[0001] Die Erfindung betrifft ein Schienenfahrzeug mit Querneigungseinrichtung, bei dem
zwischen dem Wagenkasten und dem Drehgestell ein den Wagenkasten gegenüber dem Drehgestell
abstützendes Federsystem angeordnet ist sowie ein in Querrichtung verlaufender Zwischenträger,
der über zueinander und gegen die Wagenlängsmittelebene geneigte Pendel mit dem Wagenkasten
derart verbunden ist, daß eine Querneigung des Wagenkastens gegenüber dem Zwischenträger
möglich ist.
[0002] Die Geschwindigkeit eines Schienenfahrzeugs, das Personen befördert, ist bei der
Fahrt durch einen Gleisbogen dadurch begrenzt, daß die auf den Reisenden wirkende
Fliehkraft einen bestimmten Wert nicht überschreiten soll. Für die nicht ausgeglichene
parallel zum Wagenfußboden gemessene Fliehbeschleunigung sind Grenzwerte festgesetzt,
die je nach Bahngesellschaft zwischen 0,65 und 1 m/sec² liegen. Diese Grenzwerte bestimmen
die zulässige Bogengeschwindigkeit. Andere Grenzwerte bezüglich der Oberbaubeanspruchung
und der Fahrsicherheit werden erst bei größeren Bogengeschwindigkeiten erreicht.
[0003] Es sind deshalb Einrichtungen entwickelt worden, die den Wagenkasten in der Kurve
nach Bogeninnen neigen. Hierdurch entsteht ein Hangabtrieb, der die im Wagenkasten
wirkende Fliehbeschleunigung ganz oder teilweise kompensiert, so daß eine im Vergleich
zu einem Normalfahrzeug höhere Bogengeschwindigkeit zulässig ist.
[0004] Es sind unterschiedliche Systeme von Einrichtungen zur Erzielung einer Querneigung
des Wagenkastens bekannt (s. z.B. DE-OS 21 45 738, DE-AS 21 45 747).
1. Tragende Systeme mit geneigten Pendeln.
[0005] Bei diesen Systemen stützt sich der Wagenkasten über ein Federungssystem auf einem
Zwischenträger ab, der seinerseits durch Pendel am Drehgestellrahmen aufgehängt ist.
[0006] Die Pendel sind derart gegen die Vertikale geneigt, daß sich die Verlängerungen ihrer
Mittellinien bei aufrecht stehendem Wagen in der Fahrzeuglängsmittelebene annähernd
in der Höhe des Wagenschwerpunkts schneiden. Eine Neigung des Wagenkastens wird erreicht
durch einen Antrieb, der den Zwischenträger relativ zum Drehgestellrahmen seitlich
verschiebt. Dadurch wird die Neigung der Pendel auf der einen Drehgestellseite verkleinert
und auf der anderen vergrößert. Die am Zwischenträger angeschlossenen Pendelenden
ändern ihre Höhenlage und der Zwischenträger neigt sich entsprechend.
[0007] Damit die Gesamtanordnung stabil ist, müssen hängende Pendel verwendet werden. Die
Einrichtung zur Querneigung muß, da sich der Wagenkasten auf dem Zwischenträger abstützt,
das Gewicht des einen Wagenendes tragen und wird deshalb entsprechend schwer.
[0008] Als weiterer Nachteil kommt hierbei hinzu, daß durch die hängenden Pendel eine Umkehrung
des Kraftflusses erfolgt, da das drehgestellseitige Pendelende oben und das wagenkastenseitige
Pedelende unten liegt.
[0009] Schließlich besitzt dieses System eine sehr hohe Eigenstabilität. Dies bedeutet,
daß eine große Kraft erforderlich ist, um den Zwischenträger aus seiner Mittelposition
auszulenken, was einen entsprechend starken Antrieb erfordert. Aus diesem Grunde ist
ein solches System auch nicht als passives System ohne eigenen Antrieb verwendbar.
2. Tragende Systeme mit Rollen.
[0010] Bei diesen Systemen zur Erzielung einer Querneigung des Wagenkastens wird ebenfalls
ein Zwischenträger verwendet, der sich jedoch auf Rollen im Drehgestell abstützt.
[0011] Am Zwischenträger sind Rollbahnen angeordnet, meistens in Form von Kreissegmenten,
deren Mittelpunkt in Wagenmitte annähernd auf der Höhe des Wagenschwerpunktes liegt,
so daß bei einer Querverschiebung des Zwischenträgers relativ zum Drehgestell eine
Drehbewegung um die Wagenlängsachse entsteht.
