Anwendungsgebiet der Erfindung
[0001] Die vorliegende Erfindung betrifft einen biokompatiblen Titanwerkstoff mit verbesserter
Ermüdungsfestigkeit, ein Verfahren zur Herstellung des Titanwerkstoffs und seine bevorzugte
Verwendung.
Hintergrund der Erfindung
[0002] An einen Implantatwerkstoff werden folgende Anforderungen - beginnend mit den obersten
Prioritäten - gestellt: bestmögliche Biokompatibilität und Ermüdungsfestigkeit, hohe
Dehngrenze bzw. Festigkeit, Mindestdehnung von 10%, gute Kaltverformbarkeit, kein
Verzug nach spangebender, mechanischer Bearbeitung, gute Zerspanbarkeit, unproblematische
Erschmelzung und kostengünstige Herstellung.
[0003] Titan und Titanlegierungen sind seit mehr als 20 Jahren in der Medizintechnik zu
unentbehrlichen Werkstoffen geworden. Die wesentlichen Anwendungen betreffen den Gelenkersatz
(z.B. Hüftgelenk-Endoprothesen, Knie- und Armprothesen), Osteosynthese-Produkte (z.B.
Knochenplatten und -schrauben, Marknägel) und Dentalimplantate. Die besondere Eignung
von Titan als Implantatwerkstoff ergibt sich aufgrund seiner ausgezeichneten, bisher
von keinem anderen metallischen Werkstoff erreichten Biokompatibilität. Mit dem Einsatz
von Titanlegierungen erhält man hochbelastbare Implantate, wie Hüftgelenk-Endoprothesen,
die einer enormen, wechselnden Belastung standhalten müssen. Prinzipiell gilt dies
auch für Osteosynthese-Produkte und Dentalimplantate. Für die Fertigung von Hüftgelenk-Endoprothesen
werden grundsätzlich Titanlegierungen in Schmiedeausführung mit hohen Ermüdungsfestigkeiten
eingesetzt. Hingegen verwendet man zur Herstellung von Osteosynthese-Produkten und
Dentalimplantaten vorteilhaft unlegiertes Titan (vgl. SCHROEDER/SUTTER/BUSER/KREKELER:
Orale Implantologie. Georg Thieme Verlag Stuttgart, 2. Aufl. 1994, S. 37ff.).
[0004] Man differenziert unlegiertes Titan in 4 Grades, entsprechend den maximal unterschiedlichen
Anteilen an Sauerstoff (vgl. Norm der
American
Society for
Testing and
Materials; ASTM 67-89; Spezifikation für unlegiertes Titan für chirurgische Implantate).
Sofern im weiteren von Titangrades die Rede ist, gilt stets der Bezug auf die ASTM
67-89. Die Bezeichnung "unlegiert" bringt lediglich zum Ausdruck, dass keine metallischen
Beimengungen enthalten sind. Nach ZWICKER, U.: Titan und Titanlegierungen. Springer-Verlag
Berlin (u.a.) 1974, S. 220 gilt folgende Näherungsgleichung für den Zusammenhang zwischen
der Härte (HB=Brinell-Härtewerte) und dem Gehalt an Beimengungen:

Sauerstoff wird bei unlegiertem Titan als Beimengung zur Festigkeitssteigerung genutzt.
Bei Grade 4 liegt spezifikationsgemäss der maximal zulässige Sauerstoffgehalt bei
0,40%; der Eisengehalt ist auf maximal 0,50% begrenzt. Die Gehalte an Kohlenstoff
und Stickstoff werden bewusst niedrig gewählt, da diese Elemente die Duktilität des
Titans stark herabsetzen.
[0005] Um die Festigkeit von unlegiertem Titan zusätzlich zu legierungstechnischen Massnahmen
weiter zu steigern, wird eine Kaltverformung mit Verformungsgraden bis über 90% aufgewendet.
Bei der Einstellung hoher Festigkeiten nimmt aber mit steigendem Kaltverformungsgrad
die Duktilität - speziell die im Zugversuch gemessene Dehnung - stark ab und sinkt
unter den in der Praxis geforderten Wert von 10%. Mit dem Einsatz spezieller Titan
Grades (Grade 4 mit erhöhtem Sauerstoffgehalt) bzw. mit besonderen thermomechanischen
Herstellungsverfahren gelang es indessen, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Zugfestigkeit,
Dehnung und Biegefähigkeit herzustellen.
[0006] Die bisher bei unlegiertem Titan erzielten Ermüdungsfestigkeiten - grösstenteils
als Umlaufbiegewechselfestigkeit gemessen - liegen bei σ
bw ≈ 380 MPa, während bei Titanlegierungen Werte von σ
bw ≈ 540 MPa erreicht wurden. Für Dentalimplantate kommt aufgrund der geforderten Biokompatibilität
und des besseren Einwachsverhaltens bisher nur unlegiertes Titan in Betracht. Die
vorliegende Erfindung ist somit darauf ausgerichtet, bei unlegiertem Titan Ermüdungsfestigkeiten
zu erreichen, welche den bekannten Implantat-Titanlegierungen zumindest nahekommen.
Zur Verbesserung der Festigkeit bzw. Ermüdungsfestigkeit hat man bisher den Sauerstoffgehalt,
die aufgewendete Kaltverfestigung und teilweise eine nachfolgende Entspannungsglühung
genutzt; es gilt aber, dem Metallkundler an sich bekannte Härtungsmechanismen zu vervollkommnen
und in einer Kombination anzuwenden, wodurch eine weitere Optimierung der mechanischen
Werkstoffparameter gelingt.
[0007] Titan besitzt eine gute Korrosionsbeständigkeit; charakteristisch ist seine hohe
Resistenz in oxidierenden Medien. Für Titan ist die starke Affinität zu Sauerstoff
mit der sofortigen Bildung einer Oxidschicht - diese hemmt die weitere Korrosion -
kennzeichnend. Die besondere Eignung von Titan und Titanlegierungen als Implantatwerkstoffe
wurde mittels Stromdichte-Potentialkurven nachgewiesen. Sowohl unlegiertes Titan als
auch Titanlegierungen zeigen im relevanten Einsatzbereich zwischen -200mV und +300mV
keine signifikanten Unterschiede des Korrosionsabtrags in physiologischer Kochsalzlösung
bei 37°C. Erst unter aggressiveren Korrosionsbedingungen in sauerstofffreier, zweimolarer
Salzsäure treten in den Stromdichte-Potentialkurven Unterschiede zwischen unlegiertem
Titan bzw. der Titanlegierung TiAl6Nb7 und der hocheisenhaltigen Implantatlegierung
TiAl5Fe2,5 auf, wobei das Durchbruchspotential bei letzterer bei 4,4V liegt (10V bei
unlegiertem Titan).
[0008] Es ist erwiesen, dass die Korrosionsrate von unlegiertem Titan mit steigendem Eisengehalt
zunimmt. Ein Test in 10%iger Salzsäure - diese Bedingungen treten beim Einsatz eines
Implantats im Humankörper niemals auf - ergab einen um den Faktor 3 höheren Korrosionsangriff.
In physiologischer Kochsalzlösung hingegen ist nach eigenen Messungen kein signifikanter
Unterschied zwischen unlegiertem Titan mit Eisengehalten von 0,05% und 0,15% feststellbar.
Die Korrosionsbeständigkeit ist aber nicht allein ausschlaggebend für die Biokompatibilität
eines Werkstoffs. Nicht nur eine geringe Korrosionsgeschwindigkeit bei den in vivo
untersuchten Materialien ist für eine gute Biokompatibilität massgeblich, sondern
auch die materialspezifische, stark divergierende Gewebeverträglichkeit.
[0009] Wie aus
Bild 1 ersichtlich, liegen bezüglich des Korrosionswiderstands Titan, Titanlegierungen,
Zirkon, Niob, Tantal und Platin auf hohem Niveau, wobei sich diese Werkstoffe im Gewebe
inert verhalten. Der Implantatstahl 316L (FeCrNiMo) und die Kobaltbasislegierung CoCrNiMo
weisen zwar ebenfalls einen hohen Korrosionswiderstand auf, jedoch wird von diesen
Materialien im Körper eine unerwünschte Gewebereaktion durch Sequestrierung hervorgerufen.
Noch ungünstiger sind die Verhältnisse bei Silber, Gold, Aluminium, Molybdän und Eisen,
wobei letzteres den geringsten Korrosionswiderstand besitzt. Die Elemente Kobalt,
Kupfer, Nickel und Vanadium sind in dieser Folge zunehmend toxisch. Damit ist veranschaulicht,
dass ein Material von hoher Korrosionsbeständigkeit, nicht zugleich Biokompatibilität
gewährleistet. In der Konsequenz kommen als ideale Implantatwerkstoffe insbesondere
Titan, Zirkon, Niob, Tantal und deren Legierungen in Betracht.
[0010] Das sehr gute biokompatible Verhalten des Titans hat seine Ursache im wesentlichen
in der starken Sauerstoffaffinität, wodurch sich die Titanoberfläche sofort mit einem
Oxidfilm atomarer Dicke überzieht, der sich im Elektrolyten - d.h. im Blut - neutral
verhält. Der elektrisch nicht leitende Oxidfilm wirkt als starke Barriere gegen die
weitere Auflösung des Metalls. Elektrisch neutrale Hydrolyse-Produkte entwickeln kein
Reaktionsbestreben mit organischen Molekülen. Beim Implantatstahl hingegen ergeben
sich bei der Korrosion als unerwünschte Reaktionsprodukte zweifach elektrisch-positiv
geladene Ionen, die mit den Proteinen des Humankörpers eventuell toxische Antigene
bilden können. Nickel ist für seine allergische und toxische Wirkung bekannt.
[0011] Durch zahlreiche Untersuchungen belegt, besitzt unlegiertes Titan mit seinem Oxidfilm
eine ideale Oberfläche zur Bildung einer chemischen Verbindung mit dem menschlichen
Knochen. Nur reines bzw. kommerziell reines Titan mit den zulässigen geringfügigen
Fremdbestandteilen, wie Eisen, Stickstoff, Kohlenstoff und Sauerstoff, erlaubt das
Anwachsen des Knochens am Implantat und bewirkt dessen "Osseointegration".
