(19)
(11) EP 1 586 671 A1

(12) EUROPÄISCHE PATENTANMELDUNG

(43) Veröffentlichungstag:
19.10.2005  Patentblatt  2005/42

(21) Anmeldenummer: 05000782.2

(22) Anmeldetag:  15.01.2005
(51) Internationale Patentklassifikation (IPC)7C22C 38/18, C22C 38/20, C22C 38/22, C21D 8/00
(84) Benannte Vertragsstaaten:
AT BE BG CH CY CZ DE DK EE ES FI FR GB GR HU IE IS IT LI LT LU MC NL PL PT RO SE SI SK TR
Benannte Erstreckungsstaaten:
AL BA HR LV MK YU

(30) Priorität: 01.04.2004 DE 102004015992
29.12.2004 DE 102004063161

(71) Anmelder: Stahlwerk Ergste Westig GmbH
58212 Schwerte (DE)

(72) Erfinder:
  • Pacher, Oskar
    8041 Graz (AT)
  • Nicolini, Guido
    58638 Iserlohn (DE)
  • Kloss-Ulitzka, Gisbert
    58809 Neuenrade (DE)

(74) Vertreter: König, Gregor Sebastian et al
König-Szynka-von Renesse Patentanwälte Lohengrinstrasse 11
40549 Düsseldorf
40549 Düsseldorf (DE)

   


(54) Kaltverformbarer Chromstahl


(57) Ein kaltverformbarer korrosionsbeständiger Chromstahl mit 14% bis 20% Chrom, 0,005% bis 0,05% Kohlenstoff, bis 0,01% Stickstoff, 0,2% bis 0,6% Silizium, 0,3% bis 1,0% Mangan, 0,1% bis 1,0% Molybdän, bis 0,8% Nickel, 0,2% bis 1,0% Kupfer, 0,15% bis 0,65% Schwefel sowie einzeln oder nebeneinander 0,01% bis 0,1% Blei, 0,01% bis 0,5% Wismut, 0,01% bis 0,1% Arsen, 0,01% bis 0,1 % Antimon, jeweils 0,005% bis 0,08% Vanadium, Titan, Niob und Zirkonium, jeweils bis 0,20% Selen und Tellur, Rest Eisen einschließlich erschmelzungsbedingter Verunreinigungen eignet sich wegen seiner guten Kaltverformbarkeit, mechanischen Bearbeitbarkeit, insbesondere seiner guten Zerspanbarkeit, seines homogenen Gefüges sowie seiner gleichmäßigen Verteilung der Ausscheidungsphasen nach einem Kaltverformen und anschließendem Glühen mit gesteuerter Abkühlung als Werkstoff zum Herstellen von Druckerdüsen, Schreibminenspitzen, Einspritzdüsen für chemische und elektronische Geräte, Spinndüsen sowie Komponenten mit kleinen Abmessungen und/oder Ausnehmungen, insbesondere Bohrungen.




Beschreibung


[0001] Die Erfindung bezieht sich auf einen kaltverformbaren Chromstahl mit ferritischem Gefüge.

[0002] Kaltverformbare und korrosionsbeständige ferritische Chromstähle besitzen ohne besondere legierungstechnische Maßnahmen eine schlechte Zerspanbarkeit, die sich auf Anklebungen und Aufschweißungen zurückführen lassen, die beim Zerspanen im Bereich scharfer Werkzeugkanten entstehen. Die Folge davon sind Ausbrechungen und Ausbröckelungen der Schneidkante bzw. ein hoher Werkzeugverschleiß und zudem eine geringe Oberflächengüte der bearbeiteten Werkstücke.

[0003] Bei Präge- und Umformwerkzeugen wirken sich solche Anklebungen und Aufschweißungen ebenfalls sehr nachteilig aus, da sie gerade im Bereich hoher Flächenpressung bevorzugt auftreten und dort die Oberflächengüte der umgeformten Werkstücke verschlechtern. Zudem verkürzen sie die Standzeit der Werkzeuge. Außer einer guten Zerspanbarkeit und Bearbeitbarkeit bedürfen die Stähle einer bestimmten Mindestfestigkeit, die sich nur durch Legierungsbestandteile erreichen lässt, die wie Titan, Vanadium, Niob, Zirkonium und Molybdän Karbide oder Karbonitride bilden. Diese liegen im Gefüge als harte und schwer lösliche Ausscheidungsphasen vor und neigen dazu, sich im Gefüge lokal anzureichern und so Agglomerate, Nester oder zeilenförmige Strukturen zu bilden.

