(19)
(11) EP 0 663 330 A1

(12) EUROPÄISCHE PATENTANMELDUNG

(43) Veröffentlichungstag:
19.07.1995  Patentblatt  1995/29

(21) Anmeldenummer: 95100045.4

(22) Anmeldetag:  03.01.1995
(51) Internationale Patentklassifikation (IPC)6B61F 5/30, B61F 5/38
(84) Benannte Vertragsstaaten:
AT CH DK ES FR GB IT LI SE

(30) Priorität: 12.01.1994 DE 4400615

(71) Anmelder: Waggonfabrik Talbot
D-52070 Aachen (DE)

(72) Erfinder:
  • Zijdemans, Peter C.K.
    NL-3445 CK Woerden (NL)


(56) Entgegenhaltungen: : 
   
       


    (54) Radsatzführung mit virtueller Radsatz-Schwenkachse


    (57) Bei einer Radsatzführung mit einer virtuellen vertikalen Radsatz-Schwenkachse (V), die zwischen einem Radsatz (3, 4) und einem Fahrgestell, insbesondere einem Drehgestell-Rahmen (1), eines Schienenfahrzeugs angeordnete elastische Elemente (6) umfaßt, die in Fahrwegebene unterschiedliche Federsteifigkeiten (h, w) aufweisen, um eine radiale Einstellung des Radsatzes gegenüber dem Fahrgestell zu erlauben, wird erfindungsgemäß auf jeder Seite des Radsatzes mindestens ein Primärfederelement (6) mit in Fahrwegebene unterschiedlichen Federsteifigkeiten derart angeordnet, daß die verlängert gedachten Achsen der kleinsten Federsteifigkeiten beider Primärfederelemente (6) sich außerhalb der Rotationsachse (3A, 4A) des Radsatzes (3, 4) annähernd in der Längsmittelachse des Fahrgestells schneiden, so daß die Rotationsachse (3A, 4A) gegenüber dem Fahrgestell bei einer von diesem auf den Radsatz quer zu dessen Abrollrichtung einwirkenden Einleitung von Flieh- bzw. Spurführungskräften (F, L) in einer Ausweichbewegung selbsttätig um die annähernd in der Radsatzmitte liegende virtuelle Schwenkachse (V) ohne Verwendung von Lenkern frei schwenkbar ist.




    Beschreibung


    [0001] Die Erfindung bezieht sich auf eine Radsatzführung mit virtueller Radsatz-Schwenkachse mit den Merkmalen des Oberbegriffs des Patentanspruchs 1, die aus EP 0 143 540 B1 bekannt sind. Dort ist ein Antriebs-Drehgestell eines Schienenfahrzeugs offenbart, dessen Rahmen sich auf die beiden Radsätze über vertikal annähernd starre, jedoch seitlich (in Fahrwegebene) schubelastische Scherblöcke abstützt.

    [0002] Die innengelagerten Radsätze sind durch je eine Lenkerstange zwangsgeführt, die eine Verbindung der Radsatzlager zum Wagenkasten des Schienenfahrzeugs herstellt.

    [0003] Die Scherblöcke sind als rechteckige Gummi-Metall-Kissen ausgeführt und auf beiden Seiten jedes Radsatzes jeweils zu viert so angeordnet, daß ihre verlängert gedachten Längsachsen in einer vertikal in dem Raum zwischen den Seitenwangen des Drehgestells und den beiden Radsätzen deutlich außerhalb der Längsmittelachse verlaufenden Drehachse konvergieren. Diese Drehachse liegt im Bereich einer elastischen Kupplung, mit der Drehmomente von einem Antriebsmotor auf das Radsatzgetriebe übertragen werden. Dadurch ist in Fahrtrichtung eine hohe Federsteifigkeit ( = quasi-starre Radsatz-Längsführung) und in Quer- bzw. in bezüglich der virtuellen Drehachse tangentialer Richtung eine relativ geringe Federsteifigkeit installiert.

    [0004] Bei seitlichem Schub aus Flieh- und Spurführungskräften, d. h. bei Bogenlauf des Drehgestells bzw. dessen Schwenkbewegung unter dem Wagenkasten, können sich die Radsätze, gesteuert durch ihre Lenker, durch Schwenken um die außermittige virtuelle Drehachse radial im Gleis einstellen.

    [0005] Das exakte Ausrichten der zahlreichen Scherblöcke ist bei der Herstellung dieser Radsatzführung sehr aufwendig, zumal die virtuelle Schwenkachse nicht in der Radsatzmittelebene liegt. Auch erhöhen die Lenker das Eigengewicht und die Komplexität des Drehgestellrahmens.

