(19)
(11) EP 1 674 371 A1

(12) EUROPÄISCHE PATENTANMELDUNG

(43) Veröffentlichungstag:
28.06.2006  Patentblatt  2006/26

(21) Anmeldenummer: 05025608.0

(22) Anmeldetag:  24.11.2005
(51) Internationale Patentklassifikation (IPC): 
B61L 27/00(2006.01)
B61L 25/02(2006.01)
(84) Benannte Vertragsstaaten:
AT BE BG CH CY CZ DE DK EE ES FI FR GB GR HU IE IS IT LI LT LU LV MC NL PL PT RO SE SI SK TR
Benannte Erstreckungsstaaten:
AL BA HR MK YU

(30) Priorität: 22.12.2004 DE 102004063049

(71) Anmelder: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V.
51147 Köln (DE)

(72) Erfinder:
  • Strang, Thomas, Prof. Dr.
    82205 Gilching (DE)
  • Meyer zu Hörste, Michael, Dr.-Ing.
    38116 Braunschweig (DE)

(74) Vertreter: Gerstein, Hans Joachim et al
Gramm, Lins & Partner GbR Patent- und Rechtsanwaltssozietät Theodor-Heuss-Strasse 1
38122 Braunschweig
38122 Braunschweig (DE)

   


(54) Verfahren und Vorrichtung zur Zugsignalisierung


(57) Es wird ein Verfahren zur Zugsignalisierung offenbart, bei dem eine von einem Positionsbestimmungssystem ermittelte Zugposition an eine Signalisierungseinheit (18) gesendet wird, in der Streckenpunkte und zugeordnete Signalisierungsdaten hinterlegt sind, und bei Übereinstimmung der Zugposition mit einem hinterlegten Streckenpunkt von der Signalisierungseinheit (18) dem Streckenpunkt zugeordnete Signalisierungsdaten an die Zugsteuereinheit (9) gesendet werden, die die Signalisierungsdaten auswertet. Erfindungsgemäß ist vorgesehen, dass die in der Signalisierungseinheit (18) hinterlegten Streckenpunkte und/oder Signalisierungsdaten modifiziert werden können. Ferner wird ein System zur Zugsignalisierung vorgestellt.




Beschreibung


[0001] Die vorliegende Erfindung betrifft ein Verfahren zur Zugsignalisierung, bei dem eine von einem Positionsbestimmungssystem ermittelte Zugposition an eine Signalisierungseinheit gesendet wird, in der Streckenpunkte und zugeordnete Signalisierungsdaten hinterlegt sind, und bei Übereinstimmung der Zugposition mit einem hinterlegten Streckenpunkt von der Signalisierungseinheit dem Streckenpunkt zugeordnete Signalisierungsdaten an die Zugsteuereinheit gesendet werden, die die Signalisierungsdaten auswertet. Weiterhin betrifft die vorliegende Erfindung ein System zur Durchführung des Verfahrens.

[0002] Derzeit zwingen länderspezifische und daher unterschiedliche Zugsicherungssysteme für den schienengebundenen Verkehr noch zu kostenintensiven Mehrfachausrüstungen auf Triebfahrzeugen für den grenzüberschreitenden Verkehr in Europa. Deshalb wird ein System entwickelt, das im Hinblick auf eine einheitliche Lösung zur weiteren Standardisierung von Sicherungsanlagen auf Triebfahrzeugen beiträgt und damit zugleich Kosten senkt. Dieses neue European Train Control System (ETCS) im European Railed Transport Management System (ERTMS) bildet die technische Grundlage für den interoperablen Bahnbetrieb in Europa.

[0003] Die ETCS-Spezifikation umfasst drei zentrale technische Ausrüstungslevel, die von 1 bis 3 durchnummeriert sind. Darüber hinaus wird die Fahrt in nicht ausgerüsteten Regionen bzw. Streckenabschnitten vereinfachend als Level 0 bezeichnet. Diese Level stellen keine Evolution oder Migrationsreihenfolge dar, sondern den Bereich der möglichen Anpassung an nationale, regionale oder betriebliche Anforderungen. In der ETCS-Spezifikation werden je nach Level verschiedene infrastrukturseitige bzw. gleisseitige wie zugseitige Komponenten vorgeschrieben, zu denen in Level 1 bis 3 infrastrukturseitig sogenannte Balisen gehören.

