[0001] Die Erfindung betrifft ein Verfahren zur Berechnung energie- und verfahrenstechnischer
Prozesse, insbesondere des Wärmekreislaufs von Kraftwerken, mittels eines auf mindestens
einer Bilanzgleichung des ersten thermodynamischen Hauptsatzes beruhenden rechentechnischen
Modells sowie eine Vorrichtung zur Durchführung dieses Verfahrens.
[0002] Bei einem im Stand der Technik bekannten gattungsgemäßen Verfahren werden stationäre
technische Prozesse im Bereich der Energie- und Verfahrenstechnik durch eine physikalische
Modellbildung zu einem mathematischen Modell formuliert. Dieses Modell weist die Bilanzgleichungen
des ersten thermodynamischen Hauptsatzes (Massen-, Energie- und Impulsbilanz) auf.
Weiterhin können für bestimmte Variablen des Modells feste Werte durch das Einfügen
von Randbedingungen in Form von Gleichungen vorgegeben werden. Beispielsweise kann
vorgegeben werden, dass kein Kühlwasser in eine Temperiereinheit von frisch erzeugtem
Dampf eingesprüht wird. Dazu wird die Bedingung

zu den Gleichungen des Modells hinzugefügt. Insgesamt besteht das Modell dann aus
einem Vektor mit n Gleichungen und der gleichen Anzahl an unbekannten Variablen. Ein
solches System wird als quadratisches System bezeichnet.
[0003] Nach dem Aufstellen der Bilanzgleichungen sowie der die Randbedingungen definierenden
Gleichungen im Rahmen einer Phase 1 wird dann durch ein Simulationsprogramm im Rahmen
einer Phase 2 eine Newton-Iteration zum Auffinden einer ersten Näherungslösung des
vorliegenden Gleichungssystems durchgeführt. Daraufhin wendet sich das Simulationsprogramm
wieder Phase 1 zu, in der die Randbedingungsgleichungen anhand der aufgefundenen Näherungslösung
überprüft und ggf. abgeändert werden.
[0004] Anknüpfend an das vorstehend angeführte Beispiel wird dabei etwa überprüft, ob die
ermittelte Temperatur des Frischdampfes einen bestimmten Grenzwert überschritten hat,
in welchem Fall dann eine Randbedingung in Form einer Gleichung eingeführt wird, in
der die Frischdampftemperatur auf diesen Grenzwert festgelegt ist. Im Gegenzug wird
dann die Zuführrate des Kühlwassers in die Temperiereinheit nicht mehr fest vorgegeben,
sondern als Variable definiert. Das heißt die Randbedingung m
Sprüh = 0 wird aus dem Gleichungssystem herausgenommen, was zur Folge hat, dass die nächste
Näherungslösung einen berechneten Wert für m
Sprüh enthält. Daraufhin tritt der Simulationsalgorithmus wieder in Phase 2 ein, in welcher
eine weitere Newton-Iteration vorgenommen wird. Phase 1 und Phase 2 werden solange
iterativ wiederholt, bis die Variablen sich innerhalb der gewünschten Bandbreiten
befinden und die gewünschten Toleranzen der Näherungsrechnung erfüllt sind.
[0005] Die Durchführung dieses Algorithmuses ist relativ umständlich und damit zeitaufwändig.
Die so erlangte Lösung muss weiterhin auf Plausibilität geprüft werden. Dabei wird
die Lösung auf logische Fehler hin überprüft. Dies umfasst beispielsweise die Prüfung,
ob die Temperatur am Ausgang eines Wärmetauschers höher ist als an ihrem Eingang.
Weitere logische Überprüfungen beinhalten etwa das Auftreten negativer Lösungen für
Variablen, für die derartigen Lösungen ausgeschlossen sind. Werden in dieser Phase
Inplausibilitäten entdeckt, muss das gesamte Simulationsmodell überarbeitet und daraufhin
neu berechnet werden. Die Fehleridentifizierung wird manuell vorgenommen und erfordert
meist aufwändige Untersuchungen.
[0006] Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, die oben genannten Nachteile zu überwinden
und insbesondere ein Verfahren sowie eine Vorrichtung zur Berechnung energie- und
verfahrenstechnischer Prozesse bereitzustellen, mit dem eine schnellere Berechnung
sowie eine schnellere und einfachere Fehlerbehebung möglich ist.
