(19)
(11) EP 0 493 306 A1

(12) EUROPÄISCHE PATENTANMELDUNG

(43) Veröffentlichungstag:
01.07.1992  Patentblatt  1992/27

(21) Anmeldenummer: 91710053.9

(22) Anmeldetag:  18.12.1991
(51) Internationale Patentklassifikation (IPC)5C22C 38/60
(84) Benannte Vertragsstaaten:
AT BE CH DE ES FR GB IT LI LU NL SE

(30) Priorität: 28.12.1990 DE 4042111

(71) Anmelder: Thyssen Stahl AG
D-47169 Duisburg (DE)

(72) Erfinder:
  • Lang, Cestmir, Dr.-Ing.
    W-4200 Oberhausen (DE)
  • Weise, Helmut
    W-4600 Dortmund (DE)

(74) Vertreter: Cohausz & Florack Patentanwälte 
Postfach 33 02 29
40435 Düsseldorf
40435 Düsseldorf (DE)


(56) Entgegenhaltungen: : 
   
       


    (54) Grafitfreier Vergütungsstahl


    (57) Die Erfindung betrifft einen grafitfreien übereutektoiden Vergütungsstahl mit (in Masse-%)
    0,91
    bis 1,30 % C
    0,20
    bis 0,80 % Mn
    bis 0,30 % Si
    bis 0,01 % Al
    0,10
    bis 0,30 % Cr
    bis 0,040 % S
    bis 0,040 % P
    bis 0,020 % N
    höchstens 0,1 % Ni
    höchstens 0,1 % Mo
    0,0015
    bis 0,1 % Te
    Rest Eisen und unvermeidbare Verunreinigungen, wobei das Verhältnis von Tellur zu Schwefel größer als 0,20 beträgt.


    Beschreibung


    [0001] Die Erfindung betrifft einen grafitfreien übereutektoiden Vergütungsstahl. Als übereutektoide Stähle werden nach dem Eisenkohlenstoff-Diagramm solche Stähle bezeichnet, die Kohlenstoffgehalte von mehr als 0,80 % aufweisen. Ihr Gefüge besteht aus Zementit und Perlit.

    [0002] Vergütbare übereutektoide Stähle mit Kohlenstoffgehalten von 0,9 bis 1,3 %, Mangangehalten von 0,30 bis 0,90 % sowie Siliziumgehalten von max. 0,4 % und Schwefel- und Phosphorgehalten bis max. 0,035 % werden in Form von Blech, Band oder Draht sowohl im warmgewalzten Zustand als auch nach dem Kaltwalzen in großem Umfang durch Kaltumformen wie Biegen, Abkanten, Richten, Wickeln, Stanzen und Tiefziehen weiterverarbeitet. Die durch Warmwalzen dieser Stähle hergestellten Vorprodukte weisen aufgrund der hohen Kohlenstoffgehalte ein perlitisches Gefüge mit eingelagertem Zementit auf, wobei der Perlit lamellar ausgebildet ist. Eine gute Kaltumformbarkeit, insbesondere eine gute Verarbeitbarkeit durch Stanzen, kann bei diesen Stählen nur dann erreicht werden, wenn die Festigkeit deutlich abgesenkt wird. Dies geschieht durch eine mehrstündige Weichglühung im Temperaturbereich zwischen 650 und 730 °C. Dabei wird der lamellare perlitische Zementit in eine kugelige Form überführt. Die Festigkeit wird um so mehr abgesenkt je größer die Teilchen des eingeformten Zementits werden. An den erzeugten Fertigteilen aus diesen Stählen wird dann eine Vergütungsbehandlung zur Einstellung der geforderten Festigkeits- und Härtewerte vorgenommen. Diese Stähle weisen nach dem Härten und Anlassen aufgrund ihres hohen Anteils an kugeligem Zementit eine hohe Verschleißfestgkeit auf.

    [0003] Aus dem Fachbuch von L. E. Samuels "Optical Microscopy of Carbon Steels", American Society of Metals, 1980, Seiten 225 bis 246, insbesondere Seiten 231 und 245, ist bekannt, daß in übereutektoiden Stählen Grafit entstehen kann. Meistens geschieht das beim Weichglühen. Dabei tritt die Grafitbildung am stärksten im Temperaturbereich von 620 bis 680 °C auf. In diesem Temperaturbereich ist, wie aus dem vorgenannten Fachbuch hervorgeht, die Geschwindigkeit für die Grafitbildung maximal.

