[0001] Die Erfindung betrifft ein über die gesamte Flugphase drallstabilisiertes Lenkgeschoss,
das vom Höhepunkt der Flugbahn bis zum Ziel lenkbar ist.
[0002] In einem Fachbuch über die Außenballistik (Titel:
Modern Exterior Ballistics, Autor: Robert L. McCoy, ISBN: 0-7643-0720-7, Erscheinungsjahr:
1999) sind die Grundlagen einer Drallstabilisierung und die Abgrenzung gegenüber einer
Pfeilstabilisierung genannt. Bei einer Drallstabilisierung liegt der Luftangriffspunkt
bugseitig vor dem Schwerpunkt des Geschosses. Es werden aerodynamische Belwerte genannt,
wie ein Nickmomentanstiegs-Beiwert
Cmα (pitching moment derivative coefficient), welche die Flugbahn beeinflussen. Eine
Formel (Seite 37, mit (2.25) nummeriert) gibt an, dass der kaliberbezogene Abstand
zwischen dem
statischen Luftangriffspunkt und Schwerpunkt des Geschosses dem Quotient von dem Nickmomentanstiegs-Beiwert
Cmα und dem Normalkraftanstiegs-Beiwert
CNα (normal force derivative coefficient) entspricht.
[0003] Ein gattungsgemäßes Lenkgeschoss ist ein herkömmliches, großkalibriges 155-mm-Vollkalibergeschoss
hoher Nutzlast mit einem an der Nase des Lenkgeschosses eingeschraubten Präzisions-Lenkungs-Bausatz
(Geschoss mit einem Precision Guidance Kit (PGK), veröffentlicht und beschrieben auf
der Internetseite:
http://en.wikipedia.org/wiki/XM1155 Precision Guidance Kit). Das Lenkgeschoss ist so ausgebildet, dass es über die gesamte Flugbahn drallstabilisiert
ist. Die Drallstabilisierung bewirkt eine gute Stabilisierung des Geschosses. Im Gegensatz
zu einer Pfeilstabilisierung mit heckseitigen Leitflügeln ist der Luftwiderstand bel
drallstabilisierten Geschossen geringer. Entsprechend weisen drallstabilisierte Geschosse
eine hohe Reichweite auf. Jedoch sind drallstabillsierte Geschosse schwieriger zu
lenken- Der Präzisions-Lenkungs-Bausatz an der Nase des Geschosses umfasst eine Canard-Lenkeinrichtung
mit Canard-Lenkflügeln. Canard-Lenkeinrichtungen stellen weit verbreitete Lenkeinrichtungen
dar und sind Teil eines Leit-, Navigations- und Kontrollsystems. Die Canard-Lenkflügel
sind die einzigen Flügel des Geschosses mit dem Präzisions-Lenkungs-Bausatz. Da die
Canard-Lenkflügel feststehend sind und je nach Drehstellung im Raum ein feststehendes
Lenkmoment erzeugt wird, erfolgt eine Lenkung über eine Steuerung der Drehwinkel oder
Drehrate der rollentkoppelten Canard-Lenkeinrichtung mit Hilfe eines Elektromotors,
Aerodynamische Beiwerte, wie der Nickmomentanstiegs-Beiwert
Cmα (pitching moment derivative coefficient), beeinflussen die Flugbahn. Bei einem herkömmlichen
155-mm-Vollkallbergeschoss ohne Präzisions-Lenkungs-Bausatz liegt der Nickmomentanstiegs-Beiwert
Cmα, abhängig von der genauen Geschossgeometrie und den Flugbedingungen, in der Größenordnung
von 3 bis 5. Entsprechend liegt Abstand zwischen dem der Nase des Geschosses zugewandten
statischen Luftangriffspunkt und dem Schwerpunkt des Geschosses in der Größenordnung
von dem 1- bis 3-fachen des Kalibers, also im Bereich zwischen 15 bis 45 cm. Das Lenkgeschoss
weist eine Reichweite auf, die etwa bei 30 - 35 km liegt.
[0004] Nachfolgend werden Dokumente genannt, die wie die vorliegende Erfindung Lenkgeschosse
betreffen, die auch in der letzten Flugphase des Geschosses drallstabilisiert sind:
Die US 7 963 442 B2 zeigt ein Lenkgeschoss, das so ausgebildet ist, dass es über die gesamte Flugphase
drallstabilisiert ist. Das Lenkgeschoss umfasst eine Nase mit einer Lenkeinrichtung.
Die Lenkeinrichtung weist an Stelle von Canard-Lenkflügeln eine rotatorisch verstellbare
Geschossnase mit einer Asymmetrie auf. Die Anströmung der asymmetrischen Geschossnase
erzeugt eine Lenkkraft. Bei dem Lenkgeschoss kann es sich um ein großkalibriges Vollkallbergeschoss
handeln.
[0005] Die
US 6 666 402 zeigt ein weiteres Lenkgeschoss, das so ausgebildet ist, dass es über die gesamte
Flugphase drallstabilisiert ist. Das Lenkgeschoss umfasst eine Nase mit einer Canard-Lenkeinrichtung
mit Canard-Lenkflügeln. Das Lenkgeschoss ist ein großkalibriges Vollkalibergeschoss.
Zur Erhöhung der Reichweite dient eine Raketenanordnung im Heck.
[0006] Nachfolgend werden Lenkgeschosse beschrieben, die abweichend von der vorliegenden
Erfindung nicht über die gesamte Flugphase drallstabilisiert sind und vielmehr mindestens
in der letzten Flugphase des Geschosses, der Lenkungsphase, überwiegend pfeilstabilisiert
sind:
Die US 2014/0326824 A1 zeigt ein Lenkgeschoss. Mit Hilfe eines rollentkoppelten Heckleitwerks wird das Lenkgeschoss
in der Endphase des Fluges, der Lenkungsphase, überwiegend pfeilstabflisiert. Das
Lenkgeschoss umfasst eine Nase mit einer Canard-Lenkeinrichtung mit Canard-Lenkflügeln.
