[0001] Die Erfindung betrifft ein Verfahren zum Äschern von Häuten und Fellen mit einem
Äscher auf der Basis reduzierend wirkender Verbindungen unter Vermeidung von Restsulfiden
und Absenkung des biologischen Sauerstoffbedarfes im Abwasser.
[0002] Das Enthaaren von Fellen oder Häuten mit Hilfe von Reduktionsmitteln ist seit langem
bekannt. Obwohl Prozesse mit einer Vielzahl dieser Stoffe beschrieben worden sind,
wird heute meist mit "angeschärftem" Äscher gearbeitet, nämlich einer Kombination
von Calciumhydroxid und Natriumsulfid. Natriumsulfid spaltet die Disulfid-Brücke des
Keratin-Moleküls und löst dadurch die Haarsubstanz und die Epidermis. Calciumhydroxid
lockert durch alkalische Quellung die Struktur des Kollagen-Gewebes und löst interfibrillare,
nichtkollagene Proteine. Beide Chemikalien ergänzen sich und beschleunigen die Haarentfernung
und den Hautaufschluß.
[0003] Da die starke Alkalität des Natriumsulfides zu störender, übermäßiger Quellung des
Hautmaterials führen kann, werden puffernde, quellungsdämpfende Äscherhilfsmittel
zugesetzt oder es wird ein Teil des Natriumsulfids gegen Natriumhydrogensulfid (Natriumsulfhydrat)
ausgetauscht, das eine geringere Quellung verursacht.
[0004] Der große Nachteil aller dieser Verfahren ist jedoch die äußerst starke Belastung
des Abwassers mit giftigem Natriumsulfid und sauerstoffzehrenden Substanzen.
[0005] ) Andere Verfahren beschreiben die oxidative Haarzerstörung mit Natriumperoxid, Persäuren
oder mit Chlordioxid (DE-AS 1276286). Diese Systeme haben aber keinen nennenswerten
Eingang in die Praxis gefunden. Weitere Enthaarungs- und Hautaufschlußmöglichkeiten
bestehen in bakterieller bzw. enzyma-5tischer Behandlung der Haut. Der Enzymäscher
hat sich aber nur bei der Herstellung feiner hochwertiger Ledersorten eingeführt.
[0006] Der auf Dimethylamin bzw. dessen Sulfat beruhende Amin- äscher sowie Äscher, bei
denen Erdalkaliboranate oder Natriumdithionit (DE-AS 1278 678) eingesetzt'werden,
scheinen keine technische Anwendung gefunden zu haben.
[0007] Die Gründe liegen darin, daß diese Äscher nicht in der Lage sind, haarzerstörend
zu wirken und Reaktionszeiten bis 72 Stunden benötigen.
[0008] Thioharnstoffdioxid (Formamidinsulfinsäure) wurde bereits für die Behandlung von
Wolle vorgeschlagen, um Disulfidbrücken in Sulfhydrylgruppen umzuwandeln und um modifizierte
Fasern mit verbesserten schrumpffesten Eigenschaften zu erhalten (US-PS 2 403 937).
Nach einer anderen, in der GB-PS 646 809 beschriebenen Methode wird keratinöses Material,
insbesondere Volle, mit einem Reduktionsmittel wie Rongalit, Natriumdithionit oder
Thioharnstoffdioxid in Gegenwart von freiem Formaldehyd oder einem Alkyldihalogenid
behandelt, um wiederzuverwendende Wollrest
e oder -abfälle zu entfärben.
[0009] Bei keiner der angeführten Thioharnstoffdioxid-Verwendungen wird eine Haarzerstörung
und -ablösung erwähnt; die beschriebenen Verfahren sind für ein Äschern von Häuten
und Fellen nicht geeignet, weil sie nicht in der Lage sind, eine vollständige Ablösung
der Haare und der Oberhaut zu bewirken. Sie können daher nicht für die Lederherstellung
verwendet werden.
[0010] Aufgabe der Erfindung ist die Schaffung eines Verfahrens zum Äschern von Häuten und
Fellen, mit welchem eine weitgehende Vermeidung von Sulfiden, Verhinderung giftiger
Abwässer, eine weitgehende Hautschonung und Absenkung des chemischen Sauerstoffbedarfes
(CSB) der Abwässer sowie eine Verringerung der benötigten Chemikalienmengen ermöglicht
werden.
