(19)
(11) EP 0 621 374 A1

(12) EUROPÄISCHE PATENTANMELDUNG

(43) Veröffentlichungstag:
26.10.1994  Patentblatt  1994/43

(21) Anmeldenummer: 94105679.8

(22) Anmeldetag:  13.04.1994
(51) Internationale Patentklassifikation (IPC)5E01F 8/00, C09K 3/18, C08J 7/04, C08J 7/06
(84) Benannte Vertragsstaaten:
AT BE CH DE DK ES FR GB IT LI NL SE

(30) Priorität: 20.04.1993 DE 9305850 U

(71) Anmelder: Röhm GmbH
D-64293 Darmstadt (DE)

(72) Erfinder:
  • Johannson, Günter, Dr.
    D-64285 Darmstadt (DE)
  • Müller, Michael, Dr.
    D-64625 Bensheim (DE)


(56) Entgegenhaltungen: : 
   
       


    (54) Flammgeschützte Lärmschutzwand aus Acrylglas


    (57) Lärmschutzwände aus (extrudiertem) Acrylglas, bestehend aus Trägern und daran befestigten Acrylglasscheiben, die frei von halogen- und phoshorhaltigen flammhemmenden Zusätzen sind und auf den Oberflächen der Scheiben eine 0,1 bis 100 Mikrometer dicke Schicht aus einem bis zu Temperaturen von 250oC nicht zersetzlichen und nicht schmelzenden Material, beispielsweise Siliciumdioxid, enthalten, sind flammhemmend im Sinne der ZTV-Lsw 88 (Zusätzliche technische Vorschrift für Lärmschutzwände des deutschen Bundesministers für Verkehr).


    Beschreibung


    [0001] Die Erfindung betrifft eine flammgeschützte Lärmschutzwand aus Acrylglas, bestehend aus im Untergrund verankerten Trägern und daran befestigten, z.B. 10 bis 30 mm dicken Acrylglasscheiben.

    Stand der Technik



    [0002] Lärmschutzwände mit Acrylglasscheiben sind bekannt; vgl. deutsches Gebrauchsmuster G 92 02844. Ein geeignetes Trägersystem ist in dem deutschen Gebrauchsmuster G 85 24319 beschrieben.

    [0003] Derartige Lärmschutzwände müssen einer begrenzten Brandbelastung, z.B. einem Grasbrand am Aufstellungsort, standhalten. Diese Eigenschaft läßt sich zwar leicht verwirklichen, indem man dem Acrylglas bei der Herstellung üblich flammhemmende Zusätze auf Basis von Phosphor- oder Halogenverbindungen einverleibt. Diese Zusätze sind größtenteils gesundheitsbedenklich und erfordern deshalb besondere Schutzmaßnahmen bei der Herstellung und Verarbeitung des Acrylglases.

    Aufgabe und Lösung



    [0004] Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, Acrylglasscheiben für Lärmschutzwände ohne halogen- und phosphorhaltige Zusätze flammhemmend auszurüsten. Insbesondere soll die zusätzliche technische Vorschrift für Lärmschutzwände ZTV-Lsw 88 des Bundesministers für Verkehr erfüllt werden.

    [0005] Es wurde gefunden, daß diese Aufgabe an einer Lärmschutzwand aus Acrylglas, bestehend aus Trägern und daran befestigten Acrylglasscheiben dadurch erfüllt werden kann, daß das Acrylglas frei von halogen- und phoshorhaltigen flammhemmenden Zusätzen ist und auf den Oberflächen der Scheiben eine Schicht aus einem bis zu Temperaturen von 250oC nicht zersetzlichen und nicht schmelzenden Material enthält. Das Material gilt als nicht zersetzlich, wenn es bei der thermogravimetrischen Analyse unter Stickstoff bei einer Temperatursteigerung von 20oC/min bis zu einer Temperatur von 250oC einen Gewichtsverlust unter 1 % aufweist.