[0007] Diese Aufgabe ist erfindungsgemäß mit einem eingangs genannten Verfahren zur Berechnung
energie- und verfahrenstechnischer Prozesse gelöst, welches dadurch gekennzeichnet
ist, dass die Berechnung in Form einer Optimierungsrechnung ausgeführt wird, in die
mindestens eine in Form einer Ungleichung formulierte technische Randbedingung als
Nebenbedingung eingeht. Bei einer derartigen Optimierungsrechnung bestimmt ein Optimierungsalgorithmus
das Minimum oder Maximum einer Zielfunktion in einem bestimmten, durch Nebenbedingungen
in Form von Gleichungen oder Ungleichungen beschriebenen zulässigen Bereich. Zur Optimierung
stehen z.B. Verfahren der nicht linearen Programmierung (NLP) zur Verfügung. Indem
die mindestens eine technische Randbedingung als Nebenbedingung in die Optimierungsrechnung
eingeht, können obere und untere Schranken für die Optimierungsvariablen in der Optimierungsrechnung
berücksichtigt werden. Anknüpfend an das vorherige Beispiel kann z.B. die Temperatur
des zugeführten Frischdampfes auf eine Maximaltemperatur durch Berücksichtigung der
Ungleichung

als Nebenbedingung begrenzt werden.
[0008] Das erfindungsgemäß gelöste Optimierungsproblem lässt sich mathematisch allgemein
wie folgt darstellen:

wobei
Φ die zu minimierende oder maximierende Zielfunktion ist,
x ein Vektor aus kontinuierlichen Optimierungsvariablen mit n durch die Optimierungsrechung
zu bestimmenden Elementen ist,
c ein Vektor aus in Form von Gleichungen dargestellten Randbedingungsfunktionen mit
m Elementen ist, wobei diese Randbedingungsfunktionen im Wesentlichen aus den Bilanzgleichungen
des ersten thermodynamischen Hauptsatzes gebildet sind,
h ein Vektor aus in Form von Ungleichungen dargestellten Randbedingungsfunktionen
ist,
xL ein Vektor aus festen unteren Grenzen für die Optimierungsvariablen ist, wobei manche
untere Grenzen - ∞ betragen können, in welchem Fall Variablen ohne einer unteren Grenze
dargestellt werden, sowie
xu ein Vektor aus festen oberen Grenzen der Optimierungsvariablen ist. Manche oberen
Grenzen können + ∞ betragen, in welchem Fall Variablen ohne einer oberen Grenze dargestellt
werden.
[0009] Es wird angemerkt, dass sowohl der Ausdruck (5) als auch der Ausdruck (6) Randbedingungen
in Form von Ungleichungen darstellen und die Darstellung mit oberen und unteren Grenzen
gemäß Ausdruck (6) lediglich eine vereinfachte Darstellung von entsprechend formulierten
Ungleichungen gemäß Ausdruck(5) ist.
[0010] Die Erfindung beruht auf der Erkenntnis, dass mittels der erfindungsgemäß in Form
einer Optimierungsrechnung ausgeführten Berechnung des physikalischen Modells eine
inhärente Berechnung aller technischer Randbedingungen möglich ist. Damit ist eine
Berechnung des entsprechenden energie- bzw. verfahrenstechnischen Prozesses in einem
durchgängigen Berechnungszyklus möglich. Iterative Durchläufe verschiedener Berechnungsphasen
mit dazwischen vorgenommenen Anpassungen der Randbedingungen, wie bei der auf dem
Simulationsmodell beruhenden Berechnung aus dem Stand der Technik sind nicht mehr
erforderlich. Da weiterhin eine Gesamtoptimierung des Systems vorgenommen wird, ist
eine Behebung möglicher Fehler bei in der Form von Sollwerten vorgegeben Randbedingungen
für bestimmte Variablen schneller möglich. Ein möglicherweise unpassender Sollwert
für eine Variable ist nämlich aus dem Optimierungsergebnis leicht ersichtlich, da
der vom Optimierungsalgorithmus berechnete Variablenwert sich in der Regel erheblich
vom unpassenden Sollwert unterscheidet. Da der Optimierungsalgorithmus bestrebt ist,
eine Gesamtheit vieler Variablen zu optimieren, wird im Optimierungsergebnis die entsprechende
einzelne Variable nicht sehr nahe an dem unpassenden Sollwert liegen, da dadurch in
der Regel das Ergebnis für viele andere Variablen wesentlich ungünstiger ausfällt,
wodurch das Optimierungsergebnis als Ganzes übermäßig verschlechtert würde.
[0011] Bei einer vorteilhaften Weiterbildung der Erfindung geht mindestens eine logische
Bedingung als Nebenbedingung in die Optimierungsrechnung ein. Vorteilhafterweise geht
diese mindestens eine logische Bedingung in Form einer Ungleichung in die Optimierungsrechnung
ein. Eine solche logische Bedingung kann z.B. Temperaturen an zwei verschiedenen Stellen
einer Vorrichtung in Form einer Ungleichung zueinander in Beziehung setzen. So kann
zum Beispiel vorgegeben sein, dass die Temperatur an einem Wärmetauschereingang höher
sein muss als die Temperatur am Wärmetauscherausgang. Da derartige logische Bedingungen
in der erfindungsgemäßen Ausführungsform direkt von dem Berechnungsverfahren berücksichtigt
werden, ist eine nachträgliche Plausibilitätsprüfung diesbezüglich nicht mehr nötig.