Das Lenkgeschoss ist ein großkalibriges Vollkalibergeschoss.
[0007] Die
EP 2 165 152 B1 zeigt ein weiteres Lenkgeschoss. Bis zum Erreichen des Höhepunktes fliegt das Geschoss
drallstabilisiert mit eingeklappten Heckflügeln. Mit Hilfe eines Raketenmotors wird
dann die Drehrate reduziert, um anschließend die Heckflügel zur Pfeilstabilisierung
aufzuklappen. Das Lenkgeschoss umfasst eine Nase mit einer Canard-Lenkeinrichtung
mit Canard-Lenkflügeln. Das Lenkgeschoss ist ein großkalibriges Vollkalibergeschoss,
[0008] Die
EP 1309 831 B1 zeigt ein weiteres, als großkalibriges Vollkalibergeschoss ausgebildetes Lenkgeschoss.
Das Lenkgeschoss umfasst neben einer Canard-Lenkeinrichtung mit Canard-Lenkflügeln,
neben einem Raketenmotor und neben Heckflügeln zu Pfeilstabilisierung noch flugzeugähnliche
Tragflächenflügeln auf, um die Reichweite durch eine lange Gleitphase zu erhöhen.
[0009] Nachfolgend wird ein Dokument genannt, das eine besondere Flügelausbildung betrifft:
Die DE 20 16 05 A zeigt ein Geschoss mit verschränkten, aufklappbaren Heckflügeln, Durch die Verschränkung
der Heckflügel wird dem Geschoss ein Drall aufgezwungen, um das Geschoss zu stabilisieren.
[0010] Nachfolgend geht es um Begrifflichkelten in Sachen Magnuskraft:
In Fachkreisen unterscheidet man zwei Haupttypen von Magnuseffekten, die beide auf
der Rotation des Geschosses beruhen: Erstens der klassische Magnuseffekt, der auf
den Geschosskörper bezogen ist. Zweitens der Magnuseffekt, der an den Flügeln des
Geschosses auftritt und der in Fachkreisen als Pseudo-Magnuseffekt bezeichnet wird.
[0011] Der Erfindung liegt ausgehend von einem gattungsgemäßen Lenkgeschoss die Aufgabe
zu Grunde, die Reichweite zu erhöhen.
[0012] Diese Aufgabe wird erfindungsgemäß durch die Merkmale des Anspruches 1 gelöst.
[0013] Die Vorteile der Erfindung beruhen auf der Idee der Erfindung, dass das Lenkgeschoss
aufklappbare, überkalibrige Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel aufweist und dass die
Seltenmomenten-Reduzierungs-Flügel derart ausgebildet und hinter dem Schwerpunkt in
Heckrichtung am Lenkgeschoss angeordnet sind, dass die Seitenmomente während eines
Abschnittes der Absinkflugphase nahe null sind. Die Seitenmomente sind gleich null,
wenn der Luftangriffspunkt mit dem Schwerpunkt des Geschosses zusammenfällt.
[0014] Alternativ ausgedrückt beruhen die Vorteile der Erfindung auf der Idee der Erfindung,
dass die Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel derart ausgebildet und hinter dem Schwerpunkt
in Heckrichtung am Lenkgeschoss angeordnet sind, dass während eines Abschnittes der
Absinkflugphase der Luftangriffspunkt mit dem Schwerpunkt des Geschosses nahezu zusammenfällt.
Wenn der Luftangriffspunkt mit dem Schwerpunkt des Geschosses zusammenfällt, sind
die Seitenmomente gleich null.
[0015] Hierzu sind die Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel derart ausgebildet und hinter
dem Schwerpunkt in Heckrichtung am Lenkgeschoss angeordnet, dass der Nickmomentanstiegs-Beiwert
Cmα des Lenkgeschosses im Bereich von ± 0,5 liegt. Dieser Bereich zwischen -0,5 bis +0,5
bedeutet, dass die Seitenmomente, genauer gesagt die statischen Seitenmomente, was
im Rahmen der Ausführungsbeispiele noch genauer erläutert wird, nahe null sind. Anders
ausgedrückt bedeutet dies, dass der Luftangriffspunkt, genauer gesagt der statische
Luftangriffspunkt, und der Schwerpunkt nahezu zusammenfallen. Der genannte Bereich
von ± 0,5 des Nickmomentanstiegs-Beiwerts
Cmα des Lenkgeschosses liegt dann vor, wenn
- a) erstens das Lenkgeschoss eine Geschwindigkeit aufweist, die im Geschwindigkeitsbereich
von Mach 0,4 bis 0,8 liegt. Wegen der Abhängigkeit von der Geschwindigkeit können
die Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel nur für eine bestimmte Geschwindigkeit optimiert
werden. Weil die Geschwindigkeit in der gelenkten Phase überwiegend in dem Geschwindigkeitsbereich
von Mach 0,4 bis 0,8 liegt, optimiert man die Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel auf
eine Geschwindigkeit in dem genannten Geschwindigkeitsbereich.
- b) zweitens die Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel sich in ihrer aufgeklappter Stellung
befinden, wie dies in der Lenkphase der Fall ist.
- c) drittens die Canard-Lenkeinrichtung keine Lenkmomente ausübt. Denn Lenkmomente
der Canard-Lenkeinrichtung verändern die Seitenmomente und damit den Nickmomentanstiegs-Beiwert
Cmα des Lenkgeschosses. Entsprechend sollen die niedrigen Nickmomentanstiegs-Beiwerte
Cmα dann gelten, wenn die Canard-lenkeinrichtung sich neutral verhält.
[0016] Die Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel bewirken ein natürliches Gleiten des Lenkgeschosses
und ein Verhalten wie ein nahezu perfekter Kreisel, weil die Seitenmomente nahezu
fehlen. Ein optimaler Anströmwinkel, einstellbar mit der Canard-Lenkeinrichtung, maximiert
die Reichweite. Einzelheiten hierzu sind im Ausführungsbeispiel aufgeführt.
