(19)
(11) EP 0 717 123 A1

(12) EUROPÄISCHE PATENTANMELDUNG

(43) Veröffentlichungstag:
19.06.1996  Patentblatt  1996/25

(21) Anmeldenummer: 95117665.0

(22) Anmeldetag:  09.11.1995
(51) Internationale Patentklassifikation (IPC)6C22C 38/00
(84) Benannte Vertragsstaaten:
AT BE CH DE DK ES FR GB GR IE IT LI LU MC NL PT SE
Benannte Erstreckungsstaaten:
LT LV

(30) Priorität: 14.12.1994 DE 4444426

(71) Anmelder: Fried. Krupp AG Hoesch-Krupp
D-45143 Essen (DE)

(72) Erfinder:
  • Heller, Wilhelm, Dr. Ing.
    D-47229 Duisburg (DE)

(74) Vertreter: John, Ernst, Dipl.-Ing. et al
Fried. Krupp AG Hoesch-Krupp, Patentabteilung, Postfach 10 22 52
D-45022 Essen
D-45022 Essen (DE)

   


(54) Radreifen-Stahl


(57) Die Erfindung bezieht sich auf einen Stahl, der sich als Werkstoff für Eisenbahnräder, -radscheiben, -radreifen und sonstige Gegenstände eignet, die einer mechanischen und dynamischen Abrollbeanspruchung unterliegen, wobei der Stahl einen höheren Reinheitsgrad als herkömmliche Radreifen-Stähle besitzt und daher weniger empfindlich gegen Ermüdungsrisse ist, was durch einen Stahl mit bis zu 0,8% Kohlenstoff, mindestens 0,2% Silizium, mindestens 0,5% Mangan, unter 0,003% Aluminium sowie einen durch Vakuumentgasen auf höchstens 0,0015% eingestellten Sauerstoffgehalt erreicht wird.


Beschreibung


[0001] Die Erfindung bezieht sich auf einen Stahl, der sich als Werkstoff für Eisenbahnräder, -radscheiben, -radreifen und sonstige Gegenstände eignet, die einer mechanischen und dynamischen Abrollbeanspruchung unterliegen und im folgenden als Radreifen bezeichnet werden.

[0002] Radreifen-Stähle unterliegen an und unter ihren Lauf- und Reibflächen unter dem Einfluß des Wagengewichts sowie der Brems- und Beschleunigungskräfte einer hohen statischen und dynamischen Beanspruchung. Hinzu kommt eine - insbesondere bei klotzgebremsten Eisenbahnrädern - erhebliche Wärmebelastung, die je nach der entstehenden Reibwärme beim Bremsen und Anfahren zu Gefügeumwandlungen mit einer Laufflächenaufhärtung infolge Martensitbildung in der erhitzten Laufflächenzone führen kann. Infolge der ständigen hohen Wälz- und Schlagbeanspruchung kommt es daher bei Eisenbahnrädern häufig zu Rißbildungen und Abblätterungen.

[0003] Diese Gefahr ist bei Werkstoffinhomogenitäten, insbesondere bei oxidischen Einschlüssen besonders groß. Von derartigen Einschlüssen geht ein erheblicher, das Entstehen von Rissen und die Rißausbreitung fördernder schädlicher Einfluß aus. Bei diesen Einschlüssen handelt es sich üblicherweise um Tonerderückstände aus einer Aluminium-Desoxidation, die einer Verminderung des Sauerstoffgehalts unter 10⁻³% dient und darauf abzielt, das Entstehen von CO-Randblasen beim Erstarren des Stahls zu vermeiden. Derartige Randblasen führen bei der Weiterverarbeitung ihrerseits zu Oberflächenfehlern, die bei Radreifen als Laufflächenfehler in Erscheinung treten. Ein weiterer Vorteil der Aluminium-Desoxidation ergibt sich aus dem stabilen Abbinden des im flüssigen Stahl gelösten Stickstoffs zu Aluminiumnitrid und der daraus resultierenden Alterungsbeständigkeit sowie der Unterdrückung einer Kornvergröberung bei einer etwaigen Wärmebehandlung oder auch unter dem Einfluß einer lokalen Beanspruchung durch Reibwärme beim Bremsen und Anfahren.

[0004] Übliche Radreifen-Stähle enthalten daher neben etwa 0,2 bis 0,7% Kohlenstoff normalerweise 0,009 bis 0,063% Aluminium.

[0005] Die erwähnten Risse, die häufig ursächlich für Ermüdungsschäden und -brüche sind, entstehen des weiteren als. Folge einer Thermoschockbeanspruchung infolge Schlupfs beim Anfahren und Bremsen oder auch durch eine lokale Überschreitung der Dauerschwingfestigkeit im Bereich hoher Schlag- und Schubbeanspruchungen an und unter der Lauffläche.

