[0001] Die Erfindung bezieht sich auf einen Stahl, der sich als Werkstoff für Eisenbahnräder,
-radscheiben, -radreifen und sonstige Gegenstände eignet, die einer mechanischen und
dynamischen Abrollbeanspruchung unterliegen und im folgenden als Radreifen bezeichnet
werden.
[0002] Radreifen-Stähle unterliegen an und unter ihren Lauf- und Reibflächen unter dem Einfluß
des Wagengewichts sowie der Brems- und Beschleunigungskräfte einer hohen statischen
und dynamischen Beanspruchung. Hinzu kommt eine - insbesondere bei klotzgebremsten
Eisenbahnrädern - erhebliche Wärmebelastung, die je nach der entstehenden Reibwärme
beim Bremsen und Anfahren zu Gefügeumwandlungen mit einer Laufflächenaufhärtung infolge
Martensitbildung in der erhitzten Laufflächenzone führen kann. Infolge der ständigen
hohen Wälz- und Schlagbeanspruchung kommt es daher bei Eisenbahnrädern häufig zu Rißbildungen
und Abblätterungen.
[0003] Diese Gefahr ist bei Werkstoffinhomogenitäten, insbesondere bei oxidischen Einschlüssen
besonders groß. Von derartigen Einschlüssen geht ein erheblicher, das Entstehen von
Rissen und die Rißausbreitung fördernder schädlicher Einfluß aus. Bei diesen Einschlüssen
handelt es sich üblicherweise um Tonerderückstände aus einer Aluminium-Desoxidation,
die einer Verminderung des Sauerstoffgehalts unter 10⁻³% dient und darauf abzielt,
das Entstehen von CO-Randblasen beim Erstarren des Stahls zu vermeiden. Derartige
Randblasen führen bei der Weiterverarbeitung ihrerseits zu Oberflächenfehlern, die
bei Radreifen als Laufflächenfehler in Erscheinung treten. Ein weiterer Vorteil der
Aluminium-Desoxidation ergibt sich aus dem stabilen Abbinden des im flüssigen Stahl
gelösten Stickstoffs zu Aluminiumnitrid und der daraus resultierenden Alterungsbeständigkeit
sowie der Unterdrückung einer Kornvergröberung bei einer etwaigen Wärmebehandlung
oder auch unter dem Einfluß einer lokalen Beanspruchung durch Reibwärme beim Bremsen
und Anfahren.
[0004] Übliche Radreifen-Stähle enthalten daher neben etwa 0,2 bis 0,7% Kohlenstoff normalerweise
0,009 bis 0,063% Aluminium.
[0005] Die erwähnten Risse, die häufig ursächlich für Ermüdungsschäden und -brüche sind,
entstehen des weiteren als. Folge einer Thermoschockbeanspruchung infolge Schlupfs
beim Anfahren und Bremsen oder auch durch eine lokale Überschreitung der Dauerschwingfestigkeit
im Bereich hoher Schlag- und Schubbeanspruchungen an und unter der Lauffläche.
[0006] Um die mechanischen Eigenschaften wie hoher Verschleißwiderstand, Widerstand gegen
Ermüdungsrisse, Sprödbruchsicherheit, Dauerschwingfestigkeit und Thermoschockbeständigkeit
zu verbessern, enthalten Radreifen-Stähle vielfach noch Legierungselemente wie bis
0,8% Kohlenstoff, bis 1,0% Chrom, bis 0,20% Molybdän und bis 0,20% Vanadium. Auf diese
Weise lassen sich zwar einzelne Werkstoffeigenschaften verbessern, nicht jedoch die
Laufflächenschäden vermeiden, für die Tonerdeeinschlüsse aus der Aluminium-Desoxidation
ursächlich sind.
[0007] Der Erfindung liegt daher das Problem zugrunde, einen Stahl zu schaffen, der einen
höheren Reinheitsgrad als herkömmliche Radreifen-Stähle besitzt und daher weniger
empfindlich gegen Ermüdungsrisse ist.
