(19)
(11) EP 0 250 811 A2

(12) EUROPÄISCHE PATENTANMELDUNG

(43) Veröffentlichungstag:
07.01.1988  Patentblatt  1988/01

(21) Anmeldenummer: 87107060.3

(22) Anmeldetag:  15.05.1987
(51) Internationale Patentklassifikation (IPC)4C22C 1/00, C22F 1/00
(84) Benannte Vertragsstaaten:
AT CH DE FR GB IT LI NL SE

(30) Priorität: 29.05.1986 CH 2177/86

(71) Anmelder: CENDRES ET METAUX S.A.
CH-2501 Bienne (CH)

(72) Erfinder:
  • Von Allmen, Martin
    CH-3052 Zollikofen (CH)
  • Blatter, Andreas
    CH-3073 Ostermundigen (CH)

(74) Vertreter: Keller, René, Dr. et al
Keller & Partner Patentanwälte AG Marktgasse 31 Postfach
3000 Bern 7
3000 Bern 7 (CH)


(56) Entgegenhaltungen: : 
   
       


    (54) Verfahren zur Herstellung eines wenigstens teilweise amorphen Legierungsstücks


    (57) Eine z.B. aus Chrom und Titan im Atom-Verhältnis 40:60 bestehende Legierung wird in eine metastabile Kristall­modifikation versetzt, indem die Legierung z.B. im Lichtbogen erhitzt und in Wasser abgeschreckt wird. Die metastabile Kristallmodifikation wird unterhalb der Glastemperatur so lange getempert, z.B. bei 600°C wäh­rend 48 Stunden, bis sie vollständig verglast ist.
    Das erfindungsgemässe Verfahren ermöglicht die Herstel­lung grosser, amorpher, harter und porenfreier Legie­rungsstücke mit Dicken im cm-Bereich.




    Beschreibung


    [0001] Die Erfindung betrifft ein Verfahren zur Herstellung eines wenigstens teilweise amorphen Legierungsstücks.

    [0002] Amorphe (nichtkristalline, verglaste oder glasartige) Legierungsstücke werden nach dem gegenwärtigen Stand der Technik (z.B. Basler Zeitung 4. Dez. 1985, S. 46) durch ausserordentlich rasches Abschrecken einer geeig­neten, metallischen Schmelze erzeugt. Damit beim Ab­schrecken nicht Kristallisation, sondern Verglasung er­folgt, sind Abkühlraten in der Grössenordnung von 1000°C/ms erforderlich. Um derart hohe Abkühlraten zu erreichen, wird die Schmelze üblicherweise durch Düsen auf eine rasch rotierende Kühlwalze gespritzt. Dieses Verfahren ist bekannt unter dem Namen "melt spinning". Die Produkte dieses und ähnlicher bekannter Verfahren sind Folien oder Bänder mit einer Dicke von einigen 10 Mikrometern. Wegen des grundsätzlich inversen Zusammen­hangs zwischen Dicke und Abkühlrate lässt sich erstere bei den Schmelzabschreckverfahren nicht oder zumindest nicht wesentlich vergrössern.

    [0003] Als Alternativverfahren zur Herstellung amorpher Legie­rungsdrähte in mm-Stärke ist vorgeschlagen worden (L. Schultz in "Amorphous Metals and Nonequilibrium Proces­sing", ed. by M. von Allmen, Editions de Physique, Les Ulis 1984), sehr dünne Folien aus reinem kristallinem Nickel (Ni) und aus reinem kristallinem Zirkon (Zr) ab­wechselnd als Laminat aufeinanderzuschichten, spiral­förmig zu wickeln, dann wie bei der üblichen Drahther­stellung durch ein Ziehwerkzeug zu ziehen und an­schliessend bei niedriger Temperatur zu tempern. Beim Kaltziehen und Tempern durchmischen sich die Elemente Ni und Zr, wobei Verglasung durch eine Festkörperreak­tion eintritt. Das Verfahren ist jedoch kompliziert und nur für Mischungen unterschiedlich rasch diffundieren­der Elemente mit stark negativer Mischwärme anwendbar. Die durch Diffusion entstehende amorphe Legierung ist meist porös und daher mechanisch schwach. Dies gilt mindestens teilweise auch für ein verwandtes Verfahren, bei dem eine Mischung elementarer kristalliner Pulver durch intensives Mahlen und Kaltverformen in einer Ku­gelmühle zur Durchmischung und Verglasung gebracht wird.

