(57) Die Erfindung betrifft ein Verfahren zur reduktiven Dehalogenierung von Halogenkohlenwasserstoffen,
die in Gemischen von festen oder flüssigen Stoffen enthalten sind, durch Behandeln
dieser Stoffe mit Natrium in flüssigem Ammoniak. Erfindungsgemäß können auf diese
Weise Halogenkohlenwasserstoffe ohne vorhergehende Extraktion schnell und vollständig
zerstört werden, auch wenn sie im sorbierten Zustand an festen Matrices, wie Aktivkohle,
Aschen, Flußsedimenten, Böden u. ä. vorliegen.
[0001] Die Erfindung betrifft ein chemisches Verfahren zur Dehalogenierung von Halogenkohlenwasserstoffen,
die in Gemischen von festen oder flüssigen Stoffen enthalten sind. Abfälle oder Nebenprodukte
industrieller Prozesse, die organisch gebundene Halogene (Fluor, Chlor, Brom, Iod
als Organohalogene oder Halogenkohlenwasserstoffe) enthalten, stellen wegen ihrer
ökotoxischen Eigenschaften ein erhebliches Gefahrenpotential dar. Für ihre Zerstörung
sind zahlreiche Verfahren bekannt und z. T. technisch erprobt (siehe G. Dehoust, Ch.
Ewen, R. Gensicke: Abfallfabrik, dargestellt am Beispiel der Beseitigung halogenorganischer
Abfälle, Müll und Abfall 1991 (5), 283-294). Als Alternative zur Hochtemperaturverbrennung
oder Hochtemperaturpyrolyse sind Verfahren zur reduktiven Dehalogenierung unter milden
Reaktionsbedingungen von Interesse. Lissel und Fründ geben eine aktuelle Übersicht
über verfügbare nichtthermische Verfahren ÄM. Lissel, M. Fründ, Labor 2000, 1991,
205 - 208Ü. Nach dem Degussa- Natrium-Prozeß DE-PS 28 13 200 C2 (1978), US-Pat. 4
255 252 (1979) wird Natrium als Suspension (mittlerer 20 Teilchendurchmesser unter
100 µm, vorzugsweise unter 30 µm) in Öl bei erhöhten Temperaturen (90 - 160 °C) mit
vorbehandelten Abfallölen zur Reaktion gebracht.
[0002] Ein Vorteil dieses Natrium-Prozesses ist seine Selektivität. Im Unterschied zum oxidativen
Abbau und zur katalytischen Hydrierung werden Kohlenwasserstoffe davon nicht betroffen.
Wegen seiner hohen Reaktivität kann Natrium bereits bei niedrigen Temperaturen und
kurzen Reaktionszeiten eine vollständige Dehalogenierung bewirken, sofern keine Transportlimitierung
im Reaktionsmedium auftritt. Die technische Umsetzung des Natrium-Prozesses erfordert
einen vergleichsweise geringen Investitionsaufwand und ist daher für kleinere, ggf.
mobile Anlagen besonders geeignet. Ein offensichtlicher Nachteil der Anwendung von
Metallsuspensionen besteht darin, daß feste Produkte damit nicht in einfacher Weise
behandelt werden können, weil Feststoff-Feststoff-Reaktionen eine hohe Transporthemmung
aufweisen. Eben diese Anwendung ist aber von Interesse für die Behandlung von Feststoffen
wie beladenen Aktivkohlen und -koksen, Filterstäuben u. a., bei denen geringe Konzentrationen
von mehr oder weniger festgebundenen Halogenwasserstoffen auf einer festen Matrix
vorliegen.
[0003] Die Erfindung löst die Aufgabe, Halogenkohlenwasserstoffe, die an festen Matrices
sorbiert vorliegen, einer direkten Dehalogenierung mit Natrium zugänglich zu machen,
ohne daß dafür ein zusätzlicher Extraktionsschritt erforderlich wird.
[0004] Erfindungsgemäß wird Natrium nicht als Metallsupension, sondern in gelöster Form
zur Reaktion eingesetzt. Als Lösungsmittel wird flüssiger Ammoniak verwendet. Aus
den physikalischen Eigenschaften von NH3 folgt, daß man flüssigen Ammoniak bei Atmosphärendruck
und abgesenkten Temperaturen (Kp = -33,5 °C) oder bei Umgebungstemperatur unter erhöhtem
Druck (p = 8 bar bei 20 °C) handhaben kann.
