(19)
(11) EP 0 294 683 A2

(12) EUROPÄISCHE PATENTANMELDUNG

(43) Veröffentlichungstag:
14.12.1988  Patentblatt  1988/50

(21) Anmeldenummer: 88108648.2

(22) Anmeldetag:  31.05.1988
(51) Internationale Patentklassifikation (IPC)4H01J 49/38
(84) Benannte Vertragsstaaten:
CH FR GB LI

(30) Priorität: 06.06.1987 DE 3719018

(71) Anmelder: Spectrospin AG
CH-8117 Fällanden (CH)

(72) Erfinder:
  • Bodenhausen, Geoffrey
    CH-1009 Pully (CH)
  • Pfändler, Peter
    CH-1005 Lausanne (CH)
  • Rapin, Jacques
    CH-1004 Lausanne (CH)
  • Gäumann, Tino
    CH-1052 Le Mont-sur-Lausanne (CH)
  • Hourriet, Raymond
    CH-1006 Lausanne (CH)

(74) Vertreter: KOHLER SCHMID + PARTNER 
Patentanwälte Ruppmannstrasse 27
70565 Stuttgart
70565 Stuttgart (DE)


(56) Entgegenhaltungen: : 
   
       


    (54) Verfahren zur Aufnahme von ICR-Massenspektren und zur Durchführung des Verfahrens ausgebildetes ICR-Massenspektrometer


    (57) Die Ionen-Cyclotron-Resonanz stellt eine bedeutende Methode der Massenspektroskopie dar. Sogenannte MS/MS-Experimente erlauben auch die Beobachtung von Reaktionen der untersuch­ten Substanzen. Diese Experimente sind jedoch sehr aufwen­dig, weil sie selektiv für jeden der eingesetzten Stoffe und jedes einzelne der Reaktionsprodukte besonders durch­geführt werden müssen. Die Beobachtung komplexer Vorgänge ist daher in der Praxis schwierig.
    Mit Hilfe einer zweidimensionalen ICR-Methode lassen sich Reaktionen der untersuchen Substanzen feststellen, wobei die folgende Meßsequenz Anwendung findet:
    P₁ - t₁ - P₂ - τm - P₃ - t₂.
    Darin bedeuten P₁, P₂ und P₃ HF-Impulse, von denen die HF-Impulse P₁ und P₂ die gleiche Frequenz haben. Diese Meßsequenz wird unter Veränderung von t₁ mehrfach wieder­holt. Auf diese Weise wird eine Vielzahl von in der Zeit t₂ aufgenommenen Induktionssignalen erhalten, die dann durch Umsetzen vom Zeitbereich in den Frequenzbereich zu einem zweidimensionalen Spektrum führen. Das Umsetzen vom Zeitbereich in den Frequenzbereich kann durch eine zwei­dimensionale Fourier-Transformation oder nach der Methode der maximalen Entropie erfolgen.


    Beschreibung


    [0001] Die Erfindung betrifft ein Verfahren zur Aufnahme von ICR-­Massenspektren, bei dem die in der Meßzelle eines ICR-Massen­spektrometers gefangenen Ionen einer zu untersuchenden Substanz durch einen an die Meßzelle angelegten HF-Impuls zu kohärenten Schwingungen angeregt und danach die durch die Schwingungen der angeregten Ionen induzierten HF-Signale während einer vor­gegebenen Meßzeit empfangen, aufgezeichnet und in frequenzab­hängige Signale umgesetzt werden.

    [0002] Die beispielsweise von A. G. Marshall in Acc. Chem. Res. 18 (1985) 316 beschriebene Ionen-Cyclotron-Resonanz ist wegen ihrer Vielseitigkeit, Empfindlichkeit und hohen Auflösung eine ausgezeichnete Methode für die Massenspektroskopie. Dabei können in einer Gasprobe enthaltene Ionen unterschiedlicher Art durch einen entsprechend breitbandigen Impuls gleichzeitig angeregt werden, so daß in dem nach dem Ende des Impulses von den ange­regten Ionen induzierten HF-Signal ein Frequenzgemisch vorliegt. Die in dem Induktionssignal enthaltenen Komponenten können dann durch eine Fourier-Transformation nach Frequenz und Inten­sität aufgelöst werden.

