(19)
(11) EP 0 691 317 A2

(12) EUROPÄISCHE PATENTANMELDUNG

(43) Veröffentlichungstag:
10.01.1996  Patentblatt  1996/02

(21) Anmeldenummer: 95108938.2

(22) Anmeldetag:  09.06.1995
(51) Internationale Patentklassifikation (IPC)6C06D 5/06
(84) Benannte Vertragsstaaten:
DE ES FR GB IT SE

(30) Priorität: 01.07.1994 DE 4423088

(71) Anmelder: TEMIC Bayern-Chemie Airbag GmbH
D-84544 Aschau (DE)

(72) Erfinder:
  • Stark, Armin, Dr.
    D-84453 Mühldorf (DE)
  • Zeuner, Siegfried, Dr.
    D-81369 München (DE)
  • Rödig, Karl-Heinz
    D-84544 Aschau (DE)

(74) Vertreter: Maute, Hans-Jürgen, Dipl.-Ing. 
TEMIC TELEFUNKEN microelectronic GmbH Postfach 35 35
D-74025 Heilbronn
D-74025 Heilbronn (DE)

   


(54) Gaserzeugendes, azidfreies Stoffgemisch


(57) Die vorliegende Erfindung betrifft ein Treibstoffgemisch zur Erzeugung von Treibgas für Insassenschutzsysteme in Kraftfahrzeugen, insbesondere Airbag-Systeme. Erfindungsgemäß enthält das Treibstoffgemisch eine aus C, H und O bestehende organische Verbindung mit einem Anteil von 20 bis 45 Gew.-%, wobei diese organische Verbindung einen O-Gehalt von mehr als 35 % und einen über 170 °C liegenden Schmelzpunkt aufweist, sowie einen anorganischen Oxydator aus der Gruppe der Perchlorate mit einem Anteil von 55 bis 80 Gew.-%. Diese offenbarten Treibstoffkomponenten sind ungiftig und weisen eine hohe thermische Stabilität als auch eine niedrige Hygroskopizität auf. Ferner enthält das Treibgas nur geringe Spuren von schädlichen Gasen, wobei auch die Verbrennungsrückstände ungiftig sind.


Beschreibung


[0001] Die Erfindung betrifft ein gaserzeugendes Stoffgemisch, insbesondere zur Erzeugung von Treibgas für Insassenschutzvorrichtungen in Kraftfahrzeugen, insbesondere für Airbag-Systeme.

[0002] Passive Sicherheitseinrichtungen für Kraftfahrzeuge, wie beispielsweise Airbag-Systeme, dienen dazu, im Falle einer Kollision des Fahrzeuges die Fahrzeuginsassen vor Verletzungen zu schützen. Hierzu enthält ein Gaserzeuger in einem Brennraum ein gaserzeugendes Stoffgemisch in Form von Tabletten, Pellets oder Granulat, das nach einer elektrischen Aktivierung ein Treibgas erzeugt, das seinerseits einen Gassack aufbläst, wodurch vermieden wird, daß der Fahrzeuginsasse beispielsweise auf die Windschutzscheibe, das Lenkrad oder das Armaturenbrett aufschlägt.

[0003] Als gaserzeugende Stoffgemische sind verschiedene Stoffgemische bekannt. So wird beispielsweise Natriumazid als gasliefernde Hauptkomponente, Kaliumnitrat als Oxydator und Siliziumdioxyd eingesetzt, wobei das Siliziumdioxyd die bei der Reaktion des Azids mit dem Nitrat gebildeten Stoffe Natrium und Kalium als Schlacke bindet. Ein wesentlicher Nachteil der Verwendung von natriumazidhaltigen Treibstoffen liegt in deren hohen Toxizität, was besondere Maßnahmen unter anderem bei der Herstellung, dem Transport und der Entsorgung erfordert. Nachteilig sind auch die alkalisch reagierenden Verbrennungsrückstände, die eine Verätzungsgefahr hervorrufen können.