[0008] Die Lösung dieses Problems basiert auf dem Gedanken, auf die herkömmliche Aluminium-Desoxidation
zu verzichten und den Stahl, vorzugsweise einen stranggegossenen Stahl, stattdessen
im Vakuum über eine CO-Bildung zu desoxidieren, um so den Sauerstoffgehalt auf höchstens
0,0015%, vorzugsweise höchstens 0,0010% zu verringern. Dabei sollte der Aluminiumgehalt
0,003%, vorzugsweise 0,002% nicht übersteigen und der Stahl im Längsschliff senkrecht
zur Lauffläche nach DIN 50 602 K-Werte von höchstens 1, vorzugsweise von 0 besitzen.
[0009] Der erfindungsgemäß tonerdefreie, im Vakuum desoxidierte Stahl enthält 0,4 bis 0,7%
Kohlenstoff, 0,20 bis 0,50% Silizium, 0,60 bis 1,30% Mangan, bis 0,30% Chrom, höchstens
0,025% Phosphor und höchstens 0,025% Schwefel; er ist vorzugsweise titanfrei, da das
Titan unerwünschte scharfkantige Karbonnitride bildet, die zu Ermüdungsschäden führen
können.
[0010] Der erfindungsgemäße tonerdefreie Radreifen-Stahl kann jedoch auch 0,60 bis 0,80%
Kohlenstoff, 0,50 bis 1,20% Silizium, 0,80 bis 1,30% Mangan, höchstens 0,025% Phosphor
und 0,40 bis 1,50% Chrom oder auch bis 0,08% Molybdän und/oder Vanadium enthalten.
[0011] Die Zusammensetzung des Stahles kann über die genannten Legierungsgehalte hinaus
verändert werden, um besondere Eigenschaften einzustellen wie z. B. eine erhöhte Ac1-
oder Martensittemperatur, eine erhöhte Rißzähigkeit und eine verminderte Rißfortschrittsgeschwindigkeit
oder um bestimmte Gefügezustände nach Normalgleichung oder Vergütung zu erreichen.
Die tonerdefreie Desoxidation wird davon nicht betroffen.
[0012] All diese Stähle eignen sich im vakuumbehandelten Zustand als Werkstoff für rollendes
Eisenbahnzeug wie Räder, Radreifen und -scheiben. Die jeweilige Stahlzusammensetzung
muß auf die jeweilige Zielgröße abgestimmt sein, wie es z. B. die UIC-Normen 810-1
und 812-3 für Radreifen und Vollräder vorgeben (vgl. Tabelle 24.3).
[0013] Der erfindungsgemäße Radreifen-Stahl besitzt die Verschleißfestigkeit herkömmlicher
Stähle und aufgrund seiner Reinheit eine hohe Beständigkeit gegen Ermüdungsrisse.
Dies zeigen Biegewechselversuche, die unter Verwendung von drei Stählen entsprechend
Tabelle 1, Rest Eisen, an Proben durchgeführt wurden, deren Lage und Beschaffenheit
sich aus der Zeichnung ergibt. In der Zeichnung zeigen:
- Fig. 1
- Die Probenlage in einem Radlängsschnitt und
- Fig. 2
- im Radquerschnitt nach der Linie I - I in Fig. 1 sowie
- Fig. 3
- die Probenform.
Tabelle I
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Zustand |
Zugfestigkeit |
Biegewechselfestigkeit |
KZ |
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[N/ mm²] |
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Nr. |
C (%) |
Si (%) |
Mn (%) |
P (%) |
S (%) |
Al (%) |
|
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|
1. |
0,46 |
0,35 |
0,92 |
0,032 |
0,019 |
0,025 |
N1) |
695 |
230 |
8 |
2. |
0,53 |
0,30 |
0,70 |
0,022 |
0,017 |
0,020 |
N |
820 |
275 |
10 |
3. |
0,52 |
0,36 |
0,74 |
0,020 |
0,021 |
0,021 |
S2) |
920 |
340 |
15 |
4. |
0,47 |
0,32 |
0,91 |
0,020 |
0,020 |
0,002 |
N |
697 |
270(+17%) |
0 |
5. |
0,52 |
0,33 |
0,72 |
0,018 |
0,019 |
0,001 |
N |
815 |
335(+22%) |
0 |
6. |
0,54 |
0,36 |
0,72 |
0,022 |
0,018 |
0,001 |
S |
918 |
390(+15%) |
1 |
1) normalgeglüht |
2) radkranzvergütet |
[0014] Die Daten der einzelnen Versuche einschließlich des oxidischen Reinheitsgrades K2
von Längsproben sind in der Tabelle zusammengestellt; sie belegen eine deutliche Steigerung
der Biegewechselfestigkeit der erfindungsgemäßen Stähle 4 und 5 im Vergleich zu den
herkömmlichen Stählen 1 bis 3 um etwa 15 bis 22%. Um bei herkömmlichen Stählen eine
derartige Steigerung der Biegewechselfestigkeit zu erreichen, müßte - durch legierungstechnische
Maßnahmen - deren Zugfestigkeit um etwa 18% erhöht werden. Das wäre jedoch mit einem
erheblichen Verlust an Zähigkeit und Thermoschockbeständigkeit verbunden, da sich
eine Erhöhung der Zugfestigkeit nur auf Kosten der Zähigkeit und der Thermoschockbeständigkeit
erreichen läßt.
