[0001] Die heute als Festtreibstoffe für Raketen verwendeten Composit-Treibstoffe auf Basis
Ammoniumperchlorat (AP)/Aluminium (Al) besitzen eine hohe Leistung, gute Verarbeitbarkeit,
gute mechanische Eigenschaften und für die Praxis ein flexibel einstellbares Abbrandverhalten.
[0002] Durch die Verwendung von AP bzw. Al weisen obige Treibstofftypen eine starke Primär-
bzw. Sekundärsignatur durch Al₂O₃ bzw. HC1 im Abgas auf. Für die praktische Anwendung
auf träger- und feldgebundenen Waffensystemen ist die Signatur jedoch ein gravierender
Nachteil, da Startrampen und Abschußorte durch eine weithin sichtbare Rauchfahne
leicht geortet werden können. Als weiterer Nachteil ist die korrosive Wirkung der
Abgase zu nennen.
[0003] Neben den AP/Al-Composit-Treibstoffen sind homogene Doublebase (oder zweibasige)-Treibstoffsysteme
(DB) auf Basis Nitrocellulose (NC)/Nitroglycerin (NG) seit langem bekannt und ausführlich
beschrieben. DB-Treibstoffe sind relativ signaturarm, besitzen jedoch nur geringe
Leistung und unbefriedigende mechanische Eigenschaften (Thermoplaste).
[0004] Um die oben beschriebenen Nachteile der AP/Al-Composit-Treibstoffe (starke Signatur
und korrosive Abgase) bzw. der DB-Treibstoffe (geringe Leistung/schlechte mechanische
Eigenschaften) zu eliminieren, sind seit längerer Zeit alternative Treibstoffsysteme
mit rauchlos verbrennenden energetischen Komponenten in der Entwicklung. Hierzu zählen
Systeme folgenden Aufbaus:
Energieträger: Nitraminverbindungen,z.B.Oktogen, Hexogen, Nitroguanidin, Pentaerithryttetranitrat,
Tetryl, Guanidinnitrat, Triaminoguanidinnitrat, Triamonitrinitrobenzol, Ammoniumnitrat
u.a.
Inerte Weichmacher: z.B. Glycerintriacetat,Dibutylphthalat
Energetische Weichmacher: z.B. Nitroclycerin (NG), Butantrioltrinitrat (BTTN), Trimethylolethantrinitrat
(TMETN), Diethylenglycoldinitrat (DEGDN), Bis-Dinitropropylformal/Acetal (BDNPF/A)
u.a.
Inerte Bindersysteme: z.B. Polyesterpolyurethanelastomere Polyetherpolyurethanelastomere
Polybutadienpolyurethanelastomere u.a.
[0005] Die praktische Verwendbarkeit der oben beschriebenen, insbesondere der nitraminhaltigen
Treibstoffsysteme scheiterte bisher an zu niedrigen Abbrandgeschwindigkeiten und dem
zu hohen Druckexponenten. Der Druckexponent ist ein Maß für die Änderung der Abbrandgeschwindigkeit
in Abhängigkeit vom Systemdruck nach der Formel r = a.p
n (wobei r = Abbrandgeschwindigkeit, p = System druck, a = const.). Eine Minderung
des Druckexponenten konnte bei DB-Treibstoffen mit Nitramingehalten unter 50% und
inerten Polyurethanbinder sowie mit Zusätzen von Schwermetallsalzen und Ruß festgestellt
werden. Auch hier bleibt aber die Abbrandgeschwindigkeit auf niedrigen Werten. Durch
die weiterhin ungünstigen mechanischen Eigenschaften und die schlechte thermoplastische
Verarbeitbarkeit ergibt sich insgesamt ein so ungünstiges Eigenschaftsspektrum, daß
diese Treibstoffe keine praktische Verwendung gefunden haben.
[0006] Erwünscht ist ein möglichst geringer Druckexponent, um bei jedem Systemdruck eine
möglichst gleiche und im übrigen möglichst hohe Abbrandgeschwindigkeit zu erhalten.
