[0001] Die Erfindung betrifft ein Verfahren zur Kompensation von Kräften bzw. Kraftanteilen,
resultierend aus Horizontalbewegungen der Walzen in Walzgerüsten für das Warm- und
Kaltwalzen von Flachprodukten, ausgerüstet mit Arbeitswalzen und mit einer oder mehreren
Stützwalzen, mit hydraulischen Anstellungen und mit Kraftmeßeinrichtungen auf der
gegenüberliegenden Seite des Walzspaltes und mit hydraulischen Einrichtungen zur Horizontalverschiebung
der Arbeitswalzen.
[0002] Bei der Walzung von Flachprodukten in Warm- und Kaltwalzanlagen besteht das Problem,
daß alle beteiligten Walzen während des Walzprozesses in unterschiedlicher Richtung
axial im Gerüst verlaufen und durch Andrücken an die jeweils vorhandenen Verriegelungen
Axialkräfte erzeugen. Aus diesen Axialkräften entstehen mit der zugeordneten Reaktionskraft
im Abstand von Walzenmitte bis zur Berührung mit der Nachbarwalze freie Kräftepaare.
Jedes dieser Kräftepaare bewirkt Reaktionskräfte in den Walzenlagern und damit in
den beiden Ständerholmen des Gerüstes.
[0003] Figur 1 beschreibt das Grundproblem beispielhaft an der oberen Stützwalze 1 eines
Quarto-Gerüstes. Die horizontal wirkenden Kräfte T sind linienflüchtige Vektoren,
d.h., sie können längs ihrer Wirkungslinie verschoben werden. Demzufolge ist es belanglos,
auf welcher Seite des Gerüstes die Walze verriegelt ist. Grundsätzlich entstehen solche
Kräftepaare immer durch die Axialkraft im Kontaktbereich zur Nachbarwalze. Die einzelnen
Kräfte überlagern sich und äußern sich in unterschiedlichen Axialkräften an allen
beteiligten Walzen mit entsprechend schwer zu übersehenden Reaktionskräften in den
Walzenständern.
[0004] Insbesondere bei Reversiergerüsten zeigen die Reaktionskräfte in den Walzenständern
außerordentlich nachteilige Wirkungen. Bei Umkehrung der Drehrichtung ändert sich
auch die Schraubrichtung aller beteiligten Walzen. Die Walzen laufen zur jeweils gegenüberliegenden
Seite, was eine Umkehr der Axialkräfte zur Folge hat. Die Reaktionskräfte in den Walzenständern
ändern sich entsprechend, mit dem Ergebnis, daß die in den Ständern angeordneten Kraftmeßeinrichtungen
Veränderungen melden, die mit dem eigentlichen Walzprozeß nicht in Verbindung stehen.
Die Folge sind fehlerhafte Reaktionen aller Regelkreise, die von den in den Walzenständern
gemessenen Kräften abhängen, wie die Planheitsregelung, die automatische Kalibrierung
zur parallelen Einstellung des Walzspaltes, die Roll Alignment Control zur Kompensation
der Wirkungen einer außermittigen Lage des Walzproduktes und weitere Regelkreise,
je nach Art des Walzgerüstes und des Walzproduktes.
[0005] Es ist bereits Stand der Technik, im Gerüst entstehende vertikale Kräfte, wie bspw.
Kräfte aus den Eigengewichten, der Walzenbalancierung und der Walzenbiegung rechnerisch
oder meßtechnisch zu erfassen und bei der Messung der Kräfte in den beiden Walzenständern
zu berücksichtigen. Solche Kompensationen wurden jedoch für die Reaktionskräfte aus
den beschriebenen Axialkräften der Walzen nicht durchgeführt.
[0006] Es besteht demzufolge die Aufgabe, die Reaktionskräfte in den Walzenständern ohne
Einrichtung zusätzlicher Meßstellen im Walzgerüst mit ausreichender Sicherheit zu
bestimmen.
[0007] Die Lösung der Aufgabe gelingt bei einem Verfahren zur Kompensation von Kräften bzw.