[0017] Weil das Lenkgeschoss natürlich gleitet und weil sich das Lenkgeschoss nahezu wie
ein perfekter Kreisel verhält, sind nur geringe Stellkräfte der Canard-Lenkeinrichtung
erforderlich. Dies bedeutet, dass nur kleine Canard-Lenkflügel erforderlich sind,
die nur geringfügig den Luftwiderstand erhöhen, was wiederum die Reichweite erhöht.
[0018] Die Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel bilden Auftriebsflächen und erhöhen dadurch
die Reichweite.
[0019] Gemäß einer vorteilhaften Ausgestaltung der Erfindung liegt der Nickmomentanstiegs-Beiwert
Cmα des Lenkgeschosses nicht nur dann im Bereich von ± 0,5, wenn
- das Lenkgeschoss eine Geschwindigkeit aufweist, nachfolgend Auslegungsgeschwindigkeit
genannt, die im Geschwindigkeitsbereich von Mach 0,4 bis 0,8 liegt, sondern auch
- in einem gesamten Geschwindigkeitsbereich, der von der Auslegungsgeschwindigkeit minus
einer Geschwindigkeit von Mach 0,1 bis zu der Auslegungsgeschwindigkeit plus einer
Geschwindigkeit von Mach 0,1 reicht. Desto größer der Geschwindigkeitsbereich ist,
für den niedrige Nickmomentanstiegs-Beiwerte Cmα realisiert werden, desto größer ist die Reichweite des Lenkgeschosses.
[0020] Gemäß einer weiteren vorteilhaften Ausgestaltung der Erfindung weisen die die Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel
jeweils ein Befestigungsende auf und der axiale Abstand zwischen den Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügeln,
gemessen an der Mitte des Befestigungsendes, und dem Schwerpunkt S beträgt das 0,01-fache
bis 1,0-fache des Kalibers. Innerhalb des angegebenen axialen Abstandsbereiches ist
es möglich, dass der Nickmomentanstiegs-Beiwert
Cmα des Lenkgeschosses auf kleine Werte reduziert werden kann.
[0021] Gemäß einer weiteren vorteilhaften Ausgestaltung der Erfindung ragt jeder Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel
in ausgeklappter Stellung mit einer radialen Erstreckung über den Mantel des Lenkgeschosses
hinaus, derart, dass die radiale Erstreckung das 0,8- bis 2-fache des Kalibers des
Lenkgeschosses beträgt. Die Höhe der radialen Erstreckung der Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel
über den Mantel des Lenkgeschosses hinaus ist ein wichtiger Parameter. Lange Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel
erhöhen den Auftrieb, aber auch den Luftwiderstand. Ferner darf die lokale Geschwindigkeit
an der äußeren Spitze der Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel nicht nahe Mach 1 sein,
weil sonst der Luftwiderstand zu hoch wäre. Die lokale Geschwindigkeit an der äußeren
Spitze der Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel legt man auf weniger als Mach 1 aus.
So erklärt sich die angegebene radiale Erstreckung des 0,8- bis 2-fachen des Kalibers.
Im Rahmen der Ausführungsbeispiele wird noch genauer hierauf eingegangen.
[0022] Gemäß einer weiteren vorteilhaften Ausgestaltung sind die Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel
derart nach Propellerart verschränkt, dass zumindest während eines Abschnittes der
Absinkflugphase rotatorische Energie in translatorische Energie umgesetzt wird und
dass mindestens hierbei die Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel drehfest mit dem Lenkgeschoss
verbunden sind. Hierdurch erhöht sich zum einen die Reichweite, weil die translatorische
Geschwindigkeit erhöht wird unter Abnahme der rotatorischen Geschwindigkeit. Ferner
wird die Pseudo-Magnuskraft reduziert, weil das Flügelprofil dem örtlichen Geschwindigkeitsvektor
folgt.
[0023] Gemäß einer weiteren vorteilhaften Ausgestaltung sind die Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel
rollentkoppelt gelagert. Die Rollentkoppelung der Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel
reduziert die Drehrate der Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel und damit auch die Pseudo-Magnuseffekte,
die von der Höhe der Drehrate der Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel abhängig sind.
[0024] Gemäß einer weiteren vorteilhaften Ausgestaltung weist das Lenkgeschoss ausschließlich
die Canard-Lenkflügel und die Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel auf. Dies vereinfacht
die Ausbildung und Auslegung des Lenkgeschosses.
[0025] Gemäß einer weiteren vorteilhaften Ausgestaltung ist die Canard-Lenkeinrichtung so
ausgebildet, dass die Canard-Lenkflügeln ausfahrbar und einfahrbar sind. In der eingefahrenen
Stellung ist der Luftwiderstand niedrig und die Reichweite erhöht. Eingefahren sind
die Canard-Lenkflügel in der ballistischen Aufstiegsphase und auch während der Lenkphase,
wenn keine Korrektur der Flugbahn notwendig ist.
[0026] Ausführungsbeispiele der Erfindung werden nachfolgend an Hand der Zeichnungen näher
beschrieben. Hierbei zeigen jeweils als Prinzipskizzen:
Fig. 1 ein Lenkgeschoss mit Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügeln, in perspektivischer
Darstellung;
Fig. 2 das in Fig. 1 gezeigte Lenkgeschoss mit Eintragungen für Erläuterungen, in
der Vorderansicht;
Fig. 3 einen Verlauf einer Flugbahn des in den Fig. 1 und 2 gezeigten Lenkgeschosses.
Lenkgeschoss mit Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügeln
[0027] Die Fig. 1 zeigt ein Lenkgeschoss 1. Das Lenkgeschoss 1 ist so ausgebildet, dass
es über die gesamte Flugphase drallstabilisiert ist. Das Lenkgeschoss 1 umfasst eine
Nase 2 mit einer Canard-Lenkeinrichtung 20 mit Canard-Lenkflügeln 21. Das Lenkgeschoss
1 ist ein großkalibriges Vollkalibergeschoss des Kalibers 155 mm. In Abweichung zum
dargestellten Ausführungsbeispiel könnte das Kaliber auch andere Werte betragen. Das
Lenkgeschoss 1 weist aufklappbare, überkalibrige Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel
10 auf, deren Funktion noch ausführlich beschrieben wird.
