(19)
(11) EP 3 624 110 A1

(12) EUROPÄISCHE PATENTANMELDUNG

(43) Veröffentlichungstag:
18.03.2020  Patentblatt  2020/12

(21) Anmeldenummer: 19000405.1

(22) Anmeldetag:  12.09.2019
(51) Internationale Patentklassifikation (IPC): 
G10K 1/36(2006.01)
(84) Benannte Vertragsstaaten:
AL AT BE BG CH CY CZ DE DK EE ES FI FR GB GR HR HU IE IS IT LI LT LU LV MC MK MT NL NO PL PT RO RS SE SI SK SM TR
Benannte Erstreckungsstaaten:
BA ME
Benannte Validierungsstaaten:
KH MA MD TN

(30) Priorität: 13.09.2018 DE 102018007222

(71) Anmelder: Lorenz, Peter
86358 Neusäß (DE)

(72) Erfinder:
  • Lorenz, Peter
    86358 Neusäß (DE)

(74) Vertreter: Prünte, Peter 
Sparing Röhl Henseler Patentanwälte Gögginger Strasse 86
86199 Augsburg
86199 Augsburg (DE)

   


(54) LÄUTEANTRIEB FÜR EINE GLOCKE UND VERFAHREN ZUM LÄUTEN EINER GLOCKE


(57) Eine mit einer Gegenpendeleinrichtung ausgestattete Anordnung zum Läuten einer in einer an einer Glockenachse (5) aufgehängten Glocke (1) ist dadurch gekennzeichnet, dass die Gegenpendeleinrichtung wenigstens ein Gegenpendel (16, 17) umfasst, das gegenüber der Glockenachse (5) freischwingend gelagert ist, und dass das wenigstens eine Gegenpendel (16, 17) durch wenigstens einen Linearmotor (12, 13) angetrieben wird.




Beschreibung


[0001] Die Erfindung bezieht sich auf eine Anordnung zum Läuten einer in einer Tragvorrichtung gelagerten Glocke nach dem Oberbegriff des Patentanspruchs 1.

[0002] Zum Läuten werden Glocken in eine pendelnde Bewegung versetzt. Im eingeschwungenen Zustand schlägt dann ein Klöppel, der inmitten der Glocke aufgehängt ist, an den Schlagring der Glockenrippe an. Die Glocken sind in der Regel in Türmen, insbesondere in Kirchtürmen, aufgehängt, damit sie möglichst weit gehört werden.

[0003] Bei der Pendelbewegung entstehen horizontale und vertikale Lagerkräfte, die über die Glockenlagerung auf den Glockenturm übertragen werden. Diese Lagerkräfte wirken dementsprechend periodisch mit der Pendelfrequenz der Glocke auf den Turm. Dies führt dann zu einem kritischen Zustand, wenn die Biege-Eigenfrequenz des Glockenturms mit der Pendelfrequenz der Glocke oder einem Vielfachen davon übereinstimmt. Fälle, in denen die Biege-Eigenfrequenz des Glockenturms mit der Grundfrequenz der Pendelbewegung der Glocke oder einem Vielfachen, übereinstimmt, treten immer wieder auf.

[0004] Allerdings werden Glocken im Allgemeinen mit einem relativ großen Läutewinkel geläutet, der in der Regel zwischen 50° und 80° liegt, in einzelnen Fällen sogar darüber. Aufgrund der geometrischen Nichtlinearität enthalten die Lagerkräfte auch Anteile mit Vielfachen der Pendelfrequenz, d. h, höhere Harmonische. Dabei sind in den horizontalen Lagerkräften ungeradzahlige Vielfache der Pendelfrequenz enthalten, während bei den vertikalen Lagerkräften nur geradzahlige Vielfache der Pendelfrequenz vorkommen. Neben den horizontalen Lagerkräften führen bei exzentrischer Glockenlagerung auch die vertikalen Lagerkräfte zu Horizontalverschiebungen am Turm. Im Resonanzfall einer Harmonischen der Lagerkraft mit der ersten Biegeeigenfrequenz des Turmes kann es zu starken Schwingungen kommen. Diese Schwingungen können zu Rissbildungen oder sogar zur Zerstörung des Turmes führen.