[0006] Um die mechanischen Eigenschaften wie hoher Verschleißwiderstand, Widerstand gegen Ermüdungsrisse, Sprödbruchsicherheit, Dauerschwingfestigkeit und Thermoschockbeständigkeit zu verbessern, enthalten Radreifen-Stähle vielfach noch Legierungselemente wie bis 0,8% Kohlenstoff, bis 1,0% Chrom, bis 0,20% Molybdän und bis 0,20% Vanadium. Auf diese Weise lassen sich zwar einzelne Werkstoffeigenschaften verbessern, nicht jedoch die Laufflächenschäden vermeiden, für die Tonerdeeinschlüsse aus der Aluminium-Desoxidation ursächlich sind.

[0007] Der Erfindung liegt daher das Problem zugrunde, einen Stahl zu schaffen, der einen höheren Reinheitsgrad als herkömmliche Radreifen-Stähle besitzt und daher weniger empfindlich gegen Ermüdungsrisse ist.

[0008] Die Lösung dieses Problems basiert auf dem Gedanken, auf die herkömmliche Aluminium-Desoxidation zu verzichten und den Stahl, vorzugsweise einen stranggegossenen Stahl, stattdessen im Vakuum über eine CO-Bildung zu desoxidieren, um so den Sauerstoffgehalt auf höchstens 0,0015%, vorzugsweise höchstens 0,0010% zu verringern. Dabei sollte der Aluminiumgehalt 0,003%, vorzugsweise 0,002% nicht übersteigen und der Stahl im Längsschliff senkrecht zur Lauffläche nach DIN 50 602 K-Werte von höchstens 1, vorzugsweise von 0 besitzen.

[0009] Der erfindungsgemäß tonerdefreie, im Vakuum desoxidierte Stahl enthält 0,4 bis 0,7% Kohlenstoff, 0,20 bis 0,50% Silizium, 0,60 bis 1,30% Mangan, bis 0,30% Chrom, höchstens 0,025% Phosphor und höchstens 0,025% Schwefel; er ist vorzugsweise titanfrei, da das Titan unerwünschte scharfkantige Karbonnitride bildet, die zu Ermüdungsschäden führen können.

[0010] Der erfindungsgemäße tonerdefreie Radreifen-Stahl kann jedoch auch 0,60 bis 0,80% Kohlenstoff, 0,50 bis 1,20% Silizium, 0,80 bis 1,30% Mangan, höchstens 0,025% Phosphor und 0,40 bis 1,50% Chrom oder auch bis 0,08% Molybdän und/oder Vanadium enthalten.

[0011] Die Zusammensetzung des Stahles kann über die genannten Legierungsgehalte hinaus verändert werden, um besondere Eigenschaften einzustellen wie z. B. eine erhöhte Ac1- oder Martensittemperatur, eine erhöhte Rißzähigkeit und eine verminderte Rißfortschrittsgeschwindigkeit oder um bestimmte Gefügezustände nach Normalgleichung oder Vergütung zu erreichen. Die tonerdefreie Desoxidation wird davon nicht betroffen.

[0012] All diese Stähle eignen sich im vakuumbehandelten Zustand als Werkstoff für rollendes Eisenbahnzeug wie Räder, Radreifen und -scheiben. Die jeweilige Stahlzusammensetzung muß auf die jeweilige Zielgröße abgestimmt sein, wie es z. B. die UIC-Normen 810-1 und 812-3 für Radreifen und Vollräder vorgeben (vgl. Tabelle 24.3).

[0013] Der erfindungsgemäße Radreifen-Stahl besitzt die Verschleißfestigkeit herkömmlicher Stähle und aufgrund seiner Reinheit eine hohe Beständigkeit gegen Ermüdungsrisse. Dies zeigen Biegewechselversuche, die unter Verwendung von drei Stählen entsprechend Tabelle 1, Rest Eisen, an Proben durchgeführt wurden, deren Lage und Beschaffenheit sich aus der Zeichnung ergibt. In der Zeichnung zeigen:
Fig. 1
Die Probenlage in einem Radlängsschnitt und
Fig. 2
im Radquerschnitt nach der Linie I - I in Fig. 1 sowie
Fig. 3
die Probenform.
Tabelle I
              Zustand Zugfestigkeit Biegewechselfestigkeit KZ
                [N/ mm²]  
Nr. C (%) Si (%) Mn (%) P (%) S (%) Al (%)        
1. 0,46 0,35 0,92 0,032 0,019 0,025 N1) 695 230 8
2. 0,53 0,30 0,70 0,022 0,017 0,020 N 820 275 10
3. 0,52 0,36 0,74 0,020 0,021 0,021 S2) 920 340 15
4. 0,47 0,32 0,91 0,020 0,020 0,002 N 697 270(+17%) 0
5. 0,52 0,33 0,72 0,018 0,019 0,001 N 815 335(+22%) 0
6. 0,54 0,36 0,72 0,022 0,018 0,001 S 918 390(+15%) 1
1) normalgeglüht
2) radkranzvergütet