    [0004] Der Grafit kann vereinzelt auch bei der Abkühlung des Vormaterials, z. B. Brammen, Blöcke oder Warmband und Walzdraht, entstehen. Eine direkte Folge der Grafitbildung ist die Absenkung der Festigkeit sowie eine Verbesserung der Kaltumformbarkeit, was für viele Verwendungszwecke vorteilhaft genutzt werden kann (DE-PS 3934073).

    [0005] Die Grafitbildung in übereutektoiden Stählen bringt jedoch einen Nachteil mit sich. Zu seiner Auflösung vor dem Härten werden angehobene Austenitisierungstemperaturen von 850 °C und höher und Zeiten von mindestens 10 Min. benötigt. Dies bedeutet einen erhöhten Energieaufwand sowie eine Verringerung der Betriebsleistung der Härteöfen. Ferner ist aufgrund der höheren Austenitisierungstemperatur mit einer stärkeren Verzunderung der erzeugten Vorprodukte zu rechnen. Beiniedrigeren Austenitisierungstemperaturen wird bei unvollständiger Auflösung des Grafits eine Absenkung der Härtewerte nach dem Härten bewirkt. Der unvollständig aufgelöste weiche Grafit kann außerdem an Fertigteilen, wie Messern und Rasierklingen eine verringerte Verschleißfestigkeit bewirken, die zu größeren Materialausfällen führen kann. Zur Herabsetzung der Anfälligkeit von Stählen zur Grafitbildung ist es aus "Journal of the Iron and Steel Institute", 203 (1965), Seiten 146 bis 151 bekannt, daß zu diesem Zweck sowohl der Aluminium- als auch der Siliziumgehalt sehr niedrig gehalten werden muß. Bei der Keimbildung des Grafits spielt Aluminium eine große Rolle. Als potentielle Keime für die Grafitbildung dienen sowohl Al₂O₃ als auch AlN. Die Aluminiumoxide bilden sich bereits bei der Erstarrung der Schmelze und bleiben von dem Warmumformprozeß weitgehend unbeeinflußt. Aluminiumnitrid scheidet sich entweder bei der Abkühlung von der Walztemperatur oder während einer Glühung im Temperaturbereich von 620 bis 680 °C noch vor dem Grafit aus und begünstigt dabei die Zementit/Grafit-Umwandlung. Aus diesem Grunde ist es notwendig, den Aluminiumgehalt unter 0,010 % einzustellen. Aluminiumgehalte unter 0,005 % lassen sich bei voll beruhigten Stählen nur schwierig sicherstellen.

    [0006] Silizium hat neben Aluminium die größte grafitfördernde Wirkung. Es bewirkt einen Anstieg der Ac1-Temperatur sowie eine Verminderung der Stabilität des Zementits. Die Erhöhung der Ac1-Temperatur beschleunigt die Kohlenstoffdiffusion zu den Grafitkeimen, und die geringe Zementitstabilität spiegelt sich in einem raschen Ablauf der Zementit/Grafit-Umwandlung wieder. Aus diesem Grunde müssen sehr niedrige Siliziumgehalte angestrebt werden. Da jedoch Silizium wie Aluminium zur Beruhigung des Stahls benötigt wird, kann der Siliziumgehalt nicht unter 0,15 % abgesenkt werden.

    [0007] Im Gegensatz zu Aluminium und Silizium wirkt der Mangangehalt der Grafitbildung entgegen, indem er den Zementit stabilisiert. Er senkt die Ac1-Temperatur und gleichzeitig auch die Kohlenstoffaktivität, indem er sich im Zementit löst. Einer Erhöhung des Mangangehaltes steht dessen starke Wirkung auf die Gamma-Alpha-Umwandlung entgegen. Mit steigendem Mangangehalt wird der Umwandlungsbereich zu tieferen Temperaturen verschoben, was bei Stählen über 1 % Mn eine Neigung zur Bainitbildung bei der Abkühlung nach dem Warmwalzen zur Folge hat. Nach dem Weichglühen weisen die manganreichen Stähle eine feinere Verteilung des eingeformten Zementits auf, die mit einer unerwünschten Erhöhung der Festigkeit verbunden ist. Man geht davon aus, daß die weichgeglühten Stähle einen Streckgrenzenanstieg von 50 N/mm² je 1 % Mn zeigen.

    [0008] Neben einer Erhöhung des Mangangehaltes ist das Zulegieren von Chrom die wohl bekannteste Maßnahme zur Erhöhung des Widerstandes gegen Grafitbildung. Auch Chrom als starker Carbidbildner reichert sich im Zementit an und stabilisiert ihn. Dadurch wird die Triebkraft der Grafitisierung herabgesetzt. Auch dem Zulegieren von Chrom sind in Kohlenstoffstählen Grenzen gesetzt. Die weichgeglühten Stähle zeigen einen Streckgrenzenanstieg von rund 200 N/mm² je 1 % Cr, die aus einer erhöhten Neigung dieser Stahle zur Bainitbildung beim Abkühlen resultiert. Um den Widerstand eines Stahls mit über 0,9 % C gegen Grafitisierung anzuheben, muß ein Mindestgehalt von 0,15 % Cr sichergestellt werden.