[0005] Diese Erscheinung an sich ist bekannt. Zur Behebung dieses Problems hat man eine Reihe von Lösungen vorgeschlagen.

[0006] Aus DE 238 392 C und DE 249 776 C sind bereits Anordnungen zur Aufhebung der Seitenkräfte schwingender Glocken mittels Gegenpendeln bekannt geworden. Während gemäß DE 238 292 C vorgesehen wird, dass das gleiche statische Moment der synchron und in entgegengesetzter Phase schwingenden Gegenpendel bei kleinster Masse der Gegenpendel erreicht wird, wird durch DE 249 776 C ein entgegen der Glocke schwingendes Gegenpendel offenbart, dessen Masse um den Schwingungsmittelpunkt herum so zusammengedrängt sein soll, dass die Unterbringung der Gegenpendel in den Zwischenräumen zwischen Glocke und Glockenstuhlgestänge möglich sein soll.

[0007] Auch AT 3465 U1 offenbart eine Läuteeinrichtung mit einem Gegenpendel, das, in Richtung der Schwingungsebene der Glocke gesehen, links und rechts der Glocke angeordnete Pendelelemente aufweist. Wenn die Schwingungsachsen der Glocke und des Gegenpendels zusammen fallen, kompensieren sich die Kräfte der Glocke und des Gegenpendels nicht im Glockenstuhl, sondern unmittelbar in der gleichen Achse, Abstützende Gegenkräfte des Motors oder Umkehrgetriebe werden in das Tragwerk eingeleitet

[0008] Andererseits sind aus DE 44 36 905 A1 ein Verfahren und eine Einrichtung zur Steuerung für eine mit einem Linearmotor angetriebene, schwingende Last, also beispielsweise eine Glocke, mit einem Linearmotor bekannt, die ohne eine Kraftübertragung über Seile auf die Glocke funktioniert, indem ein Linearmotor sein Antriebsmoment über eine fest mit dem Glockenjoch verbundene Reaktionsschiene auf die Glocke überträgt. Das abstützende Moment wird hierbei in das Tragwerk eingeleitet.

[0009] Mit den bekannten Vorgehensweisen konnten die technischen Probleme des Glockenläutens nur in unvollkommener Weise gelöst werden. Beim Läuten von Glocken entstehen Seitenschubkräfte, die von dem Glockenstuhl auf das Mauerwerk des Turms übertragen werden.

[0010] Ein ideales akustisches Läuten, wie es in Mitteleuropa von den Glockensachverständigen erwünscht wird, wobei allerdings die Läutegewohnheiten unterschiedlich sind, ergibt sich, wenn die Glocke mit voller Masse betriebsbereit, unterhalb ihres Achsdrehpunktes aufgehängt ist. Abzüglich der Masse der Stahl- oder Holzachse ergibt sich für die Läuteglocke eine Massenverteilung von ca. 90 % zu10 % für die Stahl- oder Holzachse. Aus dieser Aufhängung ergibt sich bei optimaler Auslegung der Gewichtsverhältnisse des gekoppelten Pendels (Glocke/Klöppel) ein Klöppelanschlag (im Millisekundenbereich), der idealerweise bei aufsteigender, freischwingender Glocke bei voller Läutehöhe zur klanglichen Erregung der Glocke führt. Regelmäßig sich verändernde Winkelgeschwindigkeiten ergeben einen sich regelmäßig verändernden Dopplereffekt.

[0011] Die Nachteile dieser Aufhängung sind erhebliche Seitenschubkräfte auf Glockentürme und Tragwerksteile wie Glockenstühle, Schraubverbindungen, etc., die in der Regel zu erheblichen Baukosten führen, um der befürchteten Rissbildung und allmählichen Zerstörung der Bausubstanz entgegenzuwirken. Beim Eintreten einer Schwingungsresonanz werden die Seitenschubkräfte so stark, dass sie sogar zum Einsturz eines Turmes führen können.

[0012] Baudynamiker, Statiker und die DIN 4178 verlangen daher, dass nur wenig Seitenschub zugelassen wird und dass die Schwingungsfrequenzen einer Mehrzahl von Glocken einen ausreichenden Frequenzabstand haben. In der Regel werden Gegengewichte oberhalb der Glocke angebracht; zudem werden die Glocken oft in einer gekröpften Achse montiert, d.h., der Schwerpunkt der Glocke wird zum Drehpunkt hin verschoben. Beides führt zu erheblichen akustischen Nachteilen, insbesondere des Dopplereffektes und sogar bis zu einem Versagen des aus Glocke und Klöppel bestehenden Systems.