[0004] Ferner sind gaserzeugende Massen bekannt, die aus einem Alkalimetallazid und einem Metalloxyd, meist aus Eisenoxyd, bestehen (vgl. DE-OS 24 59 667). Diese bekannten Stoffgemische weisen jedoch eine geringe Abbrandgeschwindigkeit und eine schlechte Anzündwilligkeit auf.

[0005] Weiterhin ist aus der DE-OS 43 17 727 ein Stoffgemisch aus Nitrozellulose und Nitroglyzerin bekannt. Solche Treibstoffgemische auf der Basis von Nitrozellulose weisen eine schlechte Temperaturstabilität auf, mit der Folge einer begrenzten Lebensdauer und der Unmöglichkeit diesen Stoff zu recyceln. Darüber hinaus enthalten diese Treibstoffgemische Schwermetallsalze als Abbrandregler, was zusätzlich die Entsorgung erschwert. Von größtem Nachteil dagegen sind die beim Abbrand entstehenden enormen Mengen an Kohlenstoffmonoxyd.

[0006] Nun sind in den letzten Jahren natriumazidfreie Treibstoffmischungen vorgeschlagen worden (US 4 948 439), die als Hauptkomponente stickstoffreiche organische Verbindungen wie Tetrazole bzw. Tetrazolderivate oder Tetrazolate enthalten. Solche stickstoffhaltige, organische Treibstoffgemische besitzen dagegen den Nachteil, daß bei der Verbrennung neben Kohlenstoffmonoxyd in beträchtlichen Mengen auch nitrose Gase NOx freigesetzt werden, so daß die Gefahr einer kombinierten Vergiftung nicht ausgeschlossen werden kann.

[0007] Schließlich offenbart die Druckschrift US 3 880 595 Stoffgemische, die auf einer stickstofffreien organischen Verbindung, wie zum Beispiel Zitronensäure, basieren. Der Nachteil dieser Treibstoffe liegt in deren niedrigen thermischen Stabilität und deren hohen Hygroskopizität sowie in der schlechten Verarbeitbarkeit, insbesondere die nur unter großen Schwierigkeiten durchzuführende Verpressung zu Tabletten bzw. Pellets.

[0008] Der Erfindung liegt daher die Aufgabe zugrunde, ein gaserzeugendes, azidfreies Treibstoffgemisch bereitzustellen, das aus ungiftigen Komponenten besteht, eine hohe thermische und chemische Stabilität aufweist, gut verarbeitbar und nicht hygroskopisch ist und schließlich auch eine ausreichende Abbrandgeschwindigkeit sowie eine gute Anzündwilligkeit besitzt.

[0009] Diese Aufgabe wird mit den kennzeichnenden Merkmalen des Patentanspruches 1 gelöst, wonach das erfindungsgemäße gaserzeugende Stoffgemisch aus einer Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff enthaltenden organischen Verbindung mit einem Anteil von 20 bis 45 Gew.-% sowie einem anorganischen Oxydator aus der Gruppe der Perchlorate mit einem Anteil von 55 bis 80 Gew.-% besteht, wobei die organische Verbindung einen O-Gehalt von mehr als 35 % und einen über 170 °C liegenden Schmelzpunkt aufweist.

[0010] Diese Treibstoffkomponenten sind ungiftig und preiswert sowie recyclingfähig und zudem sehr gut verarbeitbar. Ferner wird mit diesem erfindungsgemäßen Treibstoffgemisch eine hohe Abbrandgeschwindigkeit erzielt, wobei jedoch die Verbrennungsrückstände ungiftig sind. Zudem weist das Treibgas selbst nur einen minimalen Schadgasgehalt auf. Schließlich ist das erfindungsgemäße Treibstoffgemisch schwermetallfrei und ist mit geringen Herstellkosten zu fertigen.

