(19)
(11) EP 0 635 283 A1

(12) EUROPÄISCHE PATENTANMELDUNG

(43) Veröffentlichungstag:
25.01.1995  Patentblatt  1995/04

(21) Anmeldenummer: 94250184.2

(22) Anmeldetag:  20.07.1994
(51) Internationale Patentklassifikation (IPC)6A62D 3/00
(84) Benannte Vertragsstaaten:
AT BE CH DE DK ES FR GB GR IE IT LI LU MC NL PT SE

(30) Priorität: 24.07.1993 DE 4324931

(71) Anmelder: UFZ-UMWELTFORSCHUNGSZENTRUM
D-04318 Leipzig (DE)

(72) Erfinder:
  • Kopinke, Frank-Dieter
    04109 Leipzig (DE)
  • Remmler, Matthias
    04275 Leipzig (DE)
  • Stottmeister, Ulrich
    04349 Leipzig (DE)

(74) Vertreter: Bourcevet, Hartmut, Dr. 
Talstrasse 2 A
13189 Berlin
13189 Berlin (DE)


(56) Entgegenhaltungen: : 
   
       


    (54) Verfahren zur reduktiven Dehalogenierung von organohalogenhaltigen festen und flüssigen Stoffen


    (57) Die Erfindung betrifft ein Verfahren zur reduktiven Dehalogenierung von Halogenkohlenwasserstoffen, die in Gemischen von festen oder flüssigen Stoffen enthalten sind, durch Behandeln dieser Stoffe mit Natrium in flüssigem Ammoniak. Erfindungsgemäß können auf diese Weise Halogenkohlenwasserstoffe ohne vorhergehende Extraktion schnell und vollständig zerstört werden, auch wenn sie im sorbierten Zustand an festen Matrices, wie Aktivkohle, Aschen, Flußsedimenten, Böden u. ä. vorliegen.


    Beschreibung


    [0001] Die Erfindung betrifft ein chemisches Verfahren zur Dehalogenierung von Halogenkohlenwasserstoffen, die in Gemischen von festen oder flüssigen Stoffen enthalten sind. Abfälle oder Nebenprodukte industrieller Prozesse, die organisch gebundene Halogene (Fluor, Chlor, Brom, Iod als Organohalogene oder Halogenkohlenwasserstoffe) enthalten, stellen wegen ihrer ökotoxischen Eigenschaften ein erhebliches Gefahrenpotential dar. Für ihre Zerstörung sind zahlreiche Verfahren bekannt und z. T. technisch erprobt (siehe G. Dehoust, Ch. Ewen, R. Gensicke: Abfallfabrik, dargestellt am Beispiel der Beseitigung halogenorganischer Abfälle, Müll und Abfall 1991 (5), 283-294). Als Alternative zur Hochtemperaturverbrennung oder Hochtemperaturpyrolyse sind Verfahren zur reduktiven Dehalogenierung unter milden Reaktionsbedingungen von Interesse. Lissel und Fründ geben eine aktuelle Übersicht über verfügbare nichtthermische Verfahren ÄM. Lissel, M. Fründ, Labor 2000, 1991, 205 - 208Ü. Nach dem Degussa- Natrium-Prozeß DE-PS 28 13 200 C2 (1978), US-Pat. 4 255 252 (1979) wird Natrium als Suspension (mittlerer 20 Teilchendurchmesser unter 100 µm, vorzugsweise unter 30 µm) in Öl bei erhöhten Temperaturen (90 - 160 °C) mit vorbehandelten Abfallölen zur Reaktion gebracht.

    [0002] Ein Vorteil dieses Natrium-Prozesses ist seine Selektivität. Im Unterschied zum oxidativen Abbau und zur katalytischen Hydrierung werden Kohlenwasserstoffe davon nicht betroffen. Wegen seiner hohen Reaktivität kann Natrium bereits bei niedrigen Temperaturen und kurzen Reaktionszeiten eine vollständige Dehalogenierung bewirken, sofern keine Transportlimitierung im Reaktionsmedium auftritt. Die technische Umsetzung des Natrium-Prozesses erfordert einen vergleichsweise geringen Investitionsaufwand und ist daher für kleinere, ggf. mobile Anlagen besonders geeignet. Ein offensichtlicher Nachteil der Anwendung von Metallsuspensionen besteht darin, daß feste Produkte damit nicht in einfacher Weise behandelt werden können, weil Feststoff-Feststoff-Reaktionen eine hohe Transporthemmung aufweisen. Eben diese Anwendung ist aber von Interesse für die Behandlung von Feststoffen wie beladenen Aktivkohlen und -koksen, Filterstäuben u. a., bei denen geringe Konzentrationen von mehr oder weniger festgebundenen Halogenwasserstoffen auf einer festen Matrix vorliegen.