    [0003] Die ICR-Massenspektroskopie erlaubt jedoch nicht nur die Analyse von Stoffen und Stoffgemischen, sondern durch die beispielsweise von J. D. Baldeschwieler und E. W. Randall in Acc. Chem. Res. 63 (1963) 81 beschriebene Methode der Doppelresonanz die Beobach­tung von dynamischen Vorgängen, wie beispielsweise die Beobach­tung der Produkte von Ionen-Molekül-Kollisionen sowie von uni­molekularen Fragmentationen. Bei dieser auch als MS/MS-Experi­ment bezeichneten Doppelresonanz werden zunächst von den in der Meßzelle eines ICR-Massenspektrometers gefangene Ionen der zu untersuchenden Substanz durch Einstrahlung entsprechender Cyclotron-Resonanzfrequenzen alle Ionen mit Ausnahme der einen Ionensorte, die weiter untersucht werden soll, eliminiert. Soweit erforderlich, wird danach in die Meßzelle ein Kollisions­gas eingelassen. Danach wird die selektierte Ionensorte in einem solchen Maße angeregt, daß es zu Stößen untereinander oder mit den Molekülen des Kollisionsgases kommt und durch Stoß-Dissoziation sekundäre Fragmente entstehen. Danach werden die entstandene Sekundärionen durch den üblichen ICR-Meßzyklus analysiert. Wenn das ursprüngliche Massenspektrum eine Anzahl N Linien enthält, ist für eine vollständige Analyse eine Anzahl N solcher Experimente erforderlich. Dabei entsteht für jede Linie des ursprünglichen Spektrums eine Anzahl neuer Spektrallinien, so daß ein zweidimensionales Feld von Spektrallinien erhalten wird. wenn die ursprünglichen Spektrallinien längs einer Koordi­natenrichtung und die diesen Spektrallinien zugeordneten, sekun­dären Spektrallinien längs einer zweiten Koordinatenrichtung aufgetragen werden. Selbst wenn ein solches MS/MS-Experiment automatisch durchgeführt wird, erfordert die Durchführung eines solchen Experimentes eine sehr lange Zeit und einen erheblichen apparativen Aufwand. Außerdem versagt die Automatik, wenn die Spektren sehr komplex sind und überlappende Linien aufweisen oder wenn sie schwache, an der Detektionslinie liegende Linien enthalten.

    [0004] Demgemäß liegt der Erfindung die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren zur Aufnahme von ICR-Massenspektren anzugeben, das die gleichen Untersuchungen gestattet wie Doppel-Resonanz-Experimente, das jedoch eine erheblich geringere Meßzeit und einen geringeren apparativen Aufwand erfordert und auch in komplizierten Fällen allgemein anwendbar ist.

    [0005] Diese Aufgabe wird nach der Erfindung dadurch gelöst, daß nach einem zum Anregen der Ionen verwendeten ersten HF-Impuls P₁ und einer vorgegebenen ersten Zeit t₁ ein zweiter HF-Impuls P₂ folgt, der auf die angeregten Ionen eingestrahlt wird und der die gleiche Frequenz enthält wie der erste HF-Impuls P₁, daß nach einer vorgegebenen Mischzeit τm dem zweiten HF-Impuls P₂ ein dritter HF-Impuls P₃ folgt, der erneut eine kohärente Anregung der in der Meßzelle enthaltenen Ionen bewirkt, daß die von den durch den dritten HF-Impuls P₃ angeregten Schwin­gungen induzierten HF-Signale während der vorgegebenen Meßzeit t₂ empfangen und aufgezeichnet werden, daß die vorstehend beschriebene, die Anregung der Ionen mittels dreier zeitlich aufeinanderfolgender HF-Impulse P₁, P₂, P₃ und die Aufzeichnung des induzierten, zeitabhängigen HF-Signals umfassende Meßsequenz unter Variation der vorgegebenen Zeit t₁ mehrfach wiederholt wird und endlich die nun von der Variation der Zeit t₁ abhängi­gen Sätze der von der Meßzeit t₂ abhängigen HF-Signale unter Eliminierung der Abhängigkeit von t₂ und t₁ in zweidimensional frequenzabhängige Signale umgesetzt werden.

