(19)
(11) EP 1 279 654 A2

(12) EUROPÄISCHE PATENTANMELDUNG

(43) Veröffentlichungstag:
29.01.2003  Patentblatt  2003/05

(21) Anmeldenummer: 02016033.9

(22) Anmeldetag:  18.07.2002
(51) Internationale Patentklassifikation (IPC)7C06C 9/00, C06B 29/08
(84) Benannte Vertragsstaaten:
AT BE BG CH CY CZ DE DK EE ES FI FR GB GR IE IT LI LU MC NL PT SE SK TR
Benannte Erstreckungsstaaten:
AL LT LV MK RO SI

(30) Priorität: 23.07.2001 DE 10135774

(71) Anmelder: NICO-PYROTECHNIK Hanns-Jürgen Diederichs GmbH & Co. KG
D-22946 Trittau (DE)

(72) Erfinder:
  • Krone, Uwe, Dr.
    22929 Hamfelde/Stormarn (DE)
  • Ballentin, Kai, Dr.
    23898 Kühsen (DE)
  • Schulz, Ernest
    22455 Hamburg (DE)

(74) Vertreter: Haft, von Puttkamer, Berngruber, Czybulka 
Patentanwälte Franziskanerstrasse 38
81669 München
81669 München (DE)

   


(54) Pyrotechnischer Frühanzündsatz zur frühzeitigen Auslösung von passiven Sicherheitseinrichtungen


(57) Der thermisch empfindliche, pyrotechnische Frühanzündsatz ist auf der Basis von Chloraten und Kohlehydraten aufgebaut und dient zur frühzeitigen Anzündung eines Gassatzes für eine passive Sicherheitseinrichtung in einem Kraftfahrzeug, wie einem Airbag oder einem Gurtstrammer, im Falle eines Fahrzeugbrandes. Um die Strukturfestigkeit des Frühanzündsatzes zu verbessern, besitzt er neben einem Binder auch einen Anteil an Fasermaterial, z. B. Glas-, Keramik- oder Kohlefasern, Zellstoff-, Baumwoll- oder textile Kunststofffasern.


Beschreibung


[0001] Die Erfindung bezieht sich auf einen thermisch empfindlichen pyrotechnischen Frühanzündsatz gemäß dem Oberbegriff des Patentanspruchs 1.

[0002] In Kraftfahrzeugen sind heute zumeist mehrere Airbags und Gurtstrammer enthalten, welche im Falle einer Kollision die Insassen vor Verletzungen durch Aufprall auf harte Bauteile des Fahrzeuginnenraums schützen sollen.

[0003] Einzelne dieser Rückhalteeinrichtungen, besonders der Beifahrer-Airbag, enthalten nicht unerhebliche Mengen Explosivstoff. Zusammengenommen können leicht 300 bis 400 g im Fahrzeug vorhanden sein. Der Explosivstoff - meist ein effizienter pyrotechnischer Gassatz - brennt im Auslösefall in wenigen Millisekunden definiert ab und bläht dabei kurzzeitig einen Prallsack auf oder zieht über die Auslösung einer Aufrollvorrichtung den Gurt stramm. Die Gassätze sind in stabilen Gehäusen aus Aluminium oder Stahl untergebracht. Bei Auslösung wird das gebildete Gas durch Filtermaterial von mitgerissenen Partikeln befreit und durch Öffnungen im Gehäuse ausgeblasen.

[0004] Die Auslösung des oder der Gassätze geschieht üblicherweise durch schnelle pyrotechnische, elektrisch ausgelöste Anzünder, welche sich in weniger als 2 Millisekunden umsetzen und allein oder verstärkt durch einen Booster (ein weiteres explosives Bauteil von Airbags) die gaserzeugende Mischung anzünden und zum Umsatz bringen. Diese elektrisch auszulösenden Anzündsätze sind ihrer Natur nach thermisch recht stabile Gemische. Sie sind chemisch und mechanisch sehr stabil ausgelegt, weil die Prüfkriterien für Airbags und Gurtstrammer eine entsprechende Robustheit voraussetzen, die während der Lebensdauer des Fahrzeugs, die bis zu 15 Jahre beträgt, aufrechterhalten werden muss.