[0004] Eine Balise ist ein passiver Transponder, der bei der Überfahrt durch einen Zug angeregt wird und anschließend Nachrichten an den Zug sendet. Eine an dem Zug angeordnete Antenne aktiviert während der Überfahrt die Balise durch Aussenden eines Energiesignals. Die Balise nutzt diese Energie, um Informationen zu senden, die im Zug empfangen und über einen internen Datenbus an eine Zugsteuereinheit zur Auswertung weitergeleitet werden.

[0005] Man unterscheidet hierbei generell zwei Typen der Balisen. Erstens Festdatenbalisen, die einen festen Datensatz, beispielsweise einen Ortscode, übertragen. Die Daten sind fest in der Balise gespeichert, lassen sich aber unter Verwendung eines Programmiergerätes kontaktlos umprogrammieren. Und zweitens transparente bzw. schaltbare Balisen, die an eine Signalquelle gekoppelt sind und in Abhängigkeit vom anliegenden Signal verschiedene Datensätze übertragen können. Dies können beispielsweise aus der Signalstellung resultierende Anweisungen zur Geschwindigkeitssteuerung sein.

[0006] Balisen werden u. a. zur Übermittlung einer Identität zur topologischen Ortsreferenzierung ("elektronischer Kilometerstein") verwendet, können aber auch umfangreichere Nachrichten übermitteln. Die Empfangseinrichtung im Zug wird als Balisenübertragungseinheit (Balise Transmission Modul - BTM) bezeichnet, die selbst wieder an das ETCS-Fahrzeuggerät bzw. die Zugsteuereinheit angeschlossen ist, welches u. a. die empfangenen Signalinformationen verarbeitet. Das ETCS-Fahrzeuggerät kann damit die Signalinformationen, beispielsweise ein Stopsignal, sowie die Positionsinformationen auswerten. Das ETCS-Fahrzeuggerät steht darüber hinaus temporär über eine bahnspezifisch modifizierte Mobilfunkverbindung durch eine so genannte Radio Infill Unit (RIU) mit dem zuständigen ETCS Radio Block Center in Verbindung. Das ETCS Radio Block Center ist eine Zentrale zur Steuerung des schienengebundenen Verkehrs.

[0007] Die Verbauung der Balisen in der Infrastruktur führt allerdings zu relativ hohen Kosten. Das führt beispielsweise dazu, dass zwar der Ausrüstungsgrad der europäischen Hauptstrecken mit Balisen recht hoch ist und somit die Blockgröße angemessen klein ist. Mit Blockgröße wird hierbei der Abstand zwischen zwei verbauten Balisen bezeichnet. Auf Nebenstrecken ist jedoch aufgrund des Kostendrucks die Dichte der Verbauung wesentlich geringer. Dies führt zu einer ungenaueren und inhärent diskreten Zugortung und folglich zu einer schlechteren Ausnutzung der Kapazität der Strecke.

[0008] In vielen Regionen, beispielsweise in neuen EU-Ländern und in Südosteuropa, ist ferner die betriebliche Interoperabilität nicht gewährleistet, da viele Regional- und Nebenverkehrstrecken als Strecken mit ETCS-Level 0 überhaupt nicht mit Balisen ausgerüstet sind. In diesen Regionen drohen gar durch die Forderung nach Interoperabilität mit ETCS-Level 1 bis 3 ein massiver Streckenabbau und eine Verlagerung des Verkehrs auf die Straße.

[0009] Weiterhin ist von Nachteil, dass die örtliche Veränderung von Balisen sehr unflexibel und teuer ist. Derzeit werden Balisen - sofern an der richtigen Stelle vorhanden - auch zusätzlich dazu verwendet, herannahenden Zügen anzuzeigen, dass sich im weiteren Gleisbereich Bauarbeiter aufhalten bzw. Bauarbeiter vor herannahenden Zügen zu warnen. Eine Ummontage der Balisen ist sehr aufwendig. Deshalb müssen die Bauarbeiter üblicherweise Gleiskontakte auslegen und diese über zum Teil einige Kilometer lange Kabel mit einer Hornanlage verbinden. Bei einem Überfahren der Kontakte durch den Zug wird diese Hornanlage ausgelöst und dadurch den Bauarbeitern akustisch angezeigt, dass sie nur noch wenig Zeit haben, üblicherweise nur wenige Sekunden, um den Gefahrenbereich der Gleisbaustelle sicher und ungefährdet zu verlassen.