    [0006] Zur Prüfung der Brandbelastbarkeit dient eine Versuchsanordnung, bei der ein Wandelement, das in einen U-Profilrahmen aus Metall eingefaßt ist, auf einem 25 cm hohen unbrennbaren Sockel senkrecht aufgestellt wird. Unmittelbar vor der Vorderseite werden auf den Boden zwei mit je 600 g Holzwolle gefüllte Drahtkörbe von 30 x 30 x 20 cm in den Drittelpunkten des Elements aufgestellt und gleichzeitig angezündet. Nach einer Stunde wird die gleiche Behandlung auf der Rückseite des Elements wiederholt. Das geprüfte Wandelelement darf, um den Brandtest zu erfüllen, kein Feuer fangen und auch nicht stellenweise verbrennen. Es dürfen keine Brandlöcher von mehr als 6 cm² Fläche und keine Risse von mehr als 5 cm Länge entstehen.

    [0007] Wandelemente gemäß der Erfindung (hergestellt nach Beispiel 1) mit den Abmessungen 2000 x 1000 x 15 mm erfüllen den beschriebenen Brandtest. Dagegen erfüllen Wandelemente gleicher Abmessungen aus unbeschichtetem gegossenen Acrylglas, bestehend aus reinem Polymethylmethacrylat, nur zu 50 % diese Prüfbedingungen. Die anderen Elemente gerieten in Brand und mußten nach Versuchsende abgelöscht werden.

    [0008] Der Befund, daß die erfindungsgemäßen Acrylglasscheiben unter den Bedingungen des vorgeschriebenen Brandtests bis zum Abbrennen des Umgebungsfeuers nicht entzündet werden, ist überraschend, denn ein Einfluß der Oberflächenschicht ist schon bei sehr geringen Schichtdicken, beispielsweise 200 bis 600 nm, feststellbar. Obwohl eine Erklärung bisher nicht möglich ist, wird angenommen, daß die Entzündungsgefahr auf der Verbrennung von monomerem Methylmethacrylat-Dampf beruht, der durch thermische Depolymerisation entsteht. Es war bisher nicht feststellbar, ob die Wirkung der Schicht auf einer Hemmung der Depolymerisation oder auf der Hinderung der Freisetzung der Monomerendämpfe beruht.

    Ausführung der Erfindung



    [0009] Als Acrylglas werden Homo- und Copolymerisate aus wenigstens 80 Gew.-% Polymethylmethacrylat und gegebenenfalls bis zu 20 Gew.-% an Comonomeren, wie niedere Alkylacrylate und -methacrylate, bezeichnet. Geeignet sind gegossenes und extrudiertes Acrylglas.

    [0010] Um eine ausreichende Lärmschutzwirkung zu erreichen, müssen die Acrylglasscheiben eine beträchtliche Dicke haben. Bei Dicken unter 10 mm ist die schalldämmende Wirkung zu gering. Bei Dicken über 30 mm steht die Wirkungszunahme in keinem wirtschaftlich tragbaren Verhältnis zum zunehmenden Materialverbrauch. Vorzugsweise sind die Scheiben 12 bis 25 mm dick. Die Herstellung entsprechend dicker Scheiben durch Extrusion ist schwierig. Eine dafür geeignete Extrusionsdüse ist in dem deutschen Gebrauchmuster G 90 015187 beschrieben.

    [0011] Glasklare farblose Scheiben sind bevorzugt. Aus Gründen des Vogelschutzes werden manchmal Scheiben mit gut sichtbaren Längs- oder Querstreifen in Abständen von einigen Zentimetern oder undurchsichtig eingefärbte Scheiben bevorzugt.

    [0012] Bei Lärmschutzwänden an Autostraßen sind Vorkehrungen erforderlich, um zu verhindern, daß im Falle der Zerstörung einer Acrylglasscheibe bei einem Unfall Bruchstücke in die Umgebung geschleudert werden. In den deutschen Gebrauchsmustern G 91 09817 und G 92 02488 wird vorgeschlagen, in die Acrylglasscheiben in Längsrichtung durchlaufende zugfeste Einlagen einzubetten, die die Bruchstücke zusammenhalten. Geeignet sind z.B. monofile Fäden oder Bänder aus Polyamid oder Stahlspiralen. Sie werden bei der Herstellung gegossener Platten nach dem Kammerverfahren vor dem Einfüllen der Monomeren in der Flachkammer eingespannt und nach dem Füllen von dem polymerisierenden Monomeren umschlossen. Bei der Herstellung durch Extrusion kann man in der Weise vorgehen, daß zwei Stränge halber Dicke getrennt extrudiert und in einem Walzenstuhl im thermoplastischen Zustand vereinigt werden, wobei man die Fäden oder Bänder gleichzeitig zwischen den beiden Strängen einlaufen läßt. Als zugfeste Einlage muß in diesem Falle ein Material verwendet werden, das durch die hohe Temperatur der thermoplastischen Formmassenstränge nicht geschädigt wird.

