(19)
(11) EP 1 719 687 A2

(12) EUROPÄISCHE PATENTANMELDUNG

(43) Veröffentlichungstag:
08.11.2006  Patentblatt  2006/45

(21) Anmeldenummer: 05025843.3

(22) Anmeldetag:  26.11.2005
(51) Internationale Patentklassifikation (IPC): 
B61L 3/00(2006.01)
(84) Benannte Vertragsstaaten:
AT BE BG CH CY CZ DE DK EE ES FI FR GB GR HU IE IS IT LI LT LU LV MC NL PL PT RO SE SI SK TR
Benannte Erstreckungsstaaten:
AL BA HR MK YU

(30) Priorität: 02.05.2005 DE 102005020771

(71) Anmelder: DB Systems GmbH
60326 Frankfurt (DE)

(72) Erfinder:
  • Körner, Heiko, Dr.
    67459 Böhl-Iggelheim (DE)
  • Dahlhaus, Elias, Dr.
    64289 Darmstadt (DE)

(74) Vertreter: Zinken-Sommer, Rainer 
Deutsche Bahn AG Patentabteilung Völckerstrasse 5
80939 München
80939 München (DE)

   


(54) Exacte Ermittlung der Fahrzeit von Schienenfahrzeugen


(57) Die Erfindung betrifft ein Verfahren zur zur Ermittlung einer benötigten Fahrzeit eines Zuges beim Zurücklegen einer Strecke mit vorgegebener Neigung und zulässiger Höchstgeschwindigkeit.
Erfindungsgemäß wird eine einer Beschleunigungsphase zugrundeliegende Differentialgleichung v'(t) = a v2(t) + b v(t) + c mit einer von einer Zeit t abhängigen Geschwindigkeit v(t) und Parametern a, b, c durch geschlossene Formeln gelöst und diese geschlossenen Formeln neben den allgemein bekannten Rechenvorschriften für Zugfahrten mit konstanter Geschwindigkeit bzw. konstanter Bremsverzögerung benutzt werden, um wie folgt die Fahrzeit zu ermitteln:
- bei positiver Beschleunigung v'(t) > 0 wird geprüft, ob ausreichend Strecke zur Erreichung der Höchstgeschwindigkeit zur Verfügung steht und wenn genügend Strecke zur Verfügung steht, wird die Zeit und der Weg, die für die Beschleunigungsphase erforderlich sind, durch geschlossene Formeln ausgedrückt und mit konstanter Höchstgeschwindigkeit weitergefahren sowie werden andernfalls die geschlossenen Formeln für die Zeit und den Weg, um auf eine bestimmte Geschwindigkeit zu kommen, dafür genutzt, um durch ein numerisches Verfahren, insbesondere dem Newton-Verfahren, die Austrittsgeschwindigkeit und -zeit aus dem Streckenabschnitt zu bestimmen,
- bei negativer Beschleunigung v'(t) < 0 wird geprüft, ob der Zug evtl. vorher zum Stehen kommt, gegebenenfalls wird der Zeitpunkt des Stillstands und die dabei zurückgelegte Strecke ermittelt, ansonsten wird die Austrittsgeschwindigkeit sowie die benötigte Fahrzeit durch die geschlossenen Formeln ermittelt,
- bei Beharrungsfahrt v'(t) = 0 wird eine Einbruchsgeschwindigkeit V0 beibehalten,
- grundsätzlich wird eine evtl. vorgegebene Begrenzung einer Austrittsgeschwindigkeiten durch einen rechtzeitig eingeleiteten Bremsvorgang berücksichtigt.


Beschreibung


[0001] Die Erfindung betrifft ein Verfahren zur exakten Ermittlung von Fahrzeiten von Schienenfahrzeugen.

[0002] Die Ermittlung der Fahrzeit ist Grundlage des Fahrplans des Schienenverkehrs. Hierbei ist eine Genauigkeit erforderlich, bei der eine manuelle Berechnung wegen des erforderlichen Arbeitsaufwandes praktisch nicht mehr möglich ist. Daher wurden eine Reihe von grafischen Verfahren entwickelt, mit denen eine Fahrschaulinie konstruiert und anschließend zur Fahrzeitermittlung auch grafisch integriert werden konnte. Zur Unterstützung der grafischen Fahrzeitermittlung wurden verschiedene Geräte benutzt, sog. grafische Integratoren. Das bekannteste ist das sogenannte Conzen-Ott-Gerät, ein mechanischer Analogrechner, das bis zum Aufkommen der EDV benutzt wurde.