[0005] Wenn es jedoch bei einem Kraftfahrzeugunfall nicht zum Auslösen der Airbags und anderer Rückhalteeinrichtungen kommt und das Fahrzeug unglücklicherweise Feuer fängt, können die nicht ausgelösten Gassätze der Rückhalteeinrichtungen mit ihrem nicht unerheblichen Explosivstoffgehalt schnell zum Problem für Insassen und Retter werden. Bei einem auf mehr als 250°C aufgeheizten Gassatz ist ein definierter Abbrand kaum noch zu erwarten. Vielmehr setzt er sich dann wesentlich schneller um bis hin zur Volldetonation mit einer Reaktionsgeschwindigkeit im Mikrosekunden-Bereich und unter Ausbildung einer Stoßwelle.

[0006] Es ist leicht verständlich, dass man derartige Situationen vermeiden will. Sie machen schnell ein brennendes Fahrzeug zur Bombe und können Rettungsarbeiten verzögern, verhindern oder zur Verschlimmerung der Unfallfolgen durch umherfliegende brennende Fahrzeugteile und Teile des Gasgeneratorgehäuses beitragen.

[0007] Um diese Risiken zu minimieren, werden thermisch empfindliche, pyrotechnische Frühanzündsätze in die Gasgeneratoren eingebracht, welche Airbags und Gurtstrammer auslösen, bevor die geschilderte gefährliche Situation eintreten kann. An exponierter, gut wärmeleitfähiger Stelle, z.B. direkt im elektrischen Anzünder des Airbags oder Gurtstrammers selbst oder am Gehäuse des Gasgenerators wird ein Frühanzündsatz angebracht, welcher bei einem Fahrzeugbrand durch die auf Metallteile übertragenen Wärme z.B. über das Metall der Anzünderkappe oder des Gasgeneratorgehäuses schon bei Temperaturen um 180°C ausgelöst wird und seinerseits den eigentlichen Anzündsatz oder den Anzündverstärkersatz (Booster) oder direkt den Gassatz sicher anzündet.

[0008] Ein solcher durch Aufheizen auf Temperaturen um 180°C sicher auslösender pyrotechnischer Frühanzündsatz ist sicherheitstechnisch nicht unproblematisch. Die relativ niedrige Temperatur verlangt sehr reaktive Komponenten mit niedriger Aktivierungsenergie. Andererseits muss dieses Gemisch die anspruchsvollen sicherheitstechnischen Prüfbedingungen von Anzündern im Automotive-Bereich unbeschadet überstehen. Zu nennen ist da neben einer Temperaturfestigkeit, welche mit einer Prüfung während 400 h bei einer Temperatur von ca. 110°C oder kurzzeitig 12 h bei 125°C nachgewiesen werden muss, besonders die mechanische Festigkeit und Haftung des Frühanzündsatzes am Anzünder- oder Gasgeneratorgehäuse.

[0009] Versuche haben nun gezeigt, dass Gemische von Kaliumchlorat und Kohlehydraten, denen als Binderkomponente z.B. Polyvinylpyrrolidon oder Polyvinylbutyral, Ethylzellulose, Hydroxypropylzellulose oder Polytetrafluorethylen beigegeben wurden, diese Anforderungen im besonderen Maße erfüllen.

[0010] Frühanzündsätze mit dieser Basisrezeptur sind bekannt. So ist aus der WO 95/26945 ein Frühanzündsatz mit einem Oxidationsmittel auf der Basis von Alkali- bzw. Erdalkalimetallchloraten und einem Brennstoff aus Kohlehydraten bekannt, wobei diese Komponenten feucht in Anwesenheit von Wasser, Ethylalkohol oder Mischungen hiervon vermischt werden und diese feuchte Zusammensetzung anschließend getrocknet wird. Dieser Frühanzündsatz wird dann direkt in das Gehäuse des Anzündsatzes eingebracht.