[0012] Die mit Hilfe von Rollen und Rollbahnen arbeitenden Systeme haben gegenüber den Pendelsystemen
den Vorteil, daß die Eigenstabilität über die Geometrie der Rollbahnen in weiten
Grenzen beeinflußbar ist. So kann z.B. der Mittelpunkt der Kreissegmente, an denen
die Rollbahnen angeordnet sind, auf eine Höhe deutlich über den Wagenschwerpunkt gelegt
werden, so daß ein passives Querneigungssystem erhalten wird, also ein System, das
sich unter dem Einfluß der Fliehkraft selbsttätig nach Bogeninnen neigt.
[0013] Nachteilig an diesem System ist, daß auch hier die Einrichtung zur Querneigung das
Gewicht des Wagens tragen muß.
[0014] Da die Stützrollen wegen des begrenzten Raumes im Drehgestellbereich relativ klein
ausgeführt werden müssen, entsteht eine sehr hohe Pressung zwischen Rolle und Laufbahn.
Es müssen deshalb gehärtete Werkstoffe verwendet werden. Damit es nicht zur Kantenpressung
zwischen Rollen und Laufbahnen kommt, ist eine steife Konstruktion der tragenden Teile
und eine besonders präzise Fertigung notwendig.
[0015] Querneigungseinrichtungen nach diesem System sind also schwer und kostspielig.
3. Systeme mit im Dachbereich abgestütztem Wagenkasten (s.z.B. "Elektrische Bahnen,
83. Jahrgang, Heft 5/1985, S. 160 bis 162).
[0016] Bei diesen Systemen ist das Federsystem (Luftfedern) im Dachbereich des Fahrzeugs
angeordnet. Dies hat zur Folge, daß der Schwerpunkt des Wagens deutlich unter der
Abstützung liegt, so daß sich der Wagenkasten unter dem Einfluß der Fliehkraft ohne
äußeren Antrieb selbsttätig nach Bogeninnen neigt. Es handelt sich hier also um ein
passives System.
[0017] Nachteilig an diesem System ist, daß es im wesentlichen nur für Gliederzüge verwendbar
ist, wo zwischen den Wagenenden, die sich gemeinsam auf einem Laufwerk abstützen,
Platz für die Stützen der Federung ist.
[0018] Die Erfindung geht aus von einem Schienenfahrzeug mit Querneigungseinrichtung der
eingangs und im Oberbegriff des Patentanspruchs 1 erwähnten Bauart, wie es beispielswei
se in der DE-OS 21 45 738 beschrieben ist. Bei diesem bekannten System stützt sich
der Zwischenträger über das Federsystem auf dem Drehgestell ab und der Wagenkasten
ist über die Pendel am Zwischenträger aufgehängt. Die Einrichtung fällt damit grundsätzlich
unter die oben unter 1 beschriebenen Systeme.
[0019] Die der Erfindung zugrunde liegende Aufgabe bestand darin, ein solches Schienenfahrzeug
mit Querneigungseinrichtung derart auszubilden, daß die Einrichtung zur Erzielung
der Querneigung des Wagenkastens einerseits konstruktiv einfach aufgebaut ist und
ein hohes Gewicht und hohe Kosten vermieden werden, andererseits aber eine hohe Flexibilität
gestattet, indem sie sowohl als aktives als auch passives System ausgebildet werden
kann und sowohl an Schienenfahrzeugen ohne Wiegenträger als auch an Schienenfahrzeugen
mit Wiegenträger leicht verwirklicht werden kann.
[0020] Die Lösung dieser Aufgabe geschieht erfindungsgemäß dadurch, daß sich der Wagenkasten
über das Federsystem, gegebenenfalls unter Zwischenschaltung eines Wiegenträgers,
auf dem Drehgestell abstützt, und der Zwischenträger über die Pendel am Wagenkasten
oder einem zwischen dem oberen Ende des Federsystems und dem Wagenkasten angeordneten
Wiegenträger frei aufgehängt ist und über Wankstützen sowie in Querrichtung wirkende
Federn mit dem Drehgestell oder einem zwischen dem unteren Ende des Federsystems
und dem Drehgestell angeordneten Wiegenträger verbunden ist.
[0021] Zur Erzielung eines aktiven Systems ist es dabei vorteilhaft, wenn die Pendel so
angeordnet sind, daß sich ihre Mitellinien mindestens angenähert auf der Höhe des
Wagenschwerpunktes schneiden, und die Querneigung des Wagenkastens gegenüber dem
Zwischenträger durch einen geregelten Antrieb erzwingbar ist.
[0022] Bei einem passiven System sind die Pendel zweckmäßig so angeordnet, daß sich ihre
Mittellinien auf einer Höhe oberhalb des Wagenschwerpunktes schneiden.
