[0001] Die Erfindung betrifft einen grafitfreien übereutektoiden Vergütungsstahl. Als übereutektoide
Stähle werden nach dem Eisenkohlenstoff-Diagramm solche Stähle bezeichnet, die Kohlenstoffgehalte
von mehr als 0,80 % aufweisen. Ihr Gefüge besteht aus Zementit und Perlit.
[0002] Vergütbare übereutektoide Stähle mit Kohlenstoffgehalten von 0,9 bis 1,3 %, Mangangehalten
von 0,30 bis 0,90 % sowie Siliziumgehalten von max. 0,4 % und Schwefel- und Phosphorgehalten
bis max. 0,035 % werden in Form von Blech, Band oder Draht sowohl im warmgewalzten
Zustand als auch nach dem Kaltwalzen in großem Umfang durch Kaltumformen wie Biegen,
Abkanten, Richten, Wickeln, Stanzen und Tiefziehen weiterverarbeitet. Die durch Warmwalzen
dieser Stähle hergestellten Vorprodukte weisen aufgrund der hohen Kohlenstoffgehalte
ein perlitisches Gefüge mit eingelagertem Zementit auf, wobei der Perlit lamellar
ausgebildet ist. Eine gute Kaltumformbarkeit, insbesondere eine gute Verarbeitbarkeit
durch Stanzen, kann bei diesen Stählen nur dann erreicht werden, wenn die Festigkeit
deutlich abgesenkt wird. Dies geschieht durch eine mehrstündige Weichglühung im Temperaturbereich
zwischen 650 und 730 °C. Dabei wird der lamellare perlitische Zementit in eine kugelige
Form überführt. Die Festigkeit wird um so mehr abgesenkt je größer die Teilchen des
eingeformten Zementits werden. An den erzeugten Fertigteilen aus diesen Stählen wird
dann eine Vergütungsbehandlung zur Einstellung der geforderten Festigkeits- und Härtewerte
vorgenommen. Diese Stähle weisen nach dem Härten und Anlassen aufgrund ihres hohen
Anteils an kugeligem Zementit eine hohe Verschleißfestgkeit auf.
[0003] Aus dem Fachbuch von L. E. Samuels "Optical Microscopy of Carbon Steels", American
Society of Metals, 1980, Seiten 225 bis 246, insbesondere Seiten 231 und 245, ist
bekannt, daß in übereutektoiden Stählen Grafit entstehen kann. Meistens geschieht
das beim Weichglühen. Dabei tritt die Grafitbildung am stärksten im Temperaturbereich
von 620 bis 680 °C auf. In diesem Temperaturbereich ist, wie aus dem vorgenannten
Fachbuch hervorgeht, die Geschwindigkeit für die Grafitbildung maximal.
[0004] Der Grafit kann vereinzelt auch bei der Abkühlung des Vormaterials, z. B. Brammen,
Blöcke oder Warmband und Walzdraht, entstehen. Eine direkte Folge der Grafitbildung
ist die Absenkung der Festigkeit sowie eine Verbesserung der Kaltumformbarkeit, was
für viele Verwendungszwecke vorteilhaft genutzt werden kann (DE-PS 3934073).
[0005] Die Grafitbildung in übereutektoiden Stählen bringt jedoch einen Nachteil mit sich.
Zu seiner Auflösung vor dem Härten werden angehobene Austenitisierungstemperaturen
von 850 °C und höher und Zeiten von mindestens 10 Min. benötigt. Dies bedeutet einen
erhöhten Energieaufwand sowie eine Verringerung der Betriebsleistung der Härteöfen.