[0012] Neben einer bestmöglichen Biokompatibilität sind aber auch die statischen und dynamischen,
mechanischen Eigenschaften von enormer Wichtigkeit. Die normalerweise im Zugversuch
ermittelten statischen, mechanischen Eigenschaften sind die Zugfestigkeit R
m (im Spannungs-Dehnungs-Diagramm auftretende Maximalspannung) und die oftmals massgeblichere
Dehngrenze R
p (Grenzspannung, bei der sich ein Werkstoff nicht mehr ausschliesslich elastisch verhält
und in den plastischen Zustand übergeht). Die technische Dehngrenze wird üblicherweise
mit 0,2%-Dehngrenze R
p0,2 angegeben. Ein hochfester Werkstoff sollte sowohl einen hohen R
m-Wert als auch einen hohen R
p0,2-Wert aufweisen, damit bei der realen Belastung keine plastische Verformung eintritt.
[0013] In der folgenden
Tabelle 1 sind die charakteristischen Festigkeitswerte gemäss der DIN-Norm 17 869 von Titan
Grade 1, Titan Grade 4 und der Titanlegierung TiAl6V4 zusammengestellt:
Tabelle 1
Festigkeitswerte (Richtwerte) |
Titan Grade 1 |
Titan Grade 4 |
Titanlegierung TiAl6V4 |
Zugfestigkeit Rm [MPa] |
350 |
640 |
930 |
0,2%-Dehngrenze Rp0,2 [MPa] |
240 |
480 |
865 |
Dehnung A5 [%] |
45 |
25 |
13 |
[0014] Die spezifikationsgemässen Werte für die Festigkeit von Titanwerkstoffen für Implantate
sind in den ASTM-Normen F 67-89, F 136-92, F 1295-92 und F 1341-92 sowie in den ISO-Normen
5832/II, 5832-3 und 5832-11 fixiert.
[0015] In der folgenden
Tabelle 2 sind die charakteristischen Festigkeitswerte gemäss der ASTM-Norm F 67-89 für Stäbe
aus geglühtem, unlegiertem Titan verschiedener Grades zusammengestellt:
Tabelle 2
Titan Grades |
Zugfestigkeit Rm min. [MPa] |
0,2%-Dehngrenze Rp0,2 min. [MPa] |
Dehnung A4 min. [%] |
Einschnürung Z min. [%] |
1 |
240 |
170 |
24 |
30 |
2 |
345 |
275 |
20 |
30 |
3 |
450 |
380 |
18 |
30 |
4 |
550 |
483 |
15 |
25 |
[0016] In der folgenden
Tabelle 3 sind die charakteristischen Festigkeitswerte gemäss der ASTM-Norm F 1341-92 für Draht
aus geglühtem, unlegiertem Titan verschiedener Grades zusammengestellt:
Tabelle 3
Titan Grades |
Durchmesser D [mm] |
Zugfestigkeit Rm min. [MPa] |
0,2%-Dehngrenze Rp0,2 min. [MPa] |
Dehnung A4 min. [%] |
Einschnürung Z min. [%] |
1 |
8,0-3,2 |
240 |
170 |
24 |
30 |
<3,2-1,6 |
15 |
- |
<1,6-0,5 |
12 |
- |
<0,5-0,1 |
10 |
- |
2 |
8,0-3,2 |
345 |
275 |
20 |
30 |
<3,2-1,6 |
12 |
- |
<1,6-0,5 |
10 |
- |
<0,5-0,1 |
8 |
- |
3 |
8,0-3,2 |
450 |
380 |
18 |
30 |
<3,2-1,6 |
10 |
- |
<1,6-0,5 |
8 |
- |
<0,5-0,1 |
6 |
- |
4 |
8,0-3,2 |
550 |
483 |
15 |
25 |
<3,2-1,6 |
8 |
- |
<1,6-0,5 |
6 |
- |
<0,5-0,1 |
4 |
- |
[0017] Sowohl die ASTM-Normen F 67-89 und F 1341-92 als auch die ISO-Norm 5832/II lassen
die Möglichkeit offen, kaltverfestigtes Titan für chirurgische Implantate einzusetzen,
wobei nur die letzte Norm bei einer Dehnung A = 10% einen Mindestwert für die Zugfestigkeit
mit R
m ≥ 680 MPa vorschreibt. Nach der ASTM-Norm F 67-89 wird für Stäbe mit einer Messlänge
L
0 = 4 D eine Dehnung A ≥ 10% verlangt, während die ASTM-Norm F 1341-92 für dünne Drähte
auch Dehnungswerte unter 10% zulässt. Im übrigen überlassen die ASTM-Normen die Fixierung
von Festigkeitswerten der Abstimmung zwischen den Titanproduzenten und den Implantatherstellern.
[0018] Eine wesentliche Eigenschaft bei einem stark belasteten Werkstoff ist die noch vorhandene
Restduktilität, die z.B. bei Überbelastung eines Bauteils dessen abruptes Versagen
ausschliesst. Bei kaltverfestigten Werkstoffen geht allerdings durch den Prozess der
Kaltverfestigung ein Teil der Duktilität verloren, d.h. mit zunehmendem Kaltverformungsgrad
nimmt die Dehnung A bzw. die Duktilität ab.
[0019] Zur Beeinflussung der mechanischen Werkstoffparameter stehen dem Metallurgen verschiedene
Härtungsverfahren gemäss nachstehender
Tabelle 4 zur Verfügung:
Tabelle 4
Härtungsverfahren |
Arbeitsgang |
Mischkristallhärtung |
Substitution von Titan durch andere darin lösliche metallische Elemente (z.B. Zirkon,
Niob, Tantal) |
Härtung durch Zusatz interstitiell gelöster Elemente |
Zusatz (z.B. Sauerstoff, Kohlenstoff, Stickstoff) |
Kaltverformung |
Walzen, Ziehen, Hämmern |
Kornfeinung |
Rekristallisationsglühung |
Ausscheidungshärtung |
Zusatz (z.B. Eisen, Kupfer, Silizium) |
Kaltverformung und Ausscheidungshärtung |
Zusatz (z.B. Eisen, Kupfer, Silizium) und Kaltverformung |
Stand der Technik
[0020] Die Titanlegierung TiAl6V4 ist seit Jahrzehnten als Standardlegierung eingeführt.
[0021] Aus der CH-A-539 118 ist eine schmiedbare Legierung für Implantate für die Knochen-
und Zahnchirurgie bekannt. Diese Legierung besteht aus 3-50 Gew.-% X und ansonsten
im wesentlichen aus Z, wobei X eines der Elemente Niob, Tantal, Chrom, Molybdän, Wolfram,
Eisen oder Aluminium oder eine beliebige Mischung aus diesen Elementen sein soll,
während Z eines der Elemente Titan oder Zirkon oder eine - beliebige Mischung dieser
Elemente ist. Hierbei wurde das in der Standardlegierung vorhandene Vanadium dann
entweder durch Eisen oder in einer weiteren Verbesserung durch Niob ersetzt, so dass
die Legierungen TiAl5Fe2,5 bzw. TiAl6Nb7 entstanden sind.
[0022] Die insoweit bekannten Titanwerkstoffe können jedoch hinsichtlich der Gesamtheit
aller Anforderungen - d.h. Biokompatibilität, insbesondere "Osseointegration", mechanische
Parameter, Herstellungsaufwand und Kaltverformbarkeit - nicht als optimal angesehen
werden. Die bisher gefundenen Kompromisse sind unbefriedigend, insbesondere gelang
es bis dato nicht, eine höchstmögliche Biokompatibilität und "Osseointegration" sowie
gleichzeitig eine hohe Zugfestigkeit R
m sowie Ermüdungsfestigkeit zu realisieren. Überdies ist der Herstellungsaufwand der
Werkstoffe relativ hoch und besonders wünschenswert ist auch eine verbesserte Kaltverformbarkeit,
z.B. zur Herstellung von Langprodukten, wie Stäben und Profilen.
Aufgabe der Erfindung
[0023] Angesichts der Unvollkommenheiten bisher bekannter Titanwerkstoffe - vornehmlich
zum Einsatz in der Medizintechnik als Implantate - hinsichtlich der Materialeigenschaften,
des Herstellungsaufwands und der Weiterverarbeitbarkeit verfolgt die Erfindung das
Ziel, einen verbesserten Titanwerkstoff sowie das zugehörige Herstellungsverfahren
zu schaffen. Der Entwicklung des Werkstoffs und des Herstellungsverfahrens waren folgende
Prämissen zugrunde zu legen:
- Gemäss der Elementarforderung nach bestmöglicher Biokompatibilität kommt für den zu
kreierenden Titanwerkstoff allein unlegiertes Titan der Grades 1 bis 4 in Betracht.
- Eine höchstmögliche Ermüdungsfestigkeit bzw. Dehngrenze RP0,2 sowie Zugfestigkeit Rm sind zu erreichen.
- Die Mindestdehnung A ≥ 10% muss gewährleistet sein, um die Spezifikation der ASTM-Norm
F 67-89 zu erfüllen. Für Implantatwerkstoffe ist es besonders wesentlich, dass keine
Zuginstabilität vorliegt. Die Spannung darf nach Überschreiten der 0,2%-Dehngrenze
Rp0,2 nur langsam abfallen und nicht abrupt abreissen.
- Eine gute Kaltverfombarkeit ist unabdingbar, z.B. für das Walzen von Profilen.
- Im Werkstoff sollen innere Spannungen weitestgehend abgebaut sein, um eine verzugsfreie,
spanende Weiterbearbeitung zu ermöglichen, wobei generell auf eine günstige Zerspanbarkeit
zu achten ist.
- Insgesamt sind eine problemlose Erschmelzung und kostengünstige Herstellung des Titanwerkstoffs
anzustreben.
- Einhaltung sonstiger relevanter nationaler und internationaler Normen.
- Für spezielle Anwendungsfälle - abgesehen von einem eventuellen Absinken der Biokompatibilität
und des Erfordernisses der Neuzulassung des Titanwerkstoffs - soll eine zusätzliche
Mischkristallhärtung möglich sein.
Wesen der Erfindung
[0024] Die Wesensmerkmale des erfindungsgemässen Titanwerkstoffs ergeben sich aus dem Patentanspruch
1, wobei vorteilhafte Ausführungsdetails den Ansprüchen 2 bis 6 entnehmbar sind. Das
Prinzipielle des Herstellungsverfahrens findet sich im Anspruch 7, während die Ansprüche
8 bis 18 spezielle Verfahrensmerkmale enthalten. Die bevorzugten Anwendungen des Titanwerkstoffs
werden im Anspruch 19 definiert.