    [0006] Das erfindungsgemäße Verfahren ist demgemäß in mancher Hinsicht mit dem aus der Kernresonanz bekannten Verfahren der 2D-Aus­tausch-Spektroskopie (NOESY) vergleichbar, das dazu dient, dynamische Prozesse wie chemische Reaktionen, Isomerisation u. dgl. zu untersuchen (siehe z.B. B. H. Meier und R. R. Ernst in J. Am. Chem. Soc. 101 (1979) 6441 sowie J. Jeener et al in J. Chem. Phys. 71 (1979) 4546). Trotzdem war es nicht nahelie­gend, in der ICR-Spektroskopie eine analoge Methode anzuwenden, weil grundsätzliche Unterschiede zwischen der in der NMR be­obachteten transversalen Magnetisierung der Spins und der kohä­renten Resonanz der bei der ICR-Spektroskopie angeregten Ionen bestehen. Außerdem sind bei der NMR-Spektroskopie die auftre­tenden Resonanzfrequenzen sehr dicht benachbart, so daß sie allenfalls um wenige Prozent voneinander abweichen, wogegen die Resonanzfrequenzen bei der Cyclotron-Ionen-Resonanz wegen der stark unterschiedlichen Ladungs/Massen-Verhältnisse in einem Verhältnis bis zu etwa 1:50 stehen können. So können bei einem ICR-Massenspektrometer, bei dem die Meßzelle einem sta­tischen Magnetfeld von 3T ausgesetzt ist, die Resonanzfrequenzen interessierender Substanzen etwa von 50 kHz bis 2,6 MHz vari­ieren. Die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten können jedoch in weiterer Ausgestaltung des erfindungsgemäßen Verfahrens entweder dadurch überwunden werden, daß der dritte HF-Impuls P₃ eine andere Trägerfrequenz aufweist als die ersten beiden HF-Impulse P₁ und P₂, oder aber auch dadurch, daß die HF-Impulse Breitbandimpulse mit in einem vorgegebenen Bereich variierter Trägerfrequenz sind. Solche Breitbandimpulse werden auch als "Chirp-Impulse" bezeichnet (M. B. Comisarow und A. G. Marshall in Chem. Phys. Lett. 26 (1974) 489).

    [0007] Das erfindungsgemäße Verfahren läßt sich demnach durch die folgende Sequenz beschreiben:
        P₁ - t₁ - P₂ - τm - P₃ - t₂
        P₁      Erster HF-Anregungsimpuls
        P₂      Zweiter HF-Anregungsimpuls
        P₃      Dritter HF-Anregungsimpuls
        t₁      Variable Vorbereitungszeit (Zeitparameter in der ersten Dimension)
        t₂      Beobachtungszeit für das Interferogramm (Zeitparameter der zweiten Dimension)
        τm      Reaktionszeit
    Wie oben erwähnt, enthält der zweite HF-Impuls P₂ die gleiche Frequenz wie der erste HF-Impuls P₁. Wenn die Ionen am Ende der variablen Vorbereitungszeit eine Phase aufweisen, die zur Phase des zweiten HF-Impulses P₂ entgegengesetzt ist, hebt der zweite HF-Impuls P₂ die Wirkung des ersten HF-Impulses P₁ teil­weise wieder auf. Die Wirkung des zweiten Impulses hängt somit von der momentanen Phase der Bewegung der einzelnen Ionen nach Ablauf der ersten Zeit t₁ ab, die deshalb als Vorbereitungszeit bezeichnet wurde. Daher ist die Zahl der inkohärenten Ionen, die nach Ende des zweiten HF-Impulses P₂ und damit zu Beginn der Reaktionszeit τm vorhanden sind, eine Funktion der Vorberei­tungszeit t₁. Die innerhalb der Reaktionszeit τm auftretenden Ereignisse, welche von der Anzahl der angeregten Ionen abhängen, werden deshalb entsprechend beeinflußt. Infolgedessen weist das nach der erneuten Anregung der Ionen durch den dritten HF-­Impuls P₃ während der zweiten Zeit t₂ aufgezeichnete Induktions­signal eine Abhängigkeit von der Dauer der Vorbereitungszeit t₁ auf. Wird nun die Vorbereitungszeit t₁ systematisch variiert und die dabei in bezug auf die Zeitachse t₂ in den Frequenzbe­reich umgesetzten Signale ein zweites Mal in bezug auf die Zeitachse t₁ in frequenzabhängige Signale umgesetzt, so erhält man eine zweidimensionale Darstellung der Sekundäreffekte, welche für die Primärionen denkbar sind. Bei geeigneter Wahl der Parameter und bei Anwesenheit eines Kollisionsgases können auf diese Weise z.B. Spektren erzeugt werden, die den mit Hilfe des MS/MS-Experimentes erhaltenen Spektren vergleichbar sind. Ein sinnvolles Experiment ergibt sich auch ohne Applikation des Beobachtungsimpulses P₃.