[0011] Eine vorteilhafte Weiterbildung des erfindungsgemäßen Stoffgemisches kann zusätzlich ein Metalloxyd in einer Menge von höchstens 20 Gew.-% enthalten. Dieses Metalloxyd dient zum einen als Kühlmittel zum anderen u. U. als ballistisches Additiv.

[0012] Vorzugsweise können als organische Verbindung monomere Verbindungen wie Carbonsäuren, bevorzugt Fumarsäure (C₄H₄O₄), Anhydride, Ester, Aldehyde, Keto- und Hydroxyverbindungen eingesetzt werden. Weiterhin sind auch Polymere wie Polyoxymethylen, Polyglykole, Polyester, Zelluloseazetat und Polyacrylate als organische Verbindungen geeignet. Auch entsprechende Salze der monomeren Verbindungen, insbesondere Natrium-, Kalium-, Kalzium-, Magnesiumcarboxylate können mit Vorteil als organische Verbindung eingesetzt werden.

[0013] Schließlich kann als Metalloxyd eine Auswahl aus den Gruppen Al₂O₃, B₂O₃, SiO₂, TiO₂, MnO₂, CuO, Fe₂O₃ und ZnO getroffen werden oder eine Mischung derselben verwendet werden.

[0014] Die nachfolgenden Beispiele dienen im Zusammenhang mit den Zeichnungen der weiteren Erläuterung der Erfindung. Es zeigen:
Figur 1
ein Diagramm eines Stabilitätstests für den Vergleich der thermischen Stabilität eines erfindungsgemäßen Stoffgemisches mit einem bekannten Treibstoffgemisch,
Figur 2
ein Diagramm eines Hygroskopizitätstests für den Vergleich eines erfindungsgemäßen Stoffgemisches mit dem bekannten Treibstoffgemisch aus Figur 1 und
Figur 3
eine die Schadgasgehalte enthaltenden Tabelle eines erfindungsgemäßen Stoffgemisches und eines weiteren bekannten Treibstoffgemisches.


[0015] Gemäß einem ersten Ausführungsbeispiel besteht das Stoffgemisch aus 34,4 Gew.-% Fumarsäure und 65,6 Gew.-% Kaliumperchlorat. Dieses Treibgasgemisch wurde bezüglich der thermischen Stabilität als auch der Hygroskopizität mit einem aus der schon genannten Druckschrift US 3 880 595 bekannten Stoffgemisch aus 35,3 Gew.-% Zitronensäure und 64,7 Gew.-% Kaliumperchlorat verglichen. Die Ergebnisse dieser Vergleichsversuche sind in den Figuren 1 und 2 dargestellt.

[0016] Nach Figur 1 wurde der Stabilitätstest (Holland-Test) bei einer Temperatur von 110 °C über eine Zeitdauer von mehr als 70 Stunden durchgeführt. Dabei zeigte das bekannte Stoffgemisch (Bezugszeichen 1) eine Gewichtsabnahme von fast 0,8 %, während das erfindungsgemäße Stoffgemisch (Bezugszeichen 2) weniger als 0,01 % Gewichtsabnahme aufweist.

[0017] Der Hygroskopizitätstest wurde bei einer relativen Luftfeuchtigkeit von 86% über eine Zeitdauer von nahezu 100 Stunden durchgeführt. Gemäß Figur 2 beträgt beim bekannten Stoffgemisch (Bezugszeichen 1) die Gewichtszunahme 13%, während bei dem erfindungsgemäßen Stoffgemisch (Bezugszeichen 2) keine Gewichtsaufnahme meßbar ist.