Kraftanteilen, resultierend aus Horizontalbewegungen der Walzen in Walzgerüsten gemäß
der eingangs genannten Gattung mit den Merkmalen des Anspruchs 1.
[0008] Die Erfindung eröffnet die Möglichkeit, alle in einem Walzgerüst auftretenden, vagabundierenden
Kräfte aus Horizontalbewegungen der Walzen kontinuierlich zu bestimmen und die hieraus
resultierenden Kraftanteile in den gemessenen Walzkräften zu kompensieren. Weitere
Ausgestaltungen der Erfindung sind Gegenstand der Ansprüche 2 bis 7.
[0009] Die Erfindung wird anhand der Fig. 2 bis Fig. 5 näher beschrieben.
[0010] Moderne Walzgerüste für kalt- und warmgewalzte Flachprodukte werden heute nahezu
ausschließlich mit hydraulischen Anstellungen 2 als Stellglied für die Dickenregelung
ausgerüstet. Die Anstellzylinder der hydraulischen Anstellung befinden sich oberhalb
der oberen Stützwalzeneinbaustücke 3 oder unterhalb der unteren Stützwalzeneinbaustücke
4. In einer bevorzugten Ausführungsform befinden sich zusätzlich auf der vom Walzspalt
her gesehen gegenüberliegenden Seite des Gerüstes in den beiden Walzenständern Kraftmeßeinrichtungen
5, mit denen die im Walzprozeß auftretenden Kräfte in den beiden Walzenständern kontinuierlich
gemessen werden.
[0011] Die beiden Hydraulikzylinder der hydraulischen Anstellung liefern über den Hydraulikdruck
in bevorzugter Weise zusätzliche Meßwerte für die Kräfte in den beiden Walzenständern,
so daß insgesamt ohne zusätzlichen Aufwand Meßwerte für die Kräfte in den beiden Walzenständern
oberhalb der oberen Stützwalzeneinbaustücke und unterhalb der unteren Stützwalzeneinbaustücke
zur Verfügung stehen.
[0012] Ein weiteres Merkmal moderner Walzgerüste für das Warm- und Kaltwalzen von Flachprodukten
sind verschiebbare Arbeitswalzen 6, z.B. für die Beeinflussung des Walzspaltprofils
oder zur Vergleichmäßigung des Walzenverschleißes. In einer bevorzugten Ausführungsform
erfolgt das Verschieben der Arbeitswalzen 6 mit Hilfe von Hydraulikzylindern 7. Unabhängig
davon, ob während einer Betriebsphase die beiden Arbeitswalzen verschoben werden oder
sich in einer bestimmten Position befinden, entstehen in den Hydraulikzylindern 7
Drücke in Abhängigkeit von den von den Arbeitswalzen 6 ausgehenden Axialkräften. Die
Axialkräfte der Arbeitswalzen können demzufolge in bevorzugter Weise ohne zusätzlichen
Aufwand durch Druckmessung in den Verschiebezylindern bestimmt werden. Hiermit stehen
insgesamt sechs Meßwerte für vertikale und horizontale Kräfte im Walzgerüst zur Verfügung.
[0013] Figur 2 zeigt eine Analyse der Kräfte in einem Walzgerüst. Aufgenommen wurden lediglich
die Kräfte F aus dem Walzprozeß und die Axialkräfte T der Walzen. Auf die Darstellung
von Balancierkräften, Biegekräften und Gewichtskräften wurde verzichtet, da die Kompensation
dieser Kräfte bekannt ist.
[0014] Der Ansatz der Gleichgewichtsbedingungen für horizontale Kräfte T, vertikale Kräfte
F und Momente M am oberen und unteren Walzensatz führt zu insgesamt sechs Gleichungen.
Diese sechs nachfolgenden Gleichungen GL geben das Kräftegleichgewicht wie folgt wieder:
Gerüst oben:
[0015] 
Gerüst unten:
[0016] 
[0017] Aus diesen sechs Gleichungen lassen sich mit mathematischen Umformungen die Gleichungen
für die von den Stützwalzen ausgehenden Kräfte T
1 und T
4 sowie die im Walzspalt auftretende Tangentialkraft T
w bestimmen. Damit sind alle im Gerüst auftretenden horizontal wirkenden Kräfte bekannt.