    [0006] Es ist auch bekannt (DE 24 04 768 A1), daß Gummiring-Rollfedern mit einer bestimmten, vorzugsweise elliptischen Formgebung in einer horizontalen Ebene mit richtungsabhängig unterschiedlichen Federsteifigkeiten ausgerüstet werden können. In dem dort beschriebenen Anwendungsfall einer Radsatz-Primärfederung eines Schienenfahrzeugs liegt die größere Elastizität der Rollfeder genau in Fahrtrichtung, die kleinere quer dazu.

    [0007] Bei einer anderen Radsatzführung (EP 0 360 782 A2) werden ringförmige, mit einem gummielastischen Element ausgestattete Buchsen als Primärfederelemente eingesetzt, die ebenfalls -aufgrund von Aussparungen in den gummielastischen Elementen- richtungsabhängig unterschiedliche Federsteifigkeiten in einer Ebene aufweisen, damit deren Steifigkeit in Abhängigkeit von der Fahrgeschwindigkeit variabel eingestellt werden kann.

    [0008] Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, ausgehend von der eingangs erörterten Radsatzführung eine einfachere Lösung anzugeben, die ohne Lenker auskommt.

    [0009] Diese Aufgabe wird erfindungsgemäß mit den kennzeichnenden Merkmalen des Anspruchs 1 gelöst. Die Merkmale der Unteransprüche geben vorteilhafte Weiterbildungen dieses Gegenstands an.

    [0010] Weitere Vorteile des Gegenstands gehen aus der Zeichnung eines Ausführungsbeispiels und deren sich im folgenden anschließender eingehender Beschreibung hervor.

    [0011] Es zeigen in stark schematisierter Darstellung
    Figur 1
    eine Prinzipskizze eines zweiachsigen Schienenfahrzeug-Drehgestells mit über Primärfederelemente lenkerfrei selbsttätig radial einstellbaren Radsätzen,
    Figur 2
    eine bevorzugte Ausführungsform für ein Primärfederelement zur Bereitstellung einer virtuellen Drehachse eines Schienenradsatzes und
    Figur 3
    einen Längsschnitt durch das Primärfederelement entlang Linie III-III in Fig. 2.


    [0012] In einem Rahmen 1 eines Schienenfahrzeug-Fahrgestells 2-hier eines zweiachsigen Drehgestells- sind gemäß der in Figur 1 gezeigten Draufsicht auf die Fahrwegebene zwei Radsätze 3 und 4 um ihre Rotationsachsen 3A bzw. 4A drehbar gelagert, wobei zwischen deren außenliegenden Lagergehäusen 5 und dem Rahmen 1 Primärfederelemente 6 angeordnet sind.
    Die Radsätze 3 und 4 sind in ihrer Normalstellung (Stillstand oder Fahrt in der Geraden) durchgezogen und in einer Lenkstellung (Fahrt im Bogen) gestrichelt gezeichnet. Die Rotationsachsen 3A und 4A sind in letzterer Stellung gegeneinander angestellt, die Radsätze also radial in den Bogen eingeschwenkt, wobei der eingeschlossene Winkel hier der Verdeutlichung halber übertrieben groß gezeichnet ist. Real auftretende Schwenkwinkel sind viel kleiner.

    [0013] Rechtsseitig sind in den Rotationsachsen 3A und 4A nach links weisende Pfeile F eingezeichnet, die auf den Rahmen 1 einwirkende Fliehkräfte repräsentieren. Mittig auf den Radsatzwellen sind nach rechts weisende Pfeile L eingezeichnet, welche die von der bogenäußeren (linken) Schiene auf die Radsätze 3 und 4 bzw. deren Spurkränze ausgeübten Spurführungs- oder Richtkräfte repräsentieren.

    [0014] Die gestrichelt gezeichnete Lenkstellung der beiden Radsätze 3 und 4 stellt sich bei diesem Fahrgestell allein und lenkerfrei unter der Wirkung der Kräfte F und L ein, weil die Primärfederelemente 6 eines Radsatzes spiegelsymmetrisch beidseits der Längsmittelachse LM des Fahrgestells derart angeordnet und ausgeführt sind, daß sie in Fahrwegebene in zwei Richtungen unterschiedliche, bezüglich der Fahrtrichtung und Fliehkraftrichtung gedreht orientierte Federsteifigkeiten aufweisen, wobei sich die Achsen der geringsten Federsteifigkeiten außerhalb der Rotationsachse 3A bzw. 4A der Radsätze 3 bzw. 4 in einer Längsprojektion des Radsatzmittelpunkts bzw. auf der Längsmittelachse LM schneiden, wie hier durch Schnittpunkte der Achse LM und je zweier strich-doppelpunktierter Wirkungslinien gezeigt ist.

