(19)
(11) EP 0 197 918 A1

(12) EUROPÄISCHE PATENTANMELDUNG

(43) Veröffentlichungstag:
15.10.1986  Patentblatt  1986/42

(21) Anmeldenummer: 86890089.5

(22) Anmeldetag:  02.04.1986
(51) Internationale Patentklassifikation (IPC)4C14C 1/06
(84) Benannte Vertragsstaaten:
DE FR GB IT

(30) Priorität: 03.04.1985 AT 1005/85

(71) Anmelder: ÖSTERREICHISCHE CHEMISCHE WERKE GESELLSCHAFT m.b.H.
A-1150 Wien (AT)

(72) Erfinder:
  • Olip, Vinzenz, Dipl.-Ing.
    A-9500 Villach (AT)

(74) Vertreter: Pfeifer, Otto, Dipl.-Ing. et al
Patentanwälte Schütz und Partner, Fleischmanngasse 9
1040 Wien
1040 Wien (AT)


(56) Entgegenhaltungen: : 
   
       


    (54) Verfahren zum Äschern von Häuten und Fellen


    (57) Ein Verfahren zum Äschern von Häuten und Fellen mit einem alkalischen reduzierenden Äscher wird erfindungsgemäß mit Thioharnstoffdioxid (Formamidinsulfinsäure) durchgeführt.


    Beschreibung


    [0001] Die Erfindung betrifft ein Verfahren zum Äschern von Häuten und Fellen mit einem Äscher auf der Basis reduzierend wirkender Verbindungen unter Vermeidung von Restsulfiden und Absenkung des biologischen Sauerstoffbedarfes im Abwasser.

    [0002] Das Enthaaren von Fellen oder Häuten mit Hilfe von Reduktionsmitteln ist seit langem bekannt. Obwohl Prozesse mit einer Vielzahl dieser Stoffe beschrieben worden sind, wird heute meist mit "angeschärftem" Äscher gearbeitet, nämlich einer Kombination von Calciumhydroxid und Natriumsulfid. Natriumsulfid spaltet die Disulfid-Brücke des Keratin-Moleküls und löst dadurch die Haarsubstanz und die Epidermis. Calciumhydroxid lockert durch alkalische Quellung die Struktur des Kollagen-Gewebes und löst interfibrillare, nichtkollagene Proteine. Beide Chemikalien ergänzen sich und beschleunigen die Haarentfernung und den Hautaufschluß.

    [0003] Da die starke Alkalität des Natriumsulfides zu störender, übermäßiger Quellung des Hautmaterials führen kann, werden puffernde, quellungsdämpfende Äscherhilfsmittel zugesetzt oder es wird ein Teil des Natriumsulfids gegen Natriumhydrogensulfid (Natriumsulfhydrat) ausgetauscht, das eine geringere Quellung verursacht.

    [0004] Der große Nachteil aller dieser Verfahren ist jedoch die äußerst starke Belastung des Abwassers mit giftigem Natriumsulfid und sauerstoffzehrenden Substanzen.

    [0005] ) Andere Verfahren beschreiben die oxidative Haarzerstörung mit Natriumperoxid, Persäuren oder mit Chlordioxid (DE-AS 1276286). Diese Systeme haben aber keinen nennenswerten Eingang in die Praxis gefunden. Weitere Enthaarungs- und Hautaufschlußmöglichkeiten bestehen in bakterieller bzw. enzyma-5tischer Behandlung der Haut. Der Enzymäscher hat sich aber nur bei der Herstellung feiner hochwertiger Ledersorten eingeführt.

    [0006] Der auf Dimethylamin bzw. dessen Sulfat beruhende Amin- äscher sowie Äscher, bei denen Erdalkaliboranate oder Natriumdithionit (DE-AS 1278 678) eingesetzt'werden, scheinen keine technische Anwendung gefunden zu haben.

    [0007] Die Gründe liegen darin, daß diese Äscher nicht in der Lage sind, haarzerstörend zu wirken und Reaktionszeiten bis 72 Stunden benötigen.

    [0008] Thioharnstoffdioxid (Formamidinsulfinsäure) wurde bereits für die Behandlung von Wolle vorgeschlagen, um Disulfidbrücken in Sulfhydrylgruppen umzuwandeln und um modifizierte Fasern mit verbesserten schrumpffesten Eigenschaften zu erhalten (US-PS 2 403 937). Nach einer anderen, in der GB-PS 646 809 beschriebenen Methode wird keratinöses Material, insbesondere Volle, mit einem Reduktionsmittel wie Rongalit, Natriumdithionit oder Thioharnstoffdioxid in Gegenwart von freiem Formaldehyd oder einem Alkyldihalogenid behandelt, um wiederzuverwendende Wollreste oder -abfälle zu entfärben.