Canard-Lenkeinrichtung
[0028] Die Canard-Lenkeinrichtung 20 ist rollentkoppelt und über einen Axialmotor antreibbar.
Ferner ist die Canard-Lenkeinrichtung 20 Teil eines Leit-, Navigations- und Kontrollsystems.
Die Canard-Lenkeinrichtung 20 ist so ausgebildet, dass die Canard-Lenkflügel 21 mehr
oder weniger weit ausfahrbar und einfahrbar sind. In der eingefahrenen Stellung ist
der Luftwiderstand reduziert. In ausgefahrenen Stellungen eines Canard-Lenkflügels
21 werden Lenkkräfte erzeugt. Die Canard-Lenkflügel 21 werden eingesetzt, um den in
Fig. 2 eingezeichneten Anströmwinkel α gemäß Berechnungen nach den Lenkungsregeln
so einzustellen, dass das Ziel getroffen wird. Der Anströmwinkel α ist der Winkel
zwischen der Symmetrieachse r des Lenkgeschosses 1 und dem Geschwindigkeitsvektor
v. Alternativ können auch Canardflügel zur Rolfentkopplung und Einstellung des Rollwinkels
verwendet werden. Wiederum alternativ können andere Konzepte von Canard-Lenkeinrichtungen
verwendet werden, wie sie zahlreich aus dem Stand der Technik bekannt sind.
Flugphasen
[0029] Die Fig. 3 illustriert die verschiedenen Phasen der Flugbahn. Einer ballistischen
Aufstiegsphase B schließt sich eine Absinkflugphase F an. Die Absinkflugphase F setzt
sich aus einer Aufklappphase K und einer Lenkphase G zusammen. Die Fig. 3 stellt ein
Koordinatensystem dar, in dem die Höhe a über die Reichweite w aufgetragen ist.
[0030] Ballistische Aufstiegsphase B: Die Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel 10 sind während
der Beschleunigung im Waffenrohr und des ballistischen Fluges bis zum Erreichen des
Höhepunktes der Flugbahn in ihrer eingeklappten Stellung. Die rollentkoppelte Lenkeinrichtung
20 ist mit dem übrigen Lenkgeschoss 1 zunächst blockiert, so dass die rollentkoppelte
Lenkeinrichtung 20 mit der gleichen Drehrate rotiert wie das übrige Lenkgeschoss 1.
Alternativ kann die Lenkeinrichtung 20 bereits in der ballistischen Aufstiegsphase
B rollentkoppelt sein. Das Lenkgeschoss 1 ist während der gesamten ballistischen Aufstiegsphase
8, bei der die Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel 10 eingeklappt sind, mit einer hohen
Drehrate dralistabilisiert.
[0031] Aufklappphase K: Nahe hinter dem Höhepunkt der Flugbahn wird das Leit-, Navigations-
und Kontrollsystem aktiviert. Die Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel 10 klappen auf.
Die Drehblockade der Canard-Lenkeinrichtung 20 wird freigegeben. Das Leit-, Navigations-
und Kontrollsystem berechnet einen Soll-Rollwinkel und stellt sicher, dass die Nase
2 des Lenkgeschosses 1 mit Hilfe des Axialmotors dem Soll-Rollwinkel folgt. Andere
Konzepte einer Canard-Lenkeinrichtung ohne Axialmotor können auch eingesetzt werden,
wobei Flügel der Canard-Lenkeinrichtung den Soll-Rollwinkel einstellen.
[0032] Lenkphase G: Nach der Aufklappphase K sind die Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel
10 vollständig aufgeklappt. Während der Lenkphase G verbleiben die Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel
10 in ihrer vollständig aufgeklappten Stellung. Die Canard-Lenkeinrichtung 20 ist
aktiv. Unter Beibehaltung eines gerechneten Rollwinkels werden Lenkkräfte dadurch
erzeugt, dass die einzelnen Canard-Lenkflügel 21 mehr oder weniger weit ausgefahren
oder eingefahren werden.
Technische Ausbildung des Lenkgeschosses zur Erhöhung der Reichweite
[0033] Nachfolgend wird auf die Fig. 2 eingegangen. Das Lenkgeschoss 1 weist aufklappbare,
überkalibrige Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel 10 auf, die derart ausgebildet und
derart hinter dem Schwerpunkt S in Heckrichtung am Lenkgeschoss 1 angeordnet sind,
dass der Nickmomentanstiegs-Beiwert
Cmα des Lenkgeschosses 1 im Bereich von ± 0,5 liegt, wenn
- das Lenkgeschoss 1 eine Geschwindigkeit aufweist, die im Geschwindigkeitsbereich von
Mach 0,4 bis 0,8 liegt,
- die Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel 10 sich in ihrer aufgeklappter Stellung befinden
und
- die Canard-Lenkeinrichtung 20 keine Lenkmomente ausübt.
Erhöhung der Reichweite des Lenkgeschosses
[0034] Grundsätzlich gilt, wenn kein Seitenmoment auf ein drallstabilisiertes Lenkgeschoss
1 ausgeübt wird, Giermomente gleich null sind und keine Lenkung des Lenkgeschosses
1 erfolgt, wird theoretisch eine Gleichgewichtslage erreicht. In der Gleichgewichtslage
bildet die Winkelstellung der Symmetrieachse r und der Geschwindigkeitsvektor v auf
natürliche Art und Weise einen Anströmwinkel α, wobei der Geschwindigkeitsvektor v
der Flugbahnkurve entsprechend der Gravitationskraft folgt. Der Anströmwinkel α ist
keine konstante Größe und würde in der Lenkphase G zunehmen, wenn die Canard-Lenkeinrichtung
keine korrigierende Lenkkräfte ausüben würde. Da sowohl der Auftrieb als auch der
Luftwiderstand mit zunehmendem Anströmwinkel α ansteigen, gibt es einen optimalen
Anströmwinkel α, der die Reichweite maximiert. Angenähert ist der optimale Anströmwinkel
derjenige Anströmwinkel mit dem besten Auftriebs-zu-Luftwiderstands-Verhältnis.