[0013] Die bekannten zwei Antriebsvarianten, nämlich ein Elektromotor, der auch ein Linearmotor sein kann, oder ein Seilrad, leiten ein Moment in das Tragwerk ein. In der Folge entstehen, insbesondere beim kontinuierlichen Läutebetrieb, aber auch während des Hochläutens Seitenschubkräfte, die eine Bewegung des Tragwerks hervorrufen, sowie nicht ideale Klöppelanschläge, ein verzögertes Rückschwingen des Baukörpers oder Tragwerkes, was wiederum zu verstärkten oder verzögerten Anschlägen der Glocke führt. Diese nicht idealen Anschläge führen zu einem vorzeitigen Verschleiß oder zur Zerstörung der Glocken. Aufgrund der hohen Seitenschübe ist eine elastischdämpfende Befestigung nicht möglich. In der Folge können Körperschallübertragungen entstehen.

[0014] Nach diesen Erkenntnissen der Problemstellungen sind die akustischen Ansprüche der Glockensachverständigen und die technischen Ansprüche der Statiker beim Bau von Glockenläuteanlagen also nicht miteinander vereinbar.

[0015] In Ausnahmefällen werden für das Aufheben der Seitenschubproblematik Gegenpendelanlagen eingebaut, in welchen ein gegenschwingendes Pendel die Seitenschubkräfte aufhebt, wie in der oben erwähnten AT 3465 U1 beschrieben wird. Diese Gegenpendelanlagen heben zwar die Seitenschubproblematik weitestgehend auf, haben jedoch auch wieder mehrere Nachteile; sie beanspruchen neben dem Glockenantrieb weiteren Platz und erfordern eine aufwändige Herstellung und Umbauten des Tragwerkes. Abstützende Kräfte werden bei diesen Konstruktionen weiterhin in die Turmbauwerke eingeleitet.

[0016] Durch den hierbei notwendigen Einsatz von Getriebe- oder Seilgetrieberädern entstehen zusätzliche Probleme: durch ungenau eingestellte Gegenpendel entstehen ungenau definierte Klöppelanschläge. Durch das Getriebe- oder Seilspiel steht dem Klöppel beim Anschlag an die freischwingende Glocke am oberen Wendepunkt eine sich verändernde Schwungmasse entgegen. Dadurch ist die ideale Gewichtsausiegung des Klöppels zum Glockengewicht, wie sie beispielsweise im Konferenzbericht zum 2. Glockensymposium ECC-ProBell vom 21. - 22. März 2018, herausgegeben von Andreas Rupp, Michael Plitzner, Göttingen, 2018,1. Auflage, gefordert wird, nicht möglich.

[0017] Die Seitenschubkräfte der Glocken, sowie unsaubere Klöppelanschläge, erfordern eine starre Befestigung der Lager. Dies führt aber in Verbindung mit zusätzlichen mechanischen Geräuschen zu starken Körperschallübertragungen in das Mauerwerk des Turmes und in das Kirchenschiff. Die zusätzlichen mechanischen Bauteile führen zu einem stärkeren Einspeisen von Energie, um das trägere und schwerere Läutesystem auf dem eingestellten Läutewinkel zu halten. In der Folge werden auch die anfangs beschriebenen abstützenden Momente der Antriebsmaschinen und Getriebe größer.

[0018] Es ist die Aufgabe der Erfindung, einen Läuteantrieb für eine Glocke zu schaffen, der dieses Problem löst.

[0019] Erfindungsgemäß wird diese Aufgabe gelöst, wie in Patentanspruch 1 angegeben.

[0020] Vorteilhafte Weiterbildungen der Erfindung ergeben sich aus den Unteransprüchen und der Beschreibung, insbesondere in Verbindung mit den Zeichnungen.

[0021] Erfindungsgemäß trägt das wenigstens eine Gegenpendel den Ständer oder Läufer des Linearmotors, die Glocke mit ihrer Achse den zugehörigen Läufer bzw. Ständer.