[0005] Es ist bekannt, daß sich in reinem Ammoniak gelöstes Natrium nur langsam in das schwer
lösliche Natriumamid umwandelt, daß diese Umwandlung aber durch verschiedene Katalysatoren,
z. B. Eisen-III-Salze, Aktivkohle u. a., stark beschleunigt wird. überraschend wurde
gefunden, daß die Dehalogenierung von Halogenwasserstoffen mit Natrium auch in Anwesenheit
von solchen Feststoffen, die eine schnelle Abreaktion des Natriums bewirken, glatt
verläuft. Das Verfahren kann in unterschiedlichen Ausführungsformen angewandt werden.
Nach Variante A wird eine Lösung von Natrium in Ammoniak vorgelegt und der mit Halogenwasserstoff
kontaminierte Feststoff unter Rühren zugegeben. In Variante B wird der Feststoff in
Ammoniak suspendiert und das matallische Natrium zudosiert. Die Dehalogenierung ist
in beiden Varianten nach kurzer Reaktionszeit abgeschlossen. Nahezu vollständiger
Umsatz tritt bereits nach einer Minute Kontaktzeit zwischen Natriumlösung und einer
wenig porösen Feststoffmatrix ein.
[0006] Für mikroporöse und stark aggregierte Materialien können Kontaktzeiten bis zu 30
Minuten vorteilhaft sein. Längere Reaktionszeiten wirken sich nicht negativ auf das
Ergebnis der Umsetzung aus, sie verschlechtern lediglich die Raum-Zeit-Ausbeute. Beide
Batch-Varianten sind in analoger Weise für flüssige Abfälle anwendbar. In einer weiteren
Ausführungsform (Variante C) wird der kontaminierte Feststoff in einem Festbett angeordnet
und von einer Natrium-Lösung in Ammoniak durchströmt. Die Behandlung kann bei Temperaturen
nahe dem Siedepunkt von Ammoniak unter Atmosphärendruck oder bei Temperaturen nahe
Umgebungstemperatur unter erhöhtem Druck oder unter Bedingungen zwischen diesen Eckpunkten
ausgeführt werden.
[0007] Alle diese Varianten besitzen aus verfahrenstechnischer Sicht spezifische Vor- und
Nachteile, die insbesondere die Reaktorausführung und den Ammoniakkreislauf betreffen.
Das Lösungsmittel Ammoniak kann nach beendeter Reaktion entweder als flüssige Phase
vom gereinigten Feststoff abgetrennt oder direkt verdampft werden. Die Verdampfung
wird in Abhängigkeit von den Reaktionsbedingungen durch Erwärmen und/oder Entspannen
erreicht. In jedem Fall wird der Ammoniak im Kreislauf geführt.
[0008] Reaktionstemperaturen oberhalb von 30 °C sind nur dann sinnvoll, wenn dadurch zusätzliche
Effekte an der Feststoffmatrix bewirkt werden sollen (z. B. Extraktion von weiteren
Schadstoffen). Die Aufarbeitung der Reaktionsprodukte ist von der gewählten Ausführungsform
und dem zu reinigenden Abfallprodukt abhängig. Sie enthält folgende Schritte, die
in ihrer Reihenfolge unterschiedlich kombiniert werden können: (i) Zersetzung von
überschüssigem Natrium durch Zugabe von Wasser oder anderen Reagenzien mit aktivem
Wasserstoff (z. B. Methanol, Essigsäure, verdünnte Mineralsäuren o. a.); (ii) Verdampfen
des Lösungsmittels durch Erwärmen oder Entspannen, wobei der verdampfte Ammoniak nach
erneuter Verflüssigung im Kreislauf zu führen ist; (iii) Waschen und Neutralisieren
des gereinigten Feststoffs bzw. der Waschwässer, falls erforderlich. Für eine annähernd
vollständige Dehalogenierung ist ein geringer stöchiometrischer Überschuß an Natrium
erforderlich, da es durch unerwünschte Nebenreaktionen in unterschiedlichem Umfang
verbraucht wird. In der Regel wird dieser Überschuß aus Kostengründen so gering wie
möglich gehalten. Unter speziellen Bedingungen kann es auch vorteilhaft sein, mit
einem höheren Natriumüberschuß zu arbeiten und vor der Zersetzung eine Phasentrennung
festflüssig durchzuführen, um so die noch gebrauchsfähige Natriumlösung für einen
weiteren Dehalogenierungsansatz zu nutzen.