    [0004] Der vorliegenden Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, anzugeben, wie man in einfacher Weise grosse sowie har­te und porenfreie Legierungsstücke erzeugen kann.

    [0005] Die erfindungsgemässe Lösung dieser Aufgabe ist Gegen­stand des Patentanspruchs 1. Bevorzugte Ausführungsar­ten sind in den Ansprüchen 2 bis 10 umschrieben.

    [0006] Die Erfindung beruht auf der überraschenden Erkenntnis, dass geeignete Legierungen in eine metastabile Kri­stallmodifikation versetzt und durch Tempern spontan (ohne irgendwelche zusätzliche Massnahmen) und ohne ma­ kroskopische Diffusion (d.h. Diffusion über viele Atom­durchmesser) verglast werden können. Unter einer meta­stabilen Kristallmodifikation versteht man eine zwar unter geeigneten Bedingungen beliebig langlebige, aber nicht dem thermodynamischen Gleichgewicht entsprechende Kristallstruktur.

    [0007] Das erfindungsgemässe Verfahren ermöglicht die Herstel­lung durchgehend (vollständig) amorpher Legierungs­stücke mit Dicken im cm Bereich. Es lassen sich so Werkstücke in praktisch verwertbaren Dimensionen, an­statt wie bisher nur dünne Folien, erzeugen. Der Grund liegt darin, dass die Verglasung nicht durch das nur bei dünnen Schichten mögliche rasche Schmelzab­schrecken, sondern durch (langes) Tempern als Festkör­perreaktion erreicht wird. Da das erfindungsgemässe Verfahren auf dem Tempern einer homogenen metastabilen Kristallmodifikation anstatt eines inhomogenen Lamina­tes beruht, erfolgt das Verglasen ohne makroskopische Diffusion, so dass das entstehende amorphe Produkt po­renfrei ist.

    [0008] Um durch blosses Tempern eine Verglasung zu erreichen, muss die Legierung bzw. der zu verglasende Teil der Le­gierung gemäss der Erfindung zunächst in den speziellen Zustand einer matastabilen Kristallmodifikation ge­bracht werden. Diese kann aus einem bei hohen Tempera­turen stabilen Misch- oder Verbindungskristall beste­hen, welcher bei niedrigen Temperaturen unterkühlt und somit metastabil ist. Die Herstellung der metastabilen Kristallmodifikation kann durch einen Abschreckvorgang erfolgen, wobei die dafür erforderlichen Abkühlraten jedoch typischerweise viele Grössenordnungen kleiner sind, als diejenigen, die beim bekannten Verglasen durch Schmelzabschrecken erforderlich sind.

    [0009] Als Ausgangsprodukt kann für das erfindungsgemässe Ver­fahren eine durch konventionelle metallurgische Techni­ken, z.B. durch Zusammenschmelzen oder Giessen herge­stellte, homogene Legierung verwendet werden. Bei­spielsweise kann eine binäre Legierung verwendet wer­den, wobei die Zusammensetzung so zu wählen ist, dass im binären Legierungssystem eine metastabile kristalli­ne Lösung oder Verbindung der gewählten Zusammensetzung existiert, welche bei Temperaturen unterhalb der Glas­temperatur eine höhere Freie Energie aufweist als die Glasphase, sich aber trotzdem bei Raumtemperatur dar­stellen lässt. Dafür in Frage kommen Systeme mit stabi­len Hochtemperatur- oder Hochdruck-Lösungen oder -ver­bindungen, (wovon es Dutzende bis Hunderte gibt), sowie Systeme mit Lösungen oder Verbindungen, die bei allen Temperaturen metastabil sind, sich jedoch durch Schmelzabschrecken herstellen lassen. Besonders günstig sind Lösungskristalle mit hoher Gitterverspannung (Spannungsenergie), wie sie bei Kombinationen von Ele­menten mit merklich unterschiedlichen Atomradien auf­treten. Unterkühlte Hochtemperaturphasen lassen sich durch Aufheizen über eine charakteristische Uebergangs­temperatur und anschliessendes Abschrecken, etwa in Wasser, herstellen. Andere Möglichkeiten der Herstel­lung metastabiler Kristallmodifikationen liegen in der Anwendung hohen Druckes oder chemischer Abscheidever­fahren.