[0007] Abbrandmoderierende Zusätze zeigten bei Verwendung von inerten Bindersystemen keinen
signifikanten Einfluß auf den Druckexponenten. In neuerer Zeit ist versucht worden,
anstelle von inerten Bindersystemen (z.B. Polyesterpolyurethane) azidgruppenhaltige
Bindersysteme einzusetzen, die zu einer Leistungserhöhung führen. Diese Binder besitzen
eine polyether- bzw. polyesterartige Kettenstruktur, die in der Seitenkette energiereiche
Azidgruppen enthalten. Als Beispiel für einen azidgruppenhaltigen Binder kann ein
Glycidylazidodiol mit folgender Struktureinheit genannt werden:

das mit Di- oder Triisocyanaten (z.B. Hexamethylendiisocyanat) zu Elastomeren (GAP)
aushärtbar ist. Da GAP eine positive Bildungsenthalpie besitzt, zeigen Fest treibstoffe
mit diesem Binder höhere Leistungsdaten als solche mit inerten Bindersystemen. Der
Druckexponent dieser Treibstofformulierung ist jedoch ebenso wie bei Standardrezepturen
mit Inertbindern wesentlich zu hoch (n > 0,8).
[0008] Der vorliegenden Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, leistungsfähige Festtreibstoffe
mit positivem Abbrandverhalten vorzuschlagen.
[0009] Diese Aufgabe wird erfindungsgemäß gelöst durch einen Treibstoff, bestehend aus hochenergetischen
Nitraminverbindungen in Anteilen von 50 - 90 Gew.%, einem energetischen, azidgruppenhaltigen
Bindersystem aus Polymeren und Weichmachern mit Anteilen von 8 - 50 Gew.% und Schwermetallkatalysatoren
in Gestalt von Blei-, Zinn- oder Kupferverbindungen in Konzentrationen von 0,5 - 10
Gew.%.
[0010] Gegenstand der vorliegenden Erfindung sind also Treibstofformulierungen auf der
Basis von Energieträgern in Gestalt von Nitraminen, einem energetischen Bindersystem,
bei dem entweder das Polymer oder der Weichmacher oder auch beide Azidgruppen enthalten
und Abbrandkatalysatoren sowie Moderatoren in Gestalt von Schwermetallverbindungen.
Das azidgruppenhaltige Bindersystem kann insbesondere bestehen aus
a) Azidopolymeren und energetischen und/oder inerten Weichmachern oder
b) inerten Polymeren und Azidoweichmachern oder
c) Azidopolymeren und Azidoweichmachern.
[0011] Die erfindungsgemäßen Treibstoffe bestehen vorzugsweise zu 60 - 85 Gew.% aus festen
hochenergetischen Nitraminverbindungen, die bei der Zersetzung keine korrosiven Gase
bilden und im Treibstoff einen rauchlosen oder raucharmen Abbrand bewirken, also keine
oder nur minimale Signatur zeigen. In Kombination mit vorzugsweise 15-Gew.% azidgruppenhaltigen
Bindern und vorzugsweise 1 - 5 Gew.% Schwermetallkatalysatoren ergibt sich eine signifikante
Senkung des Druckexponenten (n ≦ 0,6).
[0012] Vorzugsweise werden hochenergetische Nitraminverbindungen, wie Oktogen, Hexogen,
Nitroguanidin, Tetryl u.a. eingesetzt.
[0013] Die im erfindungsgemäßen Treibstoffsystem eingesetzten azidgruppenhaltigen Binder
können im Bereich von 8-Gew.%, vorzugsweise 15 - 40 Gew.% variieren, wobei der Binder
selbst jeweils 0 - max. 80 Gew.%, vorzugsweise 30 - 70 Gew.% Anteile Weichmacher enthält.
In Verbindung mit Azidopolymeren können als energetische Weichmacher alle konventionell
in Treibstoffen eingesetzten organischen Salpetersäureester oder Nitroverbindungen
verwendet werden. Vorzugsweise werden Nitroglycerin, Butantrioltrinitrat, Trimethylolethantrinitrat,
Diethylenglykoldinitrat oder Bis-dinitropropylformal/acetal als wenig empfindlicher
Weichmacher eingesetzt.
[0014] In Verbindung mit Azidopolymeren und/oder Azidoweichmachern können zusätzlich inerte
Weichmacher, wie Alkylacetate, vorzugsweise Triacetin und/oder Phosphorsäure-, Phthalsäure-,
Adipinsäure- oder Citronensäureester, vorzugsweise Dibutyl-, Di-2-ethyhexyl und Dioctylphthalat,
Dimethyl- und Dibutylglycolphthalat, Di-2-ethylhexyl- und Diisooctyladipat eingesetzt
werden.