[0022] Vorzugsweise ist der Ständer oder Läufer des Linearmotors auf dem wenigstens einen Gegenpendel angebracht, und der Läufer bzw. Ständer des Linearmotors ist auf einer zusammen mit der Glocke verschwenkbaren, starr auf der Glockenachse verbundenen Halterung in der Nähe zu dem Gegenpendel angebracht. Durch die Kombination des Gegenpendels mit dem Antrieb, wobei das Gegenpendel einen Teil des Antriebs umfasst, wird eine gegenüber dem Stand der Technik eine sehr kompakte Bauweise, in Form eines Direktantriebs ohne ein Untersetzungsgetriebe ermöglicht

[0023] Eine erfindungsgemäße Anordnung mit einer Glocke beeinflusst keine anderen Glocken, so dass in diesen keine Undefinierten Klöppelanschläge wie z. B. Prellschläge, entstehen. Die Standsicherheit des Turms, in dem die Glocke aufgehängt ist, erhöht sich durch die von dem Gegenpendel erzeugte zusätzliche Gewichtskraft. Selbst ein Turmfundament, das durch die unerwünschten Schwingungen von Glocken, die sich auf den Turm übertragen haben, ausgewalkt oder destabilisiert ist, wird wieder durch die zusätzliche Gewichtskraft stabilisiert. Durch den Einsatz der Erfindung sind einfachere Tragwerkskonstruktionen des Turms und/oder des Glockenstuhls möglich.

[0024] Um die Verbiegung, Verwindung oder vertikale Torsion der die Glocke tragenden Achse in engen Grenzen zu halten, wird gemäß einer weiteren vorteilhaften Ausführungsform der Erfindung zu beiden Seiten seitlich der Glocke jeweils ein Gegenpendel angeordnet, von denen wenigstens eines einen Ständer oder einen Läufer eines Linearmotors trägt. Es wird dabei ein möglichst geringer Abstand zwischen der Glocke und den Gegenpendeln angestrebt, um in jedem Fall die Verbiegung der Achse auf einen möglichst kleinen Raum zu begrenzen.

[0025] Um möglicherweise bestehende Unterschiede in der Lagerreibung auszugleichen, werden die beiden Gegenpendel in einer Ausführungsform über einen Bügel miteinander verbunden. Alternativ können zu beiden Seiten der Glocke oder am Verbindungsbügel jeweils Linearmotoren als Antriebe vorhanden sein, die miteinander vollständig synchronisiert sind, auch wenn kein Bügel vorhanden ist. Dies setzt allerdings voraus, dass die Lagerreibung auf beiden Seiten identisch ist. Erfindungsgemäß wird in einer Ausgestaltung lediglich ein im Bereich des Bügels angeordneter Linearmotor vorgesehen; dadurch wird eine besonders kompakte Ausführungsform der Erfindung geschaffen.

[0026] Vorzugsweise ist das wenigstens eine Gegenpendel als physikalisches Pendel ausgebildet, dessen Masseverteilung der Masseverteilung der Glocke entspricht. Dies bedeutet, dass das Gegenpendel, bezogen auf seine Längsachse dieselbe Massenverteilung wie die Glocke aufweist. Um ein möglichst kompaktes Gegenpendel zu erhalten, wird dieses vorzugsweise ebenfalls aus Bronze, aus Blei oder aus preiswerteren, jedoch eine geringere Dichte aufweisenden Stahl, beispielsweise Edelstahl, hergestellt.

[0027] Um eine genaue Anpassung an die Massenverteilung der Glocke erreichen zu können und auch im eingebauten Zustand noch eine Feinjustierung zu ermöglichen, wird in einer weiteren vorteilhaften Ausgestaltung der Erfindung vorgesehen, dass das wenigstens eine Gegenpendel höhenverstellbar gegenüber der Achse angebracht ist.

[0028] Vorzugsweise weist wenigstens eines der Gegenpendel wenigstens eine Aufnahmevorrichtung zur Aufnahme eines Zusatzgewichts auf.

[0029] Zusätzlich lässt sich mit Vorteil vorsehen, dass der wenigstens eine Linearmotor mit einem Winkelsensor verbunden ist, der die Winkellage der Glocke ermittelt und dass der Linearmotor durch eine Regeleinrichtung in Abhängigkeit von der Winkellage der Glocke antreibbar ist. Dadurch lässt sich leicht ermitteln, welche Energiezufuhr erforderlich ist, um nach dem Einläutevorgang einen stationären Zustand zu erreichen oder bei welchem Glockenausschwung ein optimales Klangergebnis erreicht wird.