[0012] Vorteilhafterweise wird bei dem erfindungsgemäßen Berechnungsverfahren eine durch
das rechentechnische Modell gegebene quadratische Simulationsaufgabe in eine Optimierungsaufgabe
umformuliert. Dabei werden etwa die in Form von Gleichungen im rechentechnischen Modell
vorliegenden Randbedingungen in die Zielfunktion der Optimierungsrechnung übertragen.
Die verbleibenden Bilanzgleichungen aus dem rechentechnischen Modell werden bei der
Optimierungsrechnung nun als Nebenbedingungen berücksichtigt.
[0013] Darüber hinaus liegt der Optimierungsrechnung vorteilhafterweise eine quadratische
Zielfunktion zur Berechnung der kleinsten quadratischen Abstände der Optimierungsvariablen
von vorgebenden Sollwerten zugrunde. Die in der Optimierungsaufgabe zu minimierende
Zielfunktion besteht dann aus der Summe der quadratischen Abstände der Optimierungsvariablen
oder davon abhängigen Umwandlungsfunktionen von den jeweils zugeordneten Sollwerten.
Mit einer derartigen Zielfunktion ist ein schnelles Auffinden von unpassend gewählten
Sollwerten und damit eine schnelle Fehlerbehebung möglich. Dies liegt darin begründet,
dass in der von der Optimierungsrechnung aufgefundenen Lösung die Gesamtheit der Optimierungsvariablen
möglichst nahe an den jeweils zugeordneten Sollwerten liegt. Ist ein bestimmter Sollwert
jedoch unpassend gewählt, so nähert der Optimierungsalgorithmus die diesem zugeordnete
Variable nicht nennenswert an diesen Sollwert an, wenn dadurch der Abstand der anderen
Optimierungsvariablen zu deren Sollwerten in Summe stärker steigen würde, was bei
einem aus technischer Sicht unstimmigen einzelnen Sollwert der Fall wäre. Damit ist
in der Regel aufgrund eines großen Abstandes einer Optimierungsvariablen zu deren
Sollwert ein solcher unpassender Sollwert in der aus der Optimierungsrechnung hervorgehenden
Lösung sofort ersichtlich und kann damit gezielt korrigiert werden.
[0014] Manche Optimierungsalgorithmen arbeiten jedoch effizienter mit linearen Zielfunktionen
als mit quadratischen Zielfunktionen, insbesondere erzeugen quadratische Zielfunktionen
bei manchen Algorithmen eine beträchtliche Anzahl an Einträgen in die Hesse-Matrix,
wodurch zu viele Freiheitsgrade für die Aktualisierung der Hesse-Matrix entstehen
können. Zur Verwendung derartiger Algorithmen ist es daher zweckmäßig, wenn der Optimierungsrechnung
eine lineare Zielfunktion zugrunde liegt.
[0015] Weiterhin ist es vorteilhaft, wenn auch mindestens eine als Gleichung formulierte
technische Randbedingung als Nebenbedingung in die Optimierungsrechnung eingeht. Dies
erhöht die Flexibilität bei der Definierung des Optimierungsproblems.
[0016] Weiterhin ist es zweckmäßig, wenn mindestens eine logische Bedingung aus dem zweiten
thermodynamischen Hauptsatz abgeleitet ist. Das heißt, bestimmte aus dem Entropiesatz
resultierende Ungleichungen zwischen Temperaturen an unterschiedlichen Orten eines
Systems können schon als Nebenbedingung in die Optimierungsrechnung einfließen. Eine
nachträgliche Plausibilitätsprüfung der vom Berechnungsalgorithmus aufgefundenen Lösung
in Bezug auf etwa zwingend notwendige Entropiezunahmen bei irreversiblen Prozessen
wird damit überflüssig.
[0017] Die Erfindung betrifft ferner eine Vorrichtung zur Durchführung des erfindungsgemäßen
Verfahrens.
[0018] Nachfolgend wird ein Ausführungsbeispiel der Erfindung anhand der beigefügten schematischen
Zeichnung näher erläutert. In dieser zeigt die Fig. eine Veranschaulichung des Lösungsraums
zweier durch technische Randbedingungen in Form von Ungleichungen beschränkten Optimierungsvariablen.
