(19)
(11) EP 2 617 647 A2

(12) EUROPÄISCHE PATENTANMELDUNG

(43) Veröffentlichungstag:
24.07.2013  Patentblatt  2013/30

(21) Anmeldenummer: 13000175.3

(22) Anmeldetag:  14.01.2013
(51) Internationale Patentklassifikation (IPC): 
B64D 1/06(2006.01)
B64D 1/12(2006.01)
(84) Benannte Vertragsstaaten:
AL AT BE BG CH CY CZ DE DK EE ES FI FR GB GR HR HU IE IS IT LI LT LU LV MC MK MT NL NO PL PT RO RS SE SI SK SM TR
Benannte Erstreckungsstaaten:
BA ME

(30) Priorität: 17.01.2012 DE 102012000775

(71) Anmelder: MBDA Deutschland GmbH
86529 Schrobenhausen (DE)

(72) Erfinder:
  • Klaffert, Thomas
    85356 Freising (DE)
  • Hetzer, Walter
    83043 Bad Aibling (DE)

   


(54) Ver- und Entriegelungssystem mit reversibler Auslösemöglichkeit zum vorteilhaften Einsatz in Stellsystemen (Aktoren)


(57) Ein Ver- und Entriegelungssystem mit reversibler Auslösbarkeit, mit zumindest einem Ver-/Entriegelungselement, das zwischen einer Verriegelungsposition und einer Entriegelungsposition bewegbar ist, zumindest einem Betätigungsorgan und zumindest einer auf das zumindest eine Ver-/Entriegelungselement einwirkenden Übertragungskinematik, wobei die Übertragungskinematik zumindest ein Kinematikglied aufweist, und so ausgebildet ist, dass sie zumindest zwei Totpunktlagen einnehmen kann, zeichnet sich dadurch aus, dass die Übertragungskinematik so ausgebildet ist, dass sie eine erste Totpunktlage in der Verriegelungsposition und eine zweite Totpunktlage in der Entriegelungsposition einnimmt, und dass zumindest eines der Kinematikglieder in zumindest einer kinematisch wirksamen Richtung derart dimensioniert ist, dass sich die Übertragungskinematik über ihre jeweilige Totpunktlage hinaus bewegen kann.




Beschreibung

TECHNISCHES GEBIET



[0001] Die vorliegende Erfindung betrifft ein Ver- und Entriegelungssystem gemäß dem Oberbegriff des Patentanspruchs 1.

HINTERGRUND DER ERFINDUNG



[0002] Stellsysteme (Aktoren) haben ein sehr breites Anwendungsspektrum (zum Beispiel Industrie- und Anlagenbereich, Luft- und Raumfahrt, Schiffsbau, Kfz-Bereich, Verteidigungstechnik). Stellsysteme haben im Einsatz zumeist zwei unterschiedliche, wiederholbar zu kommandierende Haupt-Betriebsarten: "Aktiviert" (geregelte Nachführung des Ausganges unter Last) und "Deaktiviert".

[0003] Im Zustand "Aktiviert" sind die Regelgrößen am Ausgang von Stellsystemen im allgemeinen mechanische Größen (zum Beispiel Weg, Winkel, Kraft, Drehmoment). Die dem Antrieb des Stellsystems (Leistungswandler) zugeführte Hilfsenergie, die beispielsweise elektrisch, hydraulisch oder pneumatisch sein kann, wird in mechanisches Arbeitsvermögen gewandelt. Moderne Stellsysteme sind als Bindeglied zwischen übergeordneten Rechnern und den zu regelnden technischphysikalischen Prozessen eine leistungsfähige Synthese aus Mechanik, Elektronik und Informatik. Sie werden auch als mechatronische Systeme bezeichnet.

[0004] Im Gegensatz zu unterstützenden Stellsystemen im Automobilbereich, wo gegebenenfalls durch Freiläufe eine Notfunktion durch manuelle Betätigung (beispielsweise zu Abschleppzwecken) gewährleistet sein muss, wird von mechatronischen Stellsystemen im Zustand "Deaktiviert" ein definierter Zustand gefordert, in dem zumeist eine starre und spielfreie "Blockierung" auch unter dem Einfluss aller äußeren statischen und dynamischen Betriebslasten ermöglicht wird. Dies wird herkömmlicherweise zum Beispiel durch die Installation zusätzlicher Sicherheitsbremsen, Feststellbremsen, Sperrklinken oder Rückschlagventile erreicht, sofern der Antriebsstrang keine selbsthemmenden Eigenschaften aufweist. Spezielle Einsatzfälle erfordern gleichzeitig die genaue und eindeutige Einhaltung bestimmter Stellungen des Antriebsstrangs, also eine an- und abtriebsseitige Positionierung, die auch im Falle unbeabsichtigter oder fehlerhafter Ansteuerung des Antriebs strikt eingehalten werden muss. Diese Art einer "Verriegelung" ist häufig Teil eines Sicherheitskonzeptes in besonders kritischen Betriebsphasen und erfordert höchste Zuverlässigkeit.