[0030] Die Erfindung bezieht sich auf ein Verfahren zum Läuten einer Glocke unter Einsatz einer Anordnung, wie sie vorstehend beschrieben wurde.

[0031] Durch die Erfindung werden somit eine Anordnung und ein Verfahren zu einem sogenannten idealen akustischen Läuten von Glocken geschaffen, wobei erfindungsgemäß keine abstützenden Momente in das Tragwerk eingeleitet werden und durch die schwingende Glocke erzeugte Seitenschubkräfte oder die von ihr hervorgerufene Unwucht vollständig kompensiert werden. Auch unpräzise Klöppelschläge werden unterbunden. Ebenso wird die Übertragung von Körperschall von der Glocke auf das Tragwerk und das Mauerwerk verhindert, ohne dass die akustischen Eigenschaften der Glocke verschlechtert werden.

[0032] Diese drei Auswirkungen stehen in einer direkten Abhängigkeit zueinander; d. h., die Seitenschubkräfte beeinflussen die Klöppelanschläge und die Übertragung des Körperschalls auf das Tragwerk und das Mauerwerk. Durch vollständige Kompensation des durch die Glockenbewegung ausgelösten Seitenschubs werden auch präzise Klöppelanschläge realisiert; Tragwerk und Mauerwerk werden keiner Schwingungsbelastung ausgesetzt. Die Entstehung von Rissen im Mauerwerk, die bis zur Zerstörung des Mauerwerks führen kann, wird vermieden.

[0033] Neben der Beseitigung der oben genannten technisch gravierenden Probleme werden durch den Einsatz der Erfindung alle von Glockensachverständigen gewünschten und geforderten, akustischen Vorteile erhalten. Durch das erfindungsgemäße antriebsmechanisch entkoppelte Gegenpendelläutesystem wird erreicht, dass die beim Läuten und Hochläuten eingeleiteten Energien und Momente für den Antrieb des Gegenpendels verwendet werden und daher nicht das Tragwerk beaufschlagen.

[0034] Durch die Erfindung wird eine Gegenpendelläuteanlage geschaffen, die als Läuteantrieb einen in die Läuteanlage integrierten Linearmotor verwendet; durch die Übertragung des von dem Linearmotor erzeugten Drehmoments auf das Gegenpendel und von diesem über die mit der Glocke gemeinsame Schwenkachse, auf der das Gegenpendel freischwingend hängt, wirkt nach dem dritten Newtonschen Axiom der actio des Gegenpendels bis auf eine nicht vermeidbare Lagerreibung die reactio der Glocke entgegen. Damit eine vollständige Kompensation der actio der Glocke erreicht werden kann, ist es erforderlich, dass das wenigstens eine Gegenpendel dieselbe Masse und, auf die senkrechte Achse der Glocke bezogen, dieselbe Massenverteilung wie die Glocke hat.

[0035] Nachstehend wird die Erfindung in Ausführungsbeispielen näher erläutert. Es zeigen:
Fig. 1
eine Vorderansicht einer über ein Joch auf einer Glockenachse aufgehängten Glocke, wobei die Glockenachse beidseitig jeweils ein gegenüber der Glockenachse frei schwingendes, jeweils von einem Linearmotor angetriebenes Gegenpendel trägt,
Fig. 2
eine seitliche Ansicht eines höhenverstellbaren Gegenpendels,
Fig. 3
eine seitliche Ansicht eines Gegenpendellagerbocks (gegenüber Fig. 1 und 2 vergrößert dargestellt) mit einer Höhenverstellung und Befestigungsbohrungen zur Verbindung mit dem Gegenpendel gemäß Fig. 2 und
Fig.4
eine Vorderansicht einer weiteren Glocke, die von zwei Linearmotoren angetrieben wird.