    [0010] Im folgenden werden Ausführungsbeispiele des erfin­dungsgemässen Verfahrens anhand der Zeichnungen er­läutert. Es zeigen:

    Fig. 1 das Phasendiagramm des Systems Cr-Ti (Chrom­-Titan), worin Cr₂Ti und Alpha bei Raumtempe­ratur stabile Phasen, und Beta ein (bei nie­driger Temperatur metastabiler) Hochtemperatur - Lösungsristall ist,

    Fig. 2 die Freie Enthalpie (auch Gibbs'sche Freie Energie genannt) als Funktion der Zusammenset­zung im System Cr-Ti bei 600 und 800°C, worin a die amorphe und ce die Gleichgewichtskonfi­guration bezeichnen, und senkrechte Pfeile mö­gliche Umwandlungen andeuten.



    [0011] Ein Ausführungsbeispiel des erfindungsgemässen Verfah­rens zur Herstellung amorpher Cr-Ti Legierungsstücke umfasst drei Schritte: In einem ersten Schritt werden chemisch reine Cr und Ti Pulver im Atom-Verhältnis 40:60 abgewogen und zusammengeschmolzen. Die Kristall­struktur der entstehenden Legierung entspricht dem thermodynamischen Gleichgewicht (Cr₂Ti + Alpha, vgl. Fig. 1). Als nächstes werden einige mm grosse Stücke der Legierung im Lichtbogen oder durch einen Laser­strahl unter Schutzgas für einige Sekunden auf 1200°C erhitzt und dann in Wasser abgeschreckt. Dabei bildet sich ein bei Raumtemperatur metastabiler Hochtempera­tur- Lösungskristall (Beta-Cr₄₀Ti₆₀). Im letzten Schritt werden die Stücke bei 600°C (unterhalb der Glastemperatur von ca. 650°C) im Vakuum während etwa 48 Stunden getempert, wobei sie spontan und vollständig verglasen. Die Verglasung äussert sich u.a. durch ein Ansteigen des elektrischen Widerstandes, der Elastizi­tät sowie der Härte, (letztere von ca. 6 auf ca. 10 GPa Meyer-Ritzhärte). Ein Vorteil des Verfahrens ist, dass eine mechanische Bearbeitung des Werkstücks nicht im harten Glaszustand, sondern bereits im wesentlich wei­cheren Beta-Zustand erfolgen kann.

    [0012] Die metastabile Kristallmodifikation kann auch direkt aus einer Legierungsschmelze hergestellt werden, indem z. B. eine Schmelze aus Cr-Ti im Atom-Verhältnis 40:60 langsam mit einer Abkühlrate von 10°C/s auf 1200°C ab­ gekühlt und dann rasch mit einer Abkühlrate von einigen 100°C/s auf 600°C abgeschreckt wird, worauf die Tem­perung bei der Endtemperatur des Abschreckvorgangs von 600°C erfolgt.

    [0013] Um die vorteilhaften Eigenschaften sowohl der amorphen wie der kristallinen Beschaffenheit für bestimmte An­wendungen zu kombinieren, können auch Stücke aus nur teilweise amorphem und teilweise kristallinem Material hergestellt werden. Stücke, die im Innern kristallin sind und eine amorphe Oberflächenschicht haben, lassen sich dadurch herstellen, dass man nur die Oberflächen­schicht eines Legierungsstücks in die metastabile Kri­stallmodifikation versetzt und das ganze Stück dann tempert. Das Verfahren kann dabei gleich wie oben er­läutert, jedoch mit langsamerem Abschrecken (ggf. ohne Wasser) durchgeführt werden. Von dem auf 1200°C erhitz­ten Legierungsstück kühlt dann nur eine Oberflächen­schicht rasch genug ab, dass die metastabile Beta-Modi­fikation bestehen bleibt, während sich im Innern des Werkstückes die dem thermodynamischen Gleichgewicht entsprechende Kristallstruktur (Cr₂Ti + Alpha-Ti) bil­det. Beim anschliessenden Tempern wird demzufolge nur die Oberflächenschicht verglast und das Innere bleibt kristallin.