    [0013] Die Acrylglasscheiben haben üblicherweise Abmessungen von 2 bis 4 m Länge und 1 bis 2 m Breite. Sie werden in der Regel an senkrecht stehenden Trägern oder Pfosten, die im Untergrund verankert sind, befestigt. Vorzugsweise sind die Kanten mit U-Profilen aus Metall eingefaßt.

    [0014] Die auf der Oberfläche des Acrylglases angeordnete Schicht kann eine Dicke von 0,1 bis 100, vorzugsweise 0,3 bis 15 Mikrometer haben.

    [0015] Siliciumdioxid erfüllt die Forderungen hinsichtlich der Schmelz- und Zersetzungstemperaturen. Eine Schicht aus kolloidalen Siliziumdioxid-Partikeln kann in an sich bekannter Weise gemäß EP 149 182 durch Auftragen eines wäßrigen Siliciumdioxid-Kolloidsols erzeugt werden. Um eine gute Haftung auf dem Acrylglas zu erreichen, ist eine Grundierung der Acrylglasoberfläche mit einem löslichen organischen Polymermaterial mit einem Gehalt an polaren Gruppen vorteilhaft. Die Grundierungsschicht braucht die erfindungsgemäß an die äußerste Schicht gestellten Anforderungen nicht zu erfüllen. Geeigent sind z.B. Copolymerisate von niederen Alkylestern der Acryl- und/oder Methacrylsäure, die als polare Gruppen z.B. Einheiten von Hydroxyalkyl-acrylat oder -methacrylat, N-Methylol-acrylamid oder -methacrylamid oder deren Alkylether oder Methacryloxypropyl-trimethoxysilan enthalten können.

    [0016] Die Schicht aus kolloidalen Siliziumdioxid-Partikeln wirkt zugleich wasserspreitend. Das hat den Vorteil, daß Regenwassertropfen auf der Oberfläche der Acrylglasscheiben zu einem geschlossenen Film zusammenfließen und an der aufrecht stehenden Platte abfließen. Dabei werden lose anhaftende Staub- und Schmutzteilchen mitgerissen, so daß sich die Lärmschutzwand über längere Zeit selbst reinigt.

    [0017] Eine andere Art der Oberflächenschicht besteht aus einem vernetzten, bis 250oC nicht zersetzlichen organischen Polymermaterial. Die Vernetzung muß so hoch sein, daß das Polymermaterial bis zu einer Temperatur von 250oC nicht schmilzt. Infolge der Vernetzung ist es unlöslich in organischen Lösemitteln.

    [0018] Bevorzugt sind Polymerisate bzw. Copolymerisate von äthylenisch ungesättigten, radikalisch polymerisierbaren Monomeren, an deren Aufbau wenigstens 10 Gew.-%, vorzugsweise 30 bis 80 Gew.-%, an Monomeren mit zwei oder mehr ungesättigten polymerisierbaren Gruppen beteiligt sind. Beispiele sind Diester, Triester oder höherfunktionelle Ester der Acryl- und/oder Methacrylsäure mit zwei- oder mehrwertigen Alkanolen, wie Ethylenglykol, 1,2-Propylengkykol, Butandiol-1,4, Glycerin, Trimethylolpropan und Pentaerythrit. Als einfach ungesättigte Comonomere kommen vor allem die niederen Alkylester der Acryl- und/oder Methacrylsäure (vorzugsweise mit 1 bis 4 Kohlenstoffatomen im Alkylrest) in Betracht. Die aus diesen Monomeren aufgebauten Polymerisate und Copolymerisate erfüllen in der Regel die Voraussetzung einer nicht unter 250oC liegenden Zersetzungstemperatur. Die daraus aufgebauten Schichten haben eine hohe mechanische Festigkeit und schützen die Oberfläche des Acrylglases gleichzeitig gegen eine Verminderung der Transparenz durch die Einwirkung von kratzenden oder reibenden Beanspruchungen.