[0005] Bei derzeitigen Anwendungen wird dieser "verriegelte" Zustand über einen definierten Zeitraum über die kritischen Betriebsphasen hinweg aufrecht erhalten und ist anschließend auf Kommando aufzuheben und in den Zustand "Entriegelt" zu überführen, um beispielsweise die Betriebsart "Aktiv" zu ermöglichen.

[0006] Der Übergang "Verriegelt" in "Entriegelt" und umgekehrt erfolgt zumeist unter erschwerten Bedingungen, bei denen Folgendes auftritt:
  • hohe äußere Lasten am Stellsystemausgang,
  • limitierte Hilfsleistung zur Ausführung der Transfervorgänge,
  • sehr kurze Schaltzeiten, speziell beim Entriegeln,
  • höchste Funktionszuverlässigkeit unter extremen Umweltbedingungen, insbesondere beim Entriegeln,
  • passive Beibehaltung der Zustände Ver-/ Entriegelt (ohne Energiezufuhr),
  • Synchronisationsmöglichkeit (zeitlich und örtlich) mit weiteren Antriebssträngen des Stellsystems.


[0007] Die gleichzeitige Berücksichtigung aller einzelnen Bedingungen führt überwiegend zu widersprüchlichen Lösungsansätzen. Um einige dieser Bedingungen einzuhalten, sind mit einem konservativen Aufbau außerdem technisch aufwändige und teure Lösungsausführungen notwendig, die dadurch im Widerspruch zur Forderung nach höchstmöglicher Funktionszuverlässigkeit stehen.

[0008] Diesbezüglich kann sich beispielsweise die Verlagerung der Ver-/Entriegelungsstelle vom mechanischen Ausgang des Stellsystems zum Beispiel an den Eingang eines häufig vorhandnen Getriebes erleichternd auswirken. Dadurch werden zwar die an der Blockierstelle beim Ver-/Entriegelungvorgang zu überwindenden Lasten reduziert, aber gleichzeitig wird die unerwünschte mechanische Lose wegen eines unvermeidlichen Spiels in der kinematischen Kette (Getriebe, Gestänge) zum Ausgang hin erhöht. Zudem werden alle der Verriegelungsstelle nachgeschalteten Getriebeglieder undefinierten äußeren Lasten ausgesetzt, was zu erhöhten Forderungen bezüglich der Auslegung der Getriebeglieder führen kann. Die Fig. 1 zeigt die hier angesprochenen Zusammenhänge in Verbindung mit dem Aufbau eines Stellsystems schematisch anhand eines Blockschaltbilds.

[0009] Prinzipiell bestehen bekannte, wiederholbar betätigbare Ver-/EntriegelungsSysteme fast ausnahmslos aus:
  • einer zumeist elektrischen Ansteuereinheit;
  • Betätigungsorganen, in denen die nach Kommando zur Verbeziehungsweise Entriegelung bereitgestellte Hilfsenergie (hydraulisch, pneumatisch, elektrisch) in mechanische Arbeit umgesetzt wird;
  • den eigentlichen mechanischen Riegelelementen;
  • den "mechanischen Verbindungen" zwischen den Betätigungsorganen und den Riegelelementen;
  • Sensorelementen zur Anzeige des Zustandes (zum Beispiel "Verriegelt")


[0010] Die Vollast-Arbeitskennlinien von Standard-Betätigungselementen weichen zumeist erheblich von den an den Riegelelementen vorgefundenen Lastverläufen ab. Typisch sind initial sehr hohe Ausklinklasten und nachfolgend notwendige sehr hohe Beschleunigungswerte, um in der Betriebsart "Aktiv" unerwünschte Kollisionen an den Riegelelementen zu vermeiden. Bekannte Lösungen kombinieren überdimensionierte Betätigungselemente mit einer Regelung des Ent-/Verriegelungsvorganges.

DARSTELLUNG DER ERFINDUNG



[0011] Die Aufgabe der Erfindung besteht darin, ein gattungsgemäßes Ver- und Entriegelungssystem so auszugestalten, dass dessen Eigenschaften die gestellten Anforderungen unter den vorgefundenen Bedingungen ohne eine Regelung und ohne ein überdimensioniertes Betätigungselement unter einfachstem Aufbau nahezu kompromissfrei und vollständig erfüllen.

[0012] Diese Aufgabe wird durch die Merkmale des Anspruchs 1 gelöst.