[0003] Aufgrund steigenden Verkehrsaufkommens und zur Optimierung von Verfahrensabläufen werden heute Fahrzeitrechnungen nur noch mit Hilfe von EDV-Verfahren durchgeführt.

[0004] Die Ergebnisse der Fahrzeitenrechnungen werden in Fahrzeitentafeln zusammengestellt. Dabei werden für jeden möglichen Verkehrshalt die Anfahr- und Bremszuschlagzeiten extra ausgewiesen. Diese Zuschlagzeiten sind die Differenzen aus der Fahrzeit eines durchfahrenden Zuges und der Fahrzeit eines haltenden Zuges (ohne Haltezeit). Dadurch kann sich der Fahrplanbearbeiter aus diesen Angaben einen Fahrtverlauf mit einer beliebigen Haltfolge zusammenstellen.

[0005] Verfahren des Standes der Technik zur Berechnung von Fahrzeiten von Schienenfahrzeugen mit Hilfe von EDV-Verfahren sind sogenannte Δ-t-, Δ-s- oder Δ-v-Verfahren, die in folgenden Artikeln beschrieben werden:

[0006] Bei einem Δ-t-Verfahren wird die Zeitachse in Intervalle der festen Länge Δt aufgeteilt. Innerhalb eines solchen Intervalls wird von einer konstanten Beschleunigung ausgegangen. Dabei werden die beiden folgenden Varianten unterschieden:
  • Die sich ergebenden Differentialgleichungen werden in Differenzengleichungen umgewandelt.
  • Innerhalb eines Δ-t-Intervalls wird der Verlauf der Fahrt durch eine Näherungsfunktion bestimmt, die sich aus der konstanten Beschleunigung ergibt.


[0007] Eine Variante des ersten Verfahrens ist das Runge-Kutta-Verfahren, in dem zusätzlich der Mittelpunkt eines jeden Intervalls betrachtet wird und verschiedene Vorschläge zur Fortsetzung der Funktion gemittelt werden.

[0008] Δ-s- oder Δ-v-Verfahren sind entsprechend definiert, d.h. die Wege- bzw. Geschwindigkeitsachse werden in Intervalle konstanter Länge aufgeteilt.

[0009] Aus Dietrich Wende: "Fahrdynamik des Schienenverkehrs", Teubner-Verlag, Seite 51-53, ist weiterhin als Stand der Technik bekannt, dass der Abrollvorgang analytisch ausgeführt werden kann, es werden jedoch ausschließlich die obigen Schrittverfahren behandelt. Die eigentliche algorithmische Konsequenz, durch analytisches Vorgehen die Rechenzeit erheblich zu reduzieren, ist nicht gezogen worden.

[0010] Ein weiterer Stand der Technik wird in dem Artikel von Rüdiger Franke, Peter Terwiesch, Markus Meyer: "An algorithm for the optimal control of the driving of trains", Proceedings of the 39th IEEE-conference on Decision and Control, Sydney, December 2000 angegeben. Hierbei wird die Zugkraft bei der Lösung der Differentialgleichung jedoch als konstant vorausgesetzt. Weiterhin sind lineare Terme in der Widerstandsfunktion nicht vorgesehen. Beides stellt eine Vereinfachung und nicht unerhebliche Verfälschung der in der Realität tatsächlich gegebenen Umstände dar.

[0011] Es ist somit Aufgabe der Erfindung, ein Verfahren bereitzustellen, mit dem Fahrzeiten von Zügen exakt, d.h. ohne Vereinfachungen von Parametern und Verfahrensabläufen, und schneller, d.h. ohne großen Zeitaufwand, ermittelt werden.

[0012] Diese Aufgabe wird in Verbindung mit dem Oberbegriff des Anspruches 1 erfindungsgemäß durch die in Anspruch 1 angegebenen Merkmale gelöst.

[0013] Ansprüche 2 bis 6 beinhalten vorteilhafte Ausführungsbeispiele der erfindungsgemäßen Lösung aus Anspruch 1.