[0035] Trotz der Seitenmomenten-Reduzlerungs-Flügel 10 verbleiben in der Praxis restliche
kleine Nick- und Giermomente. Jedoch brauchen die Carlard-Lenkflügel 21 keine hohen
Lenkmomente zu erzeugen, um einen optimalen Anströmwinkel α zwischen der Symmetrieachse
r und dem Geschwindigkeitsvektor v einzustellen, damit große Reichweiten erzielt werden.
[0036] Für ein besseres Verständnis zum Vorgenannten wird nachfolgend auf die Zerlegung
der aerodynamischen Momente eingegangen. Bezogen auf die Symmetrieachse r kann das
resultierende aerodynamische Moment in eine Roll-, Nick-, und Gierkomponente zerlegt
werden. Das seitliche Nickmoment kann weiter in eine Summe eines statischen Terms,
dem sogenannten statischen Nickmoment, einem Dämpfungsterm und einem dynamischen Term,
dem sogenannten Pseudo-Magnusmoment, zerlegt werden. Entsprechendes gilt für das seitliche
Giermoment. Die Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel 10 sind so angeordnet und ausgebildet,
dass der statische Luftangriffspunkt D (hiermit ist der Luftangriffspunkt der statischen
aerodynamischen Kräfte des Geschosses, sowohl die Luftwiderstands- als auch die Auftriebskräfte,
gemeint) möglichst mit dem Schwerpunkt S des Geschosses 1 zusammenfällt, wenn die
Canard-Lenkflügel 21 eingefahren sind. Dadurch gehen die statischen Nick- und Giermomente
auf nahe null zurück. Als Nick- und Giermomente verbleiben nur noch die Dämpfungs-
und Pseudo-Magnus-Terme, Die Dämpfungs-Terme der Nick- und Giermomente tragen zur
Stabilität der Symmetrieachse r des Lenkgeschosses 1 bei. Die Pseudo-Magnus-Terme
werden reduziert, indem entweder propellerartig verschränkte, nicht rollentkoppelte
oder rollentkoppelte Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel verwendet werden, worauf nachfolgend
noch eingegangen wird. Weil alle aerodynamischen Kräfte von der Machzahl abhängen,
sind die statischen Nick- und Giermomente nur während eines Abschnittes der Absinkflugphase
F nahe null.
[0037] Wenn die statischen Nick- und Giermomente aufgrund der Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel
10 nahe null sind und die Pseudo-Magnus-Momente reduziert sind, dann sind die gesamten
seitlichen aerodynamischen Momente sehr klein und sehr reduziert im Vergleich zu einem
klassischen 155-mm-Geschoss. In diesem Fall wird sich das Lenkgeschoss 1 fast wie
ein perfekter Kreisel verhalten und die Symmetrieachse r des Lenkgeschosses 1 verbleibt
nahezu in der gleichen Richtung. In der Absinkflugphase F hat man eine Situation mit
einer nahezu konstant bleibenden Symmetrieachse r des Lenkgeschosses 1 und einer gekrümmten
Flugbahn entsprechend der Schwerkraft. Auf natürliche Art und Weise stellt sich ein
Anströmwinkel α ein, der dazu führt, dass das Lenkgeschoss 1 gleitet, in dem sich
nach oben gerichtete, vertikale Auftriebskräfte am Lenkgeschoss ausbilden, so dass
die Reichweite erhöht ist. Je kleiner der Neigungswinkel der Flugbahn Ist, desto größer
ist die Reichweite.
[0038] Dies bestätigt die Theorie der klassischen Aeroballistik. In der klassischen Aeroballistik
wird der Anströmwinkel α mit Hilfe der Summe von 3 drei Termen abgebildet: Erstens
der Gleichgewichtsanstellwinkel-Term (in der englischsprachiger Fachliteratur ist
der Gleichgewichtsanstellwinkel bezeichnet mit "yaw of repose"), zweitens der Präzessions-Term
und drittens der Nutations-Term. Aus mathematischer Sicht ist der Gleichgewichtsanstellwinkel
("yaw of repose") eine komplexe Größe umfassend den senkrechten Anströmwinkel (im
Englischen bezeichnet mit "vertical incidence angle") und den seitlichen Verschiebewinkel
(im Englischen bezeichnet mit: "lateral sideslip angle"). Im Falle eines herkömmlichen
ballistischen 155-mm-Geschosses ohne Canardflügel ist der Gleichgewithtsanstellwinkel
("yaw of repose") in der Nähe des Höhepunktes der Flugbahn ein seitlicher Verschiebewinkel
("lateral sideslip angle"), der zu einer seitlichen Verschiebekraft (im Englischen
bezeichnet mit "lateral lift force") und damit zu einer seitlichen Ablenkung eines
konventionellen ballistischen 155-mm-Geschosses führt. Da die statischen Seitenmomente
auf Werte nahe null gebracht werden, wandelt sich theoretisch der seitliche Verschiebewinkel
("lateral sideslip angle") In einen vertikalen Anströmwinkel um, der die
Reichweite erhöht.
Ermittlung der genauen Anordnung der Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel 10
[0039] In der Realität sind die aerodynamischen Momente von den Flugkonditionen abhängig.
Es wäre möglich, die statischen aerodynamischen seitlichen Momente über eine lange
Zeitdauer auf nahe Null zu halten, indem man während der Absinkflugphase F die Geometrie
der Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel 10 oder deren Pfeilungswinkel verändern würde.
Dies würde jedoch zusätzliche Motoren benötigen, die das Lenkgeschoss 1 zu sehr verteuern
und zu sehr verkomplizieren würden. Möglich ist es aber, die statischen seitlichen
aerodynamischen Momente während eines Abschnittes der Flugkurve der Lenkungsphase
G auf nahe null zu bringen.
