(19)
(11) EP 0 952 064 A2

(12) EUROPÄISCHE PATENTANMELDUNG

(43) Veröffentlichungstag:
27.10.1999  Patentblatt  1999/43

(21) Anmeldenummer: 99106754.7

(22) Anmeldetag:  03.04.1999
(51) Internationale Patentklassifikation (IPC)6B61F 5/24
(84) Benannte Vertragsstaaten:
AT BE CH CY DE DK ES FI FR GB GR IE IT LI LU MC NL PT SE
Benannte Erstreckungsstaaten:
AL LT LV MK RO SI

(30) Priorität: 24.04.1998 DE 19818223

(71) Anmelder: FIAT-SIG Schienenfahrzeuge AG
8212 Neuhausen (CH)

(72) Erfinder:
  • Hüls, Torsten
    78315 Radolfzell (DE)
  • Schneider, Richard
    8212 Neuhausen (CH)
  • Heinrich, Uwe
    8261 Hemishofen (CH)

(74) Vertreter: Troesch Scheidegger Werner AG 
Patentanwälte, Siewerdtstrasse 95, Postfach
8050 Zürich
8050 Zürich (CH)

   


(54) Querneigeeinrichtung für Schienenfahrzeuge


(57) Bei der rollenbasierten Querneigeeinrichtung für den Wagenkasten (3) eines Schienenfahrzeuges mit Abstützun+g zwischen Fahrgestell (6) und Wagenkasten (3) über Neigetraversen (2) mit Stützflächen (4, 4') und Gegenrollen (5, 5') weisen die Stützflächen (4, 4') im Bereich der Berührungsstelle mit den Rollen (5, 5') bei neutraler Neigestellung Vertiefungen (8, 8') auf, welche die Rollen (5, 5') und damit die Relativlage von Wagenkasten (3) und Fahrgestell (6) in dieser Stellung stabilisieren.
Bei Ausfall des Stellantriebes (7, 7') für die Querneigung, insbesondere unter Betriebsbedingungen bei Hochgeschwindigkeits-Neigezügen, ist mit dieser Einrichtung eine passive Selbstzentrierung sichergestellt.




Beschreibung


[0001] Die vorliegende Erfindung betrifft eine Querneigeeinrichtung zwischen Wagenkasten und Fahrgestell eines Schienenfahrzeuges, bei welcher die Abstützung zwischen Wagenkasten und Fahrgestell über Neigetraversen mit Stützflächen vorbestimmter Geometrie und Rollen, deren Drehachsen in Fahrzeuglängsrichtung ausgerichtet sind, erfolgt und ein zwischen Wagenkasten und Fahrgestell wirkender Stellantrieb vorgesehen ist, um den Wagenkasten bezüglich des Fahrgestells durch eine Relativbewegung (Seitenbewegung mit rotatorischer Komponente) zwischen den Neigetraversen und den Rollen um dessen Längsachse gesteuert zu neigen.

[0002] Derartige Einrichtungen sind bekannt und beispielsweise in DE-OS 15 30 117, EP-A-0 271 592 oder DE-OS 21 45 738 vom Prinzip her beschrieben.

[0003] Teilweise handelt es sich bei den bekannten Einrichtungen um solche, welche der Stabilisierung der Fahrzeuge dienen und dabei auftretende Querkräfte ausgleichen. Probleme würden bei all diesen Systemen dann auftreten, wenn die Stellantriebe (hydraulisch, elektromechanisch) aus irgend einem Grund ausfallen. Die Bewegungen um die Längsachse der Wagenkasten wären dann sich selbst überlassen, d.h. eine Lagestabilisierung wäre unter bestimmten Bedingungen, abhängig von der Lage des Schwerpunktes relativ zum Neigepol, nicht ausreichend.

[0004] Die Lagestabilisierung im Falle einer passiven Notzentrierung ohne aktive Rückstellung des Notantriebes ist unter bestimmten Bedingungen gewährleistet. Die Zentriergüte ist in erster Linie abhängig von der Schwerpunktlage und dem Ort des Neigepoles. Liegt der Schwerpunkt oberhalb des Neigepoles, so liefert die bei Durchfahren einer Kurve einwirkende Querbeschleunigung ein Moment, das den Wagenkasten nach bogenaussen rollen lässt. Aus diesem Grunde ist es wichtig, dem gesamten System ein energetisch günstiges Niveau in der neutralen 0°-Umgebung aufzuprägen.

[0005] Aufgabe der vorliegenden Erfindung war es, diese Situation zu verbessern und bei Schienenfahrzeugen mit Querneigeeinrichtung bei Ausfall des Stell- bzw. Neigeantriebes, insbesondere unter Betriebsbedingungen von Hochgeschwindigkeits-Neigezügen, eine ausreichende passive Lagestabilisierung durch Selbstzentrierung sicherzustellen.