[0014] Besonderer Vorteil der neuen Fahrzeitrechnung ist, dass es durch die analytische Auswertung der Differentialgleichungen nicht mehr notwendig ist, die Zeit-, Wege- oder Geschwindigkeitsachse in Intervalle fester Länge zu unterteilen und für jedes Intervall einen Rechenschritt aufzuwenden. Wo es nicht möglich ist, einen Parameter analytisch zu bestimmen, wird das Newton-Verfahren angewendet. Letzteres konvergiert unabhängig von der Achsenlänge stets in wenigen Schritten. Beide Umstände ermöglichen es, die Laufzeit der Fahrzeitrechnung erheblich zu verkürzen, wobei die Rechengeschwindigkeit wird etwa um den Faktor 70 erhöht wird. Weiterhin werden die bei den iterativen Verfahren auftretenden Rundungsfehler eliminiert.

[0015] Die Erfindung beschreibt einen grundsätzlich neuen Weg bei der Ermittlung und Berechnung der Fahrzeiten für Züge. Ein Teil dieser Berechnung ― nämlich die Beschleunigungsphase ― basiert auf der Lösung einer Differentialgleichung, die in allen bisherigen Verfahren numerisch approximiert wird. Erfindungsgemäß wird gezeigt, dass diese Differentialgleichung aber auch exakt dargestellt, d.h. mittels einer geschlossenen Formel ausgedrückt werden kann. Dadurch erhöht sich die Genauigkeit der ermittelten Fahrzeiten; vor allem aber kann die Berechnung wesentlich schneller erfolgen, da anstatt iterativer Approximationen (Runge-Kutta u.ä.) nur noch relativ einfache Formeln ausgewertet werden müssen. Für eine vollständige Fahrzeitrechnung reicht die Verarbeitung der rein physikalischen Bewegungsgleichungen jedoch nicht aus. Vielmehr sind zahlreiche Vorschriften und Rahmenbedingungen zu beachten. Auszugsweise seien an dieser Stelle genannt:
  • Die Bremsphase eines Zuges wird maßgeblich von der verwendeten Leit- und Sicherungstechnik (Linienzugbeeinflussung (LZB) oder konventionelle Fahrweise) bestimmt und hängt zusätzlich von der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, der Zugart und weiteren Parametern ab.
  • Für die Höchstgeschwindigkeit eines Zuges gelten unterschiedliche Grenzen bei den Loks, dem Wagenmaterial sowie der Strecke, wobei die maximal zulässige Streckengeschwindigkeit sich ständig (z.B. bei Tunneln) ändern kann und deshalb abschnittsweise festgelegt wird. Ferner muss ein Zug bei einer nachfolgenden niedrigeren Höchstgeschwindigkeit noch rechtzeitig bremsen können. Eine Geschwindigkeitserhöhung wird dagegen im Allgemeinen erst dann wirksam, wenn der Zug vollständig den vorherigen Bereich verlassen hat. Weiter können z.B. auch die sogenannten maßgebenden Neigungen Einfluss auf die Höchstgeschwindigkeit haben.
  • Die Formeln für die Beschleunigung eines Zuges benötigen genaue Angaben über die Masse des Zuges, die Beschleunigungskräfte der Loks, Trägheitswiderstände, usw. Für diverse Parameter wird dabei detailliert zwischen Güter- und Personenzügen, zwischen Triebwagen und lokbespannten Zügen usw. unterschieden. Ferner sind Angaben über die aktuellen Neigung (also Steigung oder Gefälle) der Strecke erforderlich (auch diese ändern sich ständig).
  • Zum Abbauen von Verspätungen werden auf die eigentlichen Fahrzeiten Zuschläge erhoben. Auch für diese gelten je nach Zugart, Streckenhöchstgeschwindigkeit usw. unterschiedliche Werte.

1 Physikalische Grundlagen einer Zugfahrt



[0016] Zunächst werden kurz die Bewegungsgleichungen erläutert, die bei der Fahrt eines Zuges eine wesentliche Rolle spielen. Einige Einflüsse wie z.B. Bogenwiderstände werden hier nicht betrachtet; auch werden für bestimmte Kenngrößen wie z.B. die Bremsverzögerung nur pauschale Werte angenommen. Alle für die Fahrzeitrechnung benötigten Parameter und Formeln für die unterschiedlichen Züge werden jedoch später noch konkretisiert.