[0025] Dank der Erfindung steht nun ein Titanwerkstoff zur Verfügung, der sich durch folgendes
auszeichnet:
- hervorragende Biokompatibilität;
- deutlich gesteigerte Ermüdungsfestigkeit σbw ≈ 500 MPa (Ausgangswert σbw ≈ 380 MPa), wie sie bisher nur von Titanlegierungen erreicht wurde;
- Warm- und Kaltverformbarkeit (z.B. beim Drahtziehen), die signifikant über den Werten
von bekannten α+β-Titanlegierungen liegt. Die Kaltverformbarkeit von unlegiertem Titan
nimmt mit steigendem Grade ab. Titan Grade 4 lässt sich aber, verglichen mit der Implantatlegierung
TiAl6Nb7, weitaus besser und kostengünstiger kaltverformen, insbesondere wegen der
geringeren Verfestigungsneigung von unlegiertem Titan gegenüber den α+β-Titanlegierungen.
Dies bedeutet ein höheres Verformungsvermögen bis zur nächsten Zwischenglühung;
- Zugfestigkeit Rm von 900-1000 MPa, die der Titanimplantat-Legierung TiAl6Nb7 ebenbürtig ist;
- hohe Verfügbarkeit, da die chemische Zusammensetzung keine strengen Anforderungen
an die zulässigen Verunreinigungen (Begleitelemente) stellt;
- Einstellbarkeit der Werkstoffeigenschaften Dehngrenze RP, Zugfestigkeit Rm, Dehnung A und Ermüdungsfestigkeit σbw durch gezielte Anlassglühungen mit äusserst variablen Temperaturbereichen und Glühzeiträumen;
- durch die Kaltverfestigung herbeigeführte gute Zerspanbarkeit. Unlegiertes Titan hat
bei der spanenden Bearbeitung an sich die äusserst negative Eigenschaft zu schmieren;
dieses Verhalten wird durch die Kaltverfestigung reduziert. Ferner ergibt sich ein
kürzerer Span beim Drehen, Fräsen oder Bohren sowie eine Reduzierung des Verschleisses
an den Bearbeitungswerkzeugen mit der Folge günstiger Bearbeitungskosten;
- kein Verzug bei der mechanischen Bearbeitung, da spannungsfrei geglüht, was besonders
bei Teilen mit engsten Masstoleranzen wünschenswert ist;
- der Titanwerkstoff ist amagnetisch - somit z.B. auch in Kernspintomographen einsetzbar;
- die Erschmelzung von unlegiertem Titan ist weitaus weniger aufwendig, da Seigerungen
- diese können bei der Herstellung von Legierungen auftreten - hier ausgeschlossen
sind;
- der gesamte Herstellungsprozess des Titanwerkstoffs, vom Schmelzen, über das Schmieden,
Warmwalzen, Kaltwalzen, Ziehen bis zu den erforderlichen Zwischenglühungen sowie der
Aushärtung, ist im Vergleich zur Implantatlegierung TiAl6Nb7 weniger kostenaufwendig
und bringt damit für die Fertigprodukte einen Kostenvorteil.
[0026] Aus dem Werkstoff sind Draht, Stäbe, Profile, Platten, Blech und Band jeder gewünschten
Abmessung herstellbar. Der erfindungsgemässe Titanwerkstoff kommt vorrangig für den
Einsatz in der Medizintechnik für Implantate - z.B. Dentalimplantate, Wurzelstifte,
Posts, Knochenplatten und -schrauben, Marknägel, Herzklappen und Prothesen -, für
Instrumente sowie für Geräte in Betracht. Ein bedeutsames Einsatzgebiet ist auch die
Uhren- und Schmuckindustrie, wo die ausgezeichneten Werkstoffeigenschaften im Kontakt
mit der Haut wesentlich sind.
Darstellungen und Ausführungsbeispiele
[0027] Mit Bezug auf die beigefügten Bilder erfolgt nachstehend die detaillierte Beschreibung
von Ausführungsbeispielen zur Beschaffenheit und zum Herstellungsverfahren des erfindungsgemässen
Titanwerkstoffs. Die einzelnen Behandlungs- und Umwandlungsvorgänge im Titanwerkstoff
werden entsprechend der Abfolge des Herstellungsverfahrens erörtert. Es zeigen:
- Bild 1:
- Korrosionswiderstand und Gewebsreaktionen von Reinmetallen und Legierungen (aus SCHROEDER/SUTTER/BUSER/KREKELER,
a.a.O., S. 46);
- Bild 2:
- Einfluss von Sauerstoff und Stickstoff auf die mechanischen Eigenschaften von Titan
bei Raumtemperatur (aus ZWICKER, a.a.O., S. 220);
- Bild 3:
- Einfluss von Sauerstoff auf die mechanischen Werte von unlegiertem Titan (aus BOYER/WELSCH/COLLINGS:
Materials Properties Handbook. Titanium Alloys, ASM International - The Materials
Information Society, 1994);
- Bild 4:
- Einfluss von Kohlenstoff auf die mechanischen Werte von unlegiertem Titan (aus BOYER/WELSCH/COLLINGS:
a.a.O.);
- Bild 5:
- Einfluss von Stickstoff auf die mechanischen Werte von unlegiertem Titan (aus BOYER/WELSCH/COLLINGS:
a.a.O.);
- Bild 6:
- Einfluss von Stickstoff, Sauerstoff, Kohlenstoff und Eisen in Atom-% bzw. Gew.-% auf
die Vickers-Härte von unlegiertem Titan (aus BOYER/WELSCH/COLLINGS: a.a.O.);
- Bild 7:
- Verfestigungsschaubilder von Titan Grade 1 - Werkstoff 3.7025 und von Titan Grade
2 - Werkstoff 3.7035 (aus DIN-Norm 17869);
- Bild 8:
- Verfestigungsverhalten von Titan Grade 1 - Werkstoff 3.7025 und von Titan Grade 2
- Werkstoff 3.7035 nach Lage der Walzrichtung (aus DIN-Norm 17869);
- Bild 9:
- Verfestigungskurven von Titan Grade 1;
- Bild 10:
- Verfestigungskurven von Titan Grade 2;
- Bild 11:
- Verfestigungskurven von Titan Grade 4;
- Bild 12a:
- Gefügeausbildung von rekristallisierend geglühtem Stabmaterial;
- Bild 12b:
- Gefügeausbildung vom erfindungsgemäss gefertigtem Titanwerkstoff als Stabmaterial
gleicher Abmessung wie Bild 12a;
- Bild 13:
- Zustandsdiagramm Fe-Ti (aus MURRAY,J.L.: Phase Diagramms of Binary Titanium Alloys.
ASM International - Metals Park Ohio, 1987);
- Bild 14:
- Elektronenmikroskopische Aufnahme des Verformungsgefüges von Titan Grade 4, kaltverformt
und angelassen bei 375°C/1h;
- Bild 15:
- Elektronenmikroskopische Durchstrahlungsaufnahme des Verformungsgefüges von Titan
Grade 4, kaltverformt und angelassen bei 375°C/1h;
- Bild 16:
- Elektronenmikroskopische Durchstrahlungsaufnahmen und Beugungsaufnahme mit Überstrukturreflexen
von Titan Grade 4, kaltverformt und angelassen bei 250°C/1 h;
- Bild 17:
- Elektronenmikroskopische Durchstrahlungsaufnahme und Dunkelfeldaufnahme im Lichte
eines Überstrukturreflexes sowie zugehörige Beugungsaufnahme von Titan Grade 4, kaltverformt
und angelassen bei 350°C/1 h;
- Bild 18:
- Elektronenmikroskopische Durchstrahlungsaufnahmen und Beugungsaufnahme mit Überstrukturreflexen
von Titan Grade 4, kaltverformt und angelassen bei 450°C/1 h;
- Bild 19:
- Elektronenmikroskopische Durchstrahlungsaufnahme von Titan Grade 4, kaltverformt und
angelassen bei 250°C/1 h, Ausscheidung von rundlichen Teilen, die von Spannungsfeldern
umgeben sind;
- Bild 20:
- Elektronenmikroskopische Durchstrahlungsaufnahme von Titan Grade 4, kaltverformt und
angelassen bei 450°C/1 h, Ausscheidung von ovalen Teilen mit umgebenden Spannungsfeldern
an Korngrenzen;
- Bild 21:
- Einfluss der Glühtemperatur auf die Dehngrenze Rp0,2 von Titan Grade 4;
- Bild 22:
- Einfluss der Glühtemperatur auf die Zugfestigkeit Rm von Titan Grade 4;
- Bild 23:
- Einfluss der Glühtemperatur auf die Dehnung A50 von Titan Grade 4;
- Bild 24:
- Typische statische und dynamische Festigkeitseigenschaften von unlegiertem Titan,
Draht, geglüht;
- Bild 25:
- Einfluss des Sauerstoffgehalts und der Kaltverformung auf die Zug- und Ermüdungsfestigkeit
von unlegiertem Titan;
- Bild 26:
- Vergleich der Umlaufbiegewechselfestigkeit zwischen konventionellen Titan Grade 4
und dem erfindungsgemässen Titanwerkstoff und
- Bild 27:
- Einfluss der Anlassbehandlung auf die Ermüdungsfestigkeit des erfindungsgemässen Titanwerkstoffs.
Erstellen der Schmelze
[0028] Ausgangsbasis für die Herstellung des Titanwerkstoffs ist eine Schmelze mit der chemischen
Zusammensetzung gemäss
Tabelle 5, die den Anforderungen für Titan-Implantatwerkstoffe gemäss der ASTM F 67-89 entspricht:
Tabelle 5
Element |
Massengehalt [%] |
O |
0,30 |
Fe |
0,15 |
C |
0,007 |
N |
0,01 |
H |
0,0031 |
[0029] Eisen ist ein Begleitelement bzw. eine Verunreinigung und kann im Titanerz bis zu
20 Gew.-% enthalten sein. Es muss in einem Aufbereitungsverfahren entzogen werden,
um den gewünschten niedrigen Eisengehalt im Titanschwamm zu erreichen. Die eingesetzte
Schwammqualität ist abhängig von der Zielstellung. Der Eisengehalt von kommerziell
hergestelltem Titan kann je nach Einsatz von sehr sauberem bis zu stark verunreinigtem
Titanschwamm von 0,035 bis 0,5 Gew.-% schwanken. Gezielt wird ein Vormaterial mit
einem relativ hohen Eisengehalt eingesetzt. Ein eventuell zu niedriger Sauerstoffanteil
wird durch Zugabe von Titanoxid ausgeglichen.
