[0001] Die Erfindung betrifft ein Verfahren zur Tieftemperaturzerlegung von Luft gemäß dem
Oberbegriff von Patentanspruch 1.
[0002] Einschlägige Luftzerlegungsverfahren und -vorrichtungen sind zum Beispiel in Hausen/Linde,
Tieftemperaturtechnik, 2. Auflage 1985, Kapitel 4 (Seiten 281 bis 337) beschreiben.
Die Erfindung betrifft insbesondere Zwei- oder Mehrsäulensysteme mit einer Drucksäule
und mit einer über der Drucksäule angeordneten Niederdrucksäule und/oder einer angeordneten
oder um ein Mehrsäulensystem mit weiteren Trennsäulen zur Stickstoff-Sauerstoff-Trennung.
Die Drucksäule stellt in diesem Fall die "erste Rektifiziersäule" im Sinne der Erfindung
dar; die Rektifikation in der Niederdrucksäule und/oder die Verdampfung im Kopfkondensator
der Rohargonsäule ist der "weitere Verfahrensschritt". Die "Überleitungsfraktion"
wird hier durch die Sumpfflüssigkeit oder eine Zwischenflüssigkeit der Drucksäule
gebildet, die in die Niederdrucksäule oder in den Verdampfungsraum des Kopfkondensators
der Rohargonsäule eingeleitet wird.
[0003] Die Erfindung betrifft insbesondere Doppelsäulenverfahren, wie sie in den Bildern
4.21, 4.23, 4.26, 4.28 und 4.34 im Kapitel 4.5 von Hausen/Linde dargestellt sind.
Abweichend von den Beispielen in Hausen/Linde wird bei der Erfindung der Stoffaustausch
vorzugsweise in mindestens einer Trennsäule (z.B. Niederdruck und/oder Rohargonsäule)
mindestens teilweise durch Füllkörper oder geordnete Packung bewirkt.
[0004] Die Überleitungsfraktion sammelt sich innerhalb der ersten Rektifiziersäule in einem
Reservoir, das durch den Sumpf dieser Säule oder eine in der Säule befindliche Tasse
gebildet wird. Der Flüssigkeitsspiegel in diesem Reservoir legt das "erste Niveau"
h1 im Sinne der Erfindung fest. Aus diesem Reservoir wird die Überleitungsfraktion
in einen Behälter geleitet, in dem ein weiterer Verfahrensschritt durchgeführt wird,
beispielsweise die Niederdrucksäule oder der Verdampfungsraum eines Kondensator-Verdampfers
(z.B. Kopfkondensator der Rohargonsäule). Die Stelle der Zuspeisung zu diesem weiteren
Verfahrensschritt definiert das "zweite, höhere Niveau" im Sinne der Erfindung.
[0005] Seit einigen Jahre setzt sich der Einsatz von druckverlustarmen Einbauten in Luftzerlegersäulen
immer mehr durch, da sie eine Reihe von Vorteilen aufweisen. Luftzerlegungsanlagen,
bei denen Packungen im Niederdruckteil einer Doppelsäule eingesetzt werden, sind beispielsweise
in EP 321163 A, WO 9319335, WO 9319336 oder EP 628777 A beschrieben.
[0006] Ein Nachteil der Verwendung von Packungen besteht darin, daß sich die Bauhöhe gegenüber
Bodenkolonnen spürbar erhöht. In diesem Fall kann die im Patentanspruch angeführte
Ungleichung gelten, das heißt, der Druckunterschied zwischen Druck- und Niederdrucksäule
beziehungsweise zwischen Drucksäule und Verdampfungsraum des Kopfkondensators der
Rohargonsäule reicht nicht mehr aus, um den entsprechenden hydrostatischen Druck einer
Flüssigkeitssäule der Überleitungsfraktion zu überwinden. Während diese Situation
bei einigen Anlagen auch im Normalbetrieb unter Vollast auftreten kann, erscheint
es häufig insbesondere bei speziellen Betriebsfällen, insbesondere bei einem Betrieb
unter Unterlast, also mit einer geringeren Produkt- und Einsatzmenge als beim Vollastbetrieb.
[0007] Das Problem wurde bereits in EP 567360 A grundsätzlich erwähnt und durch die Einspeisung
eines "Erleicherterungsgases" stromabwärts des Ventils gelöst.
[0008] Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, das vorgenannte Verfahren und die entsprechende
Vorrichtung weiter zu verbessern.
[0009] Diese Aufgabe wird durch das kennzeichnende Merkmal des Patentanspruchs 1 gelöst.
[0010] Im Rahmen der Erfindung hat es sich herausgestellt, daß es möglich ist das "Erleichterungsgas"
im Sinne der EP 567360 A unmittelbar aus der Überleitungsfraktion selbst zu gewinnen.
