 6 stellen die relativen Leistungsaufnahmen der ER-Fluide (

    ) in Abhängigkeit der Scherrate bei verschiedenen Temperaturen und konstanter Feldstärke dar.

    [0067] In Abbildung 7 ist eine neue elektrorheologische Erscheinung dargestellt. Beim Anlegen eines elektrischen Feldes sinkt für Scherraten > 5 s⁻¹ die Viskosität der Suspension unter die der Suspension ohne Feld ab. Beim Abschalten des elektrischen Feldes kehrt dann die Viskosität auf ihren ursprünglichen Wert wieder zurück. Wir bezeichnen diese Erscheinung als negativen elektrorheologischen Effekt.


    Ansprüche

    1. Elektrorheologisches Fluid, enthaltend im wesentlichen ein aluminiumfreies Metallsilikathydrat mit Schichtstruktur, ein Dispergierhilfsmittel sowie inertes aprotisches Dispersionsmedium.
     
    2. Elektrorheologisches Fluid nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß das aluminiumfreie Metallsilikathydrat ein Silikathydrat vom Kenyaittyp vom Magadiittyp und/oder vom Kanemittyp ist.
     
    3. Elektrorheologisches Fluid nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß das inerte Dispersionsmedium ein Silikonöl in einem Viskositätsbereich von 0,5 bis 1000 mPas und/oder ein Mineralöl und/oder Paraffinöl jeweils in einem Viskositätsbereich von 0,1 bis 5000 mPas.
     
    4. Elektrorheologisches Fluid nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß das Dispergierhilfsmittel ein kationisches Tensid, ein anionisches Tensid, ein nichtionisches Tensid sowie Betain ist.
     
    5. Elektrorheologisches Fluid nach einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, daß die Metallsilikathydrate Metall- Ammonium- Alkylammonium- und Arylammonium- dotiert sind.
     
    6. Elektrorheologisches Fluid gemäß Anspruch I, dadurch gekennzeichnet, daß die Metallsilikathydrate in Konzentrationen von 1 - 50 Gew%, vorzugsweise 15 - 40 Gew%, bezogen auf das Gesamtgewicht, eingesetzt werden.
     




    Zeichnung