(19)
(11) EP 0 967 027 A2

(12) EUROPÄISCHE PATENTANMELDUNG

(43) Veröffentlichungstag:
29.12.1999  Patentblatt  1999/52

(21) Anmeldenummer: 99111381.2

(22) Anmeldetag:  11.06.1999
(51) Internationale Patentklassifikation (IPC)6B21D 3/00
(84) Benannte Vertragsstaaten:
AT BE CH CY DE DK ES FI FR GB GR IE IT LI LU MC NL PT SE
Benannte Erstreckungsstaaten:
AL LT LV MK RO SI

(30) Priorität: 27.06.1998 DE 19828784

(71) Anmelder: SMS SCHLOEMANN-SIEMAG AKTIENGESELLSCHAFT
40237 Düsseldorf (DE)

(72) Erfinder:
  • Hartung, Hans Georg, Dr.-Ing.
    50259 Pulheim (DE)
  • Kümmel, Lutz, Dipl.-Ing.
    41363 Jürgen-Gierath (DE)
  • Böhmer, Bruno, Dipl.-Ing.
    40699 Erkrath (DE)
  • Roloff, Wolfgang, Dipl.-Ing.
    41238 Mönchengladbach (DE)

(74) Vertreter: Valentin, Ekkehard, Dipl.-Ing. et al
Patentanwälte Hemmerich-Müller-Grosse- Pollmeier-Valentin-Gihske Hammerstrasse 2
57072 Siegen
57072 Siegen (DE)

   


(54) Verfahren zum Richten von Profilstahl bei gleichzeitiger Minimierung der Eigenspannungen


(57) Um ein Verfahren zum Richten von gewalztem Profilstahl zu schaffen, das ohne den apparativen Aufwand bekannter Richtvorrichtungen einen qualitativ hochwertigen, eigenspannungsarmen Profilstahl liefert, wird erfindungsgemäß vorgeschlagen, daß mindestens ein Profilstahl, dessen maximale örtliche Querschnittstemperatur unterhalb von Ar1 und dessen minimale örtliche Querschnittstemperatur oberhalb einer unteren Grenztemperatur θu liegt, insbesondere an seinen Enden eingespannt und anschließend abgekühlt wird, wobei bereits die untere Grenztemperatur θu aufgrund der Einspannung eine thermische Dehnung in sämtlichen Fasern des Profilstahls hervorruft, die größer ist als die Dehnung, die für eine Plastifizierung der Fasern erforderlich wäre, die bei einspannungsfreier, reiner Luftkühlung des Profilstahls die größten Druckeigenspannungen erfahren würden.


Beschreibung


[0001] Die Erfindung betrifft ein Verfahren zum Richten von gewalztem Profilstahl.

[0002] Das Kühlen von gewalztem Profilstahl, zum Beispiel Doppel-T und U-Profil, Winkel erfolgt üblicherweise auf einem Kühlbett. Infolge der ungleichmäßigen Abkühlung verziehen sich die Profile. Dieser Verzug wirkt sich nachteilig auf deren Geradheits- und Eigenspannungszustand aus. Diese beiden genannten Qualitätskriterien gemeinsam genommen, lassen sich mit dem Qualitätskriterium Planheit beim Bandwalzen vergleichen. Eine reduzierte Geradheit (Profilkrümmung, Drall und Biegekrümmung) geht häufig mit hohen Eigenspannungen einher. Gekrümmte Profile müssen nachbearbeitet werden. Eigenspannungen vermindern die Profiltragfähigkeit.

[0003] Die auftretenden Krümmungen werden nach dem Stand der Technik bei niedrigen Profiltemperaturen durch einen oder mehrere Richtvorgänge auf ein tolerables Maß zurückgeführt. Hierzu kommen Rollenrichtmaschinen und Richtpressen zum Einsatz.

[0004] Rollenrichtmaschinen, die Profile kontinuierlich richten, bewirken dabei zunächst eine erneute Krümmung des Profils auf ein definiertes Maß. Dabei werden die vorhandenen Eigenspannungen durch neue definierte Eigenspannung beseitigt. Prinzipbedingt ist dies jedoch nicht über den gesamten Profilquerschnitt möglich. Im Bereich der neutralen Faser verbleibt während des gesamten Richtvorganges ein unbeeinflußter Materialbereich. Nach der ersten Biegung wird das Produkt einer definierten Wechselbiegung (mehrere Krümmungswechsel) unterzogen. Dabei werden die Eigenspannungen so verändert, daß das Profil nach dem Richtvorgang gerade ist. Resteigenspannungen bleiben prinzipbedingt erhalten. Nachteilig sind die im Profilstahl verbleibenden Eigenspannungen mit den bereits erwähnten Problemen bei der Tragfähigkeit der Profile. Stark gekrümmte Profile bereiten außerdem Probleme während des Richtvorganges (z. B. Einfädeln in die Maschine).