    [0014] Das erfindungsgemässe Verfahren kann im Cr-Ti System auch mit anderer Zusammensetzung als 40:60 durchgeführt werden. Beispielsweise kann eine Zusammensetzung von Cr und Ti im Atomverhältnis 30:70 gewählt werden. Der Ver­glasungsvorgang ist dabei zwar langsamer (längeres Tem­pern erforderlich), dafür aber reversibel, indem sich durch Erhitzen der durch das beschriebene Verfahren er­haltenen amorphen Cr-Ti-Legierung auf eine über der Glastemperatur liegende Temperatur von z.B. 800°C (und ggf. tempern bei dieser höheren Temperatur) wieder der metastabile Beta-Kristall erzeugen lässt. Zur Veran­schaulichung zeigt Figur 2 die Freie Energie der betei­ligten Phasen als Funktion der Zusammensetzung bei 600 und 800°C, wobei Pfeile verschiedene mögliche Umwand­lungen symbolisieren.

    [0015] Das erfindungsgemässe Verfahren kann auch mit anderen Legierungen als Cr-Ti durchgeführt werden. Diese können binär, ternär oder auch komplexer sein. Beispiele von binären und ternären Systemen, die sich für das erfin­dungsgemässe Verfahren eignen sind Kobalt-Niob, Kupfer­-Titan, Eisen-Titan, Mangan-Titan, iob-Nickel sowie Eisen-Chrom-Titan. Allgemein werden vorzugsweise Legie­rungen verwendet, die mindestens eines der Elemente Si, Al, Ti, V, Cr, Mn, Fe, Co, Ni, Cu, Zr, Nb, Mo, Pd, Ag, Hf, Ta, W, Pt oder Au enthalten.


    Ansprüche

    1. Verfahren zur Herstellung eines wenigstens teilweise amorphen Legierungsstücks, dadurch gekennzeichnet, dass wenigstens ein Teil einer Legierung zunächst in eine metastabile Kristallmodifikation versetzt, und diese anschliessend so getempert wird, dass sie verglast.
     
    2. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die metastabile Modifikation aus einem nur bei ho­hen Temperaturen stabilen Misch- oder Verbindungskri­stall besteht.
     
    3. Verfahren nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekenn­zeichnet, dass die Legierung mindestens zwei Elemente mit merklich unterschiedlichen Atomradien enthält.
     
    4. Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, dass die Legierung mindestens eines der Elemente Si, Al, Ti, V, Cr, Mn, Fe, Co, Ni, Cu, Zn, Zr, Nb, Mo, Pd, Ag, Hf, Ta, W, Pt, Au enthält.
     
    5. Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, dass die Legierungszusammensetzung so gewählt wird, dass die durch das Verglasen erhaltene amorphe Legierung bzw. der amorphe Legierungsteil durch Erhitzen über die Glastemperatur wieder in die metasta­bile Kristallmodifikation zurückversetzbar ist.
     
    6. Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 5, dadurch gekennzeichnet, dass die metastabile Kristallmodifi­kation bei einer unter der Glastemperatur liegenden Temperatur getempert wird.
     
    7. Verfahren nach Anspruch 6, dadurch gekennzeichnet, dass die Temperatur, bei der die metastabile Kristall­modifikation getempert wird, um eine Toleranz von vor­zugsweise mindestens einigen °C unter der Glastempera­tur liegt.
     
    8. Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 7, dadurch gekennzeichnet, dass die Legierung bzw. der Teil der Legierung durch Erhitzen und anschliessendes Ab­schrecken in die metastabile Kristallmodifikation ver­setzt wird.
     
    9. Verfahren nach Anspruch 8, dadurch gekennzeichnet, dass das Erhitzen der Legierung in einem Lichtbogen oder einem Laserstrahl, vorzugsweise unter Schutzgas, erfolgt.
     
    10. Verfahren nach Anspruch 8 oder 9, dadurch gekenn­zeichnet, dass das Abschrecken der Legierung mittels einer Flüssigkeit, z.B. Wasser, erfolgt.
     




    Zeichnung