[0040] Um die statischen seitlichen aerodynamischen Momente auf nahe null zu reduzieren,
werden die Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel 10 in Abhängigkeit von deren Flügelgröße
und Geometrie an sorgfältig ermittelten Stellen am Lenkgeschoss 1 angeordnet. Zur
Minimierung des Nick- und Giermomentes werden die Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel
10 leicht in den hinteren Schwerpunktbereich angeordnet, um das Moment der Normalkraft
der Luftangriffskraft am Rumpf auszugleichen, deren Luftangriffspunkt im vorderen
Schwerpunktbereich liegt. Die Position der Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel 10 wird,
wie vorher ausgeführt, für die Lenkphase G optimiert, die eine Unterschall-Flugphase
ist. Die Ausbildung der Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel 10 und die Ermittlung der
genauen Anordnung der Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel 10 erfolgt in mehreren Schritten:
- Eine erste Ausbildung und Anordnung von Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügeln 10 wird
so gewählt, dass der Nickmomentanstiegs-Beiwert Cmα (pitching moment derivative coefficient) des Lenkgeschoss 1 für einen ausgewählten
Punkt der Flugbahn der Lenkphase gleich null ist. Der ausgewählte Punkt liegt in einem
für großkalibrige Lenkgeschosse typischen Geschwindigkeitsbereich von Mach 0,4 bis
0,8. Die gewählte Geschwindigkeit, oder anders ausgedrückt, die Auslegungsgeschwindigkeit
ist im vorliegenden Beispiel Mach 0,6. Alternativ hätte auch eine andere Auslegungsgeschwindigkeit
im Geschwlndigkeitsbereich von Mach 0,4 bis 0,8 gewählt werden können. In Fig. 3 sind
zur Illustration die Punkte PV=M0,8, PV=M0,6 und PV=M0,4 eingezeichnet.
- Weil die aerodynamischen Beiwert von der Machzahl abhängen, wird die erste Ausbildung
und Anordnung von Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel 10 derart optimiert, dass der
Nickmomentanstiegs-Beiwert Cmα des Lenkgeschosses 1 nicht nur dann im Bereich von ± 0,5 liegt, wenn
- das Lenkgeschoss 1 seine Auslegungsgeschwindigkeit, die im Geschwindigkeitsbereich
von Mach 0,4 bis 0,8 liegt, aufweist, sondern auch
- In einem gesamten Geschwindigkeitsbereich, der von der Auslegungsgeschwindigkeit minus
einer Geschwindigkeit von Mach 0,1 bis zu der Auslegungsgeschwindigkeit plus einer
Geschwindigkeit von Mach 0,1 reicht. Bezogen auf das vorliegende Beispiel bedeutet
dies, das im gesamten Geschwindigkeitsbereich von Mach 0,5 bis Mach 0,7 die niedrigen
Nickmomentanstiegs-Beiwert Cmα des Lenkgeschosses gelten.
- In einem letzten Schritt kann die Ausbildung und Anordnung der Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel
10 noch derart weiter optimiert werden, dass möglichst niedrige Nickmomentanstiegs-Beiwerte
Cmα des Lenkgeschosses für die gesamte Lenkphase G erzielt werden.
[0041] Die Werkzeuge zur Ausbildung und Anordnung der Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel
10 sind:
- Verwendung von aerodynamischen Vorhersage-Computerprogrammen (semi-empirical aerodynamics
prediction codes, aerodynamic coefficient estimation tools),
- Simulationen (computational fluid dynamics (CFD)- simulations),
- Windkanal-Messungen,
- Flugversuche im Freien.
[0042] Wenn der Nickmomentanstiegs-Beiwert
Cmα im Bereich zwischen -0,5 bis 0,5 liegt, dann ist auch der Abstand zwischen dem statischen
Luftangriffspunkt D und dem Schwerpunkt S sehr klein. Dieser Abstand ist kleiner als
das 0,05 -fache des Kalibers. Bezogen auf das Ausführungsbeispiel eines 155-mm-Geschosses
ist der Abstand kleiner als 8 mm.
[0043] Dies geht aus der nachfolgenden Formel hervor:

[0044] Hierbei sind:
x der Abstand zwischen dem statischen Luftangriffspunkt D und dem Schwerpunkt S;
d das Kaliber;
Cmα der Nickmomentanstiegs-Beiwert (pitching moment derivative coefficient), der maximal
± 0,5 betragen soll, wobei in der Formel der obere positive Grenzwert in Höhe von
0,5 eingesetzt wurde;
CNα der Normalkraftanstiegs-Beiwert (normal force derivative coefficient), der in der
Größenordnung von 10 liegt.
Propellerartige Verschränkung und drehfeste Anordnung der Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel
zur Geschwindlgkeitserhöhung und Reduzierung der Pseudo-Magnuseffekte
[0045] Wie in Fig. 1 angedeutet, sind die Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel 10 nach Propellerart
verschränkt. Zumindest wird während eines Abschnittes der Absinkflugphase F rotatorische
Energie in translatorische Energie umgesetzt, wenn, wie nachfolgend noch ausgeführt,
die Drehgeschwindigkeit höher ist als die Ausgleichsrotationsgeschwindigkeit. Mindestens
hierbei sind die Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel 10 drehfest mit dem Lenkgeschoss
1 verbunden. Die Pseudo-Magnuseffekte bewirken in Abhängigkeit von der Größe des örtlichen
Anströmwinkel Kräfte und Momente an den Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügeln 10. Der
örtliche Anströmwinkel ist durch die propellerartige Verschränkung der Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel
10 reduziert, da hlerbei das Flügelprofil dem örtlichen Geschwindigkeitsvektor folgt.
Berechnung der propellerartigen Verschränkung der Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel
10
[0046] Die Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel sind so verschränkt, dass jeder Querschnitt
eines Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel in einem Abstand von der Symmetrieachse r
des Lenkgeschosses einen Winkel a
i zur Achse gemäß folgender Gleichung bildet: tan a
i = η W/V, wobei W der Drehgeschwindigkeit (in rad/s) und V der Geschossgeschwindigkeit
entspricht. Beispiel für ein 155-mm-Geschoss bei V= 270 m/s und W = 628 rad/s (100
Hz):
- Der Winkel liegt bei 10,15°am unteren Teil des Tragflügels (η = 0,0775 m).