[0010] In dem Artikel "The RUNE Projekt: Design and Demonstration of a GPS/EGNOS-Based Railway User Navigation Equipment" von Angelo Ganghi et al., ION GPS/GNSS 2003, 9-12 September 2003, Portland, OR, wird ein System zur Bestimmung von dem zurückgelegten Weg und der Geschwindigkeit auf der Basis der GNSS-Information beschrieben. An bestimmten, vorher festgelegten Referenzpunkten werden definierte Ereignisse ausgelöst. Durch die festgelegten Referenzpunkte, sind auf die Weise virtuelle Balisen implementiert. Nachteil des RUNE-Projektes ist, dass die Referenzpunkte vor dem Fahrtbeginn festgelegt werden und erst verändert werden können, wenn das System bei einem Stillstand des Zuges neu implementiert wird. Folglich ist es mit einer virtuellen Balise gemäß dem RUNE-Projekt nicht möglich, zeitnah die Zugsignalisierung an aktuelle Umstände anzupassen.

[0011] Vor diesem Hintergrund ist es die Aufgabe der vorliegenden Erfindung, eine Zugsignalisierung anzugeben, durch die eine Anpassung an besondere Situationen zeitnah ermöglicht ist.

[0012] Diese Aufgabe wird durch ein Verfahren mit den Merkmalen des Anspruchs 1 sowie durch ein System mit den Merkmalen des Anspruchs 7 gelöst.

[0013] Erfindungsgemäß können bei einem gattungsgemäßen Verfahren die der Signalisierungseinheit hinterlegten Streckenpunkte und/oder zugeordnete Signalisierungsdaten modifiziert werden.

[0014] Durch das erfindungsgemäße Verfahren wird eine zeitnahe Anpassung der virtuellen Balise generiert, d.h. die Zugsteuereinheit erhält die erforderliche Information, die die aktuelle und besondere Situation berücksichtigt. Hierzu sind in der Signalisierungseinheit Ortskoordinaten der festgelegten Streckenpunkte gespeichert, für die jeweilige Signalisierungsdaten hinterlegt sind. Die von dem Positionsbestimmungssystem an die Signalisierungseinheit übermittelten Zugpositionen werden von dieser überwacht und bei dem Durchfahren einer Position, die zu einem bestimmten Streckenpunkt gehört, werden die entsprechenden Signalisierungsdaten an die Zugsteuereinheit gesendet. Die Zugsteuereinheit wird nun die empfangenen Signalisierungsdaten genauso auswerten, wie im Stand der Technik die von im Streckennetz verbauten physikalischen Balisen bei dem Überfahren an das Triebfahrzeug gesendeten Nachrichten. Durch die zeitnahe Anpassung können Veränderungen in der Verkehrsplanung bzw. Streckenführung berücksichtigt werden.

[0015] Hierdurch können auch Streckenabschnitte mit einem schwachen und mäßigen Verkehr (SMV), für die eine Verbauung mit physischen Balisen aus Kostengründen unwirtschaftlich und nicht sinnvoll wäre, für den schienengebundenen Verkehr genutzt werden.

[0016] In einer vorteilhaften Ausgestaltung ist vorgesehen, dass die in der Signalisierungseinheit hinterlegten Streckenpunkte und/oder Signalisierungsdaten über eine Funkverbindung von einer Zentrale aus modifiziert werden können, beispielsweise über eine bahn-spezifisch modifizierte Funkverbindung wie GSM-R von dem zuständigen ETCS Radio Block Center. Dadurch ist eine Anpassung auch nach Fahrtantritt ermöglicht.

[0017] Bei einer vorteilhaften Ausführungsform des erfindungsgemäßen Verfahrens ist vorgesehen, dass die Streckenpunkte in Abhängigkeit aktueller Randbedingungen dynamisch bestimmt werden. Diese Randbedingungen werden vorteilhaft von am Zug vorgesehenen Sensoren erfasst. Parameter können beispielsweise aktuelle Zuggeschwindigkeit, Höchstgeschwindigkeit, maximales Beschleunigungs- und Bremsvermögen aber auch Zuglänge und witterungsabhängige Einflüsse sein.