[0030] Die obigen Anteile an Sauerstoff, Kohlenstoff, Stickstoff und Wasserstoff sind in
Titan voll löslich. Nach der Erfahrung kann der Sauerstoffgehalt für unlegiertes Titan
auf Werte von 0,40 Gew.-% gesteigert werden. Bei noch höheren Werten sinkt jedoch
die Duktilität rapide ab, und die Warmverformbarkeit im Abmessungsbereich eines Schmelzblocks
oder eines Knüppels wird aufgrund einer ausgeprägten Rissbildung dermassen verringert,
dass keine reproduzierbare Fertigung mehr möglich ist. Der in den einschlägigen Titannormen
vorgegebene Maximalwert von 0,40 Gew.-% für Sauerstoff sollte daher nicht überschritten
werden. Im übrigen ist der Sauerstoffgehalt je nach Titan-Grade in der ASTM-Norm F
67-89 fixiert. Bei unlegiertem Titan Grade 1 mit guter Duktilität kann man den Sauerstoffgehalt
bis auf 0,035 Gew.-% absenken. Für Implantate aus Titan des Grade 4, wo eine höchstmögliche
Zugfestigkeit R
m bzw. Ermüdungsfestigkeit σ
bw verlangt ist, steigert man den Sauerstoffgehalt bis auf 0,40 Gew.-%, im Normalfall
bis auf 0,35 Gew.-%. Es hat sich als vorteilhaft erwiesen, hier den Sauerstoffgehalt
auf 0,35 Gew.-% zu begrenzen - Sauerstoffgehalte bis zu diesem Wert verbessern die
Festigkeit, ohne die Duktilität zu stark zu reduzieren.
[0031] Härtung durch Zusatz von interstitiell gelöstem Sauerstoff In Bild 2 ist der Einfluss der Anteile an Sauerstoff, Stickstoff und Kohlenstoff auf die mechanischen
Eigenschaften - Dehngrenze, Zugfestigkeit, Dehnung und Härte - dargestellt. Bei einem
Sauerstoffgehalt, z.B. von 0,30 Gew.-% ergeben sich bei herkömmlichem Titan eine Dehngrenze
R
P0,2 ≈ 500MPa, eine Zugfestigkeit R
m ≈ 650 MPa und eine Dehnung A von knapp über 20%.
[0032] Vergleichbare Werte für die Dehngrenze R
P0,2 und die Dehnung A sind den
Bildern 3 bis 5 zu entnehmen. Die in den
Bildern 4 und 5 angegebenen Kohlenstoff- und Stickstoffgehalte liegen teilweise ausserhalb der durch
die ASTM-Norm F 67-89 zulässigen Maximalwerte (für Kohlenstoff bis 0,10 Gew.-% und
für Stickstoff zwischen 0,03 Gew.-% und 0,05 Gew.-% je nach Titan Grade). Die tatsächlich
in unlegiertem Titan auftretenden Kohlenstoff- und Stickstoffanteile liegen bei ≈
0,01 Gew.-%. Bei höheren Anteilen besteht die Gefahr der Bildung von Titankarbiden
und -nitriden, die zu Materialbrüchen führen können. Die Kohlenstoff- und Stickstoffanteile
gelten als übliche Beimengungen und nicht als Legierungselemente.
[0033] Der Einfluss der Beimengungen Stickstoff, Sauerstoff, Kohlenstoff und Eisen auf die
Vickers-Harte in Abhängigkeit ihrer Anteile in Atom-% bzw. in Gew._% ist im
Bild 6 dargestellt. Die Kurven zeigen deutlich, dass Stickstoff den stärksten Einfluss auf
die Härte ausübt, abfallend gefolgt von Sauerstoff, Kohlenstoff und Eisen. Durch Zusatz
von 0,1 Gew.-% Stickstoff bzw. von 0,2 Gew.-% Sauerstoff lässt sich die Härte verdoppeln
und bei einem Zusatz von 0,15 Gew.-% Eisen um 30% steigern. Diese Werte gelten für
geglühtes Titan bei 700°C/1h in Vakuum. Bei 700°C besteht die höchste Löslichkeit
für Eisen im α-Gitter des Titans, wobei es sich dabei nicht um einen ausgehärteten
Zustand handelt.
Thermische Behandlung
[0034] Bei der Herstellung und Verarbeitung von Titan muss insbesondere berücksichtigt werden,
dass Reintitan bei 882°C eine Phasenumwandlung erfährt. Oberhalb dieser Temperatur
ist die kubisch-raumzentrische β-Phase und unterhalb die hexagonale α-Phase beständig.
Der sogenannte β-Transus bei 882°C führt zu einer Vielzahl von Gefügeausbildungen,
die vom globuraren β- oder α-Gefüge bis zu martensitischen Ausbildungen beim schnellen
Abkühlen vom β-Gebiet reichen. Bei den vielfach eingesetzten α+β-Legierungen treten
beide Phasen gemeinsam nebeneinander auf. Die unterschiedlichen Phasen haben nicht
nur metallographisch voneinander abweichende Erscheinungsbilder, sondern sie weisen
auch völlig differenzierte physikalische und mechanische Eigenschaften auf.
[0035] Bei der Weiterverarbeitung des Titans vom Schmelzblock über die Schmiedeknüppel bis
zum dünnen Draht ist stets darauf zu achten, dass Warmumformtemperaturen, Zwischenglüh-Operationen
oder die End-Wärmebehandlung exakt bei den festgelegten Temperaturen durchgeführt
werden. Grundsätzlich jedoch findet die Temperaturführung bei unlegiertem α-Titan
und den α+β-Legierungen nach der primären Umformung des Schmelzblocks meist unterhalb
des β-Transus statt.
[0036] Die nachstehende
Tabelle 6 vermittelt eine Übersicht der möglichen Wärmebehandlungen von Titan und Titanlegierungen
zur Einstellung spezifischer Werkstoffkennwerte mit den wichtigsten Glüharten - Weichglühen,
Spannungsarmglühen, Lösungsglühen und Auslagern und dazugehörigen Glühtemperaturen
ϑ (vgl. auch die DIN-Normen 17869 und 65084). Innerhalb des gesamten Verfahrensablaufs
zur Herstellung des erfindungsgemässen Titanwerkstoffs werden teilweise an sich bekannte
Wärmebehandlungen durchgeführt.
Tabelle 6
Werkstoff |
(Weich)glühen ϑ [°C] |
Spannungsarmglühen ϑ [°C] |
Lösungsglühen und Auslagern ϑ [°C] |
Titan Grade 1 |
650-750/Luft |
450-550/Luft |
--- |
Titan Grade 4 |
650-750/Luft |
450-550/Luft |
--- |
TiAl6V4 |
700-850/Luft |
500-600/Luft |
820-900/Wasser und 480-600/Luft |
Entfestigung
[0037] Erfolgt beim kaltverformten Titan eine Glühung bei erhöhten Temperaturen, dann wird
die durch die Kaltverformung erzielte Festigkeitserhöhung mehr oder weniger wieder
rückgängig gemacht. Eine vollständige Entfestigung bis auf den Ausgangszustand erreicht
man durch eine Glühung oberhalb der Rekristallisationsschwelle (weicher Zustand).
Bei Glühtemperaturen unterhalb der Rekristallisationsschwelle wird nur eine Teilentfestigung
- als Erholung bezeichnet - bewirkt. Der Übergang zwischen Erholung und Rekristallisation
ist am eindrücklichsten mittels röntgenographischer oder elektronenmikroskopischer
Untersuchungen nachweisbar.
Glühen
[0038] Der Begriff "Glühen" bezeichnet bei der Wärmebehandlung von Titan das Rückgängigmachen
einer durch Umformung oder Aushärtung verursachten Verfestigung. Im Regelfall wird
das Glühen oberhalb der Rekristallisationstemperatur durchgeführt.
Rekristallisation
[0039] Voraussetzung für eine Rekristallisation - dies bezeichnet eine vollständige Umkristallisation
des Werkstoffs - ist eine vorherige Kaltverformung. Die Rekristallisation setzt an
den am stärksten gestörten Plätzen des Kristallgitters ein. Unterhalb eines kritischen
Verformungsgrades, der je nach Werkstoff von der thermischen und mechanischen Vorbehandlung
abhängt, tritt keine Rekristallisation ein. Mit steigendem Verformungsgrad sinkt die
untere Rekristallisationstemperatur (Rekristallisationsschwelle). Ausserdem erhöht
sich die Keimzahl, so dass ein feinkörnigeres Gefüge entsteht.
Erholung
[0040] Im Gegensatz zur Rekristallisation findet bei der Erholung keine Neubildung von Körnern
statt. Es handelt sich um Platzwechselvorgänge von Atomen und Leerplätzen, was zu
einer Verringerung der Versetzungsdichte und zur Polygonisation führt. Die für eine
Erholungsglühung angewandten Temperaturen liegen unterhalb der Rekristallisationstemperatur
und führen deshalb nur zu einem partiellen Abbau (40%-60%) der Kaltverfestigung. Zwar
nimmt die Dehngrenze R
p und die Zugfestigkeit R
m ab, aber die Bruchdehnung A wird erhöht.
Spannungsarmglühen
[0041] Es dient zum Abbau von Eigenspannungen, z.B. nach dem Schweissen, einer spanenden
Bearbeitung oder dem Richten. Die Durchführung erfolgt bei niedrigen Temperaturen,
ohne Gefügeänderung.
Lösungsglühung und Auslagern
[0042] Diese Glühung führt man durch, um den Mischkristall an den Legierungskomponenten
anzureichern, die bei der sich anschliessenden Auslagerung ausgeschieden werden sollen.
Die Legierungskomponenten befinden sich während der Lösungsglühung gelöst im übersättigten
Zustand. Voraussetzung für die Aushärtung einer Legierung ist eine mit fallender Temperatur
abnehmende Löslichkeit von Legierungsbestandteilen. Voraussetzung bei der Lösungsglühung
ist das schnelle Abkühlen oder Abschrecken am Schluss der Glühung, um die Legierungsbestandteile
in der übersättigten Lösung zu halten. Die
Tabelle 6 enthält bei Titan Grade 1 und 4 keine Temperaturangaben für das Lösungsglühen und
Auslagern, da solcherart unlegiertes Titan wegen der normalerweise zu geringen Beimengungsanteile
nicht aushärtbar ist. Es werden keine aushärtenden Legierungsbestandteile gezielt
zugefügt. Die Elemente Sauerstoff, Stickstoff, Kohlenstoff und Wasserstoff sind bis
zu den spezifikationsgemäss angegebenen Maximalwerten vollständig im Titan löslich.