Ferner ist aufgrund der höheren Austenitisierungstemperatur mit einer stärkeren Verzunderung
der erzeugten Vorprodukte zu rechnen. Beiniedrigeren Austenitisierungstemperaturen
wird bei unvollständiger Auflösung des Grafits eine Absenkung der Härtewerte nach
dem Härten bewirkt. Der unvollständig aufgelöste weiche Grafit kann außerdem an Fertigteilen,
wie Messern und Rasierklingen eine verringerte Verschleißfestigkeit bewirken, die
zu größeren Materialausfällen führen kann. Zur Herabsetzung der Anfälligkeit von Stählen
zur Grafitbildung ist es aus "Journal of the Iron and Steel Institute", 203 (1965),
Seiten 146 bis 151 bekannt, daß zu diesem Zweck sowohl der Aluminium- als auch der
Siliziumgehalt sehr niedrig gehalten werden muß. Bei der Keimbildung des Grafits spielt
Aluminium eine große Rolle. Als potentielle Keime für die Grafitbildung dienen sowohl
Al₂O₃ als auch AlN. Die Aluminiumoxide bilden sich bereits bei der Erstarrung der
Schmelze und bleiben von dem Warmumformprozeß weitgehend unbeeinflußt. Aluminiumnitrid
scheidet sich entweder bei der Abkühlung von der Walztemperatur oder während einer
Glühung im Temperaturbereich von 620 bis 680 °C noch vor dem Grafit aus und begünstigt
dabei die Zementit/Grafit-Umwandlung. Aus diesem Grunde ist es notwendig, den Aluminiumgehalt
unter 0,010 % einzustellen. Aluminiumgehalte unter 0,005 % lassen sich bei voll beruhigten
Stählen nur schwierig sicherstellen.
[0006] Silizium hat neben Aluminium die größte grafitfördernde Wirkung. Es bewirkt einen
Anstieg der Ac1-Temperatur sowie eine Verminderung der Stabilität des Zementits. Die
Erhöhung der Ac1-Temperatur beschleunigt die Kohlenstoffdiffusion zu den Grafitkeimen,
und die geringe Zementitstabilität spiegelt sich in einem raschen Ablauf der Zementit/Grafit-Umwandlung
wieder. Aus diesem Grunde müssen sehr niedrige Siliziumgehalte angestrebt werden.
Da jedoch Silizium wie Aluminium zur Beruhigung des Stahls benötigt wird, kann der
Siliziumgehalt nicht unter 0,15 % abgesenkt werden.
[0007] Im Gegensatz zu Aluminium und Silizium wirkt der Mangangehalt der Grafitbildung entgegen,
indem er den Zementit stabilisiert. Er senkt die Ac1-Temperatur und gleichzeitig auch
die Kohlenstoffaktivität, indem er sich im Zementit löst. Einer Erhöhung des Mangangehaltes
steht dessen starke Wirkung auf die Gamma-Alpha-Umwandlung entgegen. Mit steigendem
Mangangehalt wird der Umwandlungsbereich zu tieferen Temperaturen verschoben, was
bei Stählen über 1 % Mn eine Neigung zur Bainitbildung bei der Abkühlung nach dem
Warmwalzen zur Folge hat. Nach dem Weichglühen weisen die manganreichen Stähle eine
feinere Verteilung des eingeformten Zementits auf, die mit einer unerwünschten Erhöhung
der Festigkeit verbunden ist. Man geht davon aus, daß die weichgeglühten Stähle einen
Streckgrenzenanstieg von 50 N/mm² je 1 % Mn zeigen.
[0008] Neben einer Erhöhung des Mangangehaltes ist das Zulegieren von Chrom die wohl bekannteste
Maßnahme zur Erhöhung des Widerstandes gegen Grafitbildung. Auch Chrom als starker
Carbidbildner reichert sich im Zementit an und stabilisiert ihn. Dadurch wird die
Triebkraft der Grafitisierung herabgesetzt. Auch dem Zulegieren von Chrom sind in
Kohlenstoffstählen Grenzen gesetzt. Die weichgeglühten Stähle zeigen einen Streckgrenzenanstieg
von rund 200 N/mm² je 1 % Cr, die aus einer erhöhten Neigung dieser Stahle zur Bainitbildung
beim Abkühlen resultiert. Um den Widerstand eines Stahls mit über 0,9 % C gegen Grafitisierung
anzuheben, muß ein Mindestgehalt von 0,15 % Cr sichergestellt werden.
[0009] In "The Iron Age", August 1950, Seiten 64 bis 68 wird erwähnt, daß Tellur in Gußeisen
als ein starker Carbidstabilisierer eingestuft wird. Die Wirksamkeit von Tellur in
Stählen wurde jedoch nicht überprüft, da offensichtlich angenommen wurde, daß es sich
bei hohen Temperaturen verflüchtigt.