[0018] Bevorzugt wird zur Positionsbestimmung ein Satellitennavigationssystem (Global Navigation Satellite System - GNSS), beispielsweise Galileo, verwendet. Dies ermöglicht die Ausführung des Verfahrens auf allen Streckenabschnitten, die nicht überbaut sind (Tunnel o. ä.), in dem gesamten grenzüberschreitenden Gebiet, in dem Signale von Galileo-Satelliten empfangen werden können.

[0019] Eine weitere bevorzugte Ausgestaltung des erfindungsgemäßen Verfahrens sieht vor, dass von der Zugsteuereinheit in Abhängigkeit von den Signalisierungsdaten die Aussendung eines Funksignals zur Verkehrssteuerung und/oder Warnung ausgelöst wird.

[0020] Schließlich ist bei einer vorteilhaften Ausführungsform des erfindungsgemäßen Verfahrens vorgesehen, dass bei einem Überfahren einer physischen Balise die von der Balise übertragenen Daten anhand der in der Signalisierungseinheit hinterlegten und dem Streckenpunkt zugeordneten Signalisierungsdaten überprüft werden. Dies eröffnet die Möglichkeit, die virtuelle Balise zur Überwachung und Kontrolle physischer Balisen einzusetzen.

[0021] Das System zur Durchführung des erfindungsgemäßen Verfahrens weist ein Positionsbestimmungssystem zur Ermittlung der Zugposition, eine Signalisierungseinheit, in der Streckenpunkte und zugeordnete Signalisierungsdaten modifizierbar hinterlegt sind, und eine Zugsteuereinheit zur Auswertung der Signalisierungsdaten auf. Hierdurch wird ein triebfahrzeug- bzw. zugseitiges System geschaffen, das durch fahrzeugseitige Ermittlung der aktuellen Zugposition und Abgleich der Zugposition mit fahrzeugseitig hinterlegten Streckenpunkten Signalisierungsdaten für die Zugsignalisierung einer Zugsteuereinheit unter Berücksichtigung besonderer Situationen zur Verfügung stellt. Das hier geschaffene System ist unabhängig von möglichen im Streckennetz verbauten Balisen.

[0022] Bevorzugt weist das Positionsbestimmungssystem ein Satellitennavigationssystem auf.

[0023] Vorteilhaft ist das erfindungsgemäße System mit einer Zugsteuereinheit ausgerüstet, die zu dem European Train Control System (ETCS) im European Rail Transport Management System (ERTMS) kompatibel ist. Hierdurch wird die Möglichkeit für ein europaweit einheitliches Zugsignalisierungssystem geschaffen.

[0024] Bevorzugt weist das erfindungsgemäße System ein Sende/Empfangsgerät zum Empfangen von Funknachrichten zur Modifizierung der hinterlegten Streckenpunkte und/oder Signalisierungsdaten und/oder zum Senden von Steuerdaten an eine Zentrale oder einer Warnnachricht an eine Warneinrichtung auf. Hierdurch besteht die Möglichkeit, zeitnah und situationsabhängig den Schienenverkehr zu steuern.

[0025] Nachfolgend wird die vorliegende Erfindung anhand eines Ausführungsbeispiels und den beigefügten Zeichnungen beispielhaft näher erläutert. Diese zeigen in:
Figur 1 -
eine schematische Darstellung des erfindungsgemäßen Systems zur Zugsignalisierung,
Figur 2 -
in der Draufsicht eine vereinfachte Darstellung eines Zugstreckenabschnitts.


[0026] In Figur 1 ist ein erfindungsgemäßes System zur Zugsignalisierung schematisch skizziert. In der Figur ist ein schienengebundenes Triebfahrzeug 1 gezeigt. Das Triebfahrzeug 1 weist in seinem vorderen Bereich einen Steuerstand 2 auf, an dem das Triebfahrzeug 1 durch einen Triebfahrzeug- bzw. Zugführer 3 gesteuert und bedient wird. Bei dem hier gezeigten Triebfahrzeug 1 handelt es sich um eine auf Schienen 4 fahrende Elektrolok mit Stromabnehmern 5. In den Schienen 4 ist ein Gleisstromkreis integriert. Ferner sind herkömmlich bekannte Balisen 6 und 7 gezeigt. Die Balisen 6 und 7 sind passive Transponder, die bei einer Überfahrt durch das Triebfahrzeug 1 angeregt werden und anschließend Nachrichten an den Zug senden.