Das aus dem Titanerz als Verunreinigung stammende Eisen wird z.B. bei Titan Grade
4 bis zu 0,5 Gew.-% (vgl. ASTM-Norm F 67-89) toleriert und tritt normalerweise in
Form grober, kugeliger Ausscheidungen bevorzugt an Korngrenzen auf.
Kaltverfestigung
[0043] An die zum Herstellungsverfahren des Titanwerkstoffs gehörende vorherige Warmverformung
mit dem wahlweisen Rekristallisationsglühen schliesst sich die Kaltverformung an,
die einen wesentlichen Verfahrensbestandteil darstellt. Der insoweit behandelte Titanwerkstoff
wird nun einer im plastischen Bereich ablaufenden Kaltverformung unterzogen. Dies
führt zu einem Ansteigen der 0,2%-Dehngrenze R
p0,2, der Zugfestigkeit R
m und der Härte, während die Bruchdehnung A und die Brucheinschnürung Z abfallen. Die
Verfestigung hängt von mehreren Faktoren ab. Einfluss darauf haben im wesentlichen
der Umformgrad, die Legierungszusammensetzung, die Gefügeausbildung, die Art der Umformung
(z.B. Ziehen, Walzen, Hämmern), die Umformgeschwindigkeit und -temperatur. Für den
Zusammenhang zwischen der Formänderungsfestigkeit k
f [MPa] und der Formänderung ϕ (logarithmischer Wert) gilt folgende empirische Näherungsgleichung:

mit a als einer Konstanten in MPa und n als dem Verfestigungsexponenten.
[0044] Die Verfestigungsschaubilder gemäss
Bild 7 (Titan Grade 1 - Werkstoff 3.7025 und Titan Grade 2 - Werkstoff 3.7035) veranschaulichen,
dass sowohl die Dehngrenze R
p0,2 als auch die Zugfestigkeit R
m mit den angegebenen Verformungsgraden stetig ansteigen. Die Dehnung A
5 fällt zunächst bei Verformungsgraden zwischen 30% und 40% steil ab und nähert sich
dann Werten von 14% bis 16%.
[0045] Der Verfestigungsexponent n, als Grad für die Verfestigungsneigung eines Werkstoffs
ist in
Bild 8 (Titan Grade 1 - Werkstoff 3.7025 und Titan Grade 2 - Werkstoff 3.7035) in Abhängigkeit
zur Lage der Walzrichtung dargestellt. Es wird deutlich, dass beim hexagonalen Titan
eine starke Richtungsabhängikeit des Verfestigungsexponenten n bezüglich der Walzrichtung
besteht. In Längrichtung werden für den mittleren Verfestigungsexponenten n mit 0,17
bzw. 0,15 die höchsten Werte und für die Querrichtung (90° zur Walzrichtung) die niedrigsten
Verfestigungsexponenten n ≈ 0,12 gemessen.
[0046] Die Anwendung der Kaltverformung ermöglicht es, die Zugfestigkeit R
m und Dehngrenze R
p0,2 zu erhöhen. Bei sehr hohen Kaltverfestigungen fällt jedoch die Dehnung A auf Werte
< 10% ab. Aus Sicherheitsgründen ist jedoch eine Restduktilität < 10% nicht akzeptabel.
Somit gestaltet es sich als schwierig, Titan Grade 1 und Titan Grade 4 derart kaltzuverfestigen,
dass Zugfestigkeitswerte R
m = 860 MPa in Kombination mit einer Mindestdehnung A ≥ 10% erreicht werden. Die EP-B-0
436 910 stellt ein Verfahren zum Kaltverformen von unlegiertem Titan mit einem Zwischenglühen
zur Verfügung, wobei dies unterhalb der Rekristallisationstemperatur und ohne das
Entstehen von Zellstrukturen geschieht. Bei diesem Verfahren wird die Zugfestigkeit
R
m durch Kaltverformungsschritte von jeweils 30% mit Zwischenglühungen bei Temperaturen
ϑ < 500°C auf Werte zwischen 900 MPa und 1000 MPa erhöht. Die Dehnung A fällt zwischen
den einzelnen Verfestigungsschritten nur moderat ab, wodurch die geforderte 10%-Grenze
eingehalten werden kann.
[0047] Die Ergebnisse eigener Untersuchungen zur Bestimmung des Verfestigungsverhaltens
von Titan Grade 1 sind in
Bild 9, von Titan Grade 2 in
Bild 10 und von Titan Grade 4 in
Bild 11 dokumentiert. Danach überschreitet Titan Grade 1 selbst bei hohen Verformungsgraden
von 70% nicht den gewünschten Wert der Zugfestigkeit R
m von 860 MPa, aber bei Verformungsgraden > 40% fällt die Dehnung A unter die 10%-Grenze.
Titan Grade 2 verhält sich ähnlich. Bei einer 50%-igen Kaltverformung ist die gewünschte
Zugfestigkeit R
m = 860 MPa auch hier noch nicht erreicht und bei Verformungsgraden > 40% fällt die
Dehnung A ebenfalls unter die 10%-Grenze.
[0048] Anders verhält sich Titan Grade 4 mit einem Sauerstoffanteil von 0,30 Gew.-%, einem
Eisengehalt von 0,15 Gew.-% und einer Grundfestigkeit von ≈ 700 MPa im geglühten Zustand.
Bei einem Verformungsgrad von 15% übersteigt die Zugfestigkeit R
m bereits die Grenze von 860 MPa und die Dehnung A beträgt noch ≈ 13%. Es handelt sich
um ein sehr feinkörniges Material mit einer Korngrösse von ≈ 10 µm (gemessen nach
der ASTM-Norm E 112-88). Die Korngrenzen liefern einen zusätzlichen Verfestigungsbeitrag,
da sie ein Hindernis für Versetzungen darstellen, die sich vor den Korngrenzen aufstauen
und die weitere Verformung erschweren (vgl. BÖHM, H.: Einführung in die Metallkunde.
Bibliographisches Institut, Mannheim/Zürich, 1968).
[0049] Die stärkste Abhängigkeit der mechanischen Eigenschaften von der Korngrösse besteht
bei Beginn einer plastischen Verformung, da hier der Korngrenzeneinfluss am markantesten
ist, während er mit zunehmender Verformung - also mit ansteigender Versetzungsdichte
- abnimmt. Die Hall-Petch-Beziehung (aus BÖHM: a.a.O., S. 103):

mit σ
0 und k als Konstante
stellt eine Beziehung zwischen der Dehngrenze σ
s und dem Korndurchmesser d her. Es wird ersichtlich, dass sich die Dehngrenze σ
s mit abnehmender Korngrösse erhöht. Dies ist eine fundamentale Voraussetzung für das
erfindungsgemässe Verfahren. Die Korngrösse hat nicht nur einen positiven Einfluss
auf das Verfestigungsverhalten - d.h. auf das Ansteigen der Dehngrenze R
p0,2, sondern auch auf die Ermüdungsfestigkeit σ
bw.
Gefügeausbildung
[0050] Unlegiertes Titan - es liegt bei Raumtemperatur als α-Modifikation vor -, weist nach
einer Warm- oder Kaltumformung mit anschliessender Rekristallisation ein meist globulares,
einphasiges α-Gefüge auf, das je nach Verformungsverfahren eine ausgeprägte Längserstreckung
besitzt. Die eigenen Gefügeaufnahmen gemäss den
Bildern 12a und 12b bestätigen die globulare Gefügeausbildung, wobei in
Bild 12b der erfindungsgemässe Titanwerkstoff ein äusserst feinkörniges, gestrecktes Gefüge
mit einer Korngrösse von 10-11 zeigt (Korngrösse nach ASTM-Norm E 112-88). Das extrem
feinkörnige Gefüge resultiert einerseits aus dem relativ hohen Eisengehalt von 0,15
Gew.-% - dieser liegt gegenüber den in der Medizintechnik zumeist eingesetzten Qualitäten
mit < 0,05% oberhalb der bei ≈ 700°C höchsten Löslichkeit von Eisen im Titangitter
- und andererseits aus der intensiven Kaltverfestigung.
[0051] Eisen scheidet sich normalerweise an Korngrenzen, insbesondere an Korngrenzwickeln,
aus und behindert das Kornwachstum vehement (vgl.HÜLSE/KRAMER/BREME/SCHMIDT: Influence
of small additions of Fe, Cr, Ni on the recrystallization behaviour of commercially
pure titanium. 6th World Conference on Titanium, Cannes, 1988, S. 1975ff.). Es wurde
gefunden, dass Eisen-Zusätze das Kornwachstum bei angewandten Glühtemperaturen 750°C
≤ ϑ ≥ 870°C stark behindern. Während bei einem extrem niedrigen Eisengehalt von 0,009
Gew.-% eine maximale Korngrösse von ca. 70 µm (entspricht 4,5 nach ASTM-Norm E 112-88)
erreicht wird, beträgt die Korngrösse bei einem Eisengehalt von 0,14 Gew.-% nur maximal
20 µm (entspricht 8 nach ASTM-Norm E 112-88). Es gilt als erwiesen, dass sich die
TiFe-Phase vorzugsweise an Korngrenzen ausscheidet und damit das Wachstum bei der
Rekristallisation behindert wird.
[0052] Eine feine Korngrösse von 10 (nach ASTM-Norm E 112-88) erbringt eine optimale Verfestigung
und Steigerung der 0,2-Dehngrenze R
p0,2 nach der Hall-Petch-Beziehung. Ausserdem wird durch das feinkörnige Gefüge die Ermüdungsfestigkeit
σ
bw erhöht. Erst bei dem erhöhten Eisengehalt von > 0,08 Gew.-%, vorzugsweise von 0,10
Gew.-% bis 0,20 Gew.-%, kommt die volle hemmende Wirkung auf das Kornwachstum zum
Tragen. Die extreme Feinkörnigkeit wird bei dem erfindungsgemässen Verfahren zum Erreichen
der gewünschten mechanischen Eigenschaften vorausgesetzt und konsequent genutzt.