[0017] Für die Fahrzeitrechnung wird zunächst vereinfachend angenommen, dass der Zug nur aus einem "Massepunkt" besteht, der die gesamte Zugmasse in sich vereinigt; der Zug hat demnach die Länge Null. Grundsätzlich befindet er sich während einer Fahrt stets in einer von drei Phasen: entweder er beschleunigt, behält seine momentane Geschwindigkeit bei (Beharrungsfahrt), oder er bremst. Es wird von einer straffen Fahrweise ausgegangen, d.h. der Zug
  • beschleunigt so früh wie möglich,
  • fährt so lange es geht mit der maximal zulässigen Höchstgeschwindigkeit,
  • und bremst so spät wie möglich.


[0018] Hierdurch wird insgesamt eine möglichst hohe Durchschnittsgeschwindigkeit erzielt. Es ist jedoch zu beachten, dass der Zug z.B. bei zu großen Steigungen trotz maximaler Beschleunigung auch langsamer werden kann. Dies wird jedoch dennoch als Beschleunigungsphase bezeichnet, d.h. es wird festgelegt:

[0019] Beschleunigungsphase := Der Zug fährt unter Einsatz seiner maximalen Zugkraft.

[0020] Die einzelnen Phasen werden nun etwas genauer untersucht. Die Beharrungsfahrt ist dadurch gekennzeichnet, dass die Zugkräfte gerade genau die Reibungs- und Streckenwiderstände kompensieren, d.h. der Zug verkehrt mit konstanter Geschwindigkeit und legt dann in t Sekunden bei einer Geschwindigkeit von v Metern pro Sekunde eine Strecke von s = v · t Metern zurück. Sind je zwei Größen gegeben, so kann daraus die dritte berechnet werden.

[0021] Auch beim Bremsen von einer Geschwindigkeit v auf eine Zielgeschwindigkeit w (w ≤ v) sind die Zusammenhänge einfach. Es wird hierbei davon ausgegangen, dass der Zugführer das maximale Bremsvermögen des Zuges nicht ausnutzt, sondern stattdessen aus Komfortgründen eine konstante Bremsverzögerung vzg anstrebt, die z.B. bei Nahverkehrszügen mit dem Wert vzg = 0.7 m/s2 veranschlagt wird. Somit werden t = (v - w)/vzg Sekunden für den Bremsvorgang benötigt, und die dabei zurückgelegte Strecke s beträgt



[0022] Meter. Somit lässt sich der Bremseinsatzpunkt einfach bestimmen, und umgekehrt kann wegen

festgelegt werden, dass s Meter vor dem Erreichen z.B. einer Langsamfahrstelle, wo nur w m/s erlaubt sind, höchstens √(2s - vzg + w2) m/s gefahren werden dürfen, damit der Zug noch rechtzeitig bremsen kann. Weiter oben wurde dieser Aspekt bereits angerissen.

[0023] Die Beschleunigung eines Zuges ist komplizierter und hängt von seiner aktuellen Geschwindigkeit ab. Zunächst einmal wird die Zugkraft der Lokomotive bzw. des Triebwagens (gemessen in Kilonewton oder kurz kN) stückweise durch Zugkraftparabeln der Form F = k0 + k1 · V + k2 · V2 beschrieben, wobei V die Geschwindigkeit in km/h angibt und die Koeffzienten k0, k1 und k2 aus einer Tabelle entnommen werden, die vom Loktyp und dem aktuellen Geschwindigkeitsbereich abhängt.

[0024] Der Zugkraft wirken Laufwiderstände des Zuges (z.B. durch Reibungsverluste, Luftwiderstände usw.) entgegen. Diese werden ganz ähnlich wie die Zugkräfte durch eine Gleichung der Form

beschrieben (das Ergebnis ist in der Einheit Newton), wobei g = 9,81 m/s2 die Erdbeschleunigung und m die Masse des Zuges in Tonnen bezeichnen. Die Konstanten f1, f2 sowie f3 sind ebenfalls wieder vom konkreten Zug abhängig. Wichtig ist auch der Streckenwiderstand, der sich hemmend (Steigung) bzw. begünstigend (Gefälle) auf die Zugkraft auswirkt.

[0025] Bezeichnet F die verbleibende Zugkraft nach Abzug der Lauf- und Streckenwiderstände, so kann nun prinzipiell mittels der grundlegenden Formel

die Beschleunigung acc berechnet werden (wegen der Angabe der Masse in Tonnen ist der Faktor 1000 notwendig). Die Zugkraft F wird allerdings nicht nur für die Beschleunigung der Zugmasse, sondern auch für die Rotation der bewegten inneren Bauteile (Getriebe usw.) benötigt. Dieser Verlust wird durch einen sogenannten Massezuschlag berücksichtigt, der pauschal als prozentualer Wert p für jeden Zugtyp vorgegeben ist.