[0015] Die Aushärtung zum Azidopolymer mit hoher Elastizität und Dehnungsfähigkeit erfolgt
vorzugsweise mit trimeren Isocyanaten wie z.B. Biuret-trihexandiisocyanat oder einer
Kombination von dimeren und trimeren Isocyanaten, wobei Hexamethylendiisocyanat, 2,4-Toluoldiisocyanat
und Isophorondiisocyanat bevorzugt als dimere Isocyanate eingesetzt werden. Die Äquivalentverhältnisse
können dabei je nach Feststoffanteil zwischen 0,4 und 1,2 NCO/OH Anteilen variiert
werden.
[0016] Als Katalysator eingesetzte Pb-, Sn- oder Cu-Verbindungen werden vorzugsweise in
Form von Oxiden, organischen Salzen (Salicylate, Stearate, Citrate, Resorcylate u.a.)
oder anorganische Salze verwendet, jedoch kommen auch Komplexverbindungen in Frage.
[0017] Bei der erfindungsgemäßen Kombination von azidgruppenhaltigen Bindersystemen mit
den beschriebenen Schwermetallverbindungen zeigt sich weder eine Verschlechterung
der chemischen Stabilität, noch eine mechanische Sensibilität (Reib/Schlag-Empfindlichkeit).
[0018] Eine weitere Reduzierung des Druckexponenten kann durch Zusatz geringer Mengen Kohlenstoff
bzw. von Substanzen, die bei der Verbrennung Kohlenstoff liefern, erreicht werden.
Dabei werden vorzugsweise Ruß, Aktivkohle, Kohlenstoffasern oder Graphit eingesetzt,
deren Anteil zwischen 0,2 und 3 Gew.%, vorzugsweise zwischen 0,5 und 1 Gew.% liegt.
[0019] Sofern von der anwendungstechnischen Seite ein niedriger Druckexponent im Vordergrund
steht, die Signaturwirkung hingegen eine geringere Rolle spielt, können zusätzlich
als leistungssteigernde Zusätze, Leichtmetalle, z.B. Al mit 1 - 20 Gew.% zugesetzt
werden, das eine gewisse Primärsignatur zeigt.
[0020] Die in erfindungsgemäßer Weise formulierten Raketenfesttreibstoffe können in allen
zivilen und militärischen , raketengestützten Systemen eingesetzt werden. Besondere
Bedeutung haben sie insbesondere bei militärischen Gefechtsfeldsystemen, wie Artillerie-,
Panzer-, Flugab wehr- oder Schiffsabwehrraketen. Da im Gegensatz zu AP-Komposittreibstoffen
keine korrosiven Gase entstehen, werden Bedienungspersonal und Abschußanlage keinen
Belastungen ausgesetzt.
[0021] Die erfindungsgemäß formulierten Treibstoffe zeigen ein Eigenschaftsbild, das von
keinem bisherigen Festtreibstofftyp erreicht wird:
- Leistung höher als von Doublebase-Treibstoffen
- Druckexponent n < 0,6
- Abbrandgeschwindigkeit bei 100 bar r₁₀₀ > 9 mm/s
- bessere chemische Stabilität als Doublebase-Treibstoffe
- viskoelastische mechanische Eigenschaften
- ohne Zusatz von metallischen Brennstoffen stark reduzierte Primär- und Sekundär-Signatur
mit nahezu rauchlosem Abbrand,
- keine korrosiven Abgase
[0022] In der beigefügten Tabelle sind in Sp.1 ein herkömmlicher und in den Sp. 2 und 3
erfindungsgemäß zusammengesetzte Festtreibstoffe mit ihren für den Einsatz maßgeblichen
Eigenschaften angegeben. Auffallend ist die hohe Abbrandgeschwindigkeit und der sehr
geringe Druckexponent der erfindungsgemäßen Treibstoffe.
[0023] In den Diagrammen gemäß Fig. 1 und 2 ist die Abbrandgeschwindigkeit r (mm/s) in
Abhängigkeit vom Systemdruck p (bar) für den bekannten Treibstoff (Sp.1 in der Tabelle)
im Vergleich zu den in Sp. 2 und 3 der Tabelle aufgeführten Ausführungsbeispielen
des erfindungsgemäß zusammengesetzten Treibstoffs gezeigt.