    [0009] Bei keiner der angeführten Thioharnstoffdioxid-Verwendungen wird eine Haarzerstörung und -ablösung erwähnt; die beschriebenen Verfahren sind für ein Äschern von Häuten und Fellen nicht geeignet, weil sie nicht in der Lage sind, eine vollständige Ablösung der Haare und der Oberhaut zu bewirken. Sie können daher nicht für die Lederherstellung verwendet werden.

    [0010] Aufgabe der Erfindung ist die Schaffung eines Verfahrens zum Äschern von Häuten und Fellen, mit welchem eine weitgehende Vermeidung von Sulfiden, Verhinderung giftiger Abwässer, eine weitgehende Hautschonung und Absenkung des chemischen Sauerstoffbedarfes (CSB) der Abwässer sowie eine Verringerung der benötigten Chemikalienmengen ermöglicht werden.

    [0011] Gemäß der Erfindung wird dieses Ziel mit einem Verfahren zum Äschern von Häuten und Fellen mit einem alkalischen reduzierenden Äscher erreicht, das dadurch gekennzeichnet ist, daß man das Äschern mit Thioharnstoffdioxid (Formamidinsulfinsäure) durchführt, das vorteilhaft in einer Menge von 0,1 bis 3,0 Gew.-%, bevorzugt von 0,5 bis 1,0 Gew.-%, bezogen auf die geweichten Häute und Felle, gegebenenfalls in Gegenwart von grenzflächenaktiven Substanzen und/oder organischen Stickstoffbasen, verwendet wird.

    [0012] Zu den erfindungsgemäß anwendbaren grenzflächenaktiven Substanzen zählen insbesondere solche auf der Basis von Alkylsulfaten, Alkylarylsulfonaten oder Äthylenoxid-Derivaten. Als organische Stickstoffbasen werden vorteilhaft Dimethylamin, Diäthylamin, Mono-, Di- oder Triäthanolamin eingesetzt. Die Einsatzmenge beträgt bis 0,5 Gew.-%, bezogen auf die geweichte Rohhaut.

    [0013] Mit Hilfe der erfindungsgemäßen Anwendung von Thioharnstoffdioxid ist eine Haarentfernung und ein Hautaufschluß ohne Inkaufnahme der vorstehend erwähnten Nachteile der bekannten Verfahren möglich.

    [0014] Zur Behandlung der Häute und Felle mit Thioharnstoffdioxid gemäß der vorliegenden Erfindung wird im allgemeinen ein alkalisches Bad mit pH-Werten zwischen etwa 8 bis 14, vorzugsweise pH 10 bis 13, angewandt.

    [0015] Für die Einstellung des alkalischen pH-Wertes kommen aus wirtschaftlichen Erwägungen vorzugsweise anorganische Laugen, wie Natronlauge oder Kalilauge zur Anwendung. Es können aber auch anorganische Basen wie Kalk, Kalkmilch, Calciumoxid, Calciumcarbonat, Calciumhydroxid zur Anwendung kommen.

    [0016] Die bei der Durchführung der Reduktion in wässeriger Phase einzusetzende Flottenmenge beträgt im allgemeinen etwa 20 bis 500 %, bezogen auf das Gewicht der geweichten Häute und Felle. Die optimale Flottenmenge richtet sich vor allem nach der Art der Durchführung des Verfahrens. Beim Äschern in der Grube müssen im allgemeinen verhältnismäßig hohe Mengen an Wasser zur Anwendung kommen, da das Material ganz von der Enthaarungsflüssigkeit bedeckt sein muß. Bei der praktisch am meisten und bevorzugt angewandten Methode des Äscherns im Faß kommt man dagegen mit verhältnismäßig wenig Flotte, nämlich etwa 20 bis 200 %, vorzugsweise 30 bis 110 %, bezogen ; auf das Gewicht der geweichten Häute und Felle, aus.

    [0017] Die gemäß der vorliegenden Erfindung erforderliche Einwir- kungsdauer ist in erster Linie abhängig von der Art der zu behandelnden Häute und Felle. Beim Arbeiten im Faß unter Bedingungen, wie sie in der Praxis bevorzugt zur Anwendung kommen, zum Beispiel bei Temperaturen von etwa 15 bis 30°C und einer Flottenmenge von etwa 40 bis 110 % (bezogen auf das Gewicht der geweichten Häute und Felle), kann im allgemeinen damit gerechnet werden, daß der Äscherprozeß nach etwa 16 bis 32 Stunden, je nach Art der zu enthaarenden Häute und Felle, beendet ist.

    [0018] Bei der Verarbeitung von Naturprodukten müssen wegen der schwankenden Beschaffenheit der Rohstoffe die Verfahrensbedingungen den jeweiligen Erfordernissen der Praxis angepaßt und im Einzelfall durch einen orientierenden Vorversuch ausprobiert werden.

    Beispiel 1:



    [0019] 100 kg schwere, geweichte Rinderhäute werden in ein Walkfaß eingebracht. Man gibt 2,5 kg Calciumhydroxid und 200 Liter Wasser sowie 2 kg Thioharnstoffdioxid in das Walkfaß. Der pH-Wert der Flotte beträgt vor und nach dem Äschern 12,2.