[0013] Bei diesem erfindungsgemäßen Ver- und Entriegelungssystem mit reversibler Auslösbarkeit, mit zumindest einem Ver-/Entriegelungselement, das zwischen einer Verriegelungsposition und einer Entriegelungsposition bewegbar ist, zumindest einem Betätigungsorgan und zumindest einer auf das zumindest eine Ver-/Entriegelungselement einwirkenden Übertragungskinematik, wobei die Übertragungskinematik zumindest ein Kinematikglied aufweist, und so ausgebildet ist, dass sie zumindest zwei Totpunktlagen einnehmen kann, ist die Übertragungskinematik so ausgebildet, dass sie eine erste Totpunktlage in der Verriegelungsposition und eine zweite Totpunktlage in der Entriegelungsposition einnimmt, und zumindest eines der Kinematikglieder ist in zumindest einer kinematisch wirksamen Richtung derart dimensioniert, dass sich die Übertragungskinematik über ihre jeweilige Totpunktlage hinaus bewegen kann.

VORTEILE



[0014] Der Vorteil des erfindungsgemäßen Ver- und Entriegelungssystems besteht darin, dass eine Realisierung als sogenannte "of-the-shelf'-Lösung mit verfügbaren Standardkomponenten möglich ist. Das Vorsehen überdimensionierter Betätigungselemente kann vermieden werden, wodurch keine unnötig hohe Kostensteigerung auftritt. Der Ver- und Entriegelungsvorgang kann ungeregelt erfolgen, was ebenfalls einen Kostenvorteil mit sich bringt und zudem die Funktionssicherheit erhöht. Die Anzahl der für die Realisierung des erfindungsgemäßen Ver- und Entriegelungssystems erforderlichen Komponenten ist gegenüber dem Stand der Technik reduziert, wodurch die Zuverlässigkeit steigt und die Kosten sinken. Vorteilhaft bei dem erfindungsgemäßen Ver- und Entriegelungssystem ist außerdem, dass es leicht an geänderte Anforderungen anpassbar ist. Die Betätigungsorgane und die Riegelelemente können auf einfache Weise wechselseitig aufeinander abgestimmt werden. Zudem ist das erfindungsgemäße Ver- und Entriegelungssystem für unterschiedliche Technologien, beispielsweise für eine elektrische, pneumatische oder hydraulische Betätigung geeignet.

[0015] Vorzugsweise weist die Übertragungskinematik vier Kinematikglieder auf und ist als viergliedriger Koppelmechanismus aufgebaut.

[0016] Dabei ist es besonders von Vorteil, wenn zumindest zwei miteinander verbundene Kinematikglieder des viergliedrigen Koppelmechanismus' während der Bewegung des Ver-/Entriegelungselements aus der Verriegelungsposition in die Entriegelungsposition oder aus der Entriegelungsposition in die Verriegelungsposition eine Strecklage oder eine Decklage durchfahren.

[0017] Bevorzugt ist zumindest ein Kinematikglied der Übertragungskinematik bezüglich einer wirksamen kinematischen Abmessung definiert veränderbar.

[0018] Dabei ist es von Vorteil, wenn die definierte Veränderbarkeit der wirksamen kinematischen Abmessung durch eine vorgegebene Längssteifigkeit des Kinematikglieds bewirkt wird.

[0019] Vorteilhaft ist es auch, wenn zumindest ein Anschlag für das Kinematikglied vorgesehen ist, der eine von der definierten Veränderbarkeit der kinematisch wirksamen Abmessung zugelassene Bewegung des Kinematikglieds begrenzt.

[0020] In einer weiteren vorteilhaften Ausführungsform der Erfindung ist eine Mehrzahl von Übertragungskinematiken vorgesehen, die über zumindest ein Verbindungsglied zwangsläufig synchronisierbar sind.

[0021] Vorzugsweise ist das Verbindungsglied selbstzentrierend gelagert.

[0022] Eine weitere bevorzugte Ausgestaltung der vorliegenden Erfindung zeichnet sich dadurch aus, dass sich das Übertragungsverhalten der Kinematik durch Synthese seiner kinematischen Abmessungen optimal an die vorliegenden Lastbedingungen beim Ver-/Entriegeln anpassen lässt.

[0023] Bevorzugte Ausführungsbeispiele der Erfindung mit zusätzlichen Ausgestaltungsdetails und weiteren Vorteilen sind nachfolgend unter Bezugnahme auf die beigefügten Zeichnungen näher beschrieben und erläutert.

KURZE BESCHREIBUNG DER ZEICHNUNGEN



[0024] Es zeigt:
Fig. 1
ein typisches Blockschaltbild eines Stellsystems und mögliche Positionen zum Vorsehen einer Ver-/Entriegelungsstelle;
Fig. 2
eine schematische Darstellung der Funktion des erfindungsgemäßen Ver- und Entriegelungssystems; und
Fig. 3
eine Darstellung einer Anwendung des erfindungsgemäßen Ver- und Entriegelungssystems in einem Flugkörperstellsystem.