[0004] Damit ist die Gefahr verbunden, daß es bei einem Mikrobearbeiten, beispielsweise beim Herstellen von Bohrungen, Nuten und Ausnehmungen geringer und geringster Abmessungen infolge der lokalen Konzentration harter Ausscheidungsphasen zu einem Verlaufen des Werkzeugs, beispielsweise eines Bohrers und demgemäß zu erheblichen Abweichungen in den Endabmessungen kommt. Dies ist darauf zurückzuführen, daß die Bearbeitungswerkzeuge, beispielsweise Bohrer mit geringem Durchmesser bestrebt sind, Bereichen höherer Härte bzw. höherer Karbiddichte auszuweichen. Dem läßt sich auch nicht dadurch begegnen, daß Mikrowerkzeuge bzw. Bohrer aus hochwertigen Hartmetallen beispielsweise mit einem Durchmesser unter 0,8 mm eingesetzt werden. Der Einfluß der karbidischen Gefügebestandteile im Bereich starker Anreicherungen führt auch in diesem Fall zu einem Ablenken des Werkzeugs von der vorgegebenen Bearbeitungsrichtung.

[0005] Stähle der eingangs erwähnten Art sind bekannt. Sie besitzen eine gute Magnetisierbarkeit, wie der in der US-Patentschrift 4 714 502 beschriebene weichmagnetische Chromstahl mit bis 0,03% Kohlenstoff, 0,40 bis 1,10% Silizium, bis 0,50% Mangan, 9,0 bis 19% Chrom, bis 2,5% Molybdän, bis 0,5% Nickel, bis 0,5% Kupfer, 0,02 bis 0,25% Titan, 0,010 bis 0,030% Schwefel, bis 0,03% Stickstoff, 0,31 bis 0,60% Aluminium, 0,10 bis 0,30% Blei und 0,02 bis 0,10% Zirkonium. Der Stahl ist rostfrei und kaltverformbar; er eignet sich als Werkstoff zum Herstellen von Kernen für Solenoid-Ventile, elektromagnetische Kupplungen oder von Gehäusen elektronischer Einspritzsysteme für Brennkraftmaschinen.

[0006] Ein weiterer weichmagnetischer rostfreier Chromstahl mit bis 0,05% Kohlenstoff, bis 6% Silizium, 11 bis 20% Chrom, bis 5% Aluminium, 0,03 bis 0,40% Blei, 0,001 bis 0,009% Kalzium und 0,01 bis 0,30% Tellur ist aus der US-Patentschrift 3 925 063 bekannt und besitzt aufgrund seiner Gehalte an Blei, Kalzium und Tellur eine gute Zerspanbarkeit.

[0007] Die verhältnismäßig hohen Gehalte an Silizium, Aluminium und Titan führen bei diesem Stahl jedoch infolge des Entstehens harter Oxideinschlüsse zu einem hohen Verschleiß bei der mechanischen Feinbearbeitung. Dem soll der verhältnismäßig hohe Bleigehalt von 0,03 bis 0,40% entgegenwirken. Nachteilig ist hierbei jedoch, daß Blei einen sehr niedrigen Schmelzpunkt besitzt und demgemäß keine stabilen Verbindungen bzw. Ausscheidungen bildet und seine Verteilung im Gefüge äußerst inhomogen ist.