    [0008] Die Umsetzung der zeitabhängigen HF-Signale in die frequenzab­hängigen Signale kann auch bei dem erfindungsgemäßen Verfahren in an sich bekannter Weise durch eine zweidimensionale Fourier-­Transformation erfolgen. Da jedoch die Aufhebung der Kohärenz durch den zweiten HF-Impuls P₂ in Abhängigkeit von der Vorberei­tungszeit t₁ nicht unbedingt dem Sinusgesetz folgt, liefert die Fourier-Transformation in bezug auf die Vorbereitungszeit t₁ ein Spektrum, das auch Harmonische der eigentlichen Linien enthalten kann. Diese Seitenbänder können die Interpretation von zweidimensionalen ICR-Spektren erschweren. Daher sieht eine weitere Ausgestaltung der Erfindung vor, daß die Umsetzung der zeitabhängigen HF-Signale in die frequenzabhängigen Signale nach der Methode der maximalen Entropie erfolgt, die beispiels­weise von P. J. Hore in J. Magn. Reson. 62 (1985), 561, be­schrieben ist.

    [0009] Gegenstand der Erfindung ist auch ein ICR-Massenspektrometer, das zur Durchführung des erfindungsgemäßen Verfahrens eingerich­tet ist. Ein solches ICR-Massenspektrometer weist in herkömm­licher Weise eine Meßzelle, eine daran angeschlossene Sendeein­richtung zum Erzeugen von HF-Impulsen, eine ebenfalls daran angeschlossene Empfangseinrichtung für die induzierten HF-Sig­nale und einen an die Empfangseinrichtung angeschlossenen Rech­ner zum Umsetzen der empfangenen zeitabhängigen HF-Signale in entsprechende frequenzabhängige Signale auf. Um das erfindungs­gemäße Verfahren durchführen zu können, ist die Sendeeinrichtung zum Erzeugen von zwei HF-Impulsen gleicher Frequenz und einem dritten HF-Impuls einer gleichen oder anderen einstellbaren Frequenz eingerichtet. Außerdem weist die Sendeeinrichtung mindestens ein Zeitglied auf, das es gestattet, den Abstand zwischen dem ersten und dem zweiten HF-Impuls fortlaufend zu verändern. Ein weiteres Zeitglied könnte dazu dienen, den bei einem Experiment konstant bleibenden Abstand zwischen dem zwei­ten und dem dritten HF-Impuls auf einen der Art des Experimentes angepaßten Wert einzustellen. Die Empfangseinrichtung ist zum Speichern einer Vielzahl von zeitabhängigen HF-Signalen einge­richtet, da für jeden im Verlauf der Spektrenaufnahme geänderten Wert der Vorbereitungszeit t₁ ein Induktionssignal zu speichern ist. Endlich ist der Rechner zum Umsetzen der zeitabhängigen HF-Signale zum Erzeugen von zweidimensional frequenzabhängigen Signalen aus den gespeicherten Sätzen der zeitabhängigen HF-­Signale eingerichtet, insbesondere zur Durchführung einer schnellen zweidimensionalen Fourier-Transformation. Alle die Komponenten, die zum Aufbau eines nach der Erfindung ausgebil­deten ICR-Massenspektrometers erforderlich sind, sind an sich bekannt und können vom Fachmann nach den jeweiligen Erforder­nissen kombiniert werden. Bei einem ICR-Massenspektrometer haben sie jedoch in dieser Form bisher keine Anwendung gefunden. Insbesondere ist es wünschenswert, daß die Sendeeinrichtung zum Erzeugen von HF-Impulsen mit während der Dauer des HF-Im­pulses variierender Trägerfrequenz, also zum Erzeugen von Chirp-­Impulsen, eingerichtet ist.