    [0009] In "The Iron Age", August 1950, Seiten 64 bis 68 wird erwähnt, daß Tellur in Gußeisen als ein starker Carbidstabilisierer eingestuft wird. Die Wirksamkeit von Tellur in Stählen wurde jedoch nicht überprüft, da offensichtlich angenommen wurde, daß es sich bei hohen Temperaturen verflüchtigt.

    [0010] In den 70-er Jahren wurde zum ersten Mal Tellur als Legierungselement im Stahl eingesetzt. So wird in der DE-PS 2951812 ein tellurhaltiger Automatenstahl mit 0,002 bis 0,1 % Tellur beschrieben. Die Aufgabe des Tellurs ist es, die Form der sulfidischen Einschlüsse zu verändern und damit die Bearbeitbarkeit des Stahls zu erhöhen. Der Automatenstahl weist Kohlenstoffgehalte bis 0,6 % und Schwefelgehalte zwischen 0,04 und 0,4 % sowie Chromgehalte von 0,10 bis 0,30 % auf. Der Einfluß von Tellur auf die Grafitbildung wurde in dieser Schrift nicht erörtert. Ein anderer gut zerspanbarer Stahl mit Tellur, der noch einen geringen Zusatz von Kalzium enthält, ist in der DE-PS 2824803 beschrieben worden.

    [0011] Aus der De-PS 3721641 (Ansprüche 7 und 8) ist ein Stahl herleitbar mit 0,32 bis 0,9 % C, 0,20 bis 1,50 % Mn, bis 2,0 % Si, bis 0,15 % Al, bis 3,5 % Cr, bis 0,05 % S, bis 0,05 % P, bis 0,02 % N, bis 3,5 % Ni, bis 0,5 % Mo, bis 0,005 % Te. Ferner ist in Tafel 1 ein Stahl D-I enthalten mit 0,44 % C, 0,68 % Mn, 0,25 % Si, 0,016 % P, 0,005 % S, 0,0042 % N, 0,012 % Al, 1,05 % Cr, 0,014 % Ni, 0,003 % Mo und 0,002 % Te. Bei diesen Stählen, die nicht übereutektoid sind, soll der Tellur-Zusatz ausschließlich der Sulfidformbeeinflussung dienen, während die Cr-, Ni- und Mo- Zusätze die Härtbarkeit erhöhen sollen.

    [0012] Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, vergütbare übereutektoide Stähle mit Kohlenstoffgehalten zwischen 0,91 und 1,3 % vorzuschlagen, bei deren Herstellung und Weiterverarbeitung, sowohl vor als auch nach dem Weichglühen im wesentlichen keine Grafitbildung auftritt.

    [0013] Diese Aufgabe wird erfindungsgemäß durch eine Stahlzusammensetzung gemäß Anspruch 1 gelöst. In dieser neuen Stahlzusammensetzung wird wegen Vermeidung einer unerwünschten Festigkeitserhöhung und damit verbundener Herabsetzung der Kaltumformbarkeit der Mangangehalt auf max. 0,80 % und der Chromgehalt auf max. 0,30 % begrenzt. Aus Gründen einer vollständigen Stahlberuhigung werden Aluminiumgehalte bis 0,010 % sowie Siliziumgehalte bis 0,30 % zugelassen. Überraschenderweise wurde festgestellt, daß eine Zugabe von Tellur im Bereich von 0,0015 bis 0,1 % die Neigung zur Grafitbildung stark hemmt, wenn das Verhältnis Tellur zu Schwefel größer als 0,20 ist. Es wurde jedoch festgestellt, daß die Wirkung des Tellurs nur dann eintritt, wenn die grafitfördernden Elemente Silizium und Aluminium auf dem angegebenen niedrigen Niveau gehalten werden und die Mangan- und Chromgehalte die vorstehend genannten maximalen Werte von 0,80 % bzw. 0,30 % nicht überschreiten.