Ausscheidungshärtung
[0053] Das Verfahren mit den notwendigerweise vorausgegangenen Schritten schliesst mit der
Anlassbehandlung ab, bei welcher die ausscheidungshärtenden Elemente ausgeschieden
werden. Diese feinsten Partikel sind jedoch im lichtelektronenmikroskopischen Bild
nicht darstellbar.
[0054] Die Entmischung übersättigter Mischkristalle hat bekanntermassen einen starken Einfluss
auf die physikalischen und mechanischen Eigenschaften eines Werkstoffs. Da Entmischungsvorgänge
im allgemeinen mit einer deutlichen Erhöhung der Dehngrenze R
p0,2, der Zugfestigkeit R
m und der Härte einer Legierung verbunden sind, wird von Aushärtung gesprochen. Vorbedingung
für eine aushärtbare Legierung ist eine im Legierungssystem vorhandene Abhängigkeit
des Lösungsvermögens für ein zugesetztes Element von der Temperatur.
[0055] Wie dem Zustandsdiagrammen des Zweistoffsystems Titan-Eisen entnehmbar (vgl.
Bild 13), liegt die maximale Löslichkeit für Eisen im Titan im Temperaturbereich von ca.
700 °C bei 0,05 Gew.-%. Mit fallender Temperatur nimmt die Löslichkeit stark ab und
beträgt bei 400°C nur mehr 0,006 Gew.-%. Bei noch niedrigeren Temperaturen dürfte
die Löslichkeit des Titans für Eisen unter 0,001 Gew.-% liegen. Mit der Löslichkeitsgrenze
von ≈ 0,05 Gew.-% bei ≈ 700°C befinden sich im unlegierten Titan mit höheren Eisengehalten
immer TiFe-Ausscheidungen. Ihre Form bestimmt sich nach dem Massenanteil in Gew.-%,
dem Herstellungsverfahren und dem Abmessungsbereich des Endprodukts.
[0056] Zumeist setzt man unlegiertes Titan im geglühten Zustand ein. Titan Grade 2 ist durch
den Bedarf der chemischen Industrie der eindeutig am häufigsten eingesetzte Werkstoff.
Bei höheren Anforderungen an die mechanischen Eigenschaften wird Titan Grade 4 geglüht
verwendet. Um noch höhere Zugfestigkeiten R
m > 680 MPa (nach ISO-Norm 58321/II) zu erreichen, ist eine Kaltverformung notwendig.
Auf eine Ausscheidungshärtung von unlegiertem Titan wird in den einschlägigen Normen
nicht hingewiesen. Dies hat sicher seinen Grund darin, dass den Titanqualitäten Grade
1 bis Grade 4 ausser Sauerstoff - dieser ist bis zu 0,4% interstitiell gelöst - kein
metallisches Legierungselement zugesetzt wird. Das im Titanerz Rutil bis zu 20 Gew.-%
als Verunreinigung enthaltene Eisen wird aufwendig entfernt.
[0057] Um im Zweistoffsystem Titan-Eisen eine Ausscheidungshärtung durch die Ausscheidung
der intermetallischen TiFe-Phase überhaupt nutzen zu können, muss dafür die Voraussetzung
in Form einer thermischen Behandlung als Glühung oder auch als Warmverformung im Temperaturbereich
der maximalen Löslichkeit geschaffen werden. Danach findet eine Auslagerung bei Temperaturen
weit unterhalb von 700°C statt, um einen möglichst hohen Massenanteil der TiFe-Phase
auszuscheiden.
[0058] Beim Anlassen übersättigter Mischkristalle treten in der ersten Zerfallstufe kohärente
Ausscheidungen auf, d.h. die ausgeschiedene Phase hat die gleiche Gitterstruktur wie
die Matrix, unterscheidet sich aber in der Zusammensetzung. Kohärente Teilchen benötigen
eine niedrigere Bildungsenergie und scheiden sich je nach Legierung flächenhaft, platten-,
kugel- oder nadelförmig aus. Der zweite Entmischungstyp ist die teilkohärente Ausscheidung,
bei der Kohärenz zumindest mit einer Grenzfläche mit der Matrix besteht. Bei teilkohärenten
Ausscheidungen handelt es sich zumeist nicht um die Gleichgewichtsphase, sondern um
metastabile Zwischenphasen. Gemäss der höheren Grenzflächenenergie ist die Keimbildungsarbeit
bei teilweise kohärenten Phasen grösser als bei kohärenten Phasen. Die letzte Stufe
des Zerfalls eines übersättigten Mischkristalls ist die Ausscheidung einer inkohärenten
Phase als kontinuierliche oder diskontinuierliche Ausscheidung. Der Grund für das
Auftreten kohärenter, teilkohärenter oder inkohärenter Phasen liegt in der verschiedenen
Energie, die zur Bildung der Grenzflächen aufgebracht werden muss.
[0059] Die leichtere Keimbildung in den Zwischenphasen führt im Gegensatz zu inkohärenten
Ausscheidungen zu einer höheren Keimbildungshäufigkeit und folglich zu einer feineren
Verteilung der Ausscheidungen, womit eine stärkere Aushärtung verbunden ist. Die Ausscheidung
inkohärenter Phasen erfolgt aufgrund ihrer höheren Keimbildungsarbeit bevorzugt an
Gitterfehlern, wie Versetzungen, und Korngrenzen. Die starke Beschleunigung von Entmischungsvorgängen
durch eine vorangehende Kaltverformung beruht deshalb auf der Erhöhung der Zahl der
Fremdkeime als Folge der erhöhten Versetzungsdichte. Diese detaillierteren Ausführungen
zu den verschiedenen Arten von Entmischungsvorgängen sollen zu den Vorgängen des erfindungsgemässen
Verfahrens hinführen.
[0060] Beispielsweise die Herstellung von Titanstäben Grade 4 mit 5 mm Durchmesser und der
chemischen Zusammensetzung gemäss der
Tabelle 5 läuft folgendermassen ab. Die Schmelze wird nach konventionellen Techniken geschmolzen,
geschmiedet, warmgewalzt und zu Draht gezogen. Die für eine optimale Aushärtung notwendige
thermische bzw. thermomechanische Behandlung geschieht im Temperaturbereich von 650°C-750°C.
Anschliessend erfolgt eine schnelle Abkühlung, um möglichst viel Eisen in Lösung zu
halten. Anlassglühungen zwischen 200°C und 500°C mit Abstufungen von jeweils 25° werden
durchgeführt.
[0061] In lichtmikroskopischen Aufnahmen lassen sich keine Ausscheidungen von Titan-Eisen-Teilchen
feststellen. Mit elektronenmikroskopischen Durchstrahlungsaufnahmen im Hell- und Dunkelfeld
und mit Beugungsaufnahmen sind die ausgeschiedenen Phasen nachweisbar.
Bild 14 zeigt eine typische elektronenmikroskopische Aufnahme des Verformungsgefüges von
bei 375°C/1h angelassenem Material. In
Bild 15 ist ein erholtes Verformungsgefüge mit ersten Rekristallisationskeimen und einigen
groben Titan-Eisen-Ausscheidungen in kugel- oder plattenförmiger Gestalt erkennbar,
bei denen es sich wahrscheinlich um die kubisch-raumzentrierte TiFe-Phase handelt.
[0062] Um den Temperaturbereich, in dem sich Entmischungsvorgänge abspielen, zu ermitteln,
hat man kaltverfestigte Proben bei 250°C, 350°C und 450°C jeweils eine Stunde angelassen
und im Querschnitt untersucht. Die Ergebnisse sind in den
Bildern 16 bis 18 dokumentiert. Es ist ein uneinheitliches Gefüge aus Gebieten mit hoher Versetzungsdichte
(starke Kaltverformung) und mit sehr feinkörnig rekristallisierten Bereichen ersichtlich.
Der Ausgangszustand vor dem Anlassen bestand demnach aus einem teilrekristallisierten
Gefüge und die nachfolgende Glühung bei 450°C/1 h hat offensichtlich eine weitere
Rekristallisation bewirkt.
[0063] Die Beugungsaufnahmen innerhalb der
Bilder 16 bis 18 aller drei Wärmebehandlungszustände zeigen markant ausgeprägte Überstrukturreflexe,
die als Folge feinstausgeschiedener kohärenter Titan-Eisen-Teilchen auftreten. Die
Teilchen wurden durch die Dunkelfeldaufnahme im Lichte eines Überstrukturreflexes
(s.
Bild 17) nachgewiesen. Bei der niedrigen Anlasstemperatur von 250°C besitzen die Teilchen
eine rundliche Form (s.
Bild 19) und gehen bei 450°C in eine ovale Form über (s.
Bild 20) über.
[0064] Der Orientierungszusammenhang zwischen der hexagonalen α-Phase des Titans und der
feinst ausgeschiedenen intermetallischen Titan-Eisen-Phase ist noch nicht eindeutig
geklärt.
[0065] Die beim erfindungsgemässen Verfahren auftretenden Feinstausscheidungen, die eine
aufgrund der vorliegenden Beugungsaufnahmen nachgewiesene Orientierungsbeziehung zum
hexagonalen Matrixgitter des α-Titans haben, benötigen offensichtlich eine hohe Keimbildungsarbeit,
da sie sich beim kaltverformten Titan bevorzugt an Gitterfehlern - z.B. Versetzungen
- und Korngrenzen ausscheiden. Diese Orte höherer Energie sind vermutlich auch notwendig,
um diese Art von Feinstausscheidungen überhaupt zu erzeugen. Das beschriebene Ausscheidungsverhalten
kann daher an geglühtem, nicht kaltverformtem Titan in gleicher Weise nicht erwartet
werden.
[0066] Eine Untersuchung an der Titanlegierung TiCu2 erbrachte als Resultat einer Ausscheidungsglühung
ebenfalls das Auftreten einer feinst ausgeschiedenen Phase. Ein weiteres Legierungssystem
mit einer eutektoiden Entmischung weist das Zustandsschaubild Ti-Si auf. Silizium-Zusätze
von 0,2 Gew.-% werden bereits in den hochfesten α-Titanlegierungen zur Verbesserung
der Kriechbeständigkeit angewandt und sind grundsätzlich für einen biokompatiblen,
aushärtbaren Werkstoff - auch für Implantate - geeignet.