    [0010] Die Erfindung wird im folgenden anhand von mehreren Ausführungs­beispielen des erfindungsgemäßen Verfahrens und den dadurch gewonnenen, in der Zeichnung dargestellten Spektren näher be­schrieben und erläutert. Es zeigen

    Fig. 1a das als Funktion der Vorbereitungszeit t₁ modulierte ICR-Signal S(t₁ , ω₂) von ⁸¹Br-Pyridin⁺,

    Fig. 1b die Fourier-Transformierte des ICR-Signals nach Fig. 1a,

    Fig. 2 ein zweidimensionales Fourier-ICR-Spektrum von ⁸¹Br-Pyridin⁺ und

    Fig. 3 das zweidimensionale ICR-Spektrum der Reaktion CH₃CO⁺ + CH₃COCH₃ → CH₃C⁺ (OH)CH₃ .



    [0011] Die folgenden Versuche wurden mit einem Spectrospin-ICR-Massen­spektrometer vom Typ CMS-47 durchgeführt, dessen supraleitender Magnet ein Feld von 3T erzeugt, und mit einem Rechner vom Typ Aspect 3000.

    [0012] Als erstes wurde eine Mischung von ⁸¹Br-Pyridin und ⁷⁹Br-Pyridin untersucht. Diese beiden Stoffe werden im folgenden mit A und B bezeichnet. Demgemäß gilt:
        A = ⁸¹Br-Pyridin; mA = 159 amu,
        fA = 289.7 kHz; fAH = 287.8 kHz
        B = ⁷⁹Br-Pyridin; mB = 157 amu,
        fB = 293.4 kHz; fBH = 291.5 kHz
    Diese Stoffe können, soweit es die für diesen Versuch relevanten Prozesse angeht, in die folgenden Reaktionen eingehen, nämlich in einen Wasserstofftransfer von neutralen Teilchen zum Ion:
        A⁺· + A oder B → AH⁺ + neutrale Produkte,
    sowie einen Protonentransfer vom Ion zu neutralen Teilchen, nämlich
        A⁺· oder B⁺· + A → AH⁺ + neutrale Produkte.

    [0013] Das Br-Pyridin wurde bei einem Druck von 6.10⁻⁸ mbar mit einem 20 ms-Impuls von 70 eV Elektronen ionisiert. Die Dauer der HF-­Impulse betrug 20 µs und deren Amplitude 35 Vpp. Die Frequenz fo der HF-Impulse hatte von der Frequenz fA des ⁸¹Br-Pyridin einen Abstand ΩA/2π = 760 Hz. Das dadurch geschaffene spektrale Fenster war ausreichend groß, um die Signale von A⁺· und AH⁺ zu erfassen, wogegen die Signale von BH⁺ gefaltet erschienen. Figur 1 zeigt die t₁-Abhängigkeit des Signales von A⁺·, das durch die eingangs behandelte Meßsequenz
        P₁ - t₁ - P₂ - τm - P₃ - t₂
    erhalten wird. Die scharfen Spitzen im t₁-Bereich erscheinen immer dann, wenn
        ΩAt₁ = (2k + 1) ℓ, k = 0,1,2 ...,
    also immer dann, wenn die im Verlauf der Vorbereitungszeit t₁ sich entwickelnde Phasenverschiebung ΩAt₁ gegenüber der HF-­Schwingung des Impulses P₁ eine Phasenverschiebung von 180° aufweist. Demgemäß erscheinen diese Spitzen in Zeitintervallen von 1,32 ms. Das bei der Aufnahme dieser Kurve verwendete Digi­talisierungsintervall betrug Δt₁ = 166 µs. Unter diesen Bedin­gungen hat der zweite HF-Impuls P₂ in der vorstehend erwähnten Sequenz die Wirkung einer "Aberregung" der Ionen, die ursprüng­lich von dem ersten HF-Impuls P₁ angeregt worden waren, so daß sie in dem Reaktionsintervall τm eine fast verschwindende kine­tische Energie aufweisen und durch den dritten HF-Impuls P₃ in die Cyclotronbahnen zurückgebracht werden können, in denen sie beobachtet werden. Fig. 1b zeigt dann die Fourier-Transformierte des ICR-Signals nach Fig. 1a, in dem geradzahlige und ungerad­zahlige Seitenbänder mit positiver bzw. negativer Amplitude erscheinen.