[0011] Gemäß der Erfindung wird dieses Ziel mit einem Verfahren zum Äschern von Häuten und
Fellen mit einem alkalischen reduzierenden Äscher erreicht, das dadurch gekennzeichnet
ist, daß man das Äschern mit Thioharnstoffdioxid (Formamidinsulfinsäure) durchführt,
das vorteilhaft in einer Menge von 0,1 bis 3,0 Gew.-%, bevorzugt von 0,5 bis 1,0 Gew.-%,
bezogen auf die geweichten Häute und Felle, gegebenenfalls in Gegenwart von grenzflächenaktiven
Substanzen und/oder organischen Stickstoffbasen, verwendet wird.
[0012] Zu den erfindungsgemäß anwendbaren grenzflächenaktiven Substanzen zählen insbesondere
solche auf der Basis von Alkylsulfaten, Alkylarylsulfonaten oder Äthylenoxid-Derivaten.
Als organische Stickstoffbasen werden vorteilhaft Dimethylamin, Diäthylamin, Mono-,
Di- oder Triäthanolamin eingesetzt. Die Einsatzmenge beträgt bis 0,5 Gew.-%, bezogen
auf die geweichte Rohhaut.
[0013] Mit Hilfe der erfindungsgemäßen Anwendung von Thioharnstoffdioxid ist eine Haarentfernung
und ein Hautaufschluß ohne Inkaufnahme der vorstehend erwähnten Nachteile der bekannten
Verfahren möglich.
[0014] Zur Behandlung der Häute und Felle mit Thioharnstoffdioxid gemäß der vorliegenden
Erfindung wird im allgemeinen ein alkalisches Bad mit pH-Werten zwischen etwa 8 bis
14, vorzugsweise pH 10 bis 13, angewandt.
[0015] Für die Einstellung des alkalischen pH-Wertes kommen aus wirtschaftlichen Erwägungen
vorzugsweise anorganische Laugen, wie Natronlauge oder Kalilauge zur Anwendung. Es
können aber auch anorganische Basen wie Kalk, Kalkmilch, Calciumoxid, Calciumcarbonat,
Calciumhydroxid zur Anwendung kommen.
[0016] Die bei der Durchführung der Reduktion in wässeriger Phase einzusetzende Flottenmenge
beträgt im allgemeinen etwa 20 bis 500 %, bezogen auf das Gewicht der geweichten Häute
und Felle. Die optimale Flottenmenge richtet sich vor allem nach der Art der Durchführung
des Verfahrens. Beim Äschern in der Grube müssen im allgemeinen verhältnismäßig hohe
Mengen an Wasser zur Anwendung kommen, da das Material ganz von der Enthaarungsflüssigkeit
bedeckt sein muß. Bei der praktisch am meisten und bevorzugt angewandten Methode des
Äscherns im Faß kommt man dagegen mit verhältnismäßig wenig Flotte, nämlich etwa 20
bis 200 %, vorzugsweise 30 bis 110 %, bezogen ; auf das Gewicht der geweichten Häute
und Felle, aus.
[0017] Die gemäß der vorliegenden Erfindung erforderliche Einwir- kungsdauer ist in erster
Linie abhängig von der Art der zu behandelnden Häute und Felle. Beim Arbeiten im Faß
unter Bedingungen, wie sie in der Praxis bevorzugt zur Anwendung kommen, zum Beispiel
bei Temperaturen von etwa 15 bis 30°C und einer Flottenmenge von etwa 40 bis 110 %
(bezogen auf das Gewicht der geweichten Häute und Felle), kann im allgemeinen damit
gerechnet werden, daß der Äscherprozeß nach etwa 16 bis 32 Stunden, je nach Art der
zu enthaarenden Häute und Felle, beendet ist.
[0018] Bei der Verarbeitung von Naturprodukten müssen wegen der schwankenden Beschaffenheit
der Rohstoffe die Verfahrensbedingungen den jeweiligen Erfordernissen der Praxis angepaßt
und im Einzelfall durch einen orientierenden Vorversuch ausprobiert werden.
Beispiel 1:
[0019] 100 kg schwere, geweichte Rinderhäute werden in ein Walkfaß eingebracht. Man gibt
2,5 kg Calciumhydroxid und 200 Liter Wasser sowie 2 kg Thioharnstoffdioxid in das
Walkfaß. Der pH-Wert der Flotte beträgt vor und nach dem Äschern 12,2.
[0020] Das Äschern erfolgt innerhalb 24 Stunden bei Raumtemperatur mit 2 Umdrehungen pro
Minute.