    [0003] Die Erfindung löst die Aufgabe, Halogenkohlenwasserstoffe, die an festen Matrices sorbiert vorliegen, einer direkten Dehalogenierung mit Natrium zugänglich zu machen, ohne daß dafür ein zusätzlicher Extraktionsschritt erforderlich wird.

    [0004] Erfindungsgemäß wird Natrium nicht als Metallsupension, sondern in gelöster Form zur Reaktion eingesetzt. Als Lösungsmittel wird flüssiger Ammoniak verwendet. Aus den physikalischen Eigenschaften von NH3 folgt, daß man flüssigen Ammoniak bei Atmosphärendruck und abgesenkten Temperaturen (Kp = -33,5 °C) oder bei Umgebungstemperatur unter erhöhtem Druck (p = 8 bar bei 20 °C) handhaben kann.

    [0005] Es ist bekannt, daß sich in reinem Ammoniak gelöstes Natrium nur langsam in das schwer lösliche Natriumamid umwandelt, daß diese Umwandlung aber durch verschiedene Katalysatoren, z. B. Eisen-III-Salze, Aktivkohle u. a., stark beschleunigt wird. überraschend wurde gefunden, daß die Dehalogenierung von Halogenwasserstoffen mit Natrium auch in Anwesenheit von solchen Feststoffen, die eine schnelle Abreaktion des Natriums bewirken, glatt verläuft. Das Verfahren kann in unterschiedlichen Ausführungsformen angewandt werden. Nach Variante A wird eine Lösung von Natrium in Ammoniak vorgelegt und der mit Halogenwasserstoff kontaminierte Feststoff unter Rühren zugegeben. In Variante B wird der Feststoff in Ammoniak suspendiert und das matallische Natrium zudosiert. Die Dehalogenierung ist in beiden Varianten nach kurzer Reaktionszeit abgeschlossen. Nahezu vollständiger Umsatz tritt bereits nach einer Minute Kontaktzeit zwischen Natriumlösung und einer wenig porösen Feststoffmatrix ein.

    [0006] Für mikroporöse und stark aggregierte Materialien können Kontaktzeiten bis zu 30 Minuten vorteilhaft sein. Längere Reaktionszeiten wirken sich nicht negativ auf das Ergebnis der Umsetzung aus, sie verschlechtern lediglich die Raum-Zeit-Ausbeute. Beide Batch-Varianten sind in analoger Weise für flüssige Abfälle anwendbar. In einer weiteren Ausführungsform (Variante C) wird der kontaminierte Feststoff in einem Festbett angeordnet und von einer Natrium-Lösung in Ammoniak durchströmt. Die Behandlung kann bei Temperaturen nahe dem Siedepunkt von Ammoniak unter Atmosphärendruck oder bei Temperaturen nahe Umgebungstemperatur unter erhöhtem Druck oder unter Bedingungen zwischen diesen Eckpunkten ausgeführt werden.

    [0007] Alle diese Varianten besitzen aus verfahrenstechnischer Sicht spezifische Vor- und Nachteile, die insbesondere die Reaktorausführung und den Ammoniakkreislauf betreffen. Das Lösungsmittel Ammoniak kann nach beendeter Reaktion entweder als flüssige Phase vom gereinigten Feststoff abgetrennt oder direkt verdampft werden. Die Verdampfung wird in Abhängigkeit von den Reaktionsbedingungen durch Erwärmen und/oder Entspannen erreicht. In jedem Fall wird der Ammoniak im Kreislauf geführt.

    [0008] Reaktionstemperaturen oberhalb von 30 °C sind nur dann sinnvoll, wenn dadurch zusätzliche Effekte an der Feststoffmatrix bewirkt werden sollen (z. B. Extraktion von weiteren Schadstoffen). Die Aufarbeitung der Reaktionsprodukte ist von der gewählten Ausführungsform und dem zu reinigenden Abfallprodukt abhängig. Sie enthält folgende Schritte, die in ihrer Reihenfolge unterschiedlich kombiniert werden können: (i) Zersetzung von überschüssigem Natrium durch Zugabe von Wasser oder anderen Reagenzien mit aktivem Wasserstoff (z. B. Methanol, Essigsäure, verdünnte Mineralsäuren o. a.); (ii) Verdampfen des Lösungsmittels durch Erwärmen oder Entspannen, wobei der verdampfte Ammoniak nach erneuter Verflüssigung im Kreislauf zu führen ist; (iii) Waschen und Neutralisieren des gereinigten Feststoffs bzw. der Waschwässer, falls erforderlich. Für eine annähernd vollständige Dehalogenierung ist ein geringer stöchiometrischer Überschuß an Natrium erforderlich, da es durch unerwünschte Nebenreaktionen in unterschiedlichem Umfang verbraucht wird. In der Regel wird dieser Überschuß aus Kostengründen so gering wie möglich gehalten. Unter speziellen Bedingungen kann es auch vorteilhaft sein, mit einem höheren Natriumüberschuß zu arbeiten und vor der Zersetzung eine Phasentrennung festflüssig durchzuführen, um so die noch gebrauchsfähige Natriumlösung für einen weiteren Dehalogenierungsansatz zu nutzen.