[0008] Des weiteren beschreibt die deutsche Offenlegungsschrift 101 43 390 A1 einen kaltverformbaren korrosionsbeständigen ferritischen Chromstahl mit 0,005% bis 0,1% Kohlenstoff, 0,2% bis 1,2% Silizium, 0,4% bis 2,0% Mangan, 8% bis 20% Chrom, 0,1% bis 1,2% Molybdän, 0,01% bis 0,5% Nickel, 0,5% bis 2,0% Kupfer, 0,001% bis 0,6% Wismut, 0,002% bis 0,1% Vanadium, 0,002% bis 0,1% Titan, 0,002% bis 0,1% Niob, 0,15% bis 0,8% Schwefel und 0,001% bis 0,08% Stickstoff, Rest Eisen einschließlich erschmelzungsbedingter Verunreinigungen der sich wegen seiner guten mechanischen Bearbeitbarkeit, insbesondere seiner guten Zerspanbarkeit, seiner guten Verschleißfestigkeit und Oberflächengüte als Werkstoff für feinmechanische Anwendungen und Präzisionsgeräte, insbesondere für Spinn- und Spritzdüsen sowie Schreibgeräte, Spitzen und Köpfe eignet.

[0009] Das der Erfindung zugrundeliegende Problem besteht darin, einen ferritischen Chromstahl zu schaffen, der sich nicht nur hervorragend, d.h. insbesondere ohne das Entstehen von Anklebungen und Anschweißungen zerspanen sondern auch richtungsgenau mikrobearbeiten läßt.

[0010] Die Lösung dieser Aufgabe besteht in einem Chromstahl mit

14% bis 20% Chrom

0,005% bis 0,05% Kohlenstoff

bis 0,01 % Stickstoff

0,2% bis 0,6% Silizium

0,3% bis 1,0% Mangan

0,1% bis 1,0% Molybdän

bis 0,8% Nickel

0,2% bis 1,0% Kupfer

0,02% bis 0,2% Selen

sowie einzeln oder nebeneinander

0,0 1 % bis 0,1 % Blei

0,01 % bis 0,5% Wismut

0,01 % bis 0,1 % Arsen

0,01 % bis 0, 1 % Antimon

0,005% bis 0,08% Vanadium

0,005% bis 0,08% Titan

0,005% bis 0,08% Niob

0,005% bis 0,08% Zirkonium

0,15% bis 0,65% Schwefel

bis 0,20% Tellur, Rest Eisen.



[0011] Besonders geeignet ist ein Chromstahl mit

14% bis 18% Chrom

0,01% bis 0,03% Kohlenstoff

bis 0,01% Stickstoff

0,03% bis 0,5% Silizium

0,4% bis 0,7% Mangan

0,1% bis 0,6% Molybdän

bis 0,5% Nickel

0,2% bis 0,6% Kupfer

0,02% bis 0,2% Selen

0,01% bis 0,2% Tellur

sowie einzeln oder nebeneinander

0,01% bis 0,05% Blei

0,01 % bis 0,3% Wismut

0,01% bis 0,05% Arsen

0,01% bis 0,05% Antimon

0,005% bis 0,08% Vanadium

0,005% bis 0,08% Titan

0,005% bis 0,08% Niob

0,005% bis 0,08% Zirkonium

0,15% bis 0,65% Schwefel

0,02% bis 0,20% Selen

0,01% bis 0,20% Tellur, Rest Eisen

einschließlich erschmelzungsbedingter Verunreinigungen.

[0012] Im Hinblick auf optimale Werkstoffeigenschaften sollte die Zusammensetzung des Stahls mindestens einer der folgenden Bedingungen genügen:







[0013] Die gleichzeitige Anwesenheit von Schwefel, Selen und Tellur wirkt sich über die Anwesenheit feiner Sulfid-, Selenid- und Telluridausscheidungen auf die Werkstoffeigenschaften besonders vorteilhaft aus, wenn die jeweiligen Gehalte dieser Elemente der Bedingung für K3 genügen.

[0014] Für die mechanischen Eigenschaften des erfindungsgemäßen Stahls kommt es nicht nur auf das Vorhandensein bestimmter Ausscheidungsphasen, sondern sehr wesentlich auch auf deren physikalische Beschaffenheit und Verteilung im Gefüge an. Das Gefüge enthält daher sowohl Metallsulfide als auch Metallselenide, die ihrerseits mit Karbiden und Sulfokarbiden in Wechselwirkung treten und dabei eine Verbesserung des Spanbruchverhaltens bewirken. Dabei will die Erfindung, im Wege von Umlagerungs- und Austauschreaktionen bestimmte Legierungselemente im Nahbereich der Ausscheidungen freisetzen, um so die harten Ausscheidungen mit einer Schmiermittelzone aus Metallen und/oder Metallverbindungen zu umgeben, die als Schmiermittelzonen wirken und die Zerspanbarkeit verbessern.