[0005] Bei der diskontinuierlich arbeitenden Richtpresse werden nach und nach einzelne unzulässig stark gekrümmte Abschnitte des Profilstahls durch eine möglichst exakt entgegengesetzte Biegung kompensiert. Ein Einfluß auf den Eigenspannungszustand kann in der Richtpresse nicht genommen werden. Nachteilig wirkt sich der diskontinuierliche und unbekannte Eigenspannungszustand nach dem Richtvorgang auf die Profiltragfähigkeit aus. Dieses Verfahren stört den Materialfluß in der Profilstahlherstellung und erfordert viel Zeit.

[0006] Ausgehend von diesem Stand der Technik liegt der Erfindung die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren zum Richten von gewalztem Profilstahl zu schaffen, das ohne den apparativen Aufwand der vorerwähnten Richtvorrichtungen einen qualitativ hochwertigen, eigenspannungsarmen Profilstahl liefert.

[0007] Die Richtwirkung des erfindungsmäßigen Verfahrens beruht auf der an sich bekannten Wirkungsweise des Streckrichtens, wie es beispielsweise in Reckeinrichtungen durchgeführt wird (aktives Ziehen am Produkt bis in Reckrichtung über den Querschnitt plastische Verformung auftritt). Die Richtwirkung bei dem erfindungsgemäßen Verfahren wird jedoch im Unterschied zu den bekannten Verfahren und Vorrichtungen nicht aktiv über ziehende und/oder gegebenenfalls biegende Werkzeuge erzeugt, sondern durch Umwandlung einer thermischen Dehnung in eine plastische Dehnung des Profilstahls.

[0008] Im einzelnen wird dies bei einem Verfahren der eingangs erwähnten Art dadurch erreicht, daß mindestens ein Profilstahl, dessen maximale örtliche Querschnittstemperatur unterhalb von Ar1 und dessen minimale örtliche Querschnittstemperatur oberhalb einer unteren Grenztemperatur θu liegt, eingespannt und anschließend abgekühlt wird, wobei bereits die untere Grenztemperatur θu aufgrund der Einspannung eine thermische Dehnung in sämtlichen Fasern des Profilstahls hervorruft, die größer ist als die Dehnung, die für eine Plastifizierung der Fasern erforderlich wäre, die bei einspannungsfreier, reiner Luftkühlung des Profilstahls die größten Druckeigenspannungen erfahren würden.

[0009] Voraussetzung für die Durchführung des erfindungsgemäßen Verfahrens ist, daß der Profilstahl erst eingespannt wird, wenn er vollständig umgewandelt ist. Infolge der Abkühlung wird der in ortsfesten Spannmitteln gehaltene Profilstahl aufgrund der Temperaturabnahine gedehnt (thermische Dehnung). Diese thermische Dehnung wird in eine kombinierte elastisch - plastische Dehnung des Profilstahls umgewandelt. Der elastische Dehnungsanteil ist trotz unterschiedlicher plastischer Dehnung über den Querschnitt des Profilstahls gleichförmig, so daß auch nach Entspannung des Profilstahls keine Verkrümmung zu erwarten ist. Der Grund hierfür ist darin zu sehen, daß aufgrund der insgesamt geringen Dehnungsunterschiede über den Querschnitt des Profilstahls keine nennenswerten verfestigungsbedingten Fließspannungsunterschiede zu erwarten sind.

[0010] Die Temperatur des Profilstahls darf beim Einspannen an keiner Stelle Ar1 überschreiten und an keiner Stelle eine untere Grenztemperatur θu unterschreiten. Ist nämlich die untere Grenztemperatur θu unterschritten, reicht die sich in Folge dieser Temperatur in dem eingespannten Profilstahl entwickelnde Dehnung nicht aus, um die Fasern zu plastifizieren, die bei normaler einspannungsfreier Luftabkühlung des Profilstahls die größte Druckeigenspannung EσD, max erfahren.