|
Nr.1 |
Nr. 2 |
Nr.3 |
|
(Fig.1+2) |
(Fig.1) |
(Fig. 2) |
HMX |
70.00 % |
70.00 % |
70.00 % |
BDNPF/A |
10.00 % |
10.00 % |
10.00 % |
GAP-Elastomer |
20.00 % |
17.00 % |
17.00 % |
Ruß |
- |
0,75 % |
0,75 % |
Pb-Resorcylat |
- |
- |
2,25 % |
Pb-Citrat |
- |
2,25 % |
- |
Reibempfindlichkeit in kg Stiftbelastung |
18 kg |
14 kg |
16 kg |
Schlagempfindlichkeit in Nm |
5,5 Nm |
6,5 Nm |
7,5 Nm |
Holland-Test 8 - 72 h/105 °C Gewichtsverlust in % |
0,14 % |
0,06 % |
1,20 % |
Vakuumstabilität in ml/g 0 - 40 h/100 °C |
0,28 ml/g |
0,16 ml/g |
0,72 ml/g |
Verpuffungstemp.in °C (20 °C/min) |
230 °C |
233 °C |
229 °C |
Abbrandgeschwindigkeit bei 100 bar in mm/s |
7,1 mm/s |
12,9 mm/s |
13,2 mm/s |
Druckexponent |
0.80 |
0.36 |
0.29 |
η |
|
70bar<p<180 bar |
70 bar<p<250 bar |
1. Raketenfesttreibstoffe, bestehend aus hochenergetischen Nitraminverbindungen in
Anteilen von 50 - 90 Gew.%, einem energetischen, azidgruppenhaltigen Bindersystem
aus Polymeren und Weichmachern mit Anteilen von 8 - 50 Gew.% und Schwermetallkatalysatoren
in Gestalt von Blei-, Zinn- oder Kupferverbindungen in Konzentrationen von 0,5 - 10
Gew.%.
2. Raketenfesttreibstoffe nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß das azidgruppenhaltige
Bindersystem besteht aus
a) Azidopolymeren und energetischen und/oder inerten Weichmachern oder
b) inerten Polymeren und Azidoweichmachern oder
c) Azidopolymeren und Azidoweichmachern.
3. Raketenfesttreibstoffe nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, daß die
Nitraminverbindungen mit einem Anteil von 60 - 85 Gew.%, das azidgruppenhaltige Bindersystem
mit einem Anteil von 15 - 40 Gew.% und die Schwermetallkatalysatoren mit einem Anteil
von 1 - 5 Gew.% eingesetzt werden.
4. Raketenfesttreibstoffe nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet,
daß als Nitraminverbindungen Oktogen, Hexogen, Nitroguanidin oder Tetryl einzeln
oder in Mischung eingesetzt werden.
5. Raketenfesttreibstoffe nach einem der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet,
daß das azidgruppenhaltige Bindersystem 20 - 100 Gew.% Polymere und 0 - 80 Gew.%
energetische Weichmacher enthält.
6. Raketenfesttreibstoffe nach Anspruch 5, dadurch gekennzeichnet, daß das azidgruppenhaltige
Bindersystem 30 - 70 Gew.% Polymere und 30 - 70 Gew.% energetische Weichmacher enthält.
7. Raketenfesttreibstoffe nach Anspruch 5 oder 6, dadurch gekennzeichnet, daß in Verbindung
mit Azidopolymeren als energetische Weichmacher organische Salpetersäureester und
Nitroverbindungen, vorzugsweise NG, BTTN, TMETN, DEGDN oder BDNPF/A eingesetzt werden.
8. Raketenfesttreibstoffe nach einem der Ansprüche 1 bis 7, dadurch gekennzeichnet,
daß in Verbindung mit Azidopolymeren und/oder Azidoweichmachern zusätzlich inerte
Weichmacher in Form von Alkylacetaten, -phthalaten, -adipaten, Citronen- oder Phosphorsäure-Estern
verwendet werden.
9. Raketenfesttreibstoffe nach einem der Ansprüche 1 bis 8, dadurch gekennzeichnet,
daß die Schwermetallkatalysatoren in Form von Blei-, Zinn- oder Kupferverbindungen
als Oxide, anorganische oder organische Salze, vorzugsweise als Salicylate, Stearate,
Citrate, Resorcylate, verwendet werden.
10. Raketenfesttreibstoffe nach einem der Ansprüche 1 bis 9, dadurch gekennzeichnet,
daß zusätzlich synergistische Abbrandmoderatoren in Form von Kohlenstoff oder bei
der Verbrennung Kohlenstoff liefernden Substanzen, vorzugsweise Ruß, Kohlenstoffasern,
Aktivkohle oder Graphit in Anteilen von 0,2 - 3 Gew.% verwendet werden.
11. Raketenfesttreibstoffe nach einem der Ansprüche 1 bis 9, dadurch gekennzeichnet,
daß als leistungssteigernde Zusätze Metallpulver, vorzugsweise Aluminium, in Konzentrationen
von 1% - 20 % verwendet werden.