[0027] An der Unterseite des Triebfahrzeugs 1 ist eine Empfangseinrichtung 8 angeordnet, die auch als Balisenübertragungseinheit (Balise Transmission Modul - BTM) bezeichnet wird. Die Empfangseinrichtung 8 ist über einen zuginternen Datenbus mit einer Zugsteuereinheit 9 verbunden, die im vorliegenden Beispiel ein ETCS-Fahrzeuggerät ist. Die Zugsteuereinheit 9 wertet die von der Balise 6 gesendeten Signalisierungsdaten aus und leitet ausgewertete Signalinformationen an den Fahrzeugstand 2 weiter.

[0028] Die Figur 1 zeigt ferner eine Signalquelle 10, die über eine Leitung 11 mit einem Stellwerk 12 verbunden ist und von dem Stellwerk 12 gesteuert wird. Ferner ist die Signalquelle 10 mit einer gleisseitig angeordneten elektronischen Einheit 13 (Lineside Electronic Unit - LEU) verbunden, die über eine Leitung 14 mit der schaltbaren Balise 7 verbunden ist. Bei einem Überfahren der Balise 7 durch das Triebfahrzeug 1 werden von dieser Datensätze in Abhängigkeit des an der Signalquelle 10 anliegenden Signals übertragen.

[0029] Das Triebfahrzeug 1 weist ferner ein Positionsbestimmungssystem 15 auf, das über eine Antenne 16 Satellitensignale zur Positionsbestimmung empfängt. Zur Vereinfachung ist in der Figur 1 lediglich ein Satellit 17 gezeigt, der beispielsweise Bestandteil des Satellitennavigationssystems Galileo ist. Die vorstehend beschriebenen Bestandteile des Systems sind bereits im Stand der Technik bekannt. Nachfolgend werden die erfindungsgemäß zusätzlichen Komponenten und ihre Funktion beschrieben.

[0030] Die ermittelten Positionsdaten werden von dem Positionsbestimmungssystem 15 an eine Signalisierungseinheit 18 weitergeleitet. Die Signalisierungseinheit 18 bildet die übermittelte Positionsinformation auf die zugseitig gemäß ETCS-Spezifikation vorhandene topologische Streckenkarte ab. Die Signalisierungseinheit 18 kann dann an in der Signalisierungseinheit 18 hinterlegten, frei wählbaren Streckenpunkten diesen zugeordnete Signalisierungsdaten an die Zugsteuereinheit 9 absetzen, die von der Zugsteuereinheit 9 in der üblichen Weise ausgewertet und weitergeleitet werden. Die Streckenpunkte und/oder die Signalisierungsdaten sind dabei unter Berücksichtigung aktueller Ereignisse und Randbedingungen modifizierbar. Da auf diese Weise die Zugsteuereinheit 9 ortsspezifische Signalisierungsdaten empfängt, ohne dass notwendigerweise eine der beiden Balisen 6, 7, die im Schienennetz 4 verbaut sind, eine entsprechende Signalnachricht senden, kann die Signalisierungseinheit 18 auch als virtuelle Balise bezeichnet werden.

[0031] Die Zugsteuereinheit 9 wertet die Signalisierungsinformation sowie die Positionsinformation aus. Ferner kann die Zugsteuereinheit 9 zeitweise über eine bahnspezifisch modifizierte Mobilfunkverbindung (GSM-R) durch eine an dem Triebfahrzeug 1 angeordnete Radio Infill Unit (RIU) 19 mit einer zuständigen externen Zentrale 20, beispielsweise ein ETCS Radio Block Center, in Verbindung stehen. Über diese Funkverbindung kann die Zugposition sowie weitere Fahrparameter der Zentrale 20 übermittelt werden, wodurch in der Zentrale 20 die Informationen über mehrere Züge entsprechend zur Steuerung des Gesamtverkehrs verwendet werden können. Die Ausnutzung der Streckenkapazitäten ist somit optimiert und Wartezeiten einzelner Züge können auf das unbedingt erforderliche Maß reduziert werden.