    [0020] Das Äschern erfolgt innerhalb 24 Stunden bei Raumtemperatur mit 2 Umdrehungen pro Minute.

    [0021] Nach dem Äschern sind die Haare zum größten Teil aufgelöst. Restliche Haare und Haarwurzeln lassen sich durch stumpfes Überschaben der Narbenseite leicht entfernen. Das an der Fleischseite haftende Unterhaut-Bindegewebe läßt sich leicht abscheren.

    Beispiel 2:



    [0022] Wie im Beispiel 1 werden 102 kg geweichte Rinderhäute in ein Walkfaß eingebracht. Dann werden 2,5 kg Calciumhydroxid, 100 Liter Wasser und 0,5 kg Thioharnstoffdioxid eingebracht. Mit 1 kg Natronlauge 50 % wird ein pH-Wert von 12,8 eingestellt. Das Äschern erfolgt 16 Stunden lang bei Raumtemperatur mit ca. 2 Umdrehungen pro Minute. Die Äscherflüssigkeit hat nach beendeter Reaktion einen pH-Wert von 12,1 und einen CSB-Wert von 9200 mg O2/l.

    [0023] Die Entfernung der Haare und des Fettgewebes kann leicht erfolgen. Die Blöße hat eine helle Farbe angenommen und ist weich.

    Beispiel 3:



    [0024] Eine halbe, geweichte Bullenhaut mit einem Gewicht von 16 kg wird in ein Walkfaß eingebracht, in dem 15 Liter Wasser vorgelegt waren. Nach Zugabe von 400 Gramm Kalkhydrat, 80 g Thioharnstoffdioxid (Formamidinsulfinsäure), 160 g handelsüblichem Äscherhilfsmittel, bestehend aus einer Mischung von Alkylolaminen mit ca. 88 % Wirksubstanz (Mollescal AE der Firma BASF) und 80 g eines Polycarbonsäure-Natriumsalzes mit 50 % Wirksubstanz (POC AS 2020 50 % der Firma ÖCW), wird das Faß wieder geöffnet und durch Zugabe von 650 ml 50 %iger Natronlauge wird ein pH-Wert von 12,9 eingestellt. Die Behandlungsdauer beträgt 4 Stunden, wobei das Faß im Wechsel 30 Minuten bewegt wird und 30 Minuten ruht. Nach dieser Laufzeit lassen sich die Haare mit dem Fingernagel leicht abschieben und sind zum Teil zu einem Proteinbrei angesulzt.

    [0025] Zur Erzielung eines vollständigen Hautaufschluesses werden nach 4 Stunden zusätzlich 15 Liter Wasser hinzugefügt. Während der restlichenÄscherdauer von 12 Stunden wird im Intervall von 1 Stunde das Faß jeweils 2 Minuten lang bewegt. Die Blößen sind haarfrei und weich. Die Epidermis und Pigmente sind leicht entfernbar. Die Narben sind glatt und geschlossen.

    [0026] Das Äscherabwasser hat nach beendeter Reaktion einen pH-Wert von 12,5 und einen CSB-Wert von 13300 mg O2/l. Eine Aus- ; gleichsneutralisation des Abwassers ist ohne Geruchs-

    Vergleichsbeispiel (Stand der Technik):



    [0027] 100 kg Rohhäute werden nach dem Weichen in das Äscheraß eingebracht. In einem konventionellen Kalk-Sulfid-Äschersystem werden 1 kg Natriumsulfid technisch, 1 kg Äscherhilfsmittel und 2,5 kg Kalk eingebracht. Das Flüssigkeitsvolumen beträgt 100 Liter. Der pH-Wert beträgt 12,9. Nach 16 Stunden Äscherdauer mit 2 U/min bei Raumtemperatur ist die Haar- und Unterhaut-Entfernung gleich gut durchführbar wie im Beispiel 2.

    [0028] Die Äscherbrühe hat nach beendeter Reaktion einen pH-Wert von 12,2 und einen CSB-Wert von 22.000 mg O2/l. Beim Vermischen mit sauren Abwässern wird übelriechender Schwefelwasserstoff freigesetzt.


    Ansprüche

    1. Verfahren zum Äschern von Häuten und Fellen mit einem alkalischen reduzierenden Äscher, dadurch gekennzeichnet, daß man das Äschern mit 0,1 bis 3,0 Gew.-% Thioharnstoffdioxid (Formamidinsulfinsäure), bezogen auf die geweichten Häute und Felle, durchführt.
     
    2. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß man in Gegenwart von grenzflächenaktiven Substanzen und/ oder organischen Stickstoffbasen arbeitet.
     
    3. Verfahren nach Anspruch 2, dadurch gekennzeichnet, daß man als organische Stickstoffbase Dimethylamin einsetzt.
     





    Recherchenbericht