[0014] Die Daten der einzelnen Versuche einschließlich des oxidischen Reinheitsgrades K2 von Längsproben sind in der Tabelle zusammengestellt; sie belegen eine deutliche Steigerung der Biegewechselfestigkeit der erfindungsgemäßen Stähle 4 und 5 im Vergleich zu den herkömmlichen Stählen 1 bis 3 um etwa 15 bis 22%. Um bei herkömmlichen Stählen eine derartige Steigerung der Biegewechselfestigkeit zu erreichen, müßte - durch legierungstechnische Maßnahmen - deren Zugfestigkeit um etwa 18% erhöht werden. Das wäre jedoch mit einem erheblichen Verlust an Zähigkeit und Thermoschockbeständigkeit verbunden, da sich eine Erhöhung der Zugfestigkeit nur auf Kosten der Zähigkeit und der Thermoschockbeständigkeit erreichen läßt.

[0015] Bei den erfindungsgemäßen Stählen folgt die höhere Biegewechselfestigkeit als Indikator für die Beständigkeit gegen Ermüdungsrisse jedoch aus dem weitestgehenden Kehlen von Tonerdeeinschlüssen und der mit ihnen verbundenen Kerbwirkung sowie den sie umgebenden Zugspannungsfeldern, die aus der Abkühlung von Umform- und Wärmebehandlungstemperaturen resultieren.

[0016] Weniger schädlich sind hingegen Silikate und Sulfide aufgrund ihrer geringeren Kerbwirkung; sie sind wegen ihrer größeren Plastizität und ihrer größeren Wärmeausdehnungskoeffizienten auch nicht von Eigenspannungsfeldern umgeben.

[0017] Bei der Verwendung des erfindungsgemäßen Stahls als Radreifenwerkstoff fallen die ansonsten mit Tonerdeeinschlüssen verbundenen Spannungsspitzen fort, die aufgrund der aus der Rollbeanspruchung resultierenden Schubspannungen an und unter der Lauffläche Ausgangsstellen für Ermüdungsrisse sind.

[0018] Da die Aluminium-Desoxidation erfindungsgemäß entfällt, kann es sich empfehlen, zur Verbesserung der Alterungsbeständigkeit und zur Verbinderung eines wärmebedingten Kornwachstums Stähle mit 0,02 bis 0,05% Niob und/oder 0,02 bis 0,1% Vanadium zu verwenden.


Ansprüche

1. Stahl für Eisenbahnräder und Radreifen sowie dynamisch rollbeanspruchte Gegenstände mit bis 0,8% Kohlenstoff, mindestens 0,2% Silizium, mindestens 0,5% Mangan, unter 0,003% Aluminium sowie einem durch Vakuumentgasen auf höchstens 0,0015% eingestellten Sauerstoffgehalt.
 
2. Stahl nach Anspruch 1 mit 0,4 bis 0,70% Kohlenstoff, 0,20 bis 0,50% Silizium, 0,70 bis 1,20% Mangan und höchstens 0,025% Phosphor, 0,30% Chrom, 0,30% Kupfer, 0,08% Molybdän, 0,30% Nickel, 0,05% Vanadium, Rest Eisen einschließlich erschmelzungsbedingter Verunreinigungen.
 
3. Stahl nach Anspruch 1 mit 0,4 bis 0,70% Kohlenstoff, 0,20 bis 0,50% Silizium, 0,60 bis 0,90% Mangan und höchstens 0,025% Phosphor, Rest Eisen einschließlich erschmelzungsbedingter Verunreinigungen.
 
4. Stahl nach Anspruch 1 mit 0,20 bis 0,80% Kohlenstoff, 0,20 bis 1,20% Silizium, 0,60 bis 1,30% Mangan, höchstens 0,025% Phosphor und 0,70 bis 1,20% Chrom, bis 0,40% Molybdän, bis 0,25% Vanadium, bis 0,003% Bor, Rest Eisen einschließlich erschmelzungsbedingter Verunreinigungen.
 
5. Stahl nach einem der Ansprüche 1 bis 4 mit 0,02 bis 0,05% Niob und/oder 0,05 bis 0,1% Vanadium.
 
6. Verwendung eines Stahls nach einem der Ansprüche 1 bis 5 als Werkstoff für Eisenbahnräder, Radreifen und dynamisch rollbeanspruchte Gegenstände.
 




Zeichnung







Recherchenbericht