[0036] Eine Glocke 1 (Fig. 1) weist eine Krone 2 auf, die über Bänder 3 an einem Joch 4 befestigt ist, das seinerseits mit einer Schwenkachse 5 verbunden ist, so dass die Glocke 1 zusammen mit der Schwenkachse 5 schwingt. Die Schwenkachse 5 ist an beiden Seiten über Lager 6, 7 in einem (hier nicht dargestellten) Glockenstuhl gelagert, der die Tragvorrichtung für die Glocke 1 bildet.

[0037] Fest mit dem Joch 4 oder lediglich der Schwenkachse 5 selber verbunden sind Stangen 8, 9, die jeweils einen Ständer 10, 11 eines Linearmotors 12 bzw. 13 tragen. Die Läufer 14, 15 der Linearmotoren 12, 13 sind auf Gegenpendeln 16, 17 den Ständer 10, 11 gegenüberliegend aufgebracht.

[0038] Die Gegenpendel 16, 17 sind jeweils über Gleitlager 18, 19 eines Gegenpendellagerbocks, frei beweglich auf der Schwenkachse 5 gelagert. Durch Bestromen der Linearmotoren 12, 13 über (hier nicht dargestellte) elektrische Leitungen werden die Gegenpendel 16, 17 in eine Schwingungsbewegung versetzt, die aufgrund des dritten Newtonschen Axioms zu einer entgegengesetzten Schwingungsbewegung der Glocke 1 führt.

[0039] Die Ausführungsform mit zwei Gegenpendeln 16, 17 hat gegenüber einer Ausführung mit nur einem Gegenpendel den Vorteil, dass zu beiden Seiten der Glocke 1 die gleichen Momente wirken.

[0040] Um einen durch eventuell vorhandene Reibungsunterschiede in den Lagern 18, 19 der beiden Gegenpendel 16, 17 auszugleichen und von Anfang an eine vollständige Gleichmäßigkeit der Bewegung der beiden Gegenpendel 16, 17 zu bewirken, lassen sich diese über einen starren Verbindungsbügel 100 miteinander verbinden, der beispielsweise gekröpft ausgeführt sein kann.

[0041] Ein Gegenpendel 16 oder 17 hat bevorzugt eine im Querschnitt glockenförmige Form 20 wie das in Fig. 2 dargestellte Gegenpendel. Die Form 20 weist eine Ausnehmung 21 zur Aufnahme eines Ständers oder Läufers 22 eines Linearmotors auf. Über Langlöcher 23, 24 ist die Form 20 an einem Gegenpendellagerbock und der Schwenkachse 5 höhenverstellbar befestigt. Zusätzlich sind Bohrungen 25, 26 zur Aufnahme eines Zusatzgewichts vorhanden, um einen passenden Ausgleich der Masse und des Trägheitstensor gegenüber der Masse und dem Trägheitstensor der Glocke 1 einzustellen.

[0042] Eine Form 27 (Fig. 3) stellt einen Gegenpendellagerbock dar, der einen im Wesentlichen U-förmigen Aufbau aufweist. Die beiden U-Schenkel 28, 29 sind über einen Verbindungsbügel 30 miteinander verbunden. Der Gegenpendellagerblock ist mit einem Gegenpendelgleitlager 31 und einer durch zwei Langlöcher gebildeten Höhenverstellung 36, 37 ausgestattet. Bohrungen 32 und 33 dienen zur Befestigung des Verbindungsbügels 100 (s. Fig. 1). Bohrungen 34, 35 sind zur Fixierung des Gegenpendels 20 vorhanden. Das Gleitlager 31 wird zwischen der Achse 5 (s. Fig. 1) und einem Bronzering 38 gebildet, der über einen Stahlring 39 fest mit der Innenseite des Verbindungsbügels 30 verbunden ist. Das Material Bronze wurde gewählt, um eine Materialungleichheit zwischen der Achse 5 und dem Ring 38 zu schaffen. Wenn die Achse 5 aus Stahl besteht, verschleißt der Ring 38 durch die Gleitreibung schneller als die Achse 5 und kann dann ausgewechselt werden. Es versteht sich jedoch, dass sowohl die Achse 5 als auch der Ring 38 auch aus einem anderen, insbesondere härteren Material, gebildet sein können; es können auch beispielsweise andere Lager, etwa Kugellager, eingesetzt werden.