[0026] Die obigen Formeln werden nun zusammengefasst, wobei der Faktor 1 m/s = 3,6 km/h berücksichtigt werden muss, was bei den quadratisch von der Geschwindigkeit abhängigen Termen einen Umrechnungsfaktor von 3,62 = 12,96 ausmacht. Ferner stellt die Beschleunigung gerade die mathematische Ableitung der Geschwindigkeit dar. Es ergibt sich damit die folgende Bewegungsgleichung für die Beschleunigung eines Zuges, der zum Zeitpunkt t mit der Geschwindigkeit v(t) m/s unterwegs ist:



[0027] Die Konstanten a, b und c ergeben sich dabei gemäß den obigen Ausführungen wie folgt:



[0028] Die Parameter a, b und c ergeben sich aus den Infrastrukturdaten und den Zugdaten. Dabei ändern sich jedoch nur die Werte der Parameter a, b und c, an der Bewegungsgleichung

selbst ändert sich nichts. Wenn es nun gelingt, eine geschlossene Formel für v(t) zu finden, so kann man die Beschleunigung des Zuges stückweise (d.h. für die einzelnen Phasen, bei denen die Werte a, b und c gleich bleiben) direkt ausrechnen. Diese Problematik wird im folgenden behandelt.

2 Lösung der Differentialgleichung


2.1 Vorüberleaunqen zu den benötigten Formeln



[0029] Liegt zusätzlich zu der oben besprochenen Bewegungsbedingung

zum Zeitpunkt t = 0 eine bestimmte Einbruchsgeschwindigkeit v0 vor (also v(0) = v0) so ist die Formel für v(t) eindeutig bestimmt. Im folgenden wird diese Formel hergeleitet, so dass für jeden beliebigen Zeitpunkt die Geschwindigkeit des Zuges und daraus die zugehörige Beschleunigung ausgerechnet werden kann. Die Bewegung des Zuges ist damit korrekt erfasst, bis sich mindestens eine der Konstanten a, b oder c ändert. Dies geschieht in den folgenden Fällen:
  • Der Zug erreicht eine bestimmte Geschwindigkeit, bei deren Überschreitung sich die Zugkraftparabeln ändern. Demzufolge wird eine Formel für t(v) gesucht, die bei vorgegebener Geschwindigkeit v angibt, wann diese erreicht wird. Man beachte nochmals, dass der Zug trotz maximaler Zugkraft auch langsamer werden kann (z.B. wenn er sich auf einem zu steilen Streckenabschnitt befindet). Deshalb muss auch überprüft werden, ob der aktuell gültige Geschwindigkeitsbereich nach unten hin durchbrochen wird.
  • Die Streckenneigung ändert sich ab einer bestimmten Position. Um diesen Fall bearbeiten zu können, muss bekannt sein, wann der Zug den aktuellen Streckenabschnitt durchfahren hat und in den nächsten mit den veränderten Bedingungen eintritt. Deshalb wird zusätzlich eine Formel t(s) benötigt, die für eine gegebene Streckenlänge s die benötigte Durchfahrtszeit ermittelt. Desweiteren ist auch die Umkehrfunktion s(t) (d.h. welche Streckenlänge legt der Zug in einer bestimmten Zeit zurück) von Interesse.
  • Der Zug erreicht die zulässige Höchstgeschwindigkeit vmax. Mit den bisherigen Formeln kann man diesen Fall leicht behandeln. Man bestimmt zunächst mittels t(vmax) den Zeitpunkt, bei dem die Höchstgeschwindigkeit erreicht wird (es kommt dabei nicht darauf an, ob diese durch den Zug oder durch die Strecke bedingt ist), und berechnet anschließend mittels der Formel s(t) die bis dahin zurückgelegte Strecke. Anschließend wird mit konstanter Geschwindigkeit weitergefahren.
  • Der Zug muss rechtzeitig bremsen, um eine niedrigere Höchstgeschwindigkeit im herannahenden nächsten Streckenabschnitt einzuhalten. Sollte der Zug in Beharrungsfahrt unterwegs sein, so ist auch dieser Fall kein Problem, weil mittels der oben im Abschnitt "Physikalische Grundlagen einer Zugfahrt" hergeleiteten Formel der benötigte Bremsweg und daraus alle resultierenden Größen berechnet werden können. Schwieriger wird es, wenn der Zug bei laufender Beschleunigung direkt in den Bremsvorgang übergehen muss. Wie später gezeigt wird, erfordert die Ermittlung der Position dieses Übergangs ein Nullstellenverfahren, übrigens ebenso wie die Formel für t(s). Diese Verfahren konvergieren allerdings sehr schnell, insbesondere werden nur zwei bis drei Iterationen benötigt.