[0023] Die Erfindung geht von dem Grundgedanken aus, daß die bei den bekannten Systemen
auftretenden Schwierigkeiten vermieden werden können, wenn dafür gesorgt wird, daß
die Abstützung des Wagenkastens auf dem Drehgestell über das Federsystem nicht über
den Zwischenträger erfolgt. Dies hat zur Folge, daß die Einrichtung zur Erzielung
der Querneigung des Wagenkastens nicht durch das Gewicht des Wagenkastens belastet
ist.
[0024] Bei einem Schienenfahrzeug ohne Wiegenträger bedeutet dies, daß sich der Wagenkasten,
wie bei einem normalen Drehgestell, über das Federsystem direkt auf dem Drehgestell
abstützt. Die Nachgiebigkeit des Federsystems in vertikaler und horizontaler Richtung
ermöglicht die Neigung des Wagens um einen Drehpol, der durch die nunmehr parallel
zur Federung liegende Neigungseinrichtung bestimmt wird.
[0025] Bei einem Schienenfahrzeug mit einem Wiegenträger ist dieses Grundprinzip in der
gleichen Weise anwendbar. Dabei kann der Wiegenträger in bekannter Weise entweder
unterhalb des Federsystems auf dem Drehgestell angeordnet sein oder oberhalb des
Federsystems am Wagenkasten. Im ersten Fall ist der Wiegenträger gegenüber dem Drehgestellrahmen
um eine vertikale Achse drehbar gelagert. Der Drehgestellrahmen kann also ausdrehen,
ohne dabei das Federsystem zu verformen. Im zweiten Fall ist der Wiegenträger gegenüber
dem Untergestell des Wagenkastens um eine vertikale Achse drehbar gelagert, so daß
sich der Wagenkasten ausdrehen kann, ohne das Federsystem zu verformen.
[0026] In beiden Fällen dient der Wiegenträger lediglich dazu, das Ausdrehen des Drehgestelles
unabhängig vom Federsystem zu ermöglichen. Er hat jedoch keinen Einfluß auf die Funktion
der Einrichtung zur Querneigung des Wagenkastens.
[0027] Im folgenden wird anhand der beigefügten Zeichnungen ein Ausführungsbeispiel für
ein Schienenfahrzeug mit Querneigungseinrichtung nach der Erfindung näher erläutert.
[0028] In den Zeichnungen zeigen:
Fig. 1 in schematischer Darstellung einen Querschnitt durch ein Schienenfahrzeug nach
der Linie A-A in Fig. 2;
Fig. 2 in schematischer Seitenansicht das Schienenfahrzeug nach Fig. 1 im Bereich
eines Drehgestelles.
[0029] Von dem in Fig.1 und 2 dargestellten Schienenfahrzeug, also beispielsweise einem
Eisenbahnwaggon, sind nur die im Zusammenhang mit der Einrichtung zur Querneigung
des Wagenkastens im Gleisbogen interessierenden Teile dargestellt.
[0030] Es handelt sich um ein Schienenfahrzeug mit einem wiegenträgerlosen Drehgestell,
bei dem sich der Wagenkasten 1 über das Federsystem 2 direkt auf dem Drehgestell 3
abstützt. Bei dieser Drehgestellbauart ist die Federung auch in der horizontalen Längsrichtung
nachgiebig, so daß ein Ausdrehen des Drehgestells 3 um die vertikale Achse relativ
zum Wagenkasten 1 möglich ist. Weiterhin ermöglicht die Nachgiebigkeit des Federsystems
2 in vertikaler und horizontaler Richtung die Neigung des Wagenkastens 1 um einen
Drehpol P, der durch eine parallel zum Federsystem 2 liegende Neigungseinrichtung
bestimmt wird.
[0031] Diese Neigungseinrichtung weist zwei zueinander und zur Längsmittelebene des Wagens
geneigte Pendel 4 auf, deren oberes Ende jeweils am Wagenkasten 1 und deren unteres
Ende an einem Zwischenträger 5 befestigt ist. Die Neigung der Pendel 4 ist so gewählt,
daß sich die Verlängerungen ihrer Mittellinien bei aufrecht stehendem Wagen auf der
Höhe des Schwerpunkts S oder oberhalb dieser Höhe schneiden.
[0032] Der Zwischenträger 5 wird durch eine an sich bekannte Wankstütze 6 annähernd parallel
zur horizontalen xy-Ebene des Drehgestellrahmens 3 gehalten und durch eine Querfederung
7 in Querrichtung geführt.
[0033] Die oben beschriebene Einrichtung zur Neigung des Wagenkastens in Querrichtung kann
als aktives oder als passives System ausgebildet sein.