[0015] Ausscheidungen entstehen nur dann, wenn die thermodynamischen Voraussetzungen dies zulassen. Eine wichtige Richtgröße hierfür stellt die Bildungswärme dar. Eine negative Bildungswärme besagt, daß Ausscheidungen thermodynamisch stabil sind. Je negativer die Bildungswärme für eine bestimmte Ausscheidung ist, um so wahrscheinlicher ist auch deren Entstehung.

[0016] Ausscheidungen aus Sulfiden, Seleniden oder Telluriden bzw. Mischungen derselben, ferner auch Ausscheidungen, die auf Umlagerungs- oder Austauschreaktionen mit Karbiden zurückzuführen sind, bilden sich bei verschiedenen Temperaturen im festen Zustand des Stahls. Beim Abkühlen der Schmelze entstehen sogenannte Primärausscheidungen, die bei der weiteren Abkühlung wachsen, sich vergröbern und die bekannten Nachteile bewirken. Durch die erfindungsgemäße Abstimmung bestimmter Elemente wie Blei und/oder Wismut und/oder Arsen und/oder Antimon und/oder Vanadin, Titan, Niob sowie Zirkonium mit den Ausscheidungsbildnern Kohlenstoff, Stickstoff, Schwefel, Selen und Tellur ergibt sich eine sehr große Anzahl von Reaktionsmöglichkeiten, die das schädliche Wachsen der Primärausscheidungen verbinden.

[0017] Im Diagramm der Fig. 1 sind einige Bildungswärmen für wichtige Sulfide und Selenide dargestellt, die für die Erfindung von Bedeutung sind. Da alle Metallverbindungen negative Bildungswärmen besitzen, sind diese auch geeignet, Ausscheidungen zu bilden.

[0018] Bei dem erfindungsgemäßen Stahl sind die nichtmetallischen Ausscheidungsbildner - Kohlenstoff, Schwefel, Selen, Tellur und gegebenenfalls Stickstoff - in nur geringer Konzentration vorhanden, um eine Übersättigung zu vermeiden, da sich andernfalls rasch wachsende grobkörnige Ausscheidungen bilden. Diese wären nur sehr schwer in ihrer Korngröße zu reduzieren bzw. aufzulösen. Besonders wichtig erscheint ein niedriger Kohlenstoffgehalt, um das Reaktionsgleichgewicht in Richtung der Bildung von unterstöchiometrischen Karbiden zu verschieben.

[0019] Da sich Ausscheidung vorzugsweise beim Abkühlen bilden, spielen Diffusionseffekte (Festkörperdiffusion im Stahl) bei der Bildung und dem Wachstum der Ausscheidungen eine wichtige Rolle. Grundsätzlich diffundieren Elemente mit niedriger Atommasse leichter und rascher als schwere Atome. In Stählen bilden sich daher sehr leicht karbidische und nitridische Ausscheidungen, die man als sogenannte Primärausscheidungen bezeichnet. Erst nach deren Ausscheiden entstehen Sulfide und/oder Selenide bzw. andere Ausscheidungen wie Sulfokarbide und Sulfokarboselenide.

[0020] Da der Kohlenstoffgehalt sehr gering ist, entstehen vermutlich unterstöchiometrische Primärkarbide - also mit Kohlenstoffmangel. Erst nach längeren Zeiten wird dieser Kohlenstoffmangel durch die Diffusion von Kohlenstoff ausgeglichen oder durch Schwefel oder Selen partiell ersetzt.

[0021] Die unterstöchiometrischen Primärkarbide entstehen beispielsweise entsprechen der Gleichung

wobei mit MeI die Elemente Titan, Vanadium, Niob und Zirkonium bezeichnet sind und x der Stöchiometriefaktor ist. Diese Elemente können allerdings auch noch mit Stickstoff, Schwefel und Selen (Tellur) reagieren. Dabei entstehen Sulfokarbide, Sulfoselenide oder Sulfokarboselenide. Unterstöchiometrische Ausscheidungen sind somit auch nach ihrem Entstehen sehr reaktiv.