    [0014] Fig. 2 zeigt das vollständige zweidimensionale Spektrum. Die ω₂-Frequenzachse entspricht der Fourier-Transformierten in bezug auf die Beobachtungszeit t₂. Der vertikale ω₁-Bereich, der durch eine reelle Cosinus-Transformation in bezug auf die Vorbereitungszeit t₁ erhalten wurde, zeigt Seitenbandfamilien, die zur Verdeutlichung durch Bogen verbunden sind. Der Quer­schnitt, d.h. die Spalte für ω₂ = ΩA, entspricht der in Fig. 1b dargestellten Fourier-Transformierten. Die ersten Seitenbänder in allen Familien liegen auf einer der Diagonalen, die in Fig. 2 durch gestrichelte Linien dargestellt sind, abgesehen von der Resonanz bei ΩBH, die gefaltet erscheint. Der Frequenzursprung im Schnittpunkt der gestrichelten Diagonalen entspricht der HF-Trägerfrequenz fo. Die Spalte bei ω₂ = ΩAH enthält nicht nur eine Diagonallinie mit ihrer Serie von Seitenbändern, son­dern auch eine Kreuzlinie bei ω₁ = ΩA und ω₂ = ΩAH mit den ihr zugeordneten Seitenbändern, die alle durch Vierecke hervor­gehoben sind. Diese Signale bilden einen direkten Beweis für die oben angegebene Reaktion A⁺·→AH⁺· Wegen ihrer abwechselnden Vorzeichen können diese Linien unzweideutig identifiziert werden. Die Spektralbreite betrug 3000 Hz in beiden Bereichen. Die Anzahl der beobachteten Punkte betrug 240 x 2048 in den beiden Zeitbereichen t₁ und t₂, die durch Nullen auf 256 x 2048 Punkte vor der Fourier-Transformation aufgefüllt wurden. Es erfolgte eine Linienverbreiterung von 20 Hz im ω₂-Bereich und von 40 Hz im ω₁-Bereich.

    [0015] Trotz der Eindeutigkeit der Linien kann die Interpretation solcher zweidimensionaler Spektren wegen des Vorliegens von sowohl Diagonal- als auch Kreuzlinien mit ihren zugeordneten Seitenbandfamilien schwierig werden. Wie bereits oben erwähnt, besteht jedoch die Möglichkeit, das Auftreten von Seitenbändern zu vermeiden, wenn anstelle einer Fourier-Transformation die Methode maximaler Entropie verwendet wird, um die zeitabhängigen HF-Signale in frequenzabhängige Signale umzusetzen. Hiervon bleibt jedoch das eigentliche Meßverfahren unberührt, so daß davon abgesehen wurde, ein Beispiel für ein unter Verwendung der Methode der maximalen Entropie erhaltenes Spektrum darzu­stellen.

    [0016] Um die Variante des Verfahrens zu veranschaulichen, bei der für den dritten HF-Impuls P₃ eine andere Trägerfrequenz verwen­det wird als für die ersten beiden HF-Impulse P₁ und P₂, wurde die folgende Reaktion gewählt
        CH₃CO⁺ + CH₃COCH₃ → CH₃C⁺ (OH)CH₃.