[0019] Das nachstehend beschriebene Ausführungsbeispiel der Erfindung dient der Berechnung
des Wärmekreislaufs eines Heizkraftwerks. Dazu wird zunächst der Wärmekreislauf mittels
Bilanzgleichungen c(x) des thermodynamischen Hauptsatzes (Massen-, Energie- und Impulsbilanz)
als Funktion von Optimierungsvariablen x
i beschrieben. Daraufhin werden Sollwerte y
s,i dieser Optimierungsvariablen x
i bzw. von aus den Optimierungsvariablen x
i unter Verwendung eines internen Umwandlungsvektors b(x
i) hervorgehenden Variablen definiert. Ein solcher interner Umwandlungsvektor b(x
i) kann z.B. die Beziehung zwischen der als Sollwert vorgegebenen Entropie und der
als Optimierungsvariable vorgebenden Temperatur darstellen. Weiterhin werden Randbedingungen
h(x) in Form von Ungleichungen für die Optimierungsvariablen x
i definiert.
[0020] Bezug nehmend auf die Fig. kann in einer solchen Randbedingung z.B. mittels der Ungleichung
m
Sprüh ≥ 0 die in eine Temperiereinheit für Frischdampf eingesprühte Frischwasserrate auf
einen Wert von mindestens 0 festgelegt werden. Eine weitere Randbedingung kann die
Temperatur des Frischdampfes (T
Frischdampf) auf einen Maximalwert T
max begrenzen (T
Frischdampf ≤ T
max) Die beiden Optimierungsvariablen m
Sprüh und T
Frischdampf sind jedoch funktional voneinander abhängig, da eine höhere Zugabe von Sprühwasser
die Frischdampftemperatur verringert. Diese funktionale Abhängigkeit ist in den Bilanzgleichungen
c(x) enthalten. Weiterhin können bestimmte Optimierungsvariablen auch durch untere
Grenzen x
L und obere Grenzen x
U beschränkt sein.
[0022] Daraufhin wird dieses Optimierungsproblem mit einem geeigneten Optimierungsalgorithmus
gelöst. Die als Ergebnis erhaltenen Werte für die Optimierungsvariablen sind dahingehend
optimiert, dass die Summe ihrer quadratischen Abstände von den vorgegebenen Sollwerten
einen Minimalwert einnimmt. Sollte ein für das System unpassender Sollwert für eine
Optimierungsvariable x
i vorgegeben worden sein, so lässt sich dieser unstimmige Sollwert sofort auf der Lösung
erkennen, da der für diese Variable als Ergebnis aus der Optimierungsrechnung hervorgehende
Wert einen im Vergleich mit den Ergebnissen der anderen Variablen erheblichen Abstand
von dem ihm zugeordneten Sollwert aufweist. Für einen solchen Fall wird dann der Sollwert
für die entsprechende Variable berichtigt und die gesamte Optimierungsrechnung wiederholt.
[0024] Hierbei sind p und u Hilfsvariablen. Die Zielfunktion

ist hiermit linear. Manche Lösungsalgorithmen arbeiten effizienter mit einer linearen
Zielfunktion.
1. Verfahren zur Berechnung energie- und verfahrenstechnischer Prozesse, insbesondere
des Wärmekreislaufs von Kraftwerken, mittels eines auf mindestens einer Bilanzgleichung
des ersten thermodynamischen Hauptsatzes beruhenden rechentechnischen Modells,
dadurch gekennzeichnet, dass die Berechnung in Form einer Optimierungsrechnung ausgeführt wird, in die mindestens
eine in Form einer Ungleichung formulierte technische Randbedingung als Nebenbedingung
eingeht.
2. Verfahren nach Anspruch 1,
dadurch gekennzeichnet, dass mindestens eine logische Bedingung als Nebenbedingung in die Optimierungsrechnung
eingeht.
3. Verfahren nach Anspruch 1 oder 2,
gekennzeichnet durch eine Umformulierung einer durch das rechentechnische Modell gegebenen quadratischen Simulationsaufgabe in eine Optimierungsaufgabe.
4. Verfahren nach einem der vorausgehenden Ansprüche,
dadurch gekennzeichnet, dass der Optimierungsrechnung eine quadratische Zielfunktion zur Berechnung der kleinsten
quadratischen Abstände der Optimierungsvariablen (xi) von vorgegebenen Sollwerten zugrunde liegt.
5. Verfahren nach einem der vorausgehenden Ansprüche,
dadurch gekennzeichnet, dass der Optimierungsrechnung eine lineare Zielfunktion zugrunde liegt.
6. Verfahren nach einem der vorausgehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass auch mindestens eine als Gleichung formulierte technische Randbedingung als Nebenbedingung
in die Optimierungsrechnung eingeht.
7. Verfahren nach einem der vorausgehenden Ansprüche,
dadurch gekennzeichnet, dass mindestens eine logische Bedingung aus dem zweiten thermodynamischen Hauptsatz abgeleitet
ist.
8. Vorrichtung zur Durchführung des Verfahren nach einem der vorausgehenden Ansprüche.