[0030] Man bestimmt nun, welcher der Fälle zuerst eintritt, berechnet mittels der nachfolgend bereitgestellten Formeln alle entsprechenden Größen und verarbeitet dann den nächsten Abschnitt, bis schließlich die gesamte gewünschte Strecke durchlaufen ist. Für jeden Abschnitt müssen so nur einige wenige Formeln ausgewertet werden, was dieses Verfahren sehr effzient macht.

2.2 Ansatz zur Lösung der Differentialgleichung



[0031] Bei der im vorherigen Abschnitt besprochenen Bewegungsbedingung

handelt es sich um eine sog. separable gewöhnliche Differentialgleichung. Sie ist zusammen mit der Anfangswertbedingung v(0) = v0 eindeutig lösbar.

[0032] Es wird nun der allgemeine Fall gelöst. Es wird zunächst v0(t) durch die Notation dv/dt ersetzt, so dass sich ergibt:

bzw.



[0033] Durch das Integrieren beider Seiten ergibt sich

bzw.


wobei C eine Konstante ist, die von der Einbruchsgeschwindigkeit v0 := v(0) abhängt und später genauer bestimmt wird.

[0034] Wegen

hängt die weitere Vorgehensweise davon ab, ob die Diskriminate b2 - 4ac größer, gleich, oder kleiner als Null ist.

2.3 Fall 1: b2 > 4ac



[0035] In diesem Fall wird D := √(b2 - 4ac) gesetzt.

[0036] Wird nun zunächst 2av + b + D < 0 oder 2av + b - D > 0 angenommen, dann ergibt sich:



[0037] Löst man t(v) nach v auf, so ergibt sich die gesuchte Bewegungsgleichung



[0038] Wird vom anderen Fall 2av+b-D < 0 < 2av+b+D ausgegangen, so ergibt sich mit analogen Überlegungen die folgenden Formeln (wieder mit k > 0):



[0039] Da sich bei diesen Formeln für negative k die Formeln aus dem ersten Falle ergeben, kann man sich auf den zweiten Formelsatz beschränken und gleichzeitig die Einschränkung für k aufheben. Nun wird noch eine Formel entwickelt, die die verstrichene Zeit t in ein Verhältnis zur zwischenzeitlich zurückgelegten Strecke s setzt. Es gilt:


2.4 Fall 2: b2 = 4ac



[0040] Dieser Fall ist nur theoretischer Natur, da wegen der üblicherweise "krummen" Werte für a, b und c stets b2 ≠ 4ac gilt. Wegen

ist er aber auch einfach zu lösen und wird der Vollständigkeit halber hier ebenfalls behandelt. Wird k := -C gesetzt ergibt sich durch Auflösen von

nach v die Formel



[0041] Asymptotisch nähert sich der Zug damit der Grenzgeschwindigkeit



[0042] Schließlich wird wie oben eine Formel für s(t) ermittelt. Es ergibt sich:


2.5 Fall 3: b2 < 4ac



[0043] In diesem Fall wird D := √(4ac - b2) /2 gesetzt und das vor der Fallunterscheidung genannte Integral wie folgt aufgelöst:



[0044] Also ergibt sich

mit einer noch zu bestimmenden Konstante C, die wieder durch k := -C ersetzt wird. Das Auflösen nach v ergibt

[0045] Schließlich wird noch die Formel für die zurückgelegte Strecke s in Abhängigkeit von der Zeit t angegeben:


3 Behandlunq der nicht direkt auflösbaren Formeln



[0046] Bei den Gleichungen des letzten Abschnitts wurden in allen drei Fällen zwei noch zu lösende Probleme ausgeklammert:
  • Es wird eine Formel t(s) benötigt, die für eine gegebene Streckenlänge s die dafür benötigte Zeit t bei gegebener Anfangsgeschwindigkeit v0 = v(0) und angenommener laufender Beschleunigung bestimmt.
  • Wir müssen evtl. den Zeitpunkt t ermittelt, ab dem der Zug bei vorheriger