[0022] Die Zusammensetzung der Primärkarbide (oder Primärausscheidungen) der MeI-Metalle können in einem weiten Bereich schwanken, ohne daß die Gitterstruktur der Ausscheidungen darunter leidet. So ist aus der Literatur bekannt, daß zum Beispiel Titankarbid einen besonders breiten Beständigkeitsbereich besitzt. Dieser reicht von TiC0,22 bis TiC1,0. Für einen Stöchiometriefaktor von beispielsweise x = 0,5 würde Gleichung 1 für Titan lauten:



[0023] Aufgrund ihrer Stellung im periodischen System zeigen Schwefel, Selen und auch Tellur ähnliche Reaktionen, was auch aus den thermodynamischen Zahlenwerten der Tab. I ersichtlich ist. Für die Bildung von Ausscheidungen auf der Basis von Schwefel, Selen und Tellur sind die Elemente Kupfer, Blei, Arsen, Antimon und Mangan von Bedeutung; sie sind von den MeÉ-Metallen zu unterschieden und werden nachfolgend als MeII-Elemente bezeichnet.

[0024] Typische Reaktionsgleichungen mit Schwefel und Selen lauten:

und



[0025] Der Unterschied zu den MeI-Elementen besteht darin, daß sie keine Karbide, keine Karbonitride und demzufolge auch keine Sulfokarbide bilden.

[0026] Für alle Ausscheidungen ist typisch, daß sich in ihrem Nahbereich sogenannte Verarmungszonen ausbilden. Diese entstehen dadurch, daß die für das Entstehen einer Ausscheidung notwendigen Elemente der Matrix durch Diffusion entzogen und in die Ausscheidung eingebaut werden. Dabei ergibt sich ein Konzentrationsverlauf, wie in den Diagrammen der Fig. 2 und 3 dargestellt.

[0027] Derartige Verarmungszonen sind für die angestrebten Umlagerungs- und Austauschreaktionen zwischen den Ausscheidungen nachteilig, weshalb die Erfindung spezielle Maßnahmen empfiehlt, um diese zu minimieren. Diese Maßnahmen bestehen in einer Kombination von Kaltverformung und Wärmebehandlung, bei der es zu Umlagerungs- und Austauschreaktionen zwischen Primär- und Sekundärausscheidungen kommt.

[0028] Dabei werden bereits entstandene Ausscheidungen aufgelöst und neue gebildet und kann beispielsweise auch Kupfer entstehen, das im Nahbereich der Primärausscheidungen als Schmiermittel wirkt. Da die Umlagerungsreaktionen vorwiegend während der Abkühlung stattfinden, sind die Ausscheidungen zwangsläufig sehr fein. Für die Umlagerungsreaktionen ist es förderlich, wenn ausreichend Zeit zur Verfügung steht, da der Stofftransport für die Umlagerungsreaktionen durch Diffusion geschieht. Vorteilhaft ist eine langsame Abkühlung bzw. Haltezeiten bei 700 bis 500 °C und/oder eine abschließende Wärmebehandlung.

[0029] Es ist anzunehmen, daß die Umlagerungs- und Austauschreaktionen zwischen unterstöchiometrischen karbidischen MeI-Ausscheidungen und einer oder mehreren Sulfid- und/oder Selenidausscheidungen unter Elementfreisetzung ablaufen.

[0030] Ein Beispiel für die Reaktion einer unterstöchiometrischen Ausscheidung mit einem Sulfid (hier Kupfersulfid) würde für TiC0,5 lauten:



[0031] Da der Schwefel des Kupfersulfids durch Diffusion in das Gitter des Sulfokarbids (Ti4C2S2) gelangt, wird im Gegenzug Kupfer freigesetzt, das dabei in unmittelbarer Nähe der harten Titankarbosulfidausscheidung anfällt. Beim Zerspanen wirkt das freigesetzte Element - hier Kupfer - als Schmiermittel. Analoge Reaktionen finden auch zwischen anderen MeI-Ausscheidungen und MeII-Sulfiden oder -Seleniden statt (zum Beispiel mit Ausscheidungen von Mangan und Blei).