[0043] In einer weiteren Ausgestaltung der Erfindung ist vorgesehen, dass eine Glocke 1 (Fig. 4) zwar wie die in Fig. 1 dargestellte Glocke 1 ebenfalls mit zwei Gegenpendeln 16, 17 ausgestattet ist, dass jedoch nur auf der Seite des Gegenpendels 16 ein Linearmotor 12 vorgesehen ist, wobei in diesem Fall das Gegenpendel 16 einen Ständer 40 des Linearmotors 12 trägt, während ein Läufer 41 an der Stange 8 angebracht ist.

[0044] Anstelle des Linearmotors 13 (Fig. 1) ist gemäß dieser Ausführungsform der Erfindung ein Linearmotor 42 vorgesehen, dessen Ständer 43 auf der Oberseite der Bänder 3 angebracht, insbesondere mit diesen verschraubt, ist. Alternativ lässt sich der Ständer 43 auch in anderer Weise auf der Oberseite des Jochs 4 befestigen. Der Läufer 44 des Linearmotors 42 ist auf der Unterseite des Verbindungsbügels 100 angeordnet.

[0045] In einer anderen, hier nicht dargestellten Alternative ist lediglich ein einziger Linearmotor im Bereich des Verbindungsbügels 100 vorgesehen.

[0046] Erfindungsgemäß entsteht durch die Anordnung von zwei Pendelgewichten rechts und links der Glocke, die auf der gleichen Achse drehbar gelagert sind, eine Gegenpendelanlage.

[0047] Wenn an wenigstens einem der beiden frei schwingenden Pendelgewichte oder dem Verbindungsbügel ein Linearantrieb befestigt wird (für die Funktion ist es dabei unerheblich, ob Ständer und Läufer auf dem Pendelteil oder der Glocke befestigt sind), entsteht das erfindungsgemäße antriebsmechanisch entkoppelte Gegenpendelläutesystem.

[0048] Bei Verwendung von zwei höhenverstellbaren Gegenpendeln wird die Aufhebung aller Seitenschubkräfte erreicht, ohne die historische Bauform der Glocke zusammen mit dem Klöppel und der Holz- oder Stahlachse zu verändern.

[0049] Durch die Verwendung von zwei höhenverstellbaren Pendeln in Scheibenform und ihre Gleitlagereinheit, wie sie in Fig. 2 bzw. 3 dargestellt sind, mit einem Verbindungsbügel, der oben über Glocke und Achse geführt wird und dem (eventuell schon vorhandenen) Linearantriebsmotor (wie er Stand der Technik ist), wird bei dieser Bauform erreicht, dass eine unveränderte Läuteglocke ihre ideale Akustik hervorbringt, bei gleichzeitiger Aufhebung aller Seitenschubkräfte und der daraus resultierenden Folgeprobleme.

[0050] Durch die fehlenden ausweichenden Momente der Glocke sind bei dieser Konstruktion präzise Klöppelanschläge möglich. Die Rückschwingungen des Tragwerks oder der Türme sind dadurch ebenso beseitigt wie energetische Beeinflussungen von anderen, im Turm verbauten Glocken, was auch bei diesen zu präziseren Anschlägen führt. Damit wird die gewünschte Schonung von historischer Glockensubstanz ermöglicht, wie sie angestrebt wird. Durch die fehlenden Seitenschubkräfte ist es somit möglich, die Auflager der Glocken elastisch zu befestigen und dadurch Körperschallübertragungen zu vermeiden.

[0051] Es entfallen auch bis auf das Pendel, den Gleitlagerbock und das Pendellager, sämtliche mechanischen Zusatzbauteile und daraus resultierende Energieverluste durch Reibung mit den dazugehörigen Nebengeräuschen. Geräusche und Energieverluste, die durch Seitenschübe auf das Tragwerk entstehen, reduzieren sich ebenso erheblich.

[0052] Das antriebsmechanisch entkoppelte Gegenpendelläutesystem verwendet die eingespeiste Energie optimal zur Umwandlung in Schwung- und Schallfrequenzen. Minimale Energieumwandlungen in Lagerreibung (Glockenlager/ Gegenpendellager) führen mit dem Wechselschwung und der eingespeisten Energie beim Nulldurchgang (unteren Totpunkt) von Ständer und Läufer des Linearmotors, zu einem stabilen, synchronen Wechselspiel des Systems. Durch die Winkelspreizung beim Betrieb (Ständer und Läufer entfernen sich), ergibt sich eine Absicherung vor Überschwung oder Gleichschwung des Systems. Es ist damit möglich, eine Glocke ohne Veränderung im Grundaufbau ideal akustisch zu läuten und die oben genannten wesentlichen Probleme der herkömmlichen Glockenaufhängung, auch bei engsten Platzverhältnissen, zu beseitigen.