[0010] In den 70-er Jahren wurde zum ersten Mal Tellur als Legierungselement im Stahl eingesetzt.
So wird in der DE-PS 2951812 ein tellurhaltiger Automatenstahl mit 0,002 bis 0,1 %
Tellur beschrieben. Die Aufgabe des Tellurs ist es, die Form der sulfidischen Einschlüsse
zu verändern und damit die Bearbeitbarkeit des Stahls zu erhöhen. Der Automatenstahl
weist Kohlenstoffgehalte bis 0,6 % und Schwefelgehalte zwischen 0,04 und 0,4 % sowie
Chromgehalte von 0,10 bis 0,30 % auf. Der Einfluß von Tellur auf die Grafitbildung
wurde in dieser Schrift nicht erörtert. Ein anderer gut zerspanbarer Stahl mit Tellur,
der noch einen geringen Zusatz von Kalzium enthält, ist in der DE-PS 2824803 beschrieben
worden.
[0011] Aus der De-PS 3721641 (Ansprüche 7 und 8) ist ein Stahl herleitbar mit 0,32 bis 0,9
% C, 0,20 bis 1,50 % Mn, bis 2,0 % Si, bis 0,15 % Al, bis 3,5 % Cr, bis 0,05 % S,
bis 0,05 % P, bis 0,02 % N, bis 3,5 % Ni, bis 0,5 % Mo, bis 0,005 % Te. Ferner ist
in Tafel 1 ein Stahl D-I enthalten mit 0,44 % C, 0,68 % Mn, 0,25 % Si, 0,016 % P,
0,005 % S, 0,0042 % N, 0,012 % Al, 1,05 % Cr, 0,014 % Ni, 0,003 % Mo und 0,002 % Te.
Bei diesen Stählen, die nicht übereutektoid sind, soll der Tellur-Zusatz ausschließlich
der Sulfidformbeeinflussung dienen, während die Cr-, Ni- und Mo- Zusätze die Härtbarkeit
erhöhen sollen.
[0012] Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, vergütbare übereutektoide Stähle mit Kohlenstoffgehalten
zwischen 0,91 und 1,3 % vorzuschlagen, bei deren Herstellung und Weiterverarbeitung,
sowohl vor als auch nach dem Weichglühen im wesentlichen keine Grafitbildung auftritt.
[0013] Diese Aufgabe wird erfindungsgemäß durch eine Stahlzusammensetzung gemäß Anspruch
1 gelöst. In dieser neuen Stahlzusammensetzung wird wegen Vermeidung einer unerwünschten
Festigkeitserhöhung und damit verbundener Herabsetzung der Kaltumformbarkeit der Mangangehalt
auf max. 0,80 % und der Chromgehalt auf max. 0,30 % begrenzt. Aus Gründen einer vollständigen
Stahlberuhigung werden Aluminiumgehalte bis 0,010 % sowie Siliziumgehalte bis 0,30
% zugelassen. Überraschenderweise wurde festgestellt, daß eine Zugabe von Tellur im
Bereich von 0,0015 bis 0,1 % die Neigung zur Grafitbildung stark hemmt, wenn das Verhältnis
Tellur zu Schwefel größer als 0,20 ist. Es wurde jedoch festgestellt, daß die Wirkung
des Tellurs nur dann eintritt, wenn die grafitfördernden Elemente Silizium und Aluminium
auf dem angegebenen niedrigen Niveau gehalten werden und die Mangan- und Chromgehalte
die vorstehend genannten maximalen Werte von 0,80 % bzw. 0,30 % nicht überschreiten.
[0014] Bevorzugte Analysenbereiche ergeben sich aus den Unteransprüchen So zeigt Anspruch
2, daß bei einem eingeschränkten Kohlenstoffgehalt von 0,91 bis 1,1 % und einem angepaßten
Schwefelwert von max. 0,020 % der Tellurgehalt bevorzugt bei 0,0020 bis 0,0060 % liegt,
während gemäß Anspruch 3 bei einem eingeschränkten Kohlenstoffgehalt von 0,91 bis
1,1 % und einem angepaßten Schwefelgehalt von max. 0,010 % der Tellurgehalt bevorzugt
bei 0,0020 bis 0,0040 % liegt, wobei jeweils das Verhältnis Tellur zu Schwefel größer
als 0,20 ist.