    [0014] Bevorzugte Analysenbereiche ergeben sich aus den Unteransprüchen So zeigt Anspruch 2, daß bei einem eingeschränkten Kohlenstoffgehalt von 0,91 bis 1,1 % und einem angepaßten Schwefelwert von max. 0,020 % der Tellurgehalt bevorzugt bei 0,0020 bis 0,0060 % liegt, während gemäß Anspruch 3 bei einem eingeschränkten Kohlenstoffgehalt von 0,91 bis 1,1 % und einem angepaßten Schwefelgehalt von max. 0,010 % der Tellurgehalt bevorzugt bei 0,0020 bis 0,0040 % liegt, wobei jeweils das Verhältnis Tellur zu Schwefel größer als 0,20 ist.

    [0015] Nach Anspruch 4 kann der Stahl zusätzlich mit Vanadium, Titan, Zirkonium und Bor legiert werden, wobei Vanadium und Bor zur Erhöhung der Härtbarkeit und Titan und Zirkonium zur Stickstoffabbindung und Sulfidformbeeinflussung dienen. Der Stahl kann ferner zur Einformung von sulfidischen Einschlüssen mit mindestens 0,001 % Kalzium behandelt sein.

    [0016] Die Erfindung wird nachstehend anhand von Ausführungsbeispielen näher erläutert. Tafel 1 enthält die Übersicht der Stahlzusammensetzungen. Die unter A bis J aufgeführten Stähle wurden nach dem Sauerstoffaufblasverfahren erschmolzen und für warm- und kaltgewalzte weichgeglühte Produkte, wie Band und Draht, eingesetzt. Die Stähle B, D, G und I fallen unter die Erfindung. Die Stähle C, E, H und J fallen nicht unter die Erfindung, da sie kein Tellur aufweisen. Die Stähle A und F fallen nicht unter die Erfindung, da sie ein zu niedriges Te/S-Verhältnis haben.

    [0017] Tafel 2 zeigt eine Übersicht des Grafitflächenanteils nach einer Weichglühung mit einer Verweilzeit von 50 h im Temperaturbereich zwischen 620 und 680 °C. Hieraus wird deutlich, daß die unter die Erfindung fallenden Stähle keinen Grafit aufweisen. Die Gegenüberstellung in Tafel 2 zeigt, daß nur mit der erfindungsgemäßen Stahlzusammensetzung eine Grafitbildung sicher vermieden werden kann. Zwar bleibt auch der Stahl J, der durch einen hohen Mangan- und Chromgehalt gegen die Grafitisierung geschützt wurde, grafitfrei. Jedoch weist der Stahl J wegen einer zu feinen Zementitverteilung eine hohe Festigkeit auf und eignet sich daher nicht für eine Weiterverarbeitung durch Kaltumformen, insbesondere durch Stanzen.






    Ansprüche

    1. Grafitfreier übereutektoider Vergütungsstahl mit (in Masse-%)

    0,91   bis 1,30 % C

    0,20   bis 0,80 % Mn
    bis 0,30 % Si
    bis 0,01 % Al

    0,10   bis 0,30 % Cr
    bis 0,040 % S
    bis 0,040 % P
    bis 0,020 % N
    höchstens 0,1 % Ni
    höchstens 0,1 % Mo

    0,0015   bis 0,1 % Te

    Rest Eisen und unvermeidbare Verunreinigungen, wobei das Verhältnis von Tellur zu Schwefel größer als 0,20 beträgt.
     
    2. Stahl nach Anspruch 1, mit (in masse-%)

    0,91   bis 1,10 % C

    0,20   bis 0,80 % Mn
    bis 0,30 % Si
    bis 0,010 % Al

    0,10   bis 0,30 % Cr
    bis 0,020 % S
    bis 0,040 % P
    bis 0,014 % N
    höchstens 0,05 % Ni
    höchstens 0,03 % Mo

    0,002   bis 0,006 % Te

    Rest Eisen und unvermeidbare Verunreinigungen.
     
    3. Stahl nach Anspruch 1 mit (in Masse-%)

    0,91   bis 1,10 % C

    0,20   bis 0,80 % Mn
    bis 0,30 % Si
    bis 0,010 % Al

    0,10   bis 0,30 % Cr
    bis 0,010 % S
    bis 0,040 % P
    bis 0,014 % N
    höchstens 0,05 % Ni
    höchstens 0,03 % Mo

    0,002   bis 0,004 % Te

    Rest Eisen und unvermeidbare Verunreinigungen.
     
    4. Stahl nach einem der Ansprüche 1 bis 3, der zusätzlich folgende Elemente (in Masse-%) enthält:

    bis   0,10 % V

    bis   0,04 % Ti

    bis   0,15 % Zr

    bis   0,01 % B.


     
    5. Stahl nach einem der Ansprüche 1 bis 4, der zur Sulfidformbeeinflussung 0,001 - 0,05 % Ca zusätzlich enthält.
     





    Recherchenbericht