[0032] Da die Zentrale 20 auch weitere Bahninfrastruktur ansteuert, beispielsweise Weichen und Bahnübergänge, können diese zu einem optimalen Zeitpunkt angesteuert werden. Dieser Zeitpunkt ist in der Regel abhängig von der Zugposition und den Fahrparametern. Unnötiges langes Warten von Straßenfahrzeugen vor einem Bahnübergang kann somit vermieden werden.

[0033] Die Hinterlegung der den Streckenpunkten zugeordneten Signalisierungsdaten in der zugseitigen Signalisierungseinheit 18 kann statisch oder dynamisch erfolgen, beispielsweise per Eingabe durch den Fahrzeugführer 3 am Fahrzeugstand 2 oder über die modifizierte Mobilfunkverbindung von dem zuständigen externen ETCS Radio Block Center 20 aus. Auch können von zugseitig vorhandenen Sensoren ermittelte Parameter im System Berücksichtigung finden.

[0034] Im statischen Fall bildet die virtuelle Balise bzw. die Signalisierungseinheit 18 einen Ersatz für physische, verbaute Balisen. Mit Hilfe des Positionsbestimmungssystems 15 werden an bestimmten Streckenpunkten, die vorher festgelegt werden, die jeweiligen Signalisierungsdaten an die Zugsteuereinheit 9 übergeben. Im dynamischen Fall werden diese Streckenpunkte, die bestimmte Signalisierungsdaten erfordern dynamisch ermittelt. Die Anforderungen, nach denen die dynamische Ermittlung erfolgt, sind unter anderem abhängig von den Fahrparametern des Zuges, beispielsweise die aktuelle Geschwindigkeit, die Höchstgeschwindigkeit, maximales Brems- sowie Beschleunigungsvermögen. Somit werden die Streckenpunkte für eine Auslösung bestimmter Signalisierungsdaten auch in Abhängigkeit von dem Verhalten des Fahrzeugs oder Zuges bestimmt.

[0035] Der dynamische Fall erlaubt ferner die zeitnahe Anpassung der Signalisierungsdaten an besondere verkehrstechnische Situationen. Dies kann beispielsweise eine stetig aktualisierte Kennzeichnung einer Gleiswanderbaustelle sein. Der Einsatz der virtuellen Balise bzw. die Signalisierungseinheit 18 bei einer stetig verändernden Ortsposition eines Streckenpunktes ist vom Aufwand her in keiner Weise mit der Ummontage physischer Balisen 6, 7 zu vergleichen. Die Verwendung virtueller dynamischer Balisen erlaubt es, auf ETCS-Level 0 Strecken einen gewissen Grad an Interoperabilität zu erreichen, so dass durch geeignete betriebliche Maßnahmen zwei ETCS-Level 1 bis 3 Strecken durch eine so ausgestattete ETCS-Level 0 Strecke miteinander verbunden werden können.

[0036] Damit ist die operative Durchgängigkeit gewährleistet, sofern keine sonstigen Hindernisse, beispielsweise veränderliche Spurbreiten oder unterschiedliche Stromsysteme, vorliegen. Das Verfahren ist somit auch eine Verbesserung der Migrationsfähigkeit vorhandener Systeme auf Kompatibilität zu der ETCS-Spezifikation. Eine satellitengestützte Lösung bietet ferner die Chance, ohne Antastung der bestehenden Systeme eine neue einheitliche Lösung zu schaffen.

[0037] Die hier vorgestellte virtuelle Balise bzw. die Signalisierungseinheit 18 kann zusätzlich zur Verifikation und Überwachung verbauter, physischer Balisen 6, 7 dienen. Hierzu sind in der Zugsteuereinheit 9 Prüfroutinen hinterlegt, die in einem normaloperativen Betrieb die korrekte Funktionsfähigkeit physischer Balisen 6, 7 überprüfen. Die von den Balisen 6, 7 empfangenen Signalisierungsdaten werden mit den Signalisierungsdaten verglichen, die für die definierten Streckenpunkte bzw. für die geografischen Positionsangaben in der Signalisierungseinheit 18 hinterlegt sind. Diese Überwachung führt zu einer höheren Sicherheit für den schienengebundenen Verkehr.