DARSTELLUNG VON BEVORZUGTEN AUSFÜHRUNGSBEISPIELEN



[0025] In Fig. 1 ist ein typisches Blockschaltbild eines Stellsystems mit möglichen Positionen zum Vorsehen einer Ver-/Entriegelungsstelle dargestellt.

[0026] Fig. 2 zeigt in schematischer Weise die Funktion des erfindungsgemäßen Ver- und Entriegelungssystems.

[0027] Durch die als Harmonisierungskinematik bezeichnete erfindungsgemäße Übertragungskinematik können beliebig vorgefundene ungeregelte Volllastkennlinien von Betätigungsorganen auf die seitens der Riegelelemente geforderten Last- und Kinematikvorgaben optimal abgestimmt werden.

[0028] Fig. 3 zeigt eine praktische Anwendung des erfindungsgemäßen Ver- und Entriegelungssystems in einem Flugkörperstellsystem. Darin bezeichnet das Bezugszeichen 2 einen Riegel, das Bezugszeichen 1 die Riegelachse und das Bezugszeichen 3 einen zentralen Torquer. Das rechte Schaubild in Fig. 3 zeigt das erfindungsgemäße Lösungskonzept, wobei das Bezugszeichen L die Momentenübersetzung im Losbrechbereich bezeichnet.


Ansprüche

1. Ver- und Entriegelungssystem mit reversibler Auslösbarkeit, mit

- zumindest einem Ver-/Entriegelungselement (), das zwischen einer Verriegelungsposition und einer Entriegelungsposition bewegbar ist,

- zumindest einem Betätigungsorgan () und

- zumindest einer auf das zumindest eine Ver-/Entriegelungselement () einwirkenden Übertragungskinematik (), wobei die Übertragungskinematik () zumindest ein Kinematikglied () aufweist, und so ausgebildet ist, dass sie zumindest zwei Totpunktlagen () einnehmen kann,

dadurch gekennzeichnet,

- dass die Übertragungskinematik () so ausgebildet ist, dass sie eine erste Totpunktlage in der Verriegelungsposition und eine zweite Totpunktlage in der Entriegelungsposition einnimmt, und

- dass zumindest eines der Kinematikglieder () in zumindest einer kinematisch wirksamen Richtung derart dimensioniert ist, dass sich die Übertragungskinematik () über ihre jeweilige Totpunktlage () hinaus bewegen kann.


 
2. Ver- und Entriegelungssystem nach Anspruch 1,
dadurch gekennzeichnet,
dass die Übertragungskinematik () vier Kinematikglieder () aufweist und als viergliedriger Koppelmechanismus aufgebaut ist.
 
3. Ver- und Entriegelungssystem nach Anspruch 2,
dadurch gekennzeichnet,
dass zumindest zwei miteinander verbundene Kinematikglieder des viergliedrigen Koppelmechanismus' während der Bewegung des Ver-/Entriegelungselements () aus der Verriegelungsposition in die Entriegelungsposition oder aus der Entriegelungsposition in die Verriegelungsposition eine Strecklage oder eine Decklage durchfahren.
 
4. Ver- und Entriegelungssystem nach einem der vorhergehenden Ansprüche,
dadurch gekennzeichnet,
dass zumindest ein Kinematikglied () der Übertragungskinematik () bezüglich einer wirksamen kinematischen Abmessung definiert veränderbar ist.
 
5. Ver- und Entriegelungssystem nach Anspruch 4,
dadurch gekennzeichnet,
dass die definierte Veränderbarkeit der wirksamen kinematischen Abmessung durch eine vorgegebene Längssteifigkeit des Kinematikglieds () bewirkt wird.
 
6. Ver- und Entriegelungssystem nach Anspruch 4 oder 5,
dadurch gekennzeichnet,
dass zumindest ein Anschlag () für das Kinematikglied () vorgesehen ist, der eine von der definierten Veränderbarkeit der kinematisch wirksamen Abmessung zugelassene Bewegung des Kinematikglieds () begrenzt.
 
7. Ver- und Entriegelungssystem nach einem der vorhergehenden Ansprüche,
dadurch gekennzeichnet,
dass eine Mehrzahl von Übertragungskinematiken () vorgesehen ist, die über zumindest ein Verbindungsglied zwangsläufig synchronisierbar sind.
 
8. Ver- und Entriegelungssystem nach Anspruch 7,
dadurch gekennzeichnet,
dass das Verbindungsglied selbstzentrierend gelagert ist.
 




Zeichnung