[0015] Bei den erfindungsgemäßen Stählen folgt die höhere Biegewechselfestigkeit als Indikator
für die Beständigkeit gegen Ermüdungsrisse jedoch aus dem weitestgehenden Kehlen von
Tonerdeeinschlüssen und der mit ihnen verbundenen Kerbwirkung sowie den sie umgebenden
Zugspannungsfeldern, die aus der Abkühlung von Umform- und Wärmebehandlungstemperaturen
resultieren.
[0016] Weniger schädlich sind hingegen Silikate und Sulfide aufgrund ihrer geringeren Kerbwirkung;
sie sind wegen ihrer größeren Plastizität und ihrer größeren Wärmeausdehnungskoeffizienten
auch nicht von Eigenspannungsfeldern umgeben.
[0017] Bei der Verwendung des erfindungsgemäßen Stahls als Radreifenwerkstoff fallen die
ansonsten mit Tonerdeeinschlüssen verbundenen Spannungsspitzen fort, die aufgrund
der aus der Rollbeanspruchung resultierenden Schubspannungen an und unter der Lauffläche
Ausgangsstellen für Ermüdungsrisse sind.
[0018] Da die Aluminium-Desoxidation erfindungsgemäß entfällt, kann es sich empfehlen, zur
Verbesserung der Alterungsbeständigkeit und zur Verbinderung eines wärmebedingten
Kornwachstums Stähle mit 0,02 bis 0,05% Niob und/oder 0,02 bis 0,1% Vanadium zu verwenden.
1. Stahl für Eisenbahnräder und Radreifen sowie dynamisch rollbeanspruchte Gegenstände
mit bis 0,8% Kohlenstoff, mindestens 0,2% Silizium, mindestens 0,5% Mangan, unter
0,003% Aluminium sowie einem durch Vakuumentgasen auf höchstens 0,0015% eingestellten
Sauerstoffgehalt.
2. Stahl nach Anspruch 1 mit 0,4 bis 0,70% Kohlenstoff, 0,20 bis 0,50% Silizium, 0,70
bis 1,20% Mangan und höchstens 0,025% Phosphor, 0,30% Chrom, 0,30% Kupfer, 0,08% Molybdän,
0,30% Nickel, 0,05% Vanadium, Rest Eisen einschließlich erschmelzungsbedingter Verunreinigungen.
3. Stahl nach Anspruch 1 mit 0,4 bis 0,70% Kohlenstoff, 0,20 bis 0,50% Silizium, 0,60
bis 0,90% Mangan und höchstens 0,025% Phosphor, Rest Eisen einschließlich erschmelzungsbedingter
Verunreinigungen.
4. Stahl nach Anspruch 1 mit 0,20 bis 0,80% Kohlenstoff, 0,20 bis 1,20% Silizium, 0,60
bis 1,30% Mangan, höchstens 0,025% Phosphor und 0,70 bis 1,20% Chrom, bis 0,40% Molybdän,
bis 0,25% Vanadium, bis 0,003% Bor, Rest Eisen einschließlich erschmelzungsbedingter
Verunreinigungen.
5. Stahl nach einem der Ansprüche 1 bis 4 mit 0,02 bis 0,05% Niob und/oder 0,05 bis 0,1%
Vanadium.
6. Verwendung eines Stahls nach einem der Ansprüche 1 bis 5 als Werkstoff für Eisenbahnräder,
Radreifen und dynamisch rollbeanspruchte Gegenstände.