[0038] Anhand der Figur 2 wird die Erfindung am Beispiel einer zu sichernden Wanderbaustelle 21 beschrieben. Es ist eine stark vereinfachte Draufsicht auf einen Streckenabschnitt mit Gleisen 4 zu erkennen, auf dem ein Zug mit einem Triebfahrzeug 1 in Richtung des Pfeils 22 fährt. Zur Positionsbestimmung empfängt das Triebfahrzeug 1 Signale eines Satellitennavigationssystems, das hier durch den Satelliten 17 repräsentiert wird. Es ist in der Figur 2 eine physische Balise 6 dargestellt, die bei einem Überfahren eine Signalisierung auslöst und zusätzlich mittels einer Hornanlage 25 an der Wanderbaustelle 21 ein akustisches Wamsignal auslöst. Hierfür ist an der Position der Balise 6 zusätzlich ein mit der Hornanlage verbundener Gleiskontakt vorgesehen.

[0039] In dem Fall, dass der Zug sich bereits hinter der letzten physischen Balise 6 befindet, aber die Fahrt nicht normal fortgesetzt hat, beispielsweise weil er nach einer Notbremsung und längerem Stillstand wieder anfährt, ist eine Warnung für die Wanderbaustelle 21 nicht mehr auslösbar. Mit Hilfe der virtuellen Balise, die in der Figur 2 durch ein Balisensymbol 23 dargestellt wird, kann sichergestellt werden, dass bei dem Überfahren des der virtuellen Balise 23 zugeordneten Streckenpunktes durch den Zug die Hornanlage 25 ausgelöst wird.

[0040] Die Position der virtuellen Balise kann zusammen mit den üblichen Parametern vor Beginn der Abfahrt eines Zuges definiert werden. Diese statische Vorgehensweise berücksichtigt allerdings nicht, dass die Wanderbaustelle 21 ihre Position während der Fahrt des Zuges verändern kann. Besser ist daher eine dynamische Anpassung der definierten Position bzw. der Streckenpunkte zur Auslösung einer Signalisierung noch während der Zugfahrt. Dies kann beispielsweise per Cell-Broadcast im GSM-R (in entsprechend funktechnisch abgedeckten Gebieten) oder per Geocast (beispielsweise DVB-T/S, DAB) erfolgen. Insbesondere könnte hier auch das mit Galileo eingeführte Two-Way-Messaging-Verfahren gewinnbringend eingesetzt werden, da dieses System inhärent eine globale Abdeckung haben wird und die verfügbare Bandbreite für diese Art der Anwendung absolut ausreichen würde.

[0041] Durch ein geeignetes Konfigurationsterminal wäre bei einem dynamischen Verfahren der Bautrupp selbst in die Lage versetzt, die virtuelle Warnbalise entsprechend der Bedürfnisse in ausreichendem Abstand hinter sich herzuziehen. Dies bedeutet, dass nach einer Verschiebung bzw. Wanderung der Gleisbaustelle 21 in Fahrtrichtung 22 des Zuges die Signalisierung erst an einem späteren Streckenpunkt ausgelöst wird, der mit der Bezugsziffer 24 als virtuelle Balise in der Figur 2 dargestellt ist.

[0042] Die Auslösung der Hornanlage 25 kann wiederum auch auf verschiedenen Kommunikationswegen erfolgen. So kann die virtuelle Balise 23 bzw. 24 die Hornanlage 25 beispielsweise direkt per Funk ansprechen, wenn diese sich in der Reichweite einer entsprechenden zusätzlichen Sende- und Empfangseinrichtung im Zug befindet. Ebenso kann die mit ETCS zugseitig vorhandene GSM-R Sende- und Empfangseinrichtung (RIU) bei entsprechender Netzabdeckung in der Region dazu verwendet werden, die im Profil der virtuellen Balise 23, 24 hinterlegte Telefonnummer der zu alarmierenden Hornanlage 25 anzurufen.

[0043] Optimal im Sinne der Verfügbarkeit ist jedoch die Auslösung per erweitertem Galileo-SAR-Dienst, in dem die Auslösung als spezifische SAR Distressed Message erfolgt und der mit Galileo neu eingeführte SAR Rückkanal dazu verwendet wird, sowohl dem Zug das Absetzen der Meldung zu bestätigen, als auch gleichzeitig die Hornanlage über die Auslösung zu informieren. Hierbei ist insbesondere von Vorteil, dass der Galileo SAR Rückkanal als Geocast angesehen werden kann und in plausiblen Szenarien immer davon auszugehen ist, dass sich die Hornanlage 25 im gleichen geografischen Gebiet wie die auslösende Balise 24 befindet.