Ansprüche

1. Mit einer Gegenpendeleinrichtung ausgestattete Anordnung zum Läuten einer in einer an einer Glockenachse (5) aufgehängten Glocke (1), dadurch gekennzeichnet, dass die Gegenpendeleinrichtung wenigstens ein Gegenpendel (16, 17) umfasst, das gegenüber der Glockenachse (5) freischwingend gelagert ist, und dass das wenigstens eine Gegenpendel (16, 17) durch wenigstens einen Linearmotor (12, 13: 42) antreibbar ist.
 
2. Anordnung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass das wenigstens eine Gegenpendel (16, 17) oder ein mit dem wenigstens einen Gegenpendel (16, 17) verbundener Bügel (100) den Ständer oder Läufer (10, 11; 40 bzw. 14, 15; 41) des Linearmotors (12, 13) trägt.
 
3. Anordnung nach Anspruch 2, dadurch gekennzeichnet, dass der Ständer (10, 11; 40) oder Läufer (14, 15; 41) des Linearmotors (12, 13) auf dem wenigstens einen Gegenpendel (16, 17) angebracht ist und der Läufer (14, 15; 41) bzw. Ständer (10, 11; 40) des Linearmotors (12, 13) auf einer zusammen mit der Glocke (1) verschwenkbaren, starr auf der Glockenachse verbundenen Halterung (8, 9) in der Nähe zu dem Gegenpendel (16, 17) angebracht ist.
 
4. Anordnung nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, dass auf beiden Seiten seitlich der Glocke jeweils ein Gegenpendel (16, 17) angeordnet ist.
 
5. Anordnung nach Anspruch 4, dadurch gekennzeichnet, dass die beiden Gegenpendel (16, 17) über einen Bügel (100) miteinander verbunden sind.
 
6. Anordnung nach Anspruch 5, dadurch gekennzeichnet, dass im Bereich des Bügels (100) ein Linearmotor (42) angeordnet ist, wobei der Bügel (100) den Läufer (44) oder den Ständer des Linearmotors (42) trägt und gegenüberliegend der Ständer (43) bzw. der Läufer auf einem oberen Element des Jochs (4) der Glocke (1) oder auf der Oberseite von die Glocke (1) mit dem Joch (4) verbindenden Bändern angebracht ist.
 
7. Anordnung nach einem der Ansprüche 1 bis 6, dadurch gekennzeichnet, dass das wenigstens eine Gegenpendel (16, 17) als physikalisches Pendel ausgebildet ist, dessen Masseverteilung über der senkrechten Achse der Masseverteilung der Glocke (1) über der senkrechten Achse entspricht.
 
8. Anordnung nach Anspruch 7, dadurch gekennzeichnet, dass das wenigstens eine Gegenpendel (16, 17) höhenverstellbar gegenüber der Achse angebracht ist.
 
9. Anordnung nach einem der Ansprüche 1 bis 8, dass es wenigstens eine Aufnahmevorrichtung zur Aufnahme eines Zusatzgewichts aufweist.
 
10. Anordnung nach einem der Ansprüche 1 bis 9, dadurch gekennzeichnet, dass der wenigstens eine Linearmotor (16, 17) mit einem Winkelsensor verbunden ist, der die Winkellage der Glocke (1) ermittelt und dass der Linearmotor (16, 17) durch eine Regeleinrichtung in Abhängigkeit von der Winkellage der Glocke (1) antreibbar ist.
 
11. Verfahren zum Läuten einer Glocke (1) unter Einsatz einer Anordnung nach einem der Ansprüche 1 bis 10.
 




Zeichnung
















Recherchenbericht









Recherchenbericht




Angeführte Verweise

IN DER BESCHREIBUNG AUFGEFÜHRTE DOKUMENTE



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In der Beschreibung aufgeführte Patentdokumente




In der Beschreibung aufgeführte Nicht-Patentliteratur