[0009] Die Erfindung wird nachfolgend anhand eines typischen
Ausführungsbeispiels im Labormaßstab weiter erläutert. Als feste Matrices wurden eine Aktivkohle (Hydraffin
30 der Fa. Lurgi), eine Flugasche aus einem Braunkohlkraftwerk und ein Flußsediment
aus der Weißen Elster (lufttrocken) geprüft. Diese Matrices wurden mit folgenden Halogenkohlenwasserstoffen
(102 - 104 ppm) beladen: o-Dichlorbenzol, p-Chlorphenol, 1-Chlornaphthalin, 2,3,4-Trichlorbiphenyl,
DDT und Lindan. 10 g des dotierten Feststoffs wurden in 30 ml flüssigem Ammoniak suspendiert
und einem Magnetrührer unter Atmosphärendruck am Rückfluß (-33 °C) gerührt. In diese
Suspension wurden ca. 100 mg metallisches Natrium eingetragen. In der Umgebung des
sich schnell auflösenden Natriumstücks trat die charakteristische tiefe Blaufärbung
von solvatisiertem Natrium auf.
[0010] Unmittelbar nach dem vollständigen Auflösen des Natriums wurde der Rückflußkühler
entfernt und der Ammoniak innerhalb weniger Minuten abgedampft. Der feste Rückstand
wurde mit verdünnter Säure gequencht und mit verschiedenen organischen Lösungsmitteln
extrahiert. Die Extrakte wurden gaschromatographisch analysiert (FID und ECD als Detektoren).
In der wäßrigen Phase wurde durch Ionenchromatographie die Konzentration an Chloridionen
bestimmt.
[0011] Als Ergebnis der Chloridanalyse wurde das mit dem Feststoff zugeführte Organochlor
vollständig als Chlorid wiedergefunden (98 + 3 %). Die Analyse der organischen Extrakte
wies Umsätze der Chlorkohlenwasserstoffe zwischen 95 und >99 % aus. Als Hauptprodukte
wurden die erwarteten Dechlorierungsprodukte Benzol, Phenol, Naphtalin, Biphenyl und
Methylfluoren neben geringen Mengen partiell hydrierter Kohlenwasserstoffe (z. B.
Dihydronapthaline) nachgewiesen.
1. Verfahren zur reduktiven Dehalogenierung von Halogenkohlenwasserstoffen, die in Gemischen
mit festen und/oder flüssigen Stoffen vorliegen durch Behandeln dieser Gemische mit
Natrium in flüssigem Ammoniak, dadurch gekennzeichnet, daß metallisches Natrium zunächst
in flüssigem Ammoniak aufgelöst wird und im gelösten Zustand weitere chemische Reaktionen
eingeht.
2. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß man die Natriumbehandlung 1
- 30 Minuten, vorzugsweise 2 - 10 Minuten, bei 15 - 25 °C unter erhöhtem Druck am
Rückfluß vornimmt.
3. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß man die Natriumbehandlung 1
- 20 Minuten, vorzugsweise 2 - 10 Minuten, drucklos bei -33 °C oder bei leicht erhöhtem
Druck unterhalb 0 °C durchführt.
4. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß man die Natriumbehandlung in
einem Festbettreaktor durchführt, der von einer Ammoniaklösung durchströmt wird.
5. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß man die Behandlung mit einem
Überschuß an Natrium vornimmt und das unverbrauchte Reagenz vor einer Zersetzung mit
wasserstoffaktiven Verbindungen als ammoniakalische Lösung für weitere Umsetzungen
abtrennt.
6. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß man das Lösungsmittel Ammoniak
nach beendeter Reaktion durch Erwärmen und/oder Entspannen verdampft und im Kreislauf
führt.