[0044] Bei allen genannten Kommunikationsverfahren zur Auslösung der Hornanlage 25 ist die maximale Verbindungsaufbauzeit zu beachten, da hier jede Verzögerung bei schnell fahrenden Zügen die Vorwarnzeit des Bautrupps minimiert. Das hier beschriebene Verfahren geht von der Grundlage aus, dass bestimmte Reaktionen nach definierten zeitlichen oder räumlichen Anforderungen bestimmt werden, die auch von festen Randbedingungen des Fahrzeugs oder Zugs abhängen, beispielsweise Höchstgeschwindigkeit und maximales Beschleunigungs- und Bremsvermögen. Hiermit ergeben sich die Möglichkeiten, Einschalt- und Ausschaltpunkte - allgemeine Refferenzpunkte für die Auslösung von Ereignissen - dynamisch in Abhängigkeit vom Verhalten des Fahrzeugs oder Zugs zu bestimmen. Konkret wird die Warnung des Bautrupps der Wanderbaustelle 21 genau in dem Moment ausgelöst, an dem die minimale Zeit bis zur Ankunft an der Baustelle 21 für genau diesen Zug erreicht ist.


Ansprüche

1. Verfahren zur Zugsignalisierung, bei dem eine von einem Positionsbestimmungssystem ermittelte Zugposition an eine Signalisierungseinheit (18) gesendet wird, in der Streckenpunkte und zugeordnete Signalisierungsdaten hinterlegt sind, und bei Übereinstimmung der Zugposition mit einem hinterlegten Streckenpunkt von der Signalisierungseinheit (18) dem Streckenpunkt zugeordnete Signalisierungsdaten an die Zugsteuereinheit (9) gesendet werden, die die Signalisierungsdaten auswertet, dadurch gekennzeichnet, dass die in der Signalisierungseinheit (18) hinterlegten Streckenpunkte und/oder Signalisierungsdaten modifiziert werden können.
 
2. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die in der Signalisierungseinheit hinterlegten Streckenpunkte und/oder Signalisierungsdaten über eine Funkverbindung von einer Zentrale modifiziert werden können.
 
3. Verfahren nach einem der vorstehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Streckenpunkte und/oder Signalisierungsdaten in Abhängigkeit aktueller Randbedingungen dynamisch bestimmt werden.
 
4. Verfahren nach einem der vorstehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass zur Positionsbestimmung ein Satellitennavigationssystem verwendet wird.
 
5. Verfahren nach einem der vorstehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass von der Zugsteuereinheit in Abhängigkeit von den Signalisierungsdaten die Aussendung eines Funksignals zur Verkehrssteuerung und/oder Warnung ausgelöst wird.
 
6. Verfahren nach einem der vorstehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass bei einem Überfahren einer physischen Balise die von der Balise übertragenen Daten anhand der in der Signalisierungseinheit hinterlegten und dem Streckenpunkt zugeordneten Signalisierungsdaten überprüft werden.
 
7. System zur Durchführung eines Verfahrens nach einem der Ansprüche 1 bis 6, mit einem Positionsbestimmungssystem (15) zur Ermittlung der Zugposition, einer Signalisierungseinheit (18), in der Streckenpunkte und zugeordnete Signalisierungsdaten modifizierbar hinterlegt sind, und einer Zugsteuereinheit (9) zur Auswertung der Signalisierungsdaten.
 
8. System nach Anspruch 7, dadurch gekennzeichnet, dass das Positionsbestimmungssystem (15) ein Satellitennavigationssystem aufweist.
 
9. System nach Anspruch 7 oder 8, dadurch gekennzeichnet, dass die Zugsteuereinheit (9) zu dem European Train Control System (ETCS) im European Rail Transport Management System (ERTMS) kompatibel ist.
 
10. System nach einem der Ansprüche 7 bis 9, dadurch gekennzeichnet, dass ein Sende-/Empfangsgerät (19) zum Empfangen von Funknachrichten zur Modifizierung der hinterlegten Streckenpunkte und/oder Signalisierungsdaten und/oder zum Senden von Steuerdaten an eine Zentrale oder einer Warnnachricht an eine Warneinrichtung vorgesehen ist.
 




Zeichnung










Recherchenbericht