[0015] Nach Anspruch 4 kann der Stahl zusätzlich mit Vanadium, Titan, Zirkonium und Bor
legiert werden, wobei Vanadium und Bor zur Erhöhung der Härtbarkeit und Titan und
Zirkonium zur Stickstoffabbindung und Sulfidformbeeinflussung dienen. Der Stahl kann
ferner zur Einformung von sulfidischen Einschlüssen mit mindestens 0,001 % Kalzium
behandelt sein.
[0016] Die Erfindung wird nachstehend anhand von Ausführungsbeispielen näher erläutert.
Tafel 1 enthält die Übersicht der Stahlzusammensetzungen. Die unter A bis J aufgeführten
Stähle wurden nach dem Sauerstoffaufblasverfahren erschmolzen und für warm- und kaltgewalzte
weichgeglühte Produkte, wie Band und Draht, eingesetzt. Die Stähle B, D, G und I fallen
unter die Erfindung. Die Stähle C, E, H und J fallen nicht unter die Erfindung, da
sie kein Tellur aufweisen. Die Stähle A und F fallen nicht unter die Erfindung, da
sie ein zu niedriges Te/S-Verhältnis haben.
[0017] Tafel 2 zeigt eine Übersicht des Grafitflächenanteils nach einer Weichglühung mit
einer Verweilzeit von 50 h im Temperaturbereich zwischen 620 und 680 °C. Hieraus wird
deutlich, daß die unter die Erfindung fallenden Stähle keinen Grafit aufweisen. Die
Gegenüberstellung in Tafel 2 zeigt, daß nur mit der erfindungsgemäßen Stahlzusammensetzung
eine Grafitbildung sicher vermieden werden kann. Zwar bleibt auch der Stahl J, der
durch einen hohen Mangan- und Chromgehalt gegen die Grafitisierung geschützt wurde,
grafitfrei. Jedoch weist der Stahl J wegen einer zu feinen Zementitverteilung eine
hohe Festigkeit auf und eignet sich daher nicht für eine Weiterverarbeitung durch
Kaltumformen, insbesondere durch Stanzen.

1. Grafitfreier übereutektoider Vergütungsstahl mit (in Masse-%)
0,91 bis 1,30 % C
0,20 bis 0,80 % Mn
bis 0,30 % Si
bis 0,01 % Al
0,10 bis 0,30 % Cr
bis 0,040 % S
bis 0,040 % P
bis 0,020 % N
höchstens 0,1 % Ni
höchstens 0,1 % Mo
0,0015 bis 0,1 % Te
Rest Eisen und unvermeidbare Verunreinigungen, wobei das Verhältnis von Tellur zu
Schwefel größer als 0,20 beträgt.
2. Stahl nach Anspruch 1, mit (in masse-%)
0,91 bis 1,10 % C
0,20 bis 0,80 % Mn
bis 0,30 % Si
bis 0,010 % Al
0,10 bis 0,30 % Cr
bis 0,020 % S
bis 0,040 % P
bis 0,014 % N
höchstens 0,05 % Ni
höchstens 0,03 % Mo
0,002 bis 0,006 % Te
Rest Eisen und unvermeidbare Verunreinigungen.
3. Stahl nach Anspruch 1 mit (in Masse-%)
0,91 bis 1,10 % C
0,20 bis 0,80 % Mn
bis 0,30 % Si
bis 0,010 % Al
0,10 bis 0,30 % Cr
bis 0,010 % S
bis 0,040 % P
bis 0,014 % N
höchstens 0,05 % Ni
höchstens 0,03 % Mo
0,002 bis 0,004 % Te
Rest Eisen und unvermeidbare Verunreinigungen.
4. Stahl nach einem der Ansprüche 1 bis 3, der zusätzlich folgende Elemente (in Masse-%)
enthält:
bis 0,10 % V
bis 0,04 % Ti
bis 0,15 % Zr
bis 0,01 % B.
5. Stahl nach einem der Ansprüche 1 bis 4, der zur Sulfidformbeeinflussung 0,001 - 0,05
% Ca zusätzlich enthält.