[0032] Auflösungsreaktionen nach Gleichung 4 sind sehr wichtig, da sie grobe oder zeilenförmig angeordnete MeII-Sulfide (zum Beispiel Mangansulfide) auf vorteilhafte Weise auf- oder anlösen, wobei sich - entsprechend der Gleichung 4 - neue sehr feine mikroskopische Ausscheidungen bilden. Der erfindungsgemäße Chrom-Stahl besitzt deshalb ein Gefüge mit vielen feinen Ausscheidungen (Fig. 4).

[0033] Damit Umlösungs- oder Freisetzungsreaktionen - entsprechend den zuvor beschriebenen Reaktionsgleichungen - ausreichend rasch und günstig ablaufen, sind folgende Voraussetzungen von Vorteil:
  • Zwischen den unterschiedlichen Ausscheidungen sollten die Diffusionswege klein sein, um die Reaktionszeiten kurz zu halten;
  • Verarmungszonen im Nahbereich von Ausscheidungen sollten abgebaut werden, um die Reaktivität der Ausscheidungen zu fördern;
  • die Wirkung von Reaktionstemperaturen und -zeiten sind so abzustimmen, daß die Reaktionen wie etwa nach Gleichung 3 innerhalb kurzer Zeit ablaufen.


[0034] Erfindungsgemäß sollte der Stahl daher zunächst einer oder mehreren möglichst starken Verformungen unterzogen werden, wodurch es zu Gleitverschiebungen und zu einer verbesserten Durchmischung der Gefügebestandteile kommt. Ferner werden dabei auch die Abstände zwischen den Ausscheidungen vorteilhaft verändert und Verarmungszonen abgebaut. Ein besonderer Vorteil der starken Verformung liegt in der Verkürzung der Diffusionswege, was wiederum eine wesentliche Steigerung der Reaktionsfähigkeit bewirkt.

[0035] Damit die erforderlichen Umlösungs- und Freisetzungsreaktionen auch mit ausreichender Geschwindigkeit ablaufen, wird der vorzugsweise kaltverformte Stahl bei 750 bis 1080° C geglüht (Fig. 5). In diesem Bereich finden Umlösungs- und Freisetzungsreaktionen unter Bildung von neuen bzw. in der Zusammensetzung veränderten Ausscheidungen - etwa nach Gleichung 4 - statt. Erfindungsgemäß kann ferner ein Schlußglühen bei bis 450° C stattfinden, um freigesetzte Schmiermittelmetalle oder neu gebildete Feinstausscheidungen zu verfestigen, in der Stahlmatrix auszuhärten, Spannungen abzubauen und die Härte oder Festigkeit des Stahls einzustellen. Beim Schlußglühen kann bei einer Temperatur von > 350° C bereits ein progressiver Abfall der Härte eintreten, was auf eine Entfestigung der Matrix schließen läßt.

[0036] Vorzugsweise wird der Stahl nach einem mindestens einmaligen Kaltverformen mit einem Verformungsgrad von über 65% 30 bis 60 Minuten bei 750 bis 1080° C geglüht und sodann innerhalb von 30 bis 180 Minuten bei schwacher Energiezufuhr geregelt auf eine Temperatur von 500 bis 700° C abgekühlt (Fig. 5). Dabei werden die während des Glühens entstandenen Ausscheidungen diffusionskontrolliert stabilisiert. Von besonderem Vorteil ist es, wenn der Stahl während des Abkühlens durch eine kurzfristige stärkere Wärmezufuhr auf einer Temperatur von beispielsweise 680° C gehalten wird (Fig. 5, Gleichung 4).

[0037] Die Erfindung wird nachfolgend anhand von Ausführungsbeispielen des Näheren erläutert.

[0038] In der Tabelle I sind die Zusammensetzungen von vier unter die Erfindung fallenden Legierungen E1 bis E4 sowie von acht Vergleichslegierungen V1 bis V8 zusammengestellt. Die Tabelle II gibt die jeweiligen K1-, K2- und K3-Werte sowie die Ergebnisse der Bearbeitungsversuche wieder. Dabei bezeichnet BV eine Kennzahl für den Bohrungsverlauf, BG die Gradbreite und BWG eine Kennzahl für die Oberflächengüte.

