(19)
(11) EP 0 794 101 A2

(12) EUROPÄISCHE PATENTANMELDUNG

(43) Veröffentlichungstag:
10.09.1997  Patentblatt  1997/37

(21) Anmeldenummer: 97103309.7

(22) Anmeldetag:  28.02.1997
(51) Internationale Patentklassifikation (IPC)6B61F 5/44, B61F 5/38
(84) Benannte Vertragsstaaten:
AT CH DE LI

(30) Priorität: 06.03.1996 DE 19608659

(71) Anmelder: ABB PATENT GmbH
68309 Mannheim (DE)

(72) Erfinder:
  • Schwendt, Lutz
    34246 Vellmar (DE)

(74) Vertreter: Rupprecht, Klaus, Dipl.-Ing. et al
c/o ABB Patent GmbH, Postfach 10 03 51
68128 Mannheim
68128 Mannheim (DE)

   


(54) Schienenfahrzeug mit vier oder sechs in radialer Stellung steuerbaren Radsätzen


(57) Es wird ein Schienenfahrzeug mit vier oder sechs Radsätzen vorgeschlagen, welche zu den Fahrzeug-enden hin in zwei Gruppen mit je zwei oder drei Radsätzen zusammengefaßt sind. Jeder Radsatz (3 bis 8) ist direkt und ohne jeden Zwischenrahmen mit dem selbsttragenden Fahrzeugkasten (2) verbunden. Die bei Gleisbogenfahrt geometrisch erforderliche Querverschiebung (12) und Längsverschiebung (13) der Radsätze gegenüber dem Fahrzeugkasten ist gleichzeitig mittels einer Kinematik (14, 15, 16, 17 oder 18a, 18b, 19a, 19b, 20a, 20b oder 21, 22, 3, 24, 25) passiv oder aktiv einstellbar, wodurch alle Radsätze bei Gleisbogenfahrt in radiale oder annähernd radiale Stellung steuerbar sind.




Beschreibung


[0001] Die Erfindung bezieht sich auf ein Schienenfahrzeug mit vier oder sechs Radsätzen. Bei derartigen Schienenfahrzeugen ist es allgemein bekannt, die Radsätze zu den Fahrzeugenden hin in zwei Gruppen mit je zwei oder drei Radsätzen zusammenzufassen; diese Radsatzgruppen sind jeweils an einem Drehgestellrahmen meist federnd befestigt. Die Drehgestellrahmen sind jeweils beweglich mit dem Fahrzeugkasten verbunden und üben für den Fahrzeugkasten die Tragfunktion aus. Des weiteren ist es für ein solches Schienenfahrzeug allgemein bekannt, alle Radsätze bei Gleisbogenfahrt in radiale oder annähernd radiale Stellung zu steuern (selbstlenkendes Drehgestell).

[0002] Es ist weiterhin allgemein bekannt, Fahrzeuge mit vier oder mehr Radsätzen ohne tragende Drehgestelle auszuführen, bei denen die Radsätze starr oder querverschiebbar am Fahrzeugkasten geführt sind, wobei auch bei einigen Ausführungen einzelne Radsätze am Fahrzeugende um eine vertikale Achse schwenkbar gelagert sind. Diese Ausführungen haben jedoch nachteilige Eigenschaften bezüglich der großen Querkräfte im Gleis und/oder des hohen Verschleißes von Rädern und Schienen vor allem in Bögen.

[0003] Diese allgemein bekannten und bewährten Bauweisen erfordern zudem relativ viele Baukomponenten und sind deshalb relativ schwer und aufwendig in Herstellung und Instandhaltung.

[0004] Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, ein Schienenfahrzeug mit vier oder sechs in radiale Stellung steuerbaren Radsätzen in gewichtsreduzierter Bauweise anzugeben.

[0005] Diese Aufgabe wird gelöst durch ein Schienenfahrzeug mit vier oder sechs Radsätzen, welche zu den Fahrzeugenden hin in zwei Gruppen mit je zwei oder drei Radsätzen zusammengefaßt sind, wobei jeder Radsatz direkt und ohne jeden Zwischenrahmen mit dem selbsttragenden Fahrzeugkasten verbunden ist und wobei gleichzeitig die bei Gleisbogenfahrt geometrisch erforderliche Querverschiebung und Längsverschiebung der Radsätze gegenüber dem Fahrzeugkasten mittels einer Kinematik passiv oder aktiv einstellbar ist, wodurch alle Radsätze bei Gleisbogenfahrt in radiale oder annähernd radiale Stellung steuerbar sind.