    [0017] Dabei hat CH₃CO⁺ das Massenverhältnis mc = 43 amu und eine Resonanzfrequenz von fc = 1071 kHz. Das Reaktionsprodukt CH₃C⁺ (OH)CH₃ hat das Massenverhältnis mD = 59 amu und die Reso­nanzfrequenz fD = 779.9 kHz.

    [0018] Für die ersten beiden HF-Impulse P₁ und P₂ wurde eine Träger­frequenz gewählt, deren Abstand von fc 79 Hz betrug, während für den dritten HF-Impuls P₃ eine Frequenz gewählt wurde, deren Abstand von fD 100 Hz betrug. Das in der beschriebenen Weise aufgenommene 2D-ICR-Spektrum ist in Fig. 3 dargestellt. Das Auftreten einer Kreuzlinie in dem hier senkrecht dargestellten ω₂-Bereich bei ω₂/2π = 100 Hz und im ω₁-Bereich bei ω₁/2π = 79 Hz beweist klar, daß die oben angegebene Reaktion statt­gefunden hat. Die Kreuzlinie ist wiederum im horizontalen ω₁-Bereich von einer Seitenbandfamilie begleitet, deren Mit­glieder bei Vielfachen von 79 Hz erscheinen. Die Spektralbreite der vollen Matrix betrug 500 x 500 Hz, von der nur 40 % darge­stellt sind. Es wurden 56 x 4048 Datenpunkte, durch Nullen auf 128 x 4048 Datenpunkte aufgefüllt, verarbeitet. Die Linienver­breiterung betrug 30 Hz im ω₁-Bereich und 20 Hz im ω₂-Be­reich.

    [0019] Anstelle der Verwendung unterschiedlicher Frequenzen für die ersten beiden HF-Impulse P₁, P₂ und den dritten HF-Impuls P₃, die auf die Resonanzfrequenzen der Ausgangsprodukte und der Endprodukte abgestimmt sind, besteht die Möglichkeit, Breitband­impulse in Form sogenannter Chirp-Impulse einzusetzen, deren Trägerfrequenz über einen Bereich variiert wird, der die Reso­nanzfrequenzen der Ausgangsstoffe sowie der zu erwartenden Reaktionsprodukte umfaßt. Auch durch die Anwendung solcher Breitbandimpulse ändert sich an dem grundsätzlichen Ablauf des erfindungsgemäßen Verfahrens nichts.

    [0020] Wie bereits oben erwähnt, liefert das erfindungsgemäße Verfahren im wesentlichen die gleichen Ergebnisse, wie sie auch mit einem MS/MS-Experiment erhalten werden können. Trotzdem hat das erfin­dungsgemäße Verfahren viele Vorteile, die vor allem dann zum Tragen kommen, wenn komplexe Netzwerke zu untersuchen sind, bei denen eine Vielzahl von Austauschprozessen gleichzeitig stattfindet, die alle nach dem erfindungsgemäßen Verfahren gleichzeitig erfaßt werden, wogegen bei einem MS/MS-Experiment alle möglichen Austauschprozesse durch nacheinander durchzufüh­rende, einzelne Messungen erfaßt werden müssen. Dabei erlaubt es das erfindungsgemäße Verfahren auch, die Kinetik von Reak­tionen zu untersuchen, indem die Amplitude der erhaltenen Sig­nale als Funktion der Dauer des Reaktionsintervalles τm oder auch in Abhängigkeit von verschiedenen Manipulationen beobachtet wird, denen das untersuchte System während der Reaktionszeit τm ausgesetzt wird, wie beispielsweise Laser-Impulsen, Elektro­nenstrahl-Impulsen oder impulsförmig eingeführten neutralen Gasen, deren Moleküle zu Stoßreaktionen Anlaß geben.

    [0021] Aus dem Vorstehenden ist ersichtlich, daß das neue Verfahren dem Fachmann viele Möglichkeiten massenspektroskopischer Unter­suchungen bietet, die mit den bisherigen Methoden nur unter großen Schwierigkeiten oder überhaupt nicht durchführbar waren.