[0018] Schließlich wurde mit dem gleichen erfindungsgemäßen Treibstoffgemisch (Stoffgemisch 2) ein Vergleich mit einem weiteren bekannten Treibstoffgemisch (Stoffgemisch 1), bestehend aus 30,8 Gew.-% 5-Aminotetrazol, 36,1 Gew.-% Natriumnitrat und 33,1 Gew.-% Eisen-(III)-Oxyd (vgl. US 4 948 439) durchgeführt. Dabei erfolgte der Abbrand der Treibstoffe in einem üblichen Gasgenerator. Hierzu wurden die Treibstoffkomponenten fein aufgemahlen und zu Tabletten verpresst. Die erzeugte Gasmenge und der entstehende Gasdruck waren ausreichend zur Füllung eines 65 Liter-Sackes. Die gemessenen Schadgaskonzentrationen beziehen sich dabei auf ein Meßvolumen von 60 l. Das Ergebnis des Versuches ist in Figur 3 dargestellt. Hiernach erzeugt das bekannte Stoffgemisch 1 15.000 ppm Kohlenmonoxyd (CO), 500 ppm Stickoxyde (NOx) sowie 3.000 ppm Ammoniak (NH₃), wogegen das erfindungsgemäße Stoffgemisch 2 lediglich 3.000 ppm Kohlenmonoxyd, jedoch kein Stickoxyd und kein Ammoniak erzeugt.

[0019] Ein erfindungsgemäßes Treibstoffgemisch als zweites Ausführungsbeispiel enthält 30,2 Gew.-% Fumarsäure, 63,6 Gew.-% Kaliumperchlorat und 6,2 Gew.-% Eisenoxyd. Dieses Eisenoxyd dient dabei als Kühlreagenz und setzt die Abbrandtemperatur um ca. 7 % herab. Auch dieses erfindungsgemäße Treibstoffgemisch erzeugt nach einem Abbrand lediglich einen Schadgasgehalt von ca. 3.000 ppm Kohlenmonoxyd.


Ansprüche

1. Gaserzeugendes Stoffgemisch, insbesondere zur Erzeugung von Treibgas für Insassenschutzvorrichtungen in Kraftfahrzeugen, dadurch gekennzeichnet, daß dieses Stoffgemisch im wesentlichen besteht aus

a) einer Kohlenstoff (C), Wasserstoff (H) und Sauerstoff (O) enthaltenden organischen Verbindung mit einem Anteil von 20 bis 45 Gew.-%, wobei diese organische Verbindung einen Sauerstoff-Gehalt von mehr als 35 % und einen über 170 °C liegenden Schmelzpunkt aufweist und

b) einem anorganischen Oxydator aus der Gruppe der Perchlorate, insbesondere Kaliumperchlorat, Chlorate, Peroxyde oder Mischungen aus diesen, mit einem Anteil von 55 bis 80 Gew.-%.


 
2. Gaserzeugendes Stoffgemisch nach Anspruch 1, daß dieses Stoffgemisch zusätzlich ein Metalloxyd, insbesondere aus den Gruppen Al₂O₃, B₂O₃, SiO₂, TiO₂, MnO₂, CuO, Fe₂O₃, ZnO oder Mischungen aus denselben mit einem Anteil von höchstens 20 Gew.-% enthält.
 
3. Gaserzeugendes Stoffgemisch nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, daß als organische Verbindung monomere Verbindungen, insbesondere Carbonsäuren, Anhydride, Ester, Aldehyde, Keto- und Hydroxyverbindungen, vorgesehen sind.
 
4. Gaserzeugendes Stoffgemisch nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, daß als organische Verbindung die monomere organische Verbindung Fumarsäure eingesetzt wird.
 
5. Gaserzeugendes Stoffgemisch nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, daß als organische Verbindung Polymere, insbesondere Polyoxymethylen, Polyglykole, Polyester, Zelluloseazetat und Polyacrylate, vorgesehen sind.
 
6. Gaserzeugendes Stoffgemisch nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, daß als organische Verbindung Salze von monomeren Verbindungen, insbesondere Karbonsäuren, eingesetzt werden.
 
7. Gaserzeugendes Stoffgemisch nach Anspruch 5, dadurch gekennzeichnet, daß als Salze Natrium-, Kalium-, Kalzium- oder Magnesiumkarboxylate eingesetzt werden.
 




Zeichnung