[0006] Die mit der Erfindung erzielbaren Vorteile bestehen insbesondere darin, daß das vorgeschlagene rahmenlose Schienenfahrzeug mit direkt am selbsttragenden Fahrzeugkasten befestigten Radsätzen leichter und einfacher ist als ein Schienenfahrzeug mit Drehgestellen herkömmlicher Bauweise. Das eingesparte Gewicht erlaubt z.B. eine Erhöhung der Antriebsleistung ohne Erhöhung der Radsatzlasten. Des weiteren ergibt sich eine Reduzierung der Herstellkosten.

[0007] Gegenüber den bekannten Ausführungen ohne Drehgestelle bietet die erfindungsgemäße Ausführung den Vorteil, daß die Querkräfte im Gleis und/oder der Verschleiß an Rädern und Schiene wesentlich reduziert sind und annähernd gleich oder sogar geringer sind wie bei den bekannten Fahrzeugen mit Drehgestellen

[0008] Vorteilhafte Ausgestaltungen der Erfindung sind in den Unteransprüchen gekennzeichnet.

[0009] Die Erfindung wird nachstehend anhand der in der Zeichnung dargestellten Ausführungsbeispiele erläutert. Es zeigen:
Fig. 1
eine Sicht auf ein Schienenfahrzeug bei Gleisbogenfahrt,
Fig. 2
eine passive radiale Steuerung der Radsätze,
Fig. 3, 4
aktive radiale Steuerungen der Radsätze.


[0010] In der Fig. 1 ist eine Sicht auf ein Schienenfahrzeug bei Gleisbogenfahrt dargestellt. Es ist ein auf einem Gleisbogen 1 befindlicher, selbsttragender Fahrzeugkasten 2 eines Schienenfahrzeuges zu erkennen. Die Längsachse des Fahrzeugkastens ist mit LA und die Querachse des Fahrzeugkastens (senkrecht zur Fahrtrichtung des Fahrzeuges) ist mit QA bezeichnet. An jedem Fahrzeugkastenende befinden sich drei zu einer Gruppe zusammengefaßte Radsätze. Im einzelnen sind drei Radsatzachsen 3, 4, 5 der ersten Gruppe und drei Radsatzachsen 6, 7, 8 der zweiten Gruppe dargestellt. Die beiden Räder einer Radsatzachse sind mit Ziffern 9, 10 bezeichnet. Weiterhin ist in Fig. 1 dargestellt, daß die Radsätze im Bogen eine geometrisch bedingte Lageänderung gegenüber ihrer normalen Stellung 11 erfahren; es ergibt sich eine Querverschiebung 12 (parallel zu QA) und eine Längsverschiebung 13 (parallel zu LA), wobei die Querverschiebungen 12 und Längsverschiebungen 13 für jeden Radsatz unterschiedliche Werte aufweisen..

[0011] In Fig. 2 ist eine passive radiale Steuerung einer Radsatzachse 8 mit Rädern 9, 10 gezeigt, wie sie bei allen Radsätzen verwendet werden kann. Für die passive radiale Steuerung wird die im Gleisbogen entstehende Querverschiebung 12 einzelner Radsätze gegenüber dem Fahrzeugkasten herangezogen. Hierzu sind beispielsweise Zapfen 14, 15 an beiden Enden der Radsatzachsen vorgesehen, die in Führungsnuten 16, 17 gleiten, welche mit dem Fahrzeugkasten 2 verbunden sind. Die Führungsnuten 16, 17 sind derart ausgebildet, daß die Zapfen 14, 15 bei einer Bewegung der Radsatzachse quer zum Fahrzeugkasten 2 (Querverschiebung 12) zwangsläufig auch eine definierte Bewegung parallel zur Längsachse LA (Längsverschiebung 13) erfahren, wodurch eine Drehung der Radsatzachse aus der normalen Stellung 11 erfolgt und die gewünschte radiale Steuerung erzielt wird.