- Der Winkel beträgt 35,6° in einem Abstand des zweifachen Kalibers d von der Symmetrieachse
r (η = 2d).
[0047] Das heißt, dass in jedem Abstand η von der Symmetrieachse r des Lenkgeschosses der
Querschnitt des Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügels 10 kollinear zum Geschwindigkeitsvektor
ist, der sich aus der Geschossgeschwindigkeit und der Umfangsgeschwindigkeit ergibt.
Neben der Minimierung des Pseudo-Magnus-Momentes wird hiermit das Verhältnis von Auftrieb
zu Widerstand verbessert. Bei der Reduzierung der Drehgeschwindigkeit kommt es zur
Ausübung einer Zugkraft. Wenn während der Übergangsphase nach Ausfahren derSeitenmomenten-Reduzierungs-Flügel
10 die Drehgeschwindigkeit höher als eine Ausgleichsrotationsgeschwindigkeit ist,
wird das Lenkgeschoss 7. gezogen, bis die Ausgleichs-Rotationsgeschwindigkeit erreicht
ist. Die Zugkraft an den Seftenmomenten-Reduzierungs-Flügeln 10 reduziert den Luftwiderstand
am Lenkgeschoss 1 und verbessert das Auftriebs- zu Luftwiderstandsverhältnis, wodurch
die Reichweite erhöht ist.
Alternative zur propellerartigen Verschränkung und drehfester Anordnung der Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel;
Rollentkopplung
[0048] In Abweichung zum dargestellten Ausführungsbeispiel können die Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel
10 auch rollentkoppelt gelagert sein. Hierbei können die Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel
10 gerade, also nicht verschränkt, oder propellerartig verschränkt ausgebildet sein.
Eine propellerartig verschränkte Ausführung wählt man, wenn die Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel
10 rollentkoppelt mit einer durch die propellerartige Verschränkung vorgegebenen niedrigen
Ausgleichs-Rotationsgeschwindigkeit rotieren sollen. Durch die Rollentkopplung sind
die Drehrate und damit der Pseudo-Magnuseffekt stark erniedrigt.
Radiale Erstreckung der Seitenmomenten-Reduzierung-Flügel 10
[0049] Wie Fig. 2 illustriert, ragt jeder Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel 10 in ausgeklappter
Stellung mit einer radialen Erststreckung e über den Mantel des Lenkgeschosses 1 derart
hinaus, dass die radiale Erstreckung e im Bereich von dem 0,8- bis 2-fachen des Kalibers
d des Lenkgeschosses 1 liegt. Dies ist ein Kompromiss. Denn lange Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel
10 erhöhen den Auftrieb, aber auch den Luftwiderstand. Ferner darf die Geschwindigkeit
an der äußeren Spitze der Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel 10 nicht größer als Mach
1 sein, weil sonst der Luftwiderstand zu hoch wäre.
[0050] Für den Fall, dass die Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel nach Propellerart verschränkt
und die Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel drehfest mit dem Lenkgeschoss 1 verbunden
sind, gilt, dass die lokale Geschwindigkeit an der äußeren Spitze der Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel
10 sich vektoriell zusammensetzt aus der Geschossgeschwindigkeit und der Umfangsgeschwindigkeit
entsprechend der Drehrate. Um Werte von weniger als Mach 1 an den äußeren Spitzen
der Seltenmomenten-Reduzierungs-Flügel 10 zu erzielen, muss die Drehrate, die zu Beginn
der Absinkflugphase bei 200 bis 250 Umdrehungen pro Sekunde (Hz) liegt, reduziert
werden. Abhängig von der Geschossgeschwindigkeit ist eine Drehrate in der Größenordnung
von 50 bis 100 Hz anzustreben. Dies erreicht man durch eine mehr oder weniger große
propellerartige Verschränkung der Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel, die zu der gewünschten
Ausgleichs-Rotationsgeschwindigkeit führt. Mit der reduzierten Drehrate erniedrigt
sich die Kreiselstabilität des Lenkgeschosses. Deshalb ist die Drehrate unter Einbeziehung
der aerodynamischen Charakteristiken und der Leistungsfähigkeit des Leit-, Navigations-
und Kontrollsystem zum Stabilisieren des Lenkgeschoss zu optimieren.
[0051] Im Falle von drehentkoppelten Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügeln ist die Drehrate
dieser Flügel unabhängig von der Drehrate des übrigen Lenkgeschosses, so dass es nicht
notwendig ist, die Drehrate des Lenkgeschosses zu reduzieren.
Abstand der Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel 10 hinter dem Schwerpunkt S
[0052] Um einen Nickmomentanstiegs-Beiwert
Cmα im Bereich zwischen -0,5 bis 0,5 zu erhalten, beträgt der axiale Abstand b der Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel
10, gemessen an der Mitte des Befestigungsendes, und dem Schwerpunkt S das 0,01-fache
bis 1,0-fache des Kalibers d. Der axiale Abstand b wird auf der Höhe der Geschossmanteloberfläche
gemessen.
[0053] Der Abstand b fällt klein aus, wenn beispielsweise die radiale Erstreckung der Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel
10 groß ist. Der Abstand b fällt groß aus, wenn beispielsweise die radiale Erstreckung
der Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel 10 klein ist.
[0054] In Fig. 1 und in Fig. 3 ist dieser axiale Abstand zwischen Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel
10, gemessen an der Mitte des Befestigungsendes, und dem Schwerpunkt S zu groß gezeichnet
und daher nicht maßstabsgetreu.
Pfeilung der Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel
[0055] Die Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel 10 sind in der aufgeklappten Stellung gepfeilt
angeordnet, wobei die Pfeilung in Flugrichtung zeigt. Alternativ kann die Pfeilung
auch zum Heck zeigen. Alternativ können die Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel 10
in der aufgeklappten Stellung auch im rechten Winkel zur Symmetrieachse r des Lenkgeschosses
1 angeordnet werden.