[0011] Rechnerisch ergibt sich die untere Grenztemperatur θu, bei der das erfindungsgemäße Richtverfahren noch durchführbar ist, gemäß folgender Formel:



[0012] Dabei bedeuten:
θu:
untere Grenztemperatur,
θEnde Einspannung:
Temperatur gegen Ende der Einspannung des Profilstahls,
kf:
Kaltstreckgrenze des Profilstahls,
E:
Elastizitätsmodul E des Profilstahls bei RT,
α:
linearer Wärmeausdehnungsqoeffizient des Profilstahls,
EσD, max :
Maximalwert der Druckeigenspannung des Profilstahls bei einspannungsfreier Abkühlung des Profilstahls an der Luft.


[0013] Für θEnde Einspannung = 80 °C und kf = 380 N/mm2 ergibt sich für Stahl eine untere Grenztemperatur von ca. θu ≈ 330 °C.

[0014] Um Beschädigungen an den verwendbaren Bereichen des Profilstahls zu vermeiden, ist er während des Kühlens an seinen Profilenden eingespannt, die nach dem Abkühlen abgeschopft werden.

[0015] Im Falle unterschiedlicher Walzlängen des Profilstahles muß zumindest eines der während des Kühlens ortsfesten Mittel zum Einspannen des Profilstahls verfahrbar sein.

[0016] Um die im Profil verbleibenden Eigenspannungen zu reduzieren, hat es sich als vorteilhaft herausgestellt, den eingespannten Profilstahl bis auf eine für einen Übergang auf ein Kühlbett übliche Temperatur von unter 100°C, insbesondere im Bereich von etwa 80°C zu kühlen. Da die in dem Profilstahl verbleibenden Eigenspannungen in dem erfindungsgemäßen Verfahren in erster Linie von dem Temperaturniveau gegen Ende des eingespannten Kühlvorganges abhängen, ist bei diesen Temperaturen nicht mit nennenswerten thermischen Inhomogenitäten und damit Eigenspannungen nach weiterer Abkühlung auf die Umgebungstemperatur zu rechnen.

[0017] Wird der Profilstahl beschleunigt abgekühlt, verkürzt sich die Belegungszeit der zur Durchführung des Verfahrens erforderlichen Einspannmittel und Kühlvorrichtungen. Damit läßt sich die Anzahl der durchsatzbedingt notwendigen Einspannmittel und Kühlvorrichtungen reduzieren. Außerdem läßt sich die Größe des Kühlbettes verringern, da die Gesamtkühlzeit erheblich verringert ist.

[0018] Vorteilhaft kommen an sich bekannte Spritzdüsen zur beschleunigten Kühlung des Profilstahles zum Einsatz.

[0019] Das erfindungsgemäße Verfahren wird nachfolgend anhand von Zeichnungen erläutert. Es zeigen:
Fig. 1
eine schematische Darstellung des Verfahrensablautes,
Fig. 2
ein Schaubild der Temperaturverläufe ausgewählter Fasern eines erfindungsgemäß eingespannten Profilstahles HEB 140,
Fig. 3
den Profilstahl entsprechend dem Schaubild nach Fig. 2,
Fig. 4
ein Schaubild der in dem Querschnitt des Profiles nach Figur 3 verbleibenden Eigenspannungen,
Fig. 5
ein Schaubild der Entwicklung der Spannkraft während des Kühlens des Profilstahles HEB 140.


[0020] Nachfolgend wird anhand von Figur 1 der erfindungsgemäße Verfahrensablauf erläutert: Der gewalzte Profilstahl 1 wird in an sich bekannter Weise auf ein Kühlbett 2 übergeben und quer zur Walzrichtung zu Spannmitteln 3a, 3b gefördert, zwischen denen der Profilstahl 1 im Bereich seiner Profilenden 1a, 1b eingespannt wird. Während des Einspannens des Profilstahls 1 liegt dessen maximale örtliche Querschnittstemperatur unterhalb von Ar1 und dessen minimale örtliche Querschnittstemperatur oberhalb einer unteren Grenztemperatur θu. Aufgrund der sich an das Einspannen anschließenden weiteren Abkühlung des Profilstahls 1 wird der Profilstahl gedehnt (thermische Dehnung). Diese thermische Dehnung wird in eine kombinierte elastisch - plastische Dehnung des Profilstahls umgewandelt.

[0021] Ist der Profilstahl 1 auf eine Temperatur von etwa 80°C abgekühlt, wird die Einspannung aufgehoben und der Profilstahl anschließend abgeschopft.