[0011] Aus der WO 98/18661 ist ein Frühanzündsatz auf der Basis von Kaliumchlorat, Lactose und Polycarbonat bekannt, der ebenfalls bei niedrigen Temperaturen selbst zündet. Der Frühanzündsatz wird im Gehäuse des Gasgenerators plaziert und umgibt hierbei das Gehäuse des eigentlichen Anzündsatzes.

[0012] Die mechanischen Belastungen, besonders die Vibrations- und Temperaturwechselbelastungen im Auto, verlangen nun aber nicht nur gut am Metallgehäuse haftende oder in Näpfen oder ähnlichen Vorrichtungen fest sitzende Frühanzündsätze, sondern auch eine gewisse Strukturfestigkeit; Spannungsrisskorrosion oder Ablösungen des Satzes von der Unterlage durch Alterung und der damit verbundenen Verkürzung der Molekülkettenlänge oder Kettenbrüchen des Binderkunststoffs müssen unbedingt vermieden oder abgefangen werden. Nicht nur, dass dadurch die Funktion der frühen Anzündung nicht mehr gewährleistet ist, kann sich abbröckelndes Material eines wie hier beschriebenen offenen Frühanzündsatzes mit den anderen Komponenten des Gassatzes oder des Anzündsatzes vermischen. Hierdurch kann die Funktionstüchtigkeit dieser Sätze beeinträchtigt werden, da sich diese Sätze mit Chloraten chemisch oft nicht vertragen. Darüber hinaus kann abgebröckeltes Material des Frühanzündsatzes an Stellen gelangen, an denen akute Gefahr der ungewollten Anzündung durch mechanische Kräfte, z.B. durch Reibung oder Quetschung, besteht.

[0013] Bei trocken als Pulver oder Granulat verwendeten Sätzen wird die Strukturfestigkeit des Frühanzündsatzes nach dem Stand der Technik üblicherweise durch Erhöhung der Dichte, z.B. durch Verpressen des Satzes, verbessert. Die genannten Probleme können jedoch auch hier auftreten.

[0014] Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, einen thermisch empfindlichen Frühanzündsatz auf der Basis von Chloraten und Kohlehydraten anzugeben, der die geschilderten sicherheitstechnischen Kriterien optimal erfüllt.

[0015] Diese Aufgabe wird gemäß der Erfindung durch die Merkmale des Patentanspruchs 1 gelöst.

[0016] Weitere Ausgestaltungen der Erfindung gehen aus den Unteransprüchen hervor.

[0017] Erfindungsgemäß wird somit zur Satzdispersion oder dem pastösen Ansatz des Frühanzündsatzes Fasermaterial zugegeben. Fasermaterial wie Glas-, Keramik-, Kohlenstoff-Zellstoff-, Baumwolle- oder Textilfasern erhöhen die Strukturfestigkeit des Frühanzündsatzes ganz wesentlich und garantieren eine hohe Widerstandsfähigkeit gegen Spannungsrisse und alterungsbedingte Ablösung des Frühanzündsatzes. Dabei werden vorzugsweise Faserlängen von 0,05 bis 10 mm, vorzugsweise 0,1 bis 1 mm mit Durchmessern von 0.001 bis 0.05 mm, vorzugsweise bis 0,01 mm verwendet. Die Faserlänge hängt im wesentlichen von der Art der Unterlage bzw. Aufnahme für den Frühanzündsatz ab. Wenn der Frühanzündsatz z.B. direkt auf einer Wand des Gasgenerators oder auf einer Anzündplatine aufgebracht ist, werden längere Fasern benötigt; wird der Frühanzündsatz direkt in das Gehäuse des Anzündsatzes eingebracht, werden kurze Fasern verwendet.

[0018] Um eine gute Haftung der Faser in dem Frühanzündsatz sicher zu stellen, können die Fasern eine aufgeraute Oberfläche aufweisen; sehr gut eignen sich auch fibrillierte Fasern.