[0034] Bei einem aktiven System liegt der Schnittpunkt der Verlängerungen der Pendel 4 bei
aufrecht stehendem Wagen mindestens angenähert in Höhe des Wagenkastenschwerpunktes
S. Die Neigung des Wagenkastens 1 relativ zum Zwischenträger 5 beim Fahren durch
einen Gleisbogen wird durch einen Stellantrieb erzwungen. Dieser Stellantrieb kann
beispielsweise ein Elektromotor sein, der über ein nicht dargestelltes Getriebe auf
den in Fig. 1 dargestellten Kurbelmechanismus 8 wirkt. Der Antrieb kann mit einem
Regelsystem verbunden sein. Da derartige Antriebe und Regelsysteme an sich bekannt
sind, werden sie im folgenden nicht näher erläutert.
[0035] Bei einem passiven System liegt der Schnittpunkt der Verlängerung der Mittellinien
der Pendel 4 deutlich oberhalb des Schwerpunktes S des Wagenkastens 1. Unter dem Einfluß
der Fliehkraft, die im Schwerpunkt S angreift, tendiert der Wagenkasten 1 dazu, auf
dem querweichen Federsystem 2 nach Bogenaußen zu treiben, wird aber durch die schrägstehenden
Pendel 4, deren Wirkungslinie in Höhe des Schnittpunkts der Mittellinien oberhalb
des Schwerpunkts S liegt, gehalten. Auf diese Weise entsteht ein Moment, das den Wagenkasten
1 nach Bogeninnen neigt.
[0036] Aus dem dargestellten Ausführungsbeispiel ist ersichtlich, daß sich bei diesem System
das Gewicht des Wagenkastens 1 nicht auf der Einrichtung zur Erzeugung der Querneigung
abstützt. Diese Einrichtung hat daher nur Stellkräfte zu übertragen, die sehr viel
kleiner sind als das Wagenkastengewicht und kann deshalb erheblich leichter gebaut
sein als bei herkömmlichen Systemen.
[0037] Das anhand der Fig. 1 und 2 beschriebene System ist auch anwendbar in Verbindung
mit einem Wiegenträger.
[0038] Bei Anordnung des Wiegenträgers unterhalb des Federsystems 2 stützen sich Feder
2 und Wankstütze 6 auf diesem Wiegenträger ab. Der Wiegenträger wird über seitliche
Anlenkstangen (an jeder Wagenseite eine) gegen den Wagenkasten geführt.
[0039] Bei Anordnung des Wiegenträgers oberhalb des Federsystems 2 ist der Wiegenträger
gegen den Drehgestellrahmen durch seitliche Anlenkstangen oder Gleitflächen geführt.
In diesem Falle schließen die schrägstehenden Pendel 4 der Neigungseinrichtung am
Wiegenträger an und nicht am Wagenkasten.
1. Schienenfahrzeug mit Querneigungseinrichtung,bei dem zwischen dem Wagenkasten und
dem Drehgestell ein den Wagenkasten gegenüber dem Drehgestell abstützendes Federsystem
angeordnet ist, sowie ein in Querrichtung verlaufender Zwischenträger, der über zueinander
und gegen die Wagenlängsmittelebene geneigte Pendel mit dem Wagenkasten derart verbunden
ist, daß eine Querneigung des Wagenkastens gegenüber dem Zwischenträger möglich ist,
dadurch gekennzeichnet, daß sich der Wagenkasten (1) über das Federsystem (2) gegebenenfalls
unter Zwischenschaltung eines Wiegenträgers auf dem Drehgestell (3) abstützt und
der Zwischenträger (5) über die Pendel (4) am Wagenkasten (1) oder einem zwischen
dem oberen Ende des Federsystems und dem Wagenkasten angeordneten Wiegenträger frei
aufgehängt ist und über Wankstützen (6) sowie in Querrichtung wirkende Federn (7)
mit dem Drehgestell (3) oder einem zwischen dem unteren Ende des Federsystems und
dem Drehgestell angeordneten Wiegenträger verbunden ist.
2. Schienenfahrzeug nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die Pendel (4) so
angeordnet sind, daß sich ihre Mittellinien mindestens angenähert auf der Höhe des
Wagenschwerpunktes (S) schneiden und die Querneigung des Wagenkastens gegenüber dem
Zwischenträger (5) durch einen geregelten Antrieb (8) erzwingbar ist.
3. Schienenfahrzeug nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die Pendel (4) so
angeordnet sind, daß sich ihre Mittellinien auf einer Höhe oberhalb des Wagenschwerpunktes
(S) schneiden.