    Ansprüche

    1. Verfahren zur Aufnahme von ICR-Massenspektren, bei dem die in der Meßzelle eines ICR-Massenspektrometers gefan­genen Ionen einer zu untersuchenden Substanz durch einen an die Meßzelle angelegten HF-Impuls zu kohärenten Schwin­gungen angeregt und danach die durch die Schwingungen der angeregten Ionen induzierten HF-Signale während einer vorgegebenen Meßzeit empfangen, aufgezeichnet und in fre­quenzabhängige Signale umgesetzt werden,
    dadurch gekennzeichnet,
    daß nach einem zum Anregen der Ionen verwendeten ersten HF-Impuls P₁ und einer vorgegebenen ersten Zeit t₁ ein zweiter HF-Impuls P₂ folgt, der auf die angeregten Ionen eingestrahlt wird und der die gleiche Frequenz enthält wie der erste HF-Impuls P₁, daß nach einer vorgegebenen Mischzeit τm dem zweiten HF-Impuls P₂ ein dritter HF-Impuls P₃ folgt, der erneut eine kohärente Anregung der in der Meßzelle enthaltenen Ionen bewirkt, daß die von den durch den dritten HF-Impuls P₃ angeregten Schwingungen induzier­ten HF-Signale während der vorgegebenen Meßzeit t₂ empfan­gen und aufgezeichnet werden, daß die vorstehend beschrie­bene, die Anregung der Ionen mittels dreier zeitlich auf­einanderfolgender HF-Impulse P₁, P₂, P₃ und die Aufzeich­nung des induzierten, zeitabhängigen HF-Signals umfassende Meßsequenz unter Variation der vorgegebenen Zeit t₁ mehr­fach wiederholt wird und endlich die nun von der Variation der Zeit t₁ abhängigen Sätze der von der Meßzeit t₂ abhä­gigen HF-Signale unter Eliminierung der Abhängigkeit von t₂ und t₁ in zweidimensional frequenzabhängige Signale umgesetzt werden.
     
    2. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß der dritte HF-Impuls P₃ eine andere Trägerfrequenz aufweist als die ersten beiden HF-Impulse P₁ und P₂.
     
    3. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die HF-Impulse Breitbandimpulse mit in einem vorgegebenen Bereich variierter Trägerfrequenz (chirp pulses) sind.
     
    4. Verfahren nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, daß die Umsetzung der zeitabhängigen HF-­Signale in die frequenzabhängigen Signale durch eine zwei­dimensionale Fouriertransformation erfolgt.
     
    5. Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekenn­zeichnet, daß daß die Umsetzung der zeitabhängigen HF-­Signale in die frequenzabhängigen Signale nach der Methode der maximalen Entropie erfolgt.
     
    6. ICR-Massenspektrometer zur Durchführung des Verfahrens nach einem der vorhergehenden Ansprüche mit einer Meßzelle, einer daran angeschlossenen Sendeeinrichtung zum Erzeugen von HF-Impulsen, einer ebenfalls daran angeschlossenen Empfangseinrichtung für die induzierten HF-Signale und einem an die Empfangseinrichtung angeschlossenen Rechner zum Umsetzen der empfangenen zeitabhängigen HF-Signale in entsprechende frequenzabhängige Signale,
    dadurch gekennzeichnet,
    daß die Sendeeinrichtung zum Erzeugen von zwei HF-Impulsen gleicher Frequenz und einem dritten HF-Impuls einer glei­chen oder anderen einstellbaren Frequenz eingerichtet ist und mindestens ein Zeitglied zum fortlaufenden Verändern des Abstandes zwischen dem ersten und dem zweiten HF-Impuls aufweist, daß die Empfangseinrichtung zum Speichern einer Vielzahl von zeitabhängigen HF-Signalen eingerichtet ist und daß der Rechner zum Umsetzen der zeitabhängigen HF-­Signale zum Erzeugen von zweidimensional frequenzabhängigen Signalen aus den gespeicherten Sätzen der zeitabhängigen HF-Signale eingerichtet ist.
     
    7. ICR-Massenspektrometer nach Anspruch 6, dadurch gekenn­zeichnet, daß die Sendeeinrichtung zum Erzeugen von HF-­Impulsen mit während der Dauer des HF-Impulses variierender Trägerfrequenz eingerichtet ist.
     




    Zeichnung