[0018] Figur 3 zeigt die Zusammenstellung des Gleichungssatzes.
[0019] Von besonderem Interesse ist die Ableitung einer Mittenabweichung X für die Lage
der resultierenden Walzkraft im Walzspalt (vgl. Fig. 2). Diese Größe läßt sich ebenfalls
aus den sechs Meßwerten im Walzbetrieb kontinuierlich ableiten. Die Gleichung für
die Mittenabweichung X ist in Fig. 3 angegeben. Die Größe X kann herangezogen werden
für die automatische Kalibrierung, d.h. für das automatische Parallelstellen der beiden
Arbeitswalzen, indem nach einem Walzenwechsel das Gerüst ohne Walzgut mit drehenden
Walzen vorgespannt und die aus den sechs Meßwerten errechnete Außermittigkeit X errechnet
wird. Durch Schwenken mit der hydraulischen Anstellung wird der Wert X auf Null geregelt
mit dem Ergebnis einer einwandfreien Parallellage von oberer und unterer Walze.
[0020] Eine weitere Verwendung der Mittenabweichung X ist die Überwachung des Walzprozesses,
insbesondere bei Reversiergerüsten, bei denen ein Verlaufen des Bandes bzw. des Bleches
aus der Gerüstmitte eintreten kann. Die Mittenabweichung X kann zur Meldung solcher
Ereignisse und zu einer entsprechenden Korrektur herangezogen werden.
[0021] Selbstverständlich kann die automatische Kalibrierung und Überwachung des Walzprozesses
auch dadurch erfolgen, daß anstelle der Einführung einer Mittenabweichung eine Korrektur
(Kompensation) der gemessenen Kräfte F
1 bis F
4 mit Hilfe der errechenbaren Reaktionskräfte aus den Axialkräften erfolgt. Die hierzu
erforderlichen Gleichungen für die Summe der Reaktionskräfte aus allen beteiligten
Walzen sind mit R
1 bis R
4 in Figur 4 angegeben. Nach einer solchen Kompensation können die Meßwerte F
1 bis F
4 in an sich bekannter Weise durch Differenzbildung F
1 minus F
2 bzw. F
3 minus F
4 für die Walzenkalibrierung und für die Überwachung des Walzprozesses herangezogen
werden.
[0022] In den Gleichungen zur Bestimmung der Walzen-Axialkräfte und der Außermittigkeit
zeigt sich als besonders vorteilhaft, daß die Meßwerte für die Axialkräfte im oberen
bzw. unteren Gerüstbereich immer als Differenzwerte in die Auswertung eingehen. Dies
hat zur Folge, daß die in den Meßwerten enthaltenen Reibungskräfte, insbesondere bei
den Meßwerten aus den Anstellzylindern nicht in die Auswertung eingehen, soweit die
Reibungskräfte auf beiden Gerüstseiten gleich groß sind. Dies gilt für eine Aufnahme
der Meßwerte während beidseitiger Zufahrbewegungen oder beidseitiger Auffahrbewegungen
der hydraulischen Anstellungen. Bei einer Schwenkbewegung würden sich die Reibungskräfte
beider Gerüstseiten addieren. Die Meßwertaufnahme während einer Schwenkbewegung ist
deshalb im betrieblichen Ablauf zu unterdrücken.
[0023] Als vorteilhaft erweist sich auch die Nutzung der gemessenen und errechneten Axialkräfte
T
1 bis T
4 und T
w zur Überwachung des Erhaltungszustandes und der einwandfreien Walzenschliffe. Hoher
Verschleißzustand und Fehler im Walzenschliff erhöhen die Verschränkung der Walzen
zueinander und führen zu erhöhten Axialkräften. Die Anzeige dieser Kräfte ist demzufolge
ein hervorragendes Mittel zur kontinuierlichen Überwachung des Walzwerks.
[0024] Figur 4 zeigt den Gleichungssatz für die Reaktionskräfte aus den Axialkräften und
für die Reaktionskräfte aus der Außermittigkeit der Walzkraft.