    [0015] Die Schrägwinkel dieser Wirkungslinien sind nicht repräsentativ für eine reale Anordnung, sondern müssen natürlich an die Erfordernisse des realen Fahrzeugs angepaßt werden. Im Ausführungsbeispiel ist die Richtung der geringsten Federsteifigkeit gegenüber der Achse LM (Fahrtrichtung) um etwa 45° verdreht, und auch beim realen Fahrzeug wird er in einem Bereich zwischen 10 und 60° einzustellen sein.

    [0016] Unter der Einwirkung der genannten Kräfte F und L -ausgehend von der Anordnung in der Zeichnung- tendiert das rechte Lagergehäuse 5 des Radsatzes 3 in einer Ausweichbewegung auf der Wirkungslinie der geringsten Federsteifigkeit nach schräg rechts unten, während das linke Lagergehäuse desselben Radsatzes entlang der korrespondierenden Wirkungslinie nach schräg rechts oben tendiert.

    [0017] Da die entsprechenden Wirkungslinien am Radsatz 4 umgekehrt verdreht sind, schwenkt dessen Rotationsachse bei gleicher Richtung der einwirkenden Kräfte gegenläufig, d. h. sein rechtes Lagergehäuse 5 tendiert nach schräg rechts oben und sein linkes Lagergehäuse 5 tendiert nach schräg rechts unten.

    [0018] Ersichtlich stellt sich jeder Radsatz in der Fahrwegebene um eine vertikale virtuelle Drehachse V ein, die im Idealfall die Rotationsachse 3A bzw. 4A des Radsatzes im Radsatzmittelpunkt schneidet, zumindest aber die Radsatzwelle durchlaufen sollte.

    [0019] Erreicht wird dies bevorzugt durch eine besondere Ausführung der in Fig. 1 nur angedeuteten Primärfederelemente als MehrschichtGummi-Metall-Elemente gemäß der Schnittansicht in Fig. 2. Der Schnitt durch das Primärfederelement 6 liegt wiederum parallel zur Fahrwegebene, wie durch Koordinatenpfeile x (Fahrtrichtung) und y (Spurführungs- bzw. Fliehkraftrichtung) angedeutet ist.

    [0020] Von einem -vorzugsweise ovalen- Außenring 6R wird ein Elastomerkörper 6K umschlossen, der seinerseits einen länglichen zentralen Mittelkörper (Schwert) 6M umfaßt. Die jeweils flächig aneinanderstoßenden Bauteile sind scherfest kraftschlüssig miteinander verbunden (z. B. vulkanisiert).

    [0021] Durch einen Pfeil h wird die Wirkungslinie der größten Federhärte des Elements 6 gezeigt, ein Pfeil w gibt die Wirkungslinie der geringsten Federhärte an. Diese Wirkungslinien schneiden einander hier unter einem rechten Winkel, und ihr Schnittpunkt liegt im Grundriß vorzugsweise genau über der Radsatzmittenachse.

    [0022] Vorzugsweise sind in dem Elastomerkörper 6K in Richtung des Pfeils w Aussparungen 6A vorgesehen. Mit deren Größe kann die Nachgiebigkeit des Elastomerkörpers 6K gegenüber Verformungen in dieser Richtung eingestellt werden. Die Größe dieser Aussparungen wird je nach Erfordernissen festgelegt; sie können sich bei Bedarf auch bis zu dem Mittelkörper 6M hin erstrecken, so daß an dessen Spitzen im Gegensatz zur gezeichneten Ausführung kein Elastomermaterial mehr vorhanden und der Elastomerkörper in zwei Teile geteilt ist.

    [0023] Aus dem Längsschnitt in Fig. 3 wird deutlich, daß das Primärfederelement auch in vertikaler Richtung (Pfeil z) belastbar und nachgiebig ist. Eine Gewichtskraft G wirkt nach unten auf den Mittelkörper ein, während der Außenring 6R festgehalten wird. Natürlich könnte diese Anordnung bedarfsweise umgekehrt werden, so daß dann der radsatzfeste Mittelkörper von unten nach oben in den Elastomerkörper eingeführt wird und der Außenring am Rahmen befestigt wird.
    In jedem Fall hat der Elastomerkörper 6K eine hauptsächlich in den Richtungen w und z scherfähige Verbindung zwischen dem Außenring 6R und dem Mittelkörper 6M zu bilden.

    [0024] Die Härte des Elastomerkörpers ist in allen Richtungen in bekannter Weise durch die Werkstoffauswahl und seine Geometrie in weiten Grenzen bedarfsgerecht einstellbar.

    [0025] Auf die Bauart des Primärfederelements kommt es für die Erzielung des erfindungsgemäßen Selbstlenkeffekts aber nicht an, vielmehr können auch andere Bauarten, z. B. Rollringfedern oder trapezoide Mehrschichtfederelemente eingesetzt werden, so lange die Federsteifigkeiten in der vorstehend beschriebenen Weise ausgerichtet und aufeinander abgestimmt werden.