    [0009] Die Erfindung wird nachfolgend anhand eines typischen Ausführungsbeispiels im Labormaßstab weiter erläutert. Als feste Matrices wurden eine Aktivkohle (Hydraffin 30 der Fa. Lurgi), eine Flugasche aus einem Braunkohlkraftwerk und ein Flußsediment aus der Weißen Elster (lufttrocken) geprüft. Diese Matrices wurden mit folgenden Halogenkohlenwasserstoffen (102 - 104 ppm) beladen: o-Dichlorbenzol, p-Chlorphenol, 1-Chlornaphthalin, 2,3,4-Trichlorbiphenyl, DDT und Lindan. 10 g des dotierten Feststoffs wurden in 30 ml flüssigem Ammoniak suspendiert und einem Magnetrührer unter Atmosphärendruck am Rückfluß (-33 °C) gerührt. In diese Suspension wurden ca. 100 mg metallisches Natrium eingetragen. In der Umgebung des sich schnell auflösenden Natriumstücks trat die charakteristische tiefe Blaufärbung von solvatisiertem Natrium auf.

    [0010] Unmittelbar nach dem vollständigen Auflösen des Natriums wurde der Rückflußkühler entfernt und der Ammoniak innerhalb weniger Minuten abgedampft. Der feste Rückstand wurde mit verdünnter Säure gequencht und mit verschiedenen organischen Lösungsmitteln extrahiert. Die Extrakte wurden gaschromatographisch analysiert (FID und ECD als Detektoren). In der wäßrigen Phase wurde durch Ionenchromatographie die Konzentration an Chloridionen bestimmt.

    [0011] Als Ergebnis der Chloridanalyse wurde das mit dem Feststoff zugeführte Organochlor vollständig als Chlorid wiedergefunden (98 + 3 %). Die Analyse der organischen Extrakte wies Umsätze der Chlorkohlenwasserstoffe zwischen 95 und >99 % aus. Als Hauptprodukte wurden die erwarteten Dechlorierungsprodukte Benzol, Phenol, Naphtalin, Biphenyl und Methylfluoren neben geringen Mengen partiell hydrierter Kohlenwasserstoffe (z. B. Dihydronapthaline) nachgewiesen.


    Ansprüche

    1. Verfahren zur reduktiven Dehalogenierung von Halogenkohlenwasserstoffen, die in Gemischen mit festen und/oder flüssigen Stoffen vorliegen durch Behandeln dieser Gemische mit Natrium in flüssigem Ammoniak, dadurch gekennzeichnet, daß metallisches Natrium zunächst in flüssigem Ammoniak aufgelöst wird und im gelösten Zustand weitere chemische Reaktionen eingeht.
     
    2. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß man die Natriumbehandlung 1 - 30 Minuten, vorzugsweise 2 - 10 Minuten, bei 15 - 25 °C unter erhöhtem Druck am Rückfluß vornimmt.
     
    3. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß man die Natriumbehandlung 1 - 20 Minuten, vorzugsweise 2 - 10 Minuten, drucklos bei -33 °C oder bei leicht erhöhtem Druck unterhalb 0 °C durchführt.
     
    4. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß man die Natriumbehandlung in einem Festbettreaktor durchführt, der von einer Ammoniaklösung durchströmt wird.
     
    5. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß man die Behandlung mit einem Überschuß an Natrium vornimmt und das unverbrauchte Reagenz vor einer Zersetzung mit wasserstoffaktiven Verbindungen als ammoniakalische Lösung für weitere Umsetzungen abtrennt.
     
    6. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß man das Lösungsmittel Ammoniak nach beendeter Reaktion durch Erwärmen und/oder Entspannen verdampft und im Kreislauf führt.
     





    Recherchenbericht