[0025] Figur 5 enthält ein Rechenbeispiel mit angenommenen Walzgerüstdaten und Walzdaten
und den hieraus mit Hilfe der oben angegebenen Gleichungen errechneten Walzen-Axialkräfte
und Reaktionskräfte.
1. Verfahren zur Kompensation von Kräften bzw. Kraftanteilen, resultierend aus Horizontalbewegungen
der Walzen in Walzgerüsten für das Warm- und Kaltwalzen von Flachprodukten, ausgerüstet
mit Arbeitswalzen und mit einer oder mehreren Stützwalzen, mit hydraulischen Anstellungen
und mit Kraftmeßeinrichtungen auf der gegenüberliegenden Seite des Walzspaltes und
mit hydraulischen Einrichtungen zur Horizontalverschiebung der Arbeitswalzen,
dadurch gekennzeichnet,
daß die Drücke in den beiden Anstellzylindern zur Bestimmung der Walzkräfte auf einer
Seite des Walzspaltes und die angezeigten Kräfte der Kraftmeßeinrichtungen zur Bestimmung
der Walzkräfte auf der gegenüberliegenden Seite des Walzspaltes herangezogen werden,
und daß unter Einbeziehung der über die Drücke in den Verschiebezylindern der Arbeitswalzen
bestimmbaren Arbeitswalzen-Axialkräfte sämtliche Axialkräfte im Gerüst während des
Walzbetriebes rechnerisch bestimmt werden.
2. Verfahren nach Anspruch 1,
dadurch gekennzeichnet,
daß aus den gemessenen und errechneten Axialkräften der Walzen Korrekturwerte für
die Walzkraftanzeigen in den beiden Walzenständern abgeleitet werden, um die Reaktionskräfte
der Axialkräfte zu kompensieren.
3. Verfahren nach Anspruch 1,
dadurch gekennzeichnet,
daß aus den vier gemessenen Walzkräften und den zwei gemessenen Axialkräften rechnerisch
die aktuelle Außermittigkeit der Walzkraft bestimmt wird.
4. Verfahren nach Anspruch 1 und Anspruch 3,
dadurch gekennzeichnet,
daß die errechnete Außermittigkeit der Walzkraft bei der Kalibrierung des Walzgerüstes
zum Parallelstellen der Walzen auf Null geregelt wird.
5. Verfahren nach Anspruch 1 bis 4,
dadurch gekennzeichnet,
daß die aus den Axialkräften resultierenden Reaktionskräfte in den beiden Walzenständern
zugeordneten Dehnungen rechnerisch bestimmt und durch entsprechende Zustellung der
hydraulischen Anstellungen kompensiert werden.
6. Verfahren nach Anspruch 4,
dadurch gekennzeichnet,
daß bei Durchführung der automatischen Kalibrierung die sechs Meßwerte für Walzkräfte
und Axialkräfte nur während einer auf beiden Gerüstseiten ausgeführten gleichgerichteten
Verstellbewegung aufgenommen werden.
7. Verfahren nach Anspruch 1,
dadurch gekennzeichnet,
daß die gemessenen und errechneten Axialkräfte T1 bis T4 und Tw zur Überwachung des Erhaltungszustandes kontinuierlich angezeigt werden.
8. Verfahren nach Anspruch 1 und 2,
dadurch gekennzeichnet,
daß nach Kompensation der Walzkraftanzeigen mit den aus den Axialkräften errechneten
Reaktionskräften die verbleibende Differenz der Walzkraftanzeigen im oberen bzw. unteren
Teil des Gerüstes zum Parallelstellen der Walzen auf Null geregelt wird.
9. Verfahren nach Anspruch 1 und 2,
dadurch gekennzeichnet,
daß nach Kompensation der Walzkraftanzeigen mit den aus den Axialkräften errechneten
Reaktionskräften die verbleibende Differenz der Walzkraftanzeigen im oberen bzw. unteren
Teil des Gerüstes zur kontinuierlichen Überwachung des Walzprozesses herangezogen
wird.