[0022] Die nutzbare Länge 1 des Profilstahles 1 kühlt dann frei von nennenswerten thermischen Inhomogenitäten und Eigenspannungen auf Umgebungstemperatur ab. Für einen HEB 140 mit einer Länge von 100 m ergibt sich bei reiner Luftkühlung eine Kühldauer von 64 min., bei einer forcierten Luftkühlung mit einer Reihe von Ventilatoren eine Kühlzeit von 42 min. und bei einer Wasserkühlung von 10 Sekunden Dauer mit einer gleichmäßig beaufschlagten Wassermenge von 28 m3 und einem Vorlaufdruck von etwa 10 bar eine Kühlzeit des Profilstahls HEB 140 auf die Endtemperatur von 80°C von nur 10 min.

[0023] Figur 2 zeigt die Temperaturverläufe ausgewählter Fasern des Pofilstahls 1 bei Wasserkühlung mit den vorgenannten Parametern. Die Zuordnung der Faser zu dem Querschnitt des Profilstahls 1 ist Figur 3 zu entnehmen. Figur 2 verdeutlicht eine sehr rasche Abkühlung sämtlicher Fasern unterhalb von 450°C, die auf das Einsetzen der Wasserkühlung bei T = 555 s zurückzuführen ist. Die Wasserkühlung endet bei T = 565 s. Die Einspannung des Profilstahles 1 erfolgt wenige Sekunden vor Beginn der Spritzkühlung, nämlich bei T = 550 s und endet wenige Sekunden nach Beendigung der Spritzkühlung, nämlich bei T = 570 s.

[0024] Aus der Figur 4 gehen die in dem Querschnitt des Profilstahles 1 verbleibenden Spannungen nach der 10 Sekunden dauernden Wasserkühlung und 20 Sekunden dauernden Einspannung hervor. Die maximal auftretende Eigenspannung ist mit ca. 20 N/mm2 (etwa 4,3 % der Kaltfließspannung) im Vergleich zu Ergebnissen bei einspannungsfreier, reiner Luftabkühlung sehr klein.

[0025] In Figur 5 ist die Entwicklung der Spannkraft während des Kühlens des Profilstahls 1 zu sehen. Die maximal auftretende Spannkraft von weniger als 2.000 kN ist ohne weiteres technisch beherrschbar.


Ansprüche

1. Verfahren zum Richten von gewalztem Profilstahl,
dadurch gekennzeichnet,

- daß mindestens ein Profilstahl (1), dessen maximale örtliche Querschnittstemperatur unterhalb von Ar1 und dessen minimale örtliche Querschnittstemperatur oberhalb einer unteren Grenztemperatur θu liegt, eingespannt und anschließend abgekühlt wird,

- wobei bereits die untere Grenztemperatur θu aufgrund der Einspannung eine thermische Dehnung in sämtlichen Fasern des Profilstahls (1) hervorruft, die größer ist als die Dehnung, die für eine Plastifizierung der Fasern erforderlich wäre, die bei einspannungsfreier, reiner Luftkühlung des Profilstahls die größten Druckeigenspannungen erfahren würden.


 
2. Verfahren zum Richten von gewalztem Profilstahl nach Anspruch 1,
dadurch gekennzeichnet,
daß der Profilstahl (1) während des Kühlens an seinen Profilenden (1a, 1b) eingespannt ist, die nach dem Abkühlen abgeschopft werden.
 
3. Verfahren zum Richten von gewalztem Profilstahl nach Anspruch 1 oder 2,
dadurch gekennzeichnet,
daß die während des Kühlens ortsfesten Mittel (3a, 3b) zum Einspannen des Profilstahls (1) durch Verfahren zumindest eines der Spannmittel (3a, 3b) an unterschiedliche Längen des Profilstahls angepaßt werden.
 
4. Verfahren zum Richten von gewalztem Profilstahl nach einem der Ansprüche 1 bis 3,
dadurch gekennzeichnet,
daß der eingespannte Profilstahl (1) bis auf eine für einen Übergang auf ein Kühlbett übliche Abgangstemperatur, insbesondere im Bereich von etwa 80° C gekühlt wird.
 
5. Verfahren zum Richten von gewalztem Profilstahl nach einem der Ansprüche 1 bis 4,
dadurch gekennzeichnet,
daß der Profilstahl (1) beschleunigt abgekühlt wird.
 
6. Verfahren zum Richten von gewalztem Profilstahl nach Anspruch 5,
dadurch gekennzeichnet,
daß der Profilstahl (1) mit Flüssigkeit, das insbesondere mit an sich bekannten Spritzdüsen aufgebracht wird, beschleunigt abgekühlt wird.
 




Zeichnung