[0067] Die Anlassglühung hat ebenfalls einen massgeblichen Anteil an den mechanischen Eigenschaften
des geschaffenen Titanwerkstoffs. Vergleichende Versuche zu Anlassglühungen mit konventionellem
Implantatwerkstoff (Eisengehalt 0,05 Gew.-%) und dem erfindungsgemässen Werkstoff
Titan Grade 4, kaltverformt, Stabmaterial, mit einem Eisengehalt von 0,15 Gew.-% erbrachten
folgende Ergebnisse, die in den
Bildern 21 bis 23 dargestellt sind. Die Glühtemperaturen von 200°C bis 500°C decken den gesamten Aushärtungsbereich
ab. Es ist ersichtlich, dass für beide Werkstoffe die 0,2%-Dehngrenze R
p0,2 bei Glühtemperaturen bis ≈ 250°C zunächst von ≈ 750 MPa bis auf Werte von 800 MPa
ansteigt. Oberhalb dieser Temperatur fällt die Dehngrenze R
p0,2 des herkömmlichen Werkstoffs gegenüber dem erfindungsgemässen Werkstoff stark ab
(s.
Bild 21).
[0068] Ein ähnlicher Qualitätsunterschied besteht auch hinsichtlich der Zugfestigkeiten
R
m (s.
Bild 22) mit einer Differenz von ≈ 140 MPa. Während die Zugfestigkeit R
m des erfindungsgemässen Werkstoffs im nicht angelassenen Zustand bei 950 MPa liegt
und den gewünschten Spezifikationswert von 860 MPa erst bei einer Anlasstemperatur
von ≈ 400°C unterschreitet, wird dieser Wert vom konventionellen Werkstoff auch im
nicht angelassenen Zustand bei weitem nicht erreicht.
[0069] Das
Bild 23 veranschaulicht vergleichend die Verhältnisse hinsichtlich der Dehnung A
50, die im nicht angelassenen Zustand bei beiden Werkstoffen bei ≈ 10% liegt. Durch
Anlasstemperaturen ≥ 200°C können die Dehnungswerte A
50, insbesondere für den konventionellen Werkstoff, beträchtlich bis auf 20% angehoben
werden.
[0070] Die Verbesserungen beim erfindungsgemässen Werkstoff sind klar ersichtlich. Die Zugfestigkeit
R
m liegt im nicht angelassenen Zustand bei 950 MPa, also souverän über der verlangten
Spezifikationsgrenze von 860 MPa. Durch eine Anlassglühung wird die Zugfestigkeit
R
m selbst bei Temperaturen bis 400°C um ≈ 100 MPa vermindert, während der konventionelle
Werkstoff bei der gleichen Anlasstemperatur nur noch eine Festigkeit von ≈ 700 MPa
aufweist. Die Problematik bei jedem Grade von kaltverfestigtem Titan ist stets das
Verhältnis von Zugfestigkeit R
m zur Dehnung A. Wird eine zu hohe Kaltverformung aufgewandt, kann man die gewünschte
Zugfestigkeit R
m erreichen, aber die geforderte Mindestdehnung wird unterschritten. Durch eine Anlassbehandlung
wird dieser Nachteil beseitigt, vorausgesetzt, es liegt ein genügend hohes Festigkeitsniveau
vor, welches durch das Anlassen vermindert wird.
[0071] Von enormem Einfluss ist die Ausscheidungshärtung auf die Ermüdungsfestigkeit σ
bw. Chirurgische Implantate z.B. werden hauptsächlich durch Ermüdung beansprucht. Daher
kommt diesem Parameter eine besondere Bedeutung zu. Dies gilt gleichermassen für Hüftgelenk-Endoprothesen,
für Osteosynthese-Produkte und für Dentalimplantate, welche natürlich auch Biege-,
Torsions- und Scherkräften unterworfen sind.
[0072] Als Dauerbiegewechselfestigkeit σ
bw wird definitionsgemäss die Spannung bezeichnet, die ein Werkstoff mit 10
7 Lastwechseln ohne Bruch erträgt. Es ist bekannt, durch Sauerstoffzusatz die Ermüdungsfestigkeit
von Titan zu erhöhen. Im Schrifttum findet man Werte für die Dauerbiegewechselfestigkeit
σ
bw von Titan Grade 4, kaltverfestigt im Bereich von 357 MPa bis 430 MPa. Diese Werte
betreffen Umlaufbiegewechselfestigkeiten, die mit elektropolierten Probenoberflächen
ermittelt wurden. Die von der IMI Titanium Ltd. publizierten Werte sind im
Bild 24 dargestellt. Aus dem
Bild 24 geht hervor, dass sowohl die Zugfestigkeit R
m als auch die Ermüdungsfestigkeit σ
bw von weichgeglühten Proben mit steigendem Sauerstoffgehalt zunehmen, wobei die Kurve
für die Zugfestigkeit R
m stärker ansteigt. Die Werte für gekerbte Proben liegen um ≈ 25% tiefer als die der
glatten Vergleichsproben.
[0073] In
Bild 25 ist der Einfluss des Sauerstoffgehalts und der Kaltverformung auf die Zugfestigkeit
R
m und Ermüdungsfestigkeit σ
bw dargestellt. In beiden Fällen ist eine Erhöhung der mechanischen Kennwerte durch
die Zunahme des Sauerstoffgehalts und durch die Kaltverformung zu verzeichnen. Die
Dauerbiegewechselfestigkeit σ
bw des am stärksten kaltverformten Materials liegt bei 380 MPa und deckt sich damit
mit den übrigen aus der Literatur bekannten Werten.
[0074] Die Umlaufbiegewechselfestigkeit σ
bw des erfindungsgemässen Titanwerkstoffs Grade 4 wurde ermittelt und ist im
Bild 26 vergleichsweise mit dem konventionellen Werkstoff, für den σ
bw = 380 MPa gemessen wurde, eingetragen. Wie ersichtlich, besitzt der erfindungsgemässe
Titanwerkstoff eine Ermüdungsfestigkeit von ≈ 500 MPa, was eine Steigerung um ≈ 30%
bedeutet.
[0075] Die durch die Aushärtungsbehandlung erzielte Verbesserung der Ermüdungsfestigkeit
ist völlig unerwartet aufgetreten, da die Zugfestigkeit R
m und die Dehngrenze R
p0,2, insbesondere für den konventionellen Titanwerkstoff bei Glühtemperaturen von 375°C
stark abfallen (vgl.
Bilder 21 und 22). Verständlicherweise ist die Dehnung A bei der relativ hohen Anlasstemperatur entsprechend
angestiegen.
[0076] Beim Aushärten von kaltverfestigtem Material laufen metallkundlich zwei unterschiedliche,
in ihren Auswirkungen gegenläufige Prozesse ab. Der eine Prozess ist die Entfestigung
durch Erholungsvorgänge, die zu einer Verringerung der Versetzungsdichte und damit
zu einer Polygonisation führen, was mit einem Festigkeitsabfall verbunden ist. Der
zweite Prozess betrifft die härtesteigernde Wirkung der Ausscheidung von kohärenten
bzw. teilkohärenten Teilchen der TiFe-Phase, wie durch elektronenmikroskopische Aufnahmen
belegt. Die ausgeschiedenen Phasen bilden sich daher bevorzugt an energetisch höherwertigen
Stellen, wie Versetzungen und Korngrenzen und blockieren ihre Bewegungsfähigkeit mit
dem Ergebnis einer gesteigerten Ermüdungsfestigkeit.
[0077] Die weiteren Untersuchungsresultate zum Einfluss der Anlasstemperatur und der Anlassdauer
auf die Ermüdungsfestigkeit sind im
Bild 27 dargestellt. Danach ergibt sich bei einer Anlassdauer von einer Stunde offenbar ein
Maximum für die Dauerbiegewechselfestigkeit σ
bw im Temperaturbereich zwischen 350°C und 450°C. Erstaunlicherweise erhöht sich die
Ermüdungsfestigkeit bei Anwendung einer niedrigeren Anlasstemperatur von 325°C ab
einer längeren Anlasszeit von 10 Stunden noch weiter.
[0078] Als Option kann man innerhalb des Herstellungsverfahrens für spezielle Verwendung
des Werkstoffs die Mischkristallhärtung anwenden. Bei einer Mischkristallhärtung werden
Titanatome durch andere metallische Atome, die im Titan löslich sind, ersetzt. Besonders
geeignet ist hierfür z.B. Zirkon, da es sowohl in der β-Phase als auch in der α-Phase
vollständig lösbar ist. Niob und Tantal lösen sich im β-Titan vollständig, in der
α-Phase aber nur begrenzt, so dass man in diesem Fall α+β-Titanlegierungen erhält.
Durch eine Mischkristallhärtung kann man vorteilhaft die Zugfestigkeit R
m entscheidend anheben, ohne einen übermässigen Duktilitätsverlust in Kauf nehmen zu
müssen. Die erfinderische Ausscheidungshärtung lässt sich folglich auch auf ein Zwei-,
Drei- oder Mehrstoffsystem anwenden, wo dem Grundwerkstoff Titan noch Zirkon, Niob
oder Tantal oder eine beliebige Mischung daraus zulegiert werden.
Beziffertes Verfahrensbeispiel und Erzeugnis
[0079] Die Herstellung des erfindungsgemässen Titanwerkstoffs und die dabei erreichten Parameter
werden nachstehend anhand eines konkreten Zahlenbeispiels beschrieben, wobei der Verfahrensablauf
in der Folge der unten aufgelisteten Arbeitsschritte geschieht:
1.) Herstellung der Titanschmelze
Ausgang war eine Titanschmelze folgender chemischen Zusammensetzung, die den Anforderungen
für Titan-Implantatwerkstoffe gemäss der ASTM F 67-89 entspricht:
Tabelle 5
Element |
Massengehalt [%] |
O |
0,30 |
Fe |
0,15 |
C |
0,007 |
N |
0,01 |
H |
0,0031 |
Der Schmelzblock wurde im Vakuum-Lichtbogenofen zweifach erschmolzen.
2.) Warmverformen
Zur Herstellung des Rohmaterials wurde der Block in mehreren Hitzen bei 1000°C auf
Knüppel mit 100 mm Durchmesser abgeschmiedet bzw. gewalzt und anschliessend auf einer
Drahtstrasse auf Abmessungen zwischen 5,5 mm und 20 mm Durchmesser bei fallenden Temperaturen
zwischen 880°C und 700°C warmgewalzt.