[0012] Die skizzierte Zapfen-/Führungsnuten-Konfiguration 14/15/16/17 ist lediglich beispielhaft und kann beispielsweise durch Gestängeanordnungen ersetzt werden, welche die im Gleisbogen geometrisch entstehende Querverschiebung 12 der Radsätze gegenüber dem Fahrzeugkasten 2 verwenden, um eine Längsverschiebung 13 zu bewirken, wodurch sich die Radialsteuerung ergibt. Weiterhin kann auch eine gegenseitige Verkoppelung der Steuerungen verschiedener Radsätze ausgeführt werden, um eine noch bessere radiale Steuerungswirkung zu erzielen.

[0013] Des weiteren kann die Steuerung durch die sich in bekannter Weise im Bogen durch unterschiedliche Laufkreisdurchmesser entstehenden Längskräfte unterstützt werden.

[0014] In Fig. 3 ist eine aktive radiale Steuerung einer Radsatzachse 8 mit Rädern 9, 10 dargestellt, wie sie bei allen Radsätzen verwendet werden kann. Hierzu sind die Enden der Radsatzachse mit Gelenken 18a, 18b versehen, in die Kolbenstangen 19a, 19b eingreifen, welche mittels am Fahrzeugkasten 2 befestigten Steuerzylindern 20a, 20b im wesentlichen parallel zu Längsachse LA ein- und ausfahrbar sind. Durch eine entsprechende Einbaurichtung der Steuerzylinder 20a, 20b wird neben der Längsverschiebung 13 gleichzeitig die erforderliche definierte Querverschiebung 12 der Radsätze erreicht. Hierdurch ergibt sich eine aktiv bewirkte Drehung der Radsatzachse aus der normalen Stellung 11 in Richtung der radialen Einstellung.

[0015] In Fig. 4 ist eine alternative aktive radiale Steuerung der Radsatzachse 8 mit Rädern 9, 10 dargestellt, wie sie bei allen Radsätzen verwendet werden kann. Bei diesem Lösungskonzept ist ein Hebel 21 senkrecht zur Radsatzachse vorgesehen, der an seinem ersten Ende über einen Drehpunkt 25 mit dem Fahrzeugkasten 2 verbunden ist. Das zweite Ende des Hebels 21 weist ein Gelenk 22 auf und ist im wesentlichen parallel zur Querachse QA schwenkbar. Hierzu greift eine Kolbenstange 23 eines am Fahrzeugkasten 2 befestigten Steuerzylinders 24 am Gelenk 22 an, wodurch sich eine Drehbewegung der Radsatzachse 8 um einen Drehpunkt 25 einstellen läßt. Bei Betätigung des Steuerzylinders werden die jeweils gewünschten Stellungen des Radsatzes mit Querverschiebung 12 und Längsverschiebung 13 gegenüber der normalen Stellung 11 erreicht. Wie in Fig. 4 gezeigt, kann der Hebel 21 beispielsweise am Gehäuse des Antriebsmotors 26 der Radsatzachse 8 befestigt sein.

[0016] Beide Ausführungsvarianten nach Fig. 3 und 4 sind lediglich beispielhaft und es sind darüber hinaus weitere aktive radiale Steuerkonzepte einsetzbar, welche die Radialsteuerung bewirken oder zumindest unterstützen. Die zur aktiven Steuerung erforderlichen Hilfskräfte können elektrischer, pneumatischer oder hydraulischer Art sein. Die Steuervorgaben für diese Hilfskräfte - beispielsweise für die Steuerzylinder 20a, 20b, 24 - können in Abhängigkeit der im Gleisbogen auftretenden und erfaßten Fliehkräfte und/oder in Abhängigkeit der auftretenden und erfaßten geometrischen Stellung der Radsätze im Gleisbogen und/oder in Abhängigkeit der bei Gleisbogenfahrt auftretenden und erfaßten Kräfte an den Radsätzen erfolgen.

[0017] Die Querverschiebungen 12 der Radsätze bei Gleisbogenfahrt parallel zur Querachse QA werden entweder durch entsprechend großes federbeaufschlagtes Axiallagerspiel der Radsätze oder durch eine Beweglichkeit der Radsatzachsen parallel zur Querachse QA ermöglicht. Durch entsprechende Wahl der Federsteifigkeiten quer zur Fahrzeuglängsachse wird eine ausreichende Bewegungsmöglichkeit der Radsätze sichergestellt. In weiterer Ausgestaltung der Erfindung können die Federsteifigkeiten in Querrichtung bei den einzelnen Radsätzen unterschiedlich ausgeführt werden, um durch optimale radiale Steuerung eine Minimierung von Querkräften im Gleis und des Verschleißes von Rädern und Schienen zu erreichen.