Beispiel 1



[0039] Ein Rohdraht der Zusammensetzung E2 mit einem Durchmesser von 6 mm wurde nach einer Beizbehandlung zunächst einer dreistufigen Kaltverformung mit einem Gesamtverformungsgrad von 85% unterworfen und sodann 30 Minuten bei einer Temperatur von 840° C in einer Schutzgasatmosphäre geglüht sowie anschließend innerhalb von 120 Minuten geregelt auf eine Temperatur von 600° C abgekühlt. Während des Abkühlens fand ein zweimaliges 15-minütiges Zwischenerwärmen bei einer Temperatur von 760 bzw. 680° C ohne Temperaturerhöhung statt, um ein gestuftes Abkühlen zum Stabilisieren der Ausscheidungen zu erreichen (vgl. Fig. 5, 4a).

[0040] Im Anschluß an das geregelte Abkühlen wurde der Draht ohne weitere Energiezufuhr an Luft abgekühlt und danach mit einem Verformungsgrad von 15% kalibriert. Dem Kalibrieren schloß sich ein 15-minütiges Schlußglühen bzw. Anlassen bei 340° C an. Der Draht besaß eine ausgezeichnete Bearbeitbarkeit mit Mikrowerkzeugen.

Beispiel 2



[0041] Ein Rohdraht der Zusammensetzung E3 mit einem Durchmesser ebenfalls von 6 mm wurde wiederum einer dreistufigen Kaltverformung mit einem Verformungsgrad von insgesamt 80% unterworfen und sodann 35 Minuten bei 900° C unter Schutzgas geglüht sowie von der Glühtemperatur innerhalb von 160 Minuten unter geringer Energiezufuhr mit konstanter Abkühlungsgeschwindigkeit zunächst auf eine Temperatur von 620° C geregelt abgekühlt. Dem schloß sich eine Abkühlung an Luft bis auf Raumtemperatur an. Der Draht wurde dann mit einem Verformungsgrad von 20% kalibriert und 30 Minuten bei 280° C angelassen sowie im angelassenen Zustand einer spanabhebenden Mikrobearbeitung mit den in Tabelle II verzeichneten Ergebnissen unterworfen.

[0042] Bei den Versuchen wurden zur Bewertung der Zerspanbarkeit Bohrversuche mit Hartmetallbohrern eines Durchmessers von 0,6 mm durchgeführt. Dabei wurde
  • das Bearbeitungsverhalten anhand der Geradlinigkeit der Bohrung untersucht und mit einem Kennwert BV gekennzeichnet,
  • die Gradbreite am Bohrungsrand bewertet und mit einem Kennwert BG zum Ausdruck gebracht sowie
  • die Glätte der Bohrungswandung mikroskopisch beurteilt und mit einem Kennwert BWG gekennzeichnet.


[0043] Die Geradlinigkeit der Mikrobohrungen wurde aus der Eintauchtiefe eines Stahlstifts entsprechend der Darstellung in Fig. 5 ermittelt. Aus der Eintauchtiefe E eines Prüfstifts entsprechend dem geraden Teil der Bohrung und der Bohrungslänge wurde als Verhältniswert BV entsprechend der Beziehung

als Kennwert für den Bohrungsverlauf ermittelt. Bei völlig geradliniger Bohrung ist die Kennzahl 0.

[0044] Des weiteren wurde die Gradbreite BG am Bohrungsrand unter einem Winkel von 20 bis 30° ausgemessen.

[0045] Schließlich wurde die Zerspanbarkeit in Gestalt des Ausmaßes und der Häufigkeit von Ausbrökelungen und Ausbrechungen im Inneren der Bohrung mikroskopisch festgestellt sowie in einen Kennwert BWG mit Werten von 1 bis 4 festgestellt. Der BWG-Wert von 1 steht für eine fehlerhafte Bohrung, während ein BWG-Wert von 4 starke Ausbrökelungen kennzeichnet. Die Darstellung in Fig. 7 veranschaulicht eine glatte Bohrung mit einem BWG-Wert von 1, während die Darstellung in Fig. 8 eine Bohrung mit zahlreichen Ausbrökelungen und einem BWG-Wert von 4 wiedergibt.