3.) Kaltverformen
Die vorliegenden Drahtstäbe wurden einer Kaltverformung durch Ziehen mit eingeschobenen
Zwischenglühungen im Bereich bzw. dicht unterhalb der Rekristallisationsgrenze unterzogen,
wobei man nachstehende mechanische Werte erreichte (s.
Tabelle 7):
Tabelle 7
Eigenschaften |
Messwert |
0,2%-Dehngrenze RP0,2 |
752 MPa |
Zugfestigkeit Rm |
950 MPa |
Dehnung A50 |
10,2% |
Einschnürung Z |
39% |
Nach dem Ziehen wurde der Draht gerichtet, auf Stablängen = 3000 mm abgeteilt und
auf Präzisionstoleranz h7 geschliffen.
4.) Anlassbehandlung
Das Anlassen erfolgte bei 375°C/1h Luft/Luft. Hiernach wurden bei 5 mm-Stäben nachstehende
mechanische Werte erreicht (s.
Tabelle 8):
Tabelle 8
Eigenschaften |
Messwert |
0,2%-Dehngrenze RP0,2 |
794 MPa |
Zugfestigkeit Rm |
933 MPa |
Dehnung A50 |
13,2% |
Einschnürung Z |
41% |
Ermüdungsfestigkeit σbw |
500 MPa |
Die durch das Verfahren erzielten Qualitätsverbesserungen des Titanwerkstoffs sind
manifest. Verglichen mit den Messwerten im kaltverfestigten Zustand ist die 0,2%-Dehngrenze
R
P0,2 um ≈ 40 MPa angestiegen, während die Zugfestigkeit R
m nur um ≈ 20 MPa abfiel. Die Dehnung A
50 verbesserte sich um 3% auf über 13% und liegt damit sicher über dem geforderten Spezifikationswert
von 10%.
Der gewonnene Titanwerkstoff Grade 4 (Grade definiert nach ASTM-Norm F 67-89) lässt
sich dadurch charakterisieren, dass dieser
a) warmverformt und
b) kaltverfestigt und
c) ausscheidungsgehärtet ist und
d) enthält:
da) 0,15% Eisen als ausscheidungshärtendes Element und
db) 0,30% interstitiell gelösten Sauerstoff und
e) ein feinkörniges Gefüge der Korngrösse feiner als 5, vorzugsweise feiner als 8,
aufweist (Gefüge gemäss Bild 12b; Korngrösse definiert nach ASTM-Norm E 112-88).
1. Titanwerkstoff,
dadurch gekennzeichnet, dass dieser
a) warmverformt und gegebenenfalls rekristallisationsgeglüht und
b) kaltverfestigt und
c) ausscheidungsgehärtet ist und
d) enthält:
da) eines oder mehrere ausscheidungshärtende Elemente in einer Menge von mehr als
0,05 Gew.-% und
db) interstitiell gelösten Sauerstoff in einer Menge von mehr als 0,05 Gew.-%, vorzugsweise
0,20 Gew.-% bis 0,35 Gew.-% und
e) ein feinkörniges Gefüge der Korngrösse feiner als 5, vorzugsweise feiner als 8,
aufweist (Gefüge gemäss Bild 12b; Korngrösse definiert nach Standard der American Society for Testing and Materials
- ASTM-Norm E 112-88).
2. Titanwerkstoff nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die ausscheidungshärtenden Elemente Eisen, Kupfer und Silizium sind und der
Titanwerkstoff davon ein Element oder diese Elemente als Zwei- oder Dreikomponentenmischung
enthält.
3. Titanwerkstoff nach einem der Ansprüche 1 oder 2,
dadurch gekennzeichnet, dass dieser enthält:
a) 0,15 Gew.-% Eisen und
b) interstitiell gelösten Sauerstoff, nämlich bei:
Titanwerkstoff Grade 1: 0,07 Gew.-%
Titanwerkstoff Grade 2: 0,13 Gew.-%
Titanwerkstoff Grade 3: 0,20 Gew.-%
Titanwerkstoff Grade 4: 0,30 Gew.-%
(Grades definiert nach Standard der American Society for Testing and Materials -
ASTM-Norm F 67-89).
4. Titanwerkstoff nach einem der Ansprüche 1 bis 3,
dadurch gekennzeichnet, dass dieser zusätzlich enthält:
a) ein oder mehrere mischkristallhärtende Elemente in einer Menge von bis zu je 30
Gew.-% pro Element, wobei
b) die mischkristallhärtenden Elemente maximal in einer Gesamtmenge von 50 Gew.-%
enthalten sind.
5. Titanwerkstoff nach Anspruch 4, dadurch gekennzeichnet, dass die mischkristallhärtenden Elemente Zirkon, Niob und Tantal sind und der Titanwerkstoff
davon ein Element oder diese Elemente als Zwei- oder Dreikomponentenmischung enthält.
6. Titanwerkstoff nach einem der Ansprüche 1 bis 5,
dadurch gekennzeichnet, dass dieser enthält:
a) 0,15 Gew.-% Eisen und
b) 0,10 Gew.-% interstitiell gelösten Sauerstoff und
c) als mischkristallhärtende Elemente bis zu je 15 Gew.-% Zirkon, Niob und Tantal,
wobei der Titanwerkstoff davon ein Element oder diese Elemente als Zwei- oder Dreikomponentenmischung
enthält.
7. Verfahren zur Herstellung eines Titanwerkstoffs,
gekennzeichnet durch die Behandlungsschritte in der Abfolge:
a) Zulegieren eines oder mehrerer ausscheidungshärtender Elemente und Sauerstoff,
sofern von beiden nicht bereits im Titanschwamm oder möglichen Legierungskomponenten
ausreichende Mengen vorhanden sind, wobei der Sauerstoff interstitiell in Lösung geht;
b) Warmverformen und gegebenenfalls Rekristallisationsglühen zur Erzeugung eines feinkörnigen
Gefüges;
c) Kaltverformung mit eventuellem Zwischenglühen und
d) Anlassbehandlung, bei welcher die ausscheidungshärtenden Elemente ausgeschieden
werden.
8. Verfahren nach Anspruch 7,
dadurch gekennzeichnet, dass
a) als ausscheidungshärtende Elemente Eisen, Kupfer und Silizium zulegiert werden,
wobei
b) davon nur ein Element oder eine Zwei- oder Dreikomponentenmischung dieser Elemente
zulegiert wird, bis ein Anteil von mehr als 0,05 Gew.-% erreicht ist.
9. Verfahren nach einem der Ansprüche 7 oder 8, dadurch gekennzeichnet, dass Sauerstoff bis zu einem Anteil von mehr als 0,05 Gew.-%, vorzugsweise bis zu
einem Anteil von 0,20 Gew.-% bis 0,35 Gew.-%, eingebracht wird, wobei der Sauerstoff
interstitiell in Lösung geht.
10. Verfahren nach einem der Ansprüche 7 bis 9,
dadurch gekennzeichnet, dass zulegiert werden:
a) Eisen bis zum Erreichen eines Anteils von 0,15 Gew.-% und
b) Sauerstoff bis zum Erreichen eines Anteils von:
0,07 Gew.-% bei Titanwerkstoff Grade 1
0,13 Gew.-% bei Titanwerkstoff Grade 2
0,20 Gew.-% bei Titanwerkstoff Grade 3
0,30 Gew.-% bei Titanwerkstoff Grade 4
(Grades definiert nach Standard der American Society for Testing and Materials -
ASTM-Norm F 67-89).
11. Verfahren nach einem der Ansprüche 7 bis 10,
dadurch gekennzeichnet, dass zusätzlich zulegiert werden:
a) ein oder mehrere mischkristallhärtende Elemente bis zum Erreichen eines Anteils
von höchstens 30 Gew.-% eines Elements, wobei
b) die mischkristallhärtenden Elemente bis zum Erreichen eines Gesamtanteils von maximal
50 Gew.-% zulegiert werden.
12. Verfahren nach Anspruch 11, dadurch gekennzeichnet, dass die mischkristallhärtenden Elemente Zirkon, Niob und Tantal sind und davon
ein Element oder eine Zwei- oder Dreikomponentenmischung zulegiert wird.
13. Verfahren nach einem der Ansprüche 7 bis 12,
dadurch gekennzeichnet, dass zulegiert werden:
a) Eisen bis zum Erreichen eines Anteils von 0,15 Gew.-% und
b) sich interstitiell lösender Sauerstoff bis zum Erreichen eines Anteils von 0,20
Gew.-% und
c) Zirkon, Niob und Tantal als mischkristallhärtende Elemente bis zum Erreichen eines
Anteils von je 15 Gew.-%, wobei davon ein Element oder diese Elemente als Zwei- oder
Dreikomponentenmischung zulegiert wird.
14. Verfahren nach Anspruch 7, dadurch gekennzeichnet, dass das mittels Warmverformen und gegebenenfalls Rekristallisationsglühen erzeugte
feinkörnige Gefüge eine Korngrösse feiner als 5, vorzugsweise feiner als 8, aufweist
(Gefüge gemäss Bild 12b; Korngrösse definiert nach Standard der American Society for Testing and Materials
- ASTM-Norm E 112-88).
15. Verfahren nach Anspruch 7, dadurch gekennzeichnet, dass der Gesamtverformungsgrad > 5%, vorzugsweise > 20% ist, der bei der auf das
Warmverformen und gegebenenfalls das Rekristallisationsglühen folgenden Kaltverformung
aufgewendet wird.
16. Verfahren nach Anspruch 7, dadurch gekennzeichnet, dass die Anlasstemperatur ϑAnl > 100°C beträgt, wobei vorzugsweise 250°C ≤ ϑAnl ≤ 450°C gilt.
17. Verfahren nach Anspruch 7, dadurch gekennzeichnet, dass für die Anlassdauer tAnl gilt: 0,5h ≥ tAnl ≥ 24h, vorzugsweise ist 0,5h ≤ tAnl ≤ 10h.
18. Verfahren nach den Ansprüchen 7 oder 16 und 17, dadurch gekennzeichnet, dass die Anlassdauer tAnl ≈ 1h und die Anlasstemperatur ϑAnl ≈ 375°C beträgt.
19. Verwendung des Titanwerkstoffs gemäss einem der vorherigen Ansprüche in:
a) der Medizintechnik als Implantat, Instrument oder Gerät und
b) der Uhren- und Schmuckindustrie.