    [0019] Beschichtungen dieser Art werden aus einer auf die Oberfläche des Acrylglases aufgebrachten Schicht der zugrundeliegenden flüssigen Monomeren durch radikalische Polymerisation erzeugt. Geeignete Polymerisationsverfahren sind aus der Technik der Kratzfestbeschichtung bekannt. Die Polymerisation wird beispielsweise durch radikalbildende Photoinitiatoren unter UV-Strahlung bewirkt. Ein Verfahren dieser Art ist z.B. in DE-A 2928512 beschrieben.

    Ausführungsbeispiele


    1. Beschichtung von gegossenem Acrylglas mit Siliciumdioxid



    [0020] Als Grundierung wurde eine 2,5-prozentige Lösung eines Mischpolymerisats aus 88 Gew.-% Methylmethacrylat und 12 Gew.-% Methacryloyl-oxypropyl-trimethoxysilan in einem Gemisch aus Isopropylalkohol und Toluol hergestellt. Die Grundierung wurde auf mehrere Acrylglasplatten der Abmessungen 1000 x 1600 x 15 mm (PLEXIGLAS® GS 233, Röhm GmbH) aufgetragen. Dazu wurde ein Textilstreifen, der auf einen geraden Stab gewickelt war, mit der Lösung getränkt und quer über die Breite der Acrylglasplatten gezogen. Der zurückbleibende Flüssigkeitsfilm wurde getrocknet. Anschließend wurde in gleicher Weise ein 3-prozentiges, schwach anionisches, oberflächlich mit Aluminiumoxid modifiziertes Kieselsol unter Zusatz von 0,01 Gew.-% eines nichtionischen Netzmittels (Isotridecylalkohol, achtfach ethoxyliert) aufgetragen und 5 min in einem Warmluftstrom bei 80oC getrocknet. Beide Schichten waren je etwa 300 nm dick.

    [0021] Beim Brandtest der beschichteten Acrylglasscheiben unter den eingangs beschriebenen Bedingungen der ZTV-Lsw 88 trat in keinem Fall ein Mitbrennen oder eine Flammenbildung, ein Durchbrennen und Rißbildung auf. Im beflammten Bereich waren feine Blasen und eine braune Verfärbung sichtbar.

    2. Beschichtung von gegossenem Acrylglas mit einem vernetzten Acrylpolymeren



    [0022] Eine Überzugslösung wurde aus 3900 g Pentaerythrittetraacrylat (Sartomer®), 5900 g 1,6-Hexandioldiacrylat und 200 g eines Photoinitiators (Darocur® 1116, Ciba-Geigy AG) bereitet.

    [0023] Die Lösung wurde mittels einer Walzenauftragsmaschine im Gleichlauf auf mehrere Acrylglasplatten (wie im Beispiel 1) aufgetragen und mit einem UV-Strahler einer Leistung von 120 W/cm (Quecksilber-Hochdruckstrahler) unter Stickstoff ausgehärtet. Die Schichtdicke betrug 10 - 12 Mikrometer. Die thermogravimetrische Analyse des Beschichtungsmaterials ergab unter den oben beschriebenen Bedingungen eine Zersetzung von 1 % bei etwa 310oC.

    [0024] Beim Brandtest erfüllten alle beschichteten Acrylglasplatten die Prüfung gemäß ZTV-Lsw 88.


    Ansprüche

    1. Flammgeschützte Lärmschutzwand aus Acrylglas, bestehend aus Trägern und daran befestigten Acrylglasscheiben,
       dadurch gekennzeichnet, daß das Acrylglas frei von halogen- und phoshorhaltigen flammhemmenden Zusätzen ist und auf den Oberflächen der Scheiben eine Schicht aus einem bis zu Temperaturen von 250oC nicht zersetzlichen und nicht schmelzenden Material enthält.
     
    2. Lärmschutzwand nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die Schicht eine Dicke von 0,1 bis 100 Mikrometer hat.
     
    3. Lärmschutzwand nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, daß die Schicht aus kolloidalen Siliziumdioxid-Partikeln besteht.
     
    4. Lärmschutzwand nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, daß die Schicht aus einem vernetzten organischen Polymermaterial besteht.
     
    5. Lärmschutzwand nach einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, daß die Acrylglasscheiben durch Extrusion erzeugt sind.
     
    6. Lärmschutzwand nach einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 5, dadurch gekennzeichnet, daß in das Acrylglas in Längsrichtung durchlaufende zugfeste Einlagen eingebettet sind.
     





    Recherchenbericht