[0021] Nach dem Äschern sind die Haare zum größten Teil aufgelöst. Restliche Haare und Haarwurzeln
lassen sich durch stumpfes Überschaben der Narbenseite leicht entfernen. Das an der
Fleischseite haftende Unterhaut-Bindegewebe läßt sich leicht abscheren.
Beispiel 2:
[0022] Wie im Beispiel 1 werden 102 kg geweichte Rinderhäute in ein Walkfaß eingebracht.
Dann werden 2,5 kg Calciumhydroxid, 100 Liter Wasser und 0,5 kg Thioharnstoffdioxid
eingebracht. Mit 1 kg Natronlauge 50 % wird ein pH-Wert von 12,8 eingestellt. Das
Äschern erfolgt 16 Stunden lang bei Raumtemperatur mit ca. 2 Umdrehungen pro Minute.
Die Äscherflüssigkeit hat nach beendeter Reaktion einen pH-Wert von 12,1 und einen
CSB-Wert von 9200 mg O
2/l.
[0023] Die Entfernung der Haare und des Fettgewebes kann leicht erfolgen. Die Blöße hat
eine helle Farbe angenommen und ist weich.
Beispiel 3:
[0024] Eine halbe, geweichte Bullenhaut mit einem Gewicht von 16 kg wird in ein Walkfaß
eingebracht, in dem 15 Liter Wasser vorgelegt waren. Nach Zugabe von 400 Gramm Kalkhydrat,
80 g Thioharnstoffdioxid (Formamidinsulfinsäure), 160 g handelsüblichem Äscherhilfsmittel,
bestehend aus einer Mischung von Alkylolaminen mit ca. 88 % Wirksubstanz (Mollescal
AE der Firma BASF) und 80 g eines Polycarbonsäure-Natriumsalzes mit 50 % Wirksubstanz
(POC AS 2020 50 % der Firma ÖCW), wird das Faß wieder geöffnet und durch Zugabe von
650 ml 50 %iger Natronlauge wird ein pH-Wert von 12,9 eingestellt. Die Behandlungsdauer
beträgt 4 Stunden, wobei das Faß im Wechsel 30 Minuten bewegt wird und 30 Minuten
ruht. Nach dieser Laufzeit lassen sich die Haare mit dem Fingernagel leicht abschieben
und sind zum Teil zu einem Proteinbrei angesulzt.
[0025] Zur Erzielung eines vollständigen Hautaufschluesses werden nach 4 Stunden zusätzlich
15 Liter Wasser hinzugefügt. Während der restlichenÄscherdauer von 12 Stunden wird
im Intervall von 1 Stunde das Faß jeweils 2 Minuten lang bewegt. Die Blößen sind haarfrei
und weich. Die Epidermis und Pigmente sind leicht entfernbar. Die Narben sind glatt
und geschlossen.
[0026] Das Äscherabwasser hat nach beendeter Reaktion einen pH-Wert von 12,5 und einen CSB-Wert
von 13300 mg O
2/l. Eine Aus- ; gleichsneutralisation des Abwassers ist ohne Geruchs-
Vergleichsbeispiel (Stand der Technik):
[0027] 100 kg Rohhäute werden nach dem Weichen in das Äscheraß eingebracht. In einem konventionellen
Kalk-Sulfid-Äschersystem werden 1 kg Natriumsulfid technisch, 1 kg Äscherhilfsmittel
und 2,5 kg Kalk eingebracht. Das Flüssigkeitsvolumen beträgt 100 Liter. Der pH-Wert
beträgt 12,9. Nach 16 Stunden Äscherdauer mit 2 U/min bei Raumtemperatur ist die Haar-
und Unterhaut-Entfernung gleich gut durchführbar wie im Beispiel 2.
[0028] Die Äscherbrühe hat nach beendeter Reaktion einen pH-Wert von 12,2 und einen CSB-Wert
von 22.000 mg O
2/l. Beim Vermischen mit sauren Abwässern wird übelriechender Schwefelwasserstoff freigesetzt.
1. Verfahren zum Äschern von Häuten und Fellen mit einem alkalischen reduzierenden
Äscher, dadurch gekennzeichnet, daß man das Äschern mit 0,1 bis 3,0 Gew.-% Thioharnstoffdioxid
(Formamidinsulfinsäure), bezogen auf die geweichten Häute und Felle, durchführt.
2. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß man in Gegenwart von grenzflächenaktiven
Substanzen und/ oder organischen Stickstoffbasen arbeitet.
3. Verfahren nach Anspruch 2, dadurch gekennzeichnet, daß man als organische Stickstoffbase
Dimethylamin einsetzt.