Die Nachteile der in EP 567360 A beschriebenen Methode werden dabei vermieden, insbesondere
sind bei der Überleitung von sauerstoffangereicherter Flüssigkeit aus der Drucksäule
weder ein Verbrauch von Druckluft als "Erleichterungsgas" noch aufwendige zusätzliche
Schritte zur Erzeugung von "Erleichterungsgas" aus der Überleitungsfraktion notwendig;
auch eine zusätzliche Regelung entfällt.
[0011] Hierfür bedarf es einer Anordnung des Entspannungsventils auf einem geeigneten Zwischenniveau
zwischen dem ersten und dem zweiten Niveau. Die konkrete Festlegung dieses Zwischenniveaus
ist für jede spezielle Ausführung der Erfindung verschieden, kann aber mit Hilfe der
Berechnungswerkzeuge, die dem Fachmann zur Verfügung stehen, ohne weiteres ermittelt
werden, wenn man die Höhe des Zwischenniveaus als Freiheitsgrad vorgibt. In typischen
Fällen wird das Entspannungsventil auf einem Zwischenniveau von

wobei x 30 bis 80 %, vorzugsweise 40 bis 70 %, beträgt.
[0012] Diese Auslegung muß für einen bestimmten Betriebsfall vorgenommen werden, zum Beispiel
für das Anfahren der Anlage. In einem anderen Beispiel wird die Anordnung des Entspannungsventils
für den Unterlastfall im stationären Betrieb der Anlage ausgelegt; dann müssen unter
Umständen zusätzliche Mittel zum Transport der Überleitungsflüssigkeit zum "weiteren
Verfahrensschritt" während des Anfahrens der Anlage vorgesehen sein; dabei können
übliche Methoden zum Transport von Flüssigkeit (mechanische Pumpe, Eindüsen von externem
Gas usw.) eingesetzt werden, alternativ oder zusätzlich kann das Druckniveau in der
ersten Rektifiziersäule beim Anfahren erhöhte werden.
[0013] Bei dem erfindungsgemäßen Verfahren ist es günstig, wenn die Überleitungsfraktion
vor dem Entspannen durch indirekten Wärmeaustausch unterkühlt wird. Dadurch wird die
Bildung eines Zweiphasengemischs stromaufwärts des Entspannens ganz oder teilweise
vermieden werden, so daß erst beim Entspannen die erfindungsgemäße gezielte Dampfblasenbildung
erfolgt. Die Unterkühlung erfolgt in der Regel in der Nähe des ersten Niveaus.
[0014] Vorzugsweise wird gerade so stark unterkühlt, daß die Überleitungsfraktion unmittelbar
stromaufwärts des Entspannens vollständig oder im wesentlichen vollständig in flüssiger
Form vorliegt, aber nicht mehr unterkühlt ist.
[0015] Bei der Auslegung einer Anlage wird dies praktisch so durchgeführt, daß zunächst
die Unterkühlung festgelegt wird. Das Maß der Unterkühlung der Überleitungsfraktion
wird in der Regel unabhängig vom Flüssigkeitstransportvorgang bestimmt und ist von
anderen Kriterien bestimmt, beispielsweise dem Bestreben, relativ wenig Flashgas beim
Einspeisen in den zweiten Behälter zu erzeugen. Der Entspannungsvorgang, insbesondere
die Anordnung des Entspannungsventils, wird anschließend so bestimmt, daß bei der
vorgegebenen Unterkühlung die Überleitungsfraktion unmittelbar vor dem Entspannen
gerade noch im einphasigen flüssigen Zustand vorliegt und weder eine nennenswerte
Unterkühlung noch Dampfblasen in nennenswertem Umfang vorliegen.
[0016] Die Erfindung betrifft außerdem eine Vorrichtung zur Tieftemperaturzerlegung von
Luft gemäß den Patentansprüchen 4 bis 6.
[0017] Die Erfindung sowie weitere Einzelheiten der Erfindung werden im folgenden anhand
eines in der Zeichnung schematisch dargestellten Ausführungsbeispiel näher erläutert.
In dem Ausführungsbeispiel ist sowohl die Überleitung von Drucksäulen-Sumpfflüssigkeit
und Drucksäulen-Stickstoff in die Niederdrucksäule als auch die Argongewinnung mit
Überführung der Drucksäulen-Sumpfflüssigkeit in den Kopfkondensator einer Rohargonsäule
gezeigt.