[0019] Ein typischer Aufbau der erfindungsgemäßen Frühanzündsätze wird durch die folgende Rahmenzusammensetzung beschrieben:

40 - 70% Kaliumchlorat

20 - 50% Kohlehydrat (z.B. Saccharose)

1 - 10% Binder (z.B. Polyvinylalkohol)

1 - 10% Fasermaterial (z.B. Glasfasern)



[0020] Diese Mischung wird mit einem Lösemittel angeteigt, welches den Binder in Lösung enthält, während die anderen Komponenten darin dispergiert sind, in obigem Beispiel eignet sich iso-Propanol.

[0021] Nach dem Auftropfen oder Ausstreichen des lösemittelfeuchten Gemisches auf die Trägerunterlage wird durch Temperierung und/oder Vakuum das Lösemittel entfernt. Der Binder sowie das Fasermaterial bewirken, dass der Frühanzündsatz als strukturfeste, Vibrationen und Temperaturwechselbelastungen widerstehende Masse zurückbleibt. Ein Verpressen des Satzes ist nicht notwendig.

[0022] Als Chlorat können neben Kaliumchlorat sonstige Alkalimetall- und Erdalkalimetallchlorate oder Mischungen hieraus, als Kohlehydrat neben Saccharose andere kohlenstoffreiche organische Verbindungen verwendet werden.

[0023] Als Fasermaterial können z.B. Glas-, Keramik- oder Kohlefasern bzw. Zellstoff-, Baumwoll- oder textile Kunststoffasern verwendet werden.

[0024] Als Binder eignen sich Polyvinylpyrrolidon, Polyvinylbutyral, Polyvinylalkohol, Ethylzellulose, Hydroxypropylzellulose oder Polytetrafluorethylen.

[0025] Der Frühanzündsatz wird vorzugsweise als Paste, als Dispersion oder durch Extrusion an den jeweils gewünschten Wirkort gebracht.


Ansprüche

1. Thermisch empfindlicher, pyrotechnischer Frühanzündsatz auf der Basis von Chloraten und Kohlehydraten, die zur Auslösung der frühzeitigen Anzündung eines Gassatzes für eine passive Sicherheitseinrichtung in einem Kraftfahrzeug, wie einem Airbag oder einem Gurtstrammer, im Falle eines Fahrzeugbrands dienen, dadurch gekennzeichnet, dass der Frühanzündsatz zur Verbesserung seiner mechanischen Widerstandsfähigkeit neben einem Binder auch einen Anteil an Fasermaterial besitzt.
 
2. Frühanzündsatz nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass als Fasermaterial Glas-, Keramik- oder Kohlefasern verwendet werden.
 
3. Frühanzündsatz nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass als Fasermaterial Zellstoff-, Baumwoll- oder textile Kunststofffasern verwendet werden.
 
4. Frühanzündsatz nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Länge der Fasern des Fasermateriales 0,05 Millimeter bis 10 Millimeter, vorzugsweise 0,1 Millimeter bis 1 Millimeter ist.
 
5. Frühanzündsatz nach Anspruch 4, dadurch gekennzeichnet, dass die Dicke der Fasern des Fasermateriales 0,001 Millimeter bis 0,05 Millimeter, vorzugsweise bis 0,01 Milli-meter ist.
 
6. Frühanzündsatz nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Fasern des Fasermateriales eine aufgeraute Oberfläche aufweisen und vorzugsweise fibrillierte Fasern sind.
 
7. Frühanzündsatz nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass der Frühanzündsatz neben den Fasern einen Binder aus der Gruppe Polyvinylpyrrolidon, Polyvinylbutyral, Polyvinylalkohol, Ethylzellulose, Hydroxypropylzellulose oder Polytetrafluorethylen enthält.
 
8. Frühanzündsatz nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass als Chlorat Alkalimetalloder Erdalkalimetall-Chlorate bzw. Mischungen hiervon und als Kohlehydrat eine kohlenstoffreiche organische Verbindung, insbesondere Saccharose verwendet werden.
 
9. Frühanzündsatz nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass er aus vorzugsweise 40 bis 70% KClO3, 20 bis 50% Saccharose, 1 bis 10% eines Binders und 1 bis 10% Fasermaterial aufgebaut ist.
 
10. Frühanzündsatz nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass er als Paste, als Dispersion oder durch Extrusion an seinen Wirkort gebracht wird.