[0018] Bei den vorstehenden Ausführungsbeispielen ist ein sechsachsiges Fahrzeug beschrieben, die Erfindung ist jedoch in gleicher Art und Weise bei vierachsigen Fahrzeugen verwendbar.


Ansprüche

1. Schienenfahrzeug mit vier oder sechs Radsätzen, welche zu den Fahrzeugenden hin in zwei Gruppen mit je zwei oder drei Radsätzen zusammengefaßt sind, wobei jeder Radsatz (3 bis 8) direkt und ohne jeden Zwischenrahmen mit dem selbsttragenden Fahrzeugkasten (2) verbunden ist und wobei gleichzeitig die bei Gleisbogenfahrt geometrisch erforderliche Querverschiebung (12) und Längsverschiebung (13) der Radsätze gegenüber dem Fahrzeugkasten mittels einer Kinematik (14, 15, 16, 17 oder 18a, 18b, 19a, 19b, 20a, 20b oder 21, 22, 3, 24, 25) passiv oder aktiv einstellbar ist, wodurch alle Radsätze bei Gleisbogenfahrt in radiale oder annähernd radiale Stellung steuerbar sind.
 
2. Schienenfahrzeug nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß zur passiven radialen Steuerung Zapfen (14, 15) an beiden Enden der Radsatzachsen vorgesehen sind, welche in mit dem Fahrzeugkasten (2) verbundenen Führungsnuten (16, 17) gleiten, wobei die Einbaulage der Führungsnuten bezüglich der Längsachse (LA) und Querachse (QA) des Fahrzeugkastens (2) gleichzeitig die gewünschte Quewerschiebung (12) und Längsverschiebung (13) gegenüber der normalen Stellung (11) einer Radsatzachse vorgibt (Fig. 2).
 
3. Schienenfahrzeug nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß zur aktiven radialen Steuerung Gelenke (18a, 18b) an beiden Enden der Radsatzachsen vorgesehen sind, in die Kolbenstangen (19a, 19b) eingreifen, welche mittels am Fahrzeugkasten (2) befestigten Steuerzylindern (20a, 20b) ein- und ausfahrbar sind, wobei die Einbaulage der Steuerzylinder bezüglich der Längsachse (LA) und Querachse (QA) des Fahrzeugkastens (2) gleichzeitig die gewünschte Querverschiebung (12) und Längsverschiebung (13) gegenüber der normalen Stellung (11) einer Radsatzachse vorgibt (Fig. 3).
 
4. Schienenfahrzeug nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß zur aktiven radialen Steuerung ein mit der Radsatzachse verbundener, senkrecht zu ihr angeordneter Hebel (21) vorgesehen ist, der an seinem ersten Ende über einen Drehpunkt (25) mit dem Fahrzeugkasten (2) verbunden ist und der an seinem zweiten Ende ein Gelenk (22) aufweist, in das die Kolbenstange (23) eines am Fahrzeugkasten befestigten Steuerzylinders (24) eingreift, wobei sich die gewünschte Querverschiebung (12) und Längsverschiebung (13) gegenüber der normalen Stellung (11) einer Radsatzachse durch Ein- und Ausfahren der sich im wesentlichen parallel zur Querachse (QA) des Fahrzeugkastens (2) bewegenden Kolbenstange (23) einstellt (Fig. 4).
 
5. Schienenfahrzeug nach einem der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, daß die Ansteuerung der radialen Stellung durch aktive Hilfskräfte elektrischer, pneumatischer oder hydraulischer Art bewirkt oder zumindest unterstützt wird.
 
6. Schienenfahrzeug nach Anspruch 5, dadurch gekennzeichnet, daß die Steuervorgabe für die Hilfskraft auf Grund der auf die Radsätze bei Gleisbogenfahrt einwirkenden Längskräfte erfolgt.
 
7. Schienenfahrzeug nach Anspruch 5, dadurch gekennzeichnet, daß die Steuervorgabe für die Hilfskraft auf Grund der geometrischen Stellung der Radsätze bei Gleisbogenfahrt erfolgt.
 
8. Schienenfahrzeug nach Anspruch 5, dadurch gekennzeichnet, daß die Steuervorgabe für die Hilfskraft auf Grund der auf einen Radsatz bei Gleisbogenfahrt einwirkenden Querkräfte mittelbar oder unmittelbar erfolgt.
 




Zeichnung