[0018] Bei dem in dem Schema dargestellten Verfahren wird gereinigte Luft 1 unter einem
Druck von 4 bis 20 bar, vorzugsweise 5 bis 12 bar in einem Wärmetauscher 2 gegen Produktströme
auf etwa Taupunkt abgekühlt und in die Drucksäule 3 einer zweistufigen Rektifiziereinrichtung
eingespeist. Die Drucksäule 3 steht über einen gemeinsamen Kondensator-Verdampfer
4 in Wärmeaustauschbeziehung mit einer Niederdrucksäule 5.
[0019] Sumpfflüssigkeit 6 und Stickstoff 7 werden aus der Drucksäule 3 abgezogen, in einem
Gegenströmer 8 unterkühlt und mindestens teilweise in die Niederdrucksäule 5 eingedrosselt.
Aus der Niederdrucksäule werden Sauerstoff 9, Stickstoff 10 und unreiner Stickstoff
11 gasförmig entnommen. Die Produkte können auch mindestens teilweise flüssig entnommen
werden (Sauerstoff 9a, Stickstoff 10a).
[0020] In der Drucksäule bildet der Sumpf ein Reservoir 24 für die vom untersten Stoffaustauschabschnitt
ablaufende Kolonnenflüssigkeit. Die Sumpfflüssigkeit, die sich in diesem Reservoir
sammelt bildet die Überleitungsfraktion im Sinne der Erfindung. Das "erste Niveau"
h1 ist durch den Flüssigkeitsspiegel im Sumpf der Drucksäule bestimmt. Die Überleitungsfraktion
6 wird in dem Gegenströmer 8 unterkühlt. Die unterkühlte Überleitungsfraktion strömt
zu einem ersten Teil 13 einem Entspannungsventil 14 zu, das auf dem Niveau hz angeordnet
ist. Beim Entspannen 14 wird soviel Dampf erzeugt, daß der verbleibende Druckunterschied
ausreicht, um die Überleitungsfraktion als Zweiphasengemisch 15 in die Niederdrucksäule
zu drücken, und zwar auf dem "zweiten Niveau" h2. In einem konkreten Zahlenbeispiel
gilt:
h1 = 3100 mm
h2 = 22100 mm
hz = 46100 mm
[0021] Die erfindungsgemäß Methode der Überführung einer Flüssigkeit kann genauso auf den
flüssigen Stickstoff 7 vom Kopf der Drucksäule als (weitere) "Überleitungsfraktion"
angewandt werden. Das "erste Niveau" wird dabei durch den Flüssigkeitsspiegel innerhalb
der Tasse 16 gebildet, in der die von Hauptkondensator 4 kommende Flüssigkeit aufgefangen
wird. Unterkühlt wird wiederum im Gegenströmer 8. Der unterkühlte Stickstoff 17 fließt
zu einem Entspannungsventil 18, das auf einem Zwischenniveau hz' angeordnet ist und
schließlich weiter zu der Einspeisestelle 19 ("zweites Niveau" h2') am Kopf der Niederdrucksäule.
[0022] Wird zusätzlich Argon gewonnen, wie es in der Zeichnung dargestellt ist, kann die
Erfindung auch auf den Transport einer flüssigen Überleitungsfraktion in den Verdampfungsraum
des Kopfkondensators einer Rohargonsäule angewandt werden. Die Rohargonsäule wird
in dem Beispiel durch zwei Abschnitte 20a, 20b gebildet, deren Funktion im europäischen
Patent EP 628777 B1 und in dem korrespondierenden US-Patent US 5426946 ausführlich
beschrieben ist. Die Erfindung kann bei jeder bekannten Art der Rohargongewinnung
eingesetzt werden, bei der eine argonhaltige Sauerstofffraktion 21 aus der Niederdrucksäule
5 in eine Rohargonsäule eingeleitet wird, wobei im oberen Bereich der Rohargonsäule
ein an Sauerstoff abgereichertes Argonprodukt 22a, 22b in gasförmigem und/oder flüssigem
Zustand anfällt.
[0023] Die weitere Überleitungsfraktion wird in dem in der Zeichnung dargestellten Beispiel
durch einen Teil 13a der unterkühlten Sumpfflüssigkeit 6 aus der Drucksäule 5 gebildet.
Sie wird in einem Entspannungsventil 14a entspannt, das auf einem Zwischenniveau angeordnet
ist. Dieses Zwischenniveau liegt in dem Beispiel auf derselben oder etwa derselben
Höhe wie das Zwischenniveau hz. Die in 14a entspannte Überleitungsfraktion 15a von
Sumpf 12 der Drucksäule 3 wird auf einem "zweiten Niveau" h2" in den Verdampfungsraum
23 des Kopfkondensators der Rohargonsäule eingeführt.