[0006] Diese Aufgabe wurde nun bei einer Querneigeeinrichtung der eingangs definierten Art erfindungsgemäss durch die Merkmale des kennzeichnenden Teils von Anspruch 1 gelöst.

[0007] Besonders vorteilhafte Ausführungsformen der Erfindung sind in den abhängigen Ansprüchen definiert.

[0008] Grundlage der erfindungsgemässen passiven Selbstzentrierung ist der reversible Energieeintrag während des Neigeprozesses. Dabei ist der Energieeintrag (durch den Stellantrieb) eine Funktion des eingestellten Neigewinkels und kann auf verschiedene Leistungsprofile variiert werden.

[0009] Die gefundene Lösung ist verblüffend einfach und mit geringem Aufwand zu realisieren.

[0010] Die Erfindung wird nachstehend anhand von in der Zeichnung dargestellten Ausführungsbeispielen noch etwas näher erläutert. Es zeigen:

Fig. 1 die erfindungsgemässe Querneigeeinrichtung rein schematisch;

Fig. 2 die schematische Darstellung des Neigeprozesses und

Fig. 3 eine Darstellung der Lagestabilisierung, ausgehend von einem erzwungenen Energieniveau.



[0011] Fig. 1 der Zeichnung zeigt rein schematisch eine Querneigeeinrichtung für einen über Federsysteme 1, 1' auf einer Neigetraverse 2 angeordneten Wagenkasten 3 eines Schienenfahrzeuges. Die Neigetraverse 2 ist mit mindestens zwei Stützflächen 4, 4' ausgerüstet. Diese Stützflächen 4, 4' liegen auf Rollen 5, 5' auf, welche drehbeweglich fest am Fahrgestell 6 montiert sind und deren Drehachsen parallel zur Wagenlängsachse verlaufen. Durch einen Stellantrieb 7, 7', vorzugsweise einen elektromechanischen Stellantrieb, lässt sich die Neigung des Wagenkastens 3 bezüglich des Drehgestells 6 auf den jeweils gewünschten Wert einstellen. Die Stützflächen 4, 4' sind prismatisch und symmetrisch zur Mittelachse der Neigetraverse 2 angeordnet.

[0012] In Fig. 1 ist die neutrale Neigestellung, d.h. die 0°-Relativneigung, gezeigt.

[0013] Um einen neigewinkelabhängigen Energieeintrag in das System zu erzeugen, ist der momentane Ort des Neigepols von elementarer Bedeutung. Der orthogonale Abstand des Neigepols zum resultierenden Vektor (Gewichtskraft und Fliehkraft) liefert den Hebelarm des Rückstellmomentes. Durch die spezielle Konturformgebung der Stützflächen können der Ort des Momentanneigepols und somit der wirksame Hebelarm beliebig manipuliert werden. Das ganze System wird auf den Momentanbetrag des Stellkraftvektors optimiert, so dass eine auf das jeweils geforderte Leistungsprofil angepasste Stellkraftcharakteristik entsteht. D.h. dass nicht nur eine passive Zentrierung gewährleistet wird, es ist ebenso möglich, eine Stellkraftbegrenzung zu realisieren, die weitestgehend unabhängig vom Fahrzeuggewicht ist.

[0014] Die erwähnte Konturoptimierung desensiviert das System gegenüber:
  • innere Reibung
  • parasitären Steifigkeiten
  • dem Einfluss der Schwerpunktvertikallage bei einwirkender Querbeschleunigung
  • Schwerpunktquerexzentrizitäten.


[0015] Die Zeichnung zeigt, wie in der dargestellten Stellung die Rollen 5, 5' in konkaven Vertiefungen 8, 8' der Stützflächen 4, 4' liegen und durch die alleinige Einwirkung der Schwerkraft in dieser Position stabilisiert werden. Die Vertiefungen 8, 8' gehen beidseitig stetig, z.B. konvex, in die geraden Abschnitte der Stützflächen 4, 4' über, so dass durch Einwirkung der Stellantriebe 7, 7' eine beliebige, der jeweils befahrenen Strecke angepasste Neigung eingestellt und gehalten werden kann.

[0016] Bei eventuellem Ausfall der Stellantriebe würde durch Rückstellung (Nutzung des reversiblen Energieeintrages) die Neigetraverse mit den Stützflächen selbsttätig in die neutrale Neigestellung zurückkehren, in welcher die Rollen 5, 5' in den Vertiefungen 8, 8' gehalten werden. Damit ist eine sogenannte passive Selbstzentrierung in der neutralen Neigestellung sichergestellt. Eine solche Selbstzentrierung ist insbesondere bei Ausfall des Stellantriebes unter Betriebsbedingungen von Hochgeschwindigkeits-Neigezügen von grossem Vorteil und erhöht die Betriebssicherheit auch im Falle eines Ausfalles des Stell- bzw. Neigeantriebes.