Ansprüche

1. Chromstahl aus

14% bis 20% Chrom

0,005% bis 0,05% Kohlenstoff

bis 0,01 % Stickstoff

0,2% bis 0,6% Silizium

0,3% bis 1,0% Mangan

0, 1 % bis 1,0% Molybdän

bis 0,8% Nickel

0,2% bis 1,0% Kupfer

0,02% bis 0,2% Selen

sowie einzeln oder nebeneinander

0,01% bis 0,1 % Blei

0,01% bis 0,5% Wismut

0,01 % bis 0,1 % Arsen

0,01 % bis 0, 1 % Antimon

0,005% bis 0,08% Vanadium

0,005% bis 0,08% Titan

0,005% bis 0,08% Niob

0,005% bis 0,08% Zirkonium

0,15% bis 0,65% Schwefel

bis 0,20% Tellur,

Rest Eisen einschließlich schmelzungsbedingter Verunreinigungen.
 
2. Chromstahl nach Anspruch 1 aus

14 bis 18% Chrom

0,01% bis 0,03% Kohlenstoff

bis 0,01 % Stickstoff

0,3% bis 0,5% Silizium

0,4% bis 0,7% Mangan

0, 1 % bis 0,6% Molybdän

bis 0,5% Nickel

0,2% bis 0,6% Kupfer

0,02% bis 0,20% Selen

   sowie einzeln oder nebeneinander

0,01% bis 0,05% Blei

0,01 % bis 0,3% Wismut

0,01 % bis 0,05% Arsen

0,01 % bis 0,05% Antimon

0,005% bis 0,08% Vanadium

0,005% bis 0,08% Titan

0,005% bis 0,08% Niob

0,005% bis 0,08% Zirkonium

0,15% bis 0,65% Schwefel

0,01% bis 0,20% Tellur,

   Rest einschließlich erschmelzungsbedingter Verunreinigungen Eisen.
 
3. Chromstahl nach Anspruch 1 oder 2, gekennzeichnet durch die Bedingung


 
4. Chromstahl nach einem der Ansprüche 1 bis 3, gekennzeichnet durch die Bedingung


 
5. Chromstahl nach einem der Ansprüche 1 bis 4, gekennzeichnet durch die Bedingung


 
6. Verfahren zum Wärmebehandeln eines kaltverformten Stahls der Zusammensetzung nach einem der Ansprüche 1 bis 5, dadurch gekennzeichnet, daß der Stahl nach mindestens einem Kaltverformen mit einem Verformungsgrad von insgesamt 65% bis 90% 30 bis 60 Minuten bei 750 bis 1080° C geglüht wird.
 
7. Verfahren nach Anspruch 6, dadurch gekennzeichnet, daß der Stahl von der Glühtemperatur innerhalb von 30 bis 180 Minuten unter schwacher Energiezufuhr auf 700 bis 500° C abgekühlt wird.
 
8. Verfahren nach Anspruch 7, dadurch gekennzeichnet, daß die Temperatur des Stahls während der Abkühlung mindestens einmal für 10 bis 30 Minuten annähernd konstant gehalten wird.
 
9. Verfahren nach einem der Ansprüche 6 bis 8, dadurch gekennzeichnet, daß der Stahl abschließend mindestens 30 Minuten einer Erwärmung bis max. 450 °C unterworfen wird.
 
10. Verwendung einer Legierung nach einem der Ansprüche 1 bis 9 zum Herstellen von Gegenständen zur Bearbeitung mit formgebenden Werkzeugen.
 
11. Verwendung einer Legierung nach einem der Ansprüche 1 bis 9 als Werkstoff für Gegenstände, die durch Mikrozerspanen hergestellt werden.
 
12. Verwendung einer Legierung nach den Ansprüchen 1 bis 9 zum Herstellen von Druckerdüsen, Schreibminenspitzen, Einspritzdüsen für chemische und elektronische Geräte, Spinndüsen sowie Gegenständen mit kleinen Abmessungen und/oder Ausnehmungen.
 




Zeichnung




























Recherchenbericht