1. Verfahren zur Tieftemperaturzerlegung von Luft, bei dem Einsatzluft (1) in eine erste
Rektifiziersäule (3) eingeleitet wird und eine Überleitungsfraktion (6, 7) der Dichte
ρ in flüssigem Zustand aus einem Reservoir (24, 16) innerhalb der ersten Rektifiziersäule
(3) entnommen, entspannt (14, 14a, 18) und einem weiteren Verfahrensschritt (5, 23)
zugeleitet wird, wobei
• sich der Flüssigkeitsspiegel in dem Reservoir (24, 16) auf einem ersten Niveau h1
befindet und unter einem ersten Druck p1 steht,
• die entspannte Überleitungsfraktion dem weiteren Verfahrensschritt (5, 23) auf einem
zweiten, höheren Niveau h2 (h2 > h1) und unter einem zweiten, niedrigeren Druck (p2
< p1) zugeführt wird,
• die Differenz der beiden Drücke Δp = p1 - p2 kleiner ist als der durch eine Flüssigkeitssäule
der Überleitungsfraktion zwischen dem ersten und dem zweiten Niveau erzeugten hydrostatischen
Druck (phydr = ρ · g · [h2-h1])

dadurch gekennzeichnet, daß die Entspannung (14, 14a, 18) so durchgeführt wird, daß die beim Entspannen
entstehenden Gasblasen die Dichte der Überleitungsfraktion soweit verringern, daß
die Druckdifferenz Δp ausreicht, um die Überleitungsfraktion dem weiteren Verfahrensschritt
(5, 23) zuzuführen.
2. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die Überleitungsfraktion (6, 7) vor dem Entspannen (14, 14a, 18) durch indirekten
Wärmeaustausch (8) unterkühlt wird.
3. Verfahren nach Anspruch 2, dadurch gekennzeichnet, daß die Unterkühlung (8) so durchgeführt wird, daß die Überleitungsfraktion (13,
13a, 17) unmittelbar stromaufwärts des Entspannens (14, 14a, 18) vollständig oder
im wesentlichen vollständig in flüssiger Form vorliegt.
4. Vorrichtung zur Tieftemperaturzerlegung von Luft, die für mindestens einen Betriebsfall
ausgelegt ist und eine erste Rektifiziersäule (3) mit einem Reservoir (24, 16) für
eine flüssige Überleitungsfraktion und eine Flüssigkeitsleitung (6 - 13 - 15, 6 -
13a - 15a, 7 - 17 - 19) aufweist, die auf mit dem Reservoir (24, 16) in der ersten
Rektifiziersäule (3) und mit einem weiteren Behälter (5, 23) verbunden ist und zwischen
diesen Verbindungen ein Entspannungsventil (14, 14a, 18) aufweist, wobei
• in dem Betriebsfall sich der Flüssigkeitsspiegel in dem Reservoir (24, 16) auf einem
ersten Niveau h1 befindet und unter einem ersten Druck p1 steht,
• in dem weiteren Behälter (5, 23) an der die Stelle der Verbindung zwischen Flüssigkeitsleitung
(15, 15a, 19) und weiterem Behälter (5, 23) in dem Betriebsfall ein zweiter Druck
(p2) herrscht,
• die Stelle der Verbindung zwischen Flüssigkeitsleitung (15, 15a, 19) und weiterem
Behälter (5, 23) auf einem zweiten, höheren Niveau h2 (h2 > h1) angeordnet ist,
• die Differenz der beiden Drücke Δp = p1 - p2 in dem Betriebsfall kleiner ist als
der durch eine Flüssigkeitssäule der Überleitungsfraktion zwischen dem ersten und
dem zweiten Niveau erzeugten hydrostatischen Druck (phydr = ρ·g·[h2-h1]) ist:

dadurch gekennzeichnet, daß das Entspannungsventil (14, 14a, 18) so angeordnet ist, daß in dem Betriebsfall
die beim Entspannen entstehenden Gasblasen den beim Entspannen die Dichte der Überleitungsfraktion
soweit verringern, daß die Druckdifferenz Δp ausreicht, um die Überleitungsfraktion
in dem weiteren Behälter (5, 23) zuzuführen.
5. Vorrichtung nach Anspruch 4, gekennzeichnet durch einen Wärmetauscher (8) zur Abkühlung der Überleitungsfraktion durch indirekten Wärmeaustausch,
der in der Flüssigkeitsleitung (6 - 13 - 15, 6 - 13a - 15a, 7 - 17 - 19) stromaufwärts
des Entspannungsventils (14, 14a, 18) angeordnet ist.
6. Vorrichtung nach Anspruch 5, dadurch gekennzeichnet, daß der Wärmetauscher (8) so angeordnet ist, daß in dem Betriebsfall die Überleitungsfraktion
unmittelbar stromaufwärts des Entspannungsventils (14, 14a, 18) vollständig oder im
wesentlichen vollständig in flüssiger Form vorliegt.