Einzelheiten zum Lenkgeschoss
[0056] Wie Fig. 1 zeigt, weist das Lenkgeschoss 1 kein Heckleitwerk auf, weil das Lenkgeschoss
1 drallstabilisiert ist. Ferner weist das Lenkgeschoss 1 keinen Raketenmotor auf,
da die Reichweite mit Hilfe der Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel 10 ohnehin erhöht
ist und ein Raketenmotor die Komplexität und Kosten des Lenkgeschosses erhöhen würde.
Bezugszeichenliste
[0057]
1 Lenkgeschoss
2 Nase
10 Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel
20 Canard-Lenkeinrichtung
21 Canard-Lenkflügel
D statischer Luftangriffspunkt
S Schwerpunkt
r Symmetrieachse
v Geschwindigkeitsvektor
α Anströmwinkel
d Kaliber
b axialer Abstand zwischen dem Schwerpunkt und der Mitte des angelenkten Endes eines
Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügels
e radiale Erstreckung eines Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügels
B ballistische Aufstiegsphase
F Absinkflugphase
K Aufklappphase
G Lenkphase
a Höhe
w Reichweite
PV=M0,4 Punkt auf der Flugbahn, bei dem die Geschwindigkeit M 0,4 ist
PV=M0,6 Punkt auf der Flugbahn, bei dem die Geschwindigkeit M 0,6 ist
PV=M0,8 Punkt auf der Flugbahn, bei dem die Geschwindigkeit M 0,8 ist
1. Lenkgeschoss (1) mit folgenden Merkmalen:
a) das Lenkgeschoss (1) ist so ausgebildet, dass es über eine gesamte Flugbahn dralistabilisiert
ist,
b) das Lenkgeschoss (1) umfasst eine Nase (2) mit einer Canard-Lenkeinrichtung (20)
mit Canard-Lenkflügeln (21),
c) das Lenkgeschoss (1) ist ein großkalibriges Vollkalibergeschoss,
d) die Flugbahn des Lenkgeschoss (1) wird von aerodynamischen Beiwerten, wie von einem
Nickmomentanstiegs-Beiwert (Cmα), beeinflusst,
gekennzeichnet durch folgende Merkmale:
e) das Lenkgeschoss (1) weist aufklappbare, überkalibrige Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel
(10) auf,
f) die Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel (10) sind derart ausgebildet und derart
hinter dem Schwerpunkt (D) in Heckrichtung am Lenkgeschoss (1) angeordnet, dass der
Nickmomentanstiegs-Beiwert (Cmα) des Lenkgeschosses (1) im Bereich von ± 0,5 liegt, wenn
• das Lenkgeschoss (1) eine Geschwindigkeit aufweist, die im Geschwindigkeitsbereich
von Mach 0,4 bis 0,8 liegt,
• die Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel (10) sich in ihrer aufgeklappten Stellung
befinden und
• die Canard-Lenkeinrichtung (20) keine Lenkmomente ausübt.
2. Lenkgeschoss nach Anspruch 1,
dadurch gekennzeichnet,
dass der Nickmomentanstiegs-Beiwert (
Cmα) des Lenkgeschosses (1) nicht nur dann im Bereich von ± 0,5 liegt, wenn
• das Lenkgeschoss (1) eine Geschwindigkeit aufweist, nachfolgend Auslegungsgeschwindigkeit
genannt, die im Geschwindigkeitsbereich von Mach 0,4 bis 0,8 liegt, sondern auch
• in einem gesamten Geschwindigkeitsbereich, der von der Auslegungsgeschwindigkeit
minus einer Geschwindigkeit von Mach 0,1 bis zu der Auslegungsgeschwindigkeit plus
einer Geschwindigkeit von Mach 0,1 reicht.
3. Lenkgeschoss nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet,
dass die Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel (10) jeweils ein Befestigungsende aufweisen
und das der axiale Abstand (b) zwischen den Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügeln (10),
gemessen an der Mitte des Befestigungsendes und dem Schwerpunkt (S) dac 0,01-fache
bis 1,0-fache des kalibers (d) beträgt.
4. Lenkgeschoss (1) nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet,
dass jeder Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel (10) in ausgeklappter Stellung mit einer
radialen Erstreckung (e) über den Mantel (3) des Lenkgeschosses (1) hinausragt, derart,
dass die radiale Erstreckung (e) das 0,8- bis 2-fache des Kalibers (d) des Lenkgeschosses
(1) beträgt.
5. Lenkgeschoss (1) nach einem der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet,
dass die Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel (10) derart nach Propellerart verschränkt
sind, dass zumindest während eines Abschnittes in einer Absinkflugphase (F) rotatorische
Energie in translatorische Energie umgesetzt wird und dass mindestens hierbei die
Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel (10) drehfest mit dem Lenkgeschoss (1) verbunden
sind.
6. Lenkgeschoss (1) nach einem der Ansprüche bis 4, dadurch gekennzeichnet,
dass die Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel (10) rollentkoppelt gelagert sind.
7. Lenkgeschoss (1) nach einem der Ansprüche 1 bis 6, dadurch gekennzeichnet,
dass das Lenkgeschoss (1) neben den Canard-Lenkflügeln (21) und den Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügeln
(10) keine weiteren Flügel aufweist.
8. Lenkgeschoss (1) nach einem der Ansprüche 1 bis 7, dadurch gekennzeichnet,
dass die Canard-Lenkeinrichtung (20) so ausgebildet ist, dass die Canard-Lenkflügeln (21)
ausfahrbar und einfahrbar sind.
9. Lenkgeschoss (1) nach einem der Ansprüche 1 bis 8, dadurch gekennzeichnet,
dass Die Seitenmomementen-Reduzierungs-Flügel (10) so verschränkt sind, dass jeder Querschnitt
eines Seitenmomenten-Reduzierungs-Flügel in einem Abstand von der Symmetrieachse r
des Lenkgeschosses einen Winkel al zur Achse gemäß folgender Gleichung bildet: tan al = η W/V, wobei W der Drehgeschwindigkeit (in rad/s) und V der Geschossgeschwindigkeit
entspricht.