[0017] Zur Gestaltung der Stützflächen und der darin vorgesehenen Vertiefungen müssen selbstverständlich die Neigebewegung mit zugehörigen Kraftkomponenten berechnet werden.

[0018] Da der Energieeintrag durch den Stellantrieb eine Funktion des Neigewinkels ist, kann auf verschiedene Leistungsprofile variiert werden.

[0019] Wesentlich bei der erfindungsgemässen Konstruktion ist die Neigetraverse mit den speziell ausgebildeten Stützflächen, insbesondere den genannten Vertiefungen zur Stabilisierung in der neutralen Neigestellung für die damit zusammenwirkenden Rollen.

[0020] Grundsätzlich können die Neigetraversen am Wagenkasten und die Rollen am Drehgestell angeordnet sein, wie beim gezeigten Beispiel, oder umgekehrt, d.h. die Rollen am Wagenkasten und die Neigetraverse mit den Stützflächen am Drehgestell.

[0021] Ausgehend von einer prismatisch ausgeführten Neigetraverse kommen aufgrund der beliebigen Konturformgebungen eine Vielzahl an möglichen Kurvencharakteristiken für die Auflagen in Frage.

[0022] Beim gezeigten Beispiel besitzen die symmetrisch angeordneten Stützflächen 4, 4' jeder Neigetraverse 2 eine prismenförmige Geometrie (zueinander geneigte Flächen). Die Stützflächen könnten statt prismenförmig auch jede Art von Kurvenform aufweisen.

[0023] Der vorzugsweise elektromechanische Stellantrieb ist in der Regel zwischen Neigetraverse und Fahrgestell angeordnet.

[0024] Durch Ein- und Ausfahren des Stellantriebes wird der Neigetraverse und damit dem Wagenkasten, bedingt durch die Geometrie der Stützflächen, ein Neigewinkel aufgezwungen, was eine Rotation des Wagenkastens um seine Längsachse ergibt.

[0025] Mit der Energiezufuhr (Stellantrieb) erfolgt eine definierte Erhöhung der potentiellen Energie durch Manipulation des Rückstellmomentes in Funktion des Neigewinkels. Die Geometrie der Stützflächen liefert die gewünschte Energieeintragscharakteristik, welche bei Ausfall des Stellantriebes dafür sorgt, dass der Wagenkasten in die neutrale Neigestellung (0°-Relativneigung zum Fahrgestell) bewegt wird. Dank den Vertiefungen in den Stützflächen wird das System ohne aktive Rückstellung in dieser Stellung gehalten (stabilisiert).

[0026] Die Fig. 2 und 3 illustrieren die Vorgänge der Kräfte in Abhängigkeit der Neigungswinkel.


Ansprüche

1. Querneigeeinrichtung zwischen Wagenkasten und Fahrgestell eines Schienenfahrzeuges, bei welcher die Abstützung zwischen Wagenkasten und Fahrgestell über Neigetraversen mit Stützflächen vorbestimmter Geometrie und Rollen, deren Drehachsen in Fahrzeuglängsrichtung ausgerichtet sind, erfolgt und ein zwischen Wagenkasten und Fahrgestell wirkender Stellantrieb vorgesehen ist, um den Wagenkasten bezüglich des Fahrgestells durch eine Relativbewegung zwischen den Neigetraversen und den Rollen um dessen Längsachse gesteuert zu neigen, dadurch gekennzeichnet, dass in den Stützflächen der Neigetraverse im Bereich der Berührungsstelle mit den Rollen bei neutraler Neigestellung, d.h. 0°-Relativneigung, Vertiefungen vorgesehen sind, welche die Lage der Rollen und damit des Wagenkastens bezüglich des Fahrgestells in dieser Stellung stabilisieren.
 
2. Einrichtung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass für sämtliche Rollen im Bereich der genannten Berührungsstellen lagestabilisierende, z.B. konvexe Vertiefungen vorgesehen sind.
 
3. Einrichtung nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass die Vertiefungen beidseitig stetig, z.B. über eine konvexe Kurve, in die übrigen Abschnitte der Stützflächen übergehen.
 
4. Einrichtung nach einem der Ansprüche 1-3, dadurch gekennzeichnet, dass die Neigetraversen auf der Wagenkastenseite angeordnet sind, während die Rollen am Fahrgestell montiert sind.
 
5. Einrichtung nach Anspruch 4, dadurch gekennzeichnet, dass sich der Wagenkasten über Federsysteme an den Neigetraversen abstützt.
 
6. Einrichtung nach einem der Ansprüche 1-5, dadurch gekennzeichnet, dass jede Neigetraverse bezüglich der Wagenkastenlängsachse paarweise symmetrisch angeordnete Stützflächen aufweist, welche prismenförmig zueinander ausgerichtet sind oder bogenförmig verlaufen.
 




Zeichnung