    [0026] Abweichend von der hier dargestellten Ausführungsform mit je nur einem Primärfederelement auf jeder Radsatzseite kann auch an jeder Radsatzseite beidseits der Rotationsachse je ein Primärfederelement vorgesehen werden. Mittels einer Traverse stützen sich diese in an sich bekannter Weise paarweise an der Radsatzlagerung ab. Bei einer niedrigeren Bauweise im Bereich der Radsatzlagerung werden damit auch die Vertikallasten der einzelnen Primärfederelemente halbiert.


    Ansprüche

    1. Radsatzführung mit virtueller vertikaler Radsatz-Schwenkachse (V), die zwischen einem Radsatz (3, 4) und einem Fahrgestell, insbesondere einem Drehgestell-Rahmen (1), eines Schienenfahrzeugs angeordnete elastische Elemente umfaßt, die in Fahrwegebene unterschiedliche Federsteifigkeiten (h, w) aufweisen, um eine radiale Einstellung jedes Radsatzes (3, 4) gegenüber dem Fahrgestell (1) zu erlauben,
    dadurch gekennzeichnet,
    daß auf jeder Seite des Radsatzes (3, 4) mindestens ein Primärfederelement (6) mit in Fahrwegebene unterschiedlichen Federsteifigkeiten (h, w) derart angeordnet ist, daß die verlängert gedachten Wirkungslinien der in Fahrwegebene kleinsten Federsteifigkeiten (w) beider Primärfederelemente (6) sich außerhalb der Rotationsachse (3A, 4A) des Radsatzes (3, 4) annähernd in der Längsmittelachse (LM) des Fahrgestells (2) schneiden, so daß die Rotationsachse (3A, 4A) gegenüber dem Fahrgestell (2) bei einer von diesem auf den Radsatz (3, 4) quer zu dessen Abrollrichtung wirkenden Krafteinleitung in einer Ausweichbewegung selbsttätig um die annähernd in der Radsatzmitte liegende virtuelle Schwenkachse (V) frei schwenkbar ist.
     
    2. Radsatzführung nach Anspruch 1,
    dadurch gekennzeichnet,
    daß je ein Primärfederelement (6) an den Lagergehäusen (5) einer außenliegenden Radsatzlagerung angeordnet ist.
     
    3. Radsatzführung nach Anspruch 1 oder 2,
    dadurch gekennzeichnet,
    daß die Wirkungslinien der geringsten Federsteifigkeiten (w) mit der Längsmittelachse (LM) des Fahrgestells (2) einen Winkel im Bereich zwischen 10° und 60° einschließen.
     
    4. Radsatzführung nach einem der vorstehenden Ansprüche,
    dadurch gekennzeichnet,
    daß das Primärfederelement (6) als Elastomer-Mehrschichtfeder ausgeführt ist.
     
    5. Radsatzführung nach Anspruch 3 oder 4,
    dadurch gekennzeichnet,
    daß das Primärfederelement (6) einen ovalen Grundriß aufweist, wobei die längere Hauptachse in der Richtung der geringsten Federsteifigkeit ausgerichtet ist.
     
    6. Radsatzführung nach Anspruch 4 oder 5,
    dadurch gekennzeichnet,
    daß das Primärfederelement (6) einen ovalen Außenring (6R), einen Mittelkörper (6M) sowie einen zwischen dem Außenring und dem Mittelkörper angeordneten und kraftschlüssig mit diesen verbundenen Elastomerkörper (6K) umfaßt, wobei der Elastomerkörper mit Ausnehmungen (6A) zur Herabsetzung seines Verformungswiderstandes in der Richtung der geringsten Federsteifigkeit versehen ist.
     
    7. Radsatzführung nach Anspruch 6,
    dadurch gekennzeichnet,
    daß sich die Ausnehmungen zwischen dem Außenring (6R) und dem Mittelkörper (6M) erstrecken und den Elastomerkörper in zwei Teile teilen.
     
    8. Radsatzführung nach Anspruch 6 oder 7,
    dadurch gekennzeichnet,
    daß der Mittelkörper (6M) einen flachen, gerundeten Schwert-Querschnitt hat.
     
    9. Radsatzführung nach einem der vorstehenden Ansprüche,
    dadurch gekennzeichnet,
    daß an jeder Radsatzseite je ein Primärfederelement beidseits der Rotationsachse angeordnet ist,
    daß sich die beiden Primärfederelemente auf einer gemeinsamen Traverse gegenüber dem Radsatzgehäuse abstützen, wobei die Wirkungslinien der geringsten Federsteifigkeiten beider Primärfederelemente sich zumindest annähernd in der Längsmittelachse (LM) des Fahrgestells (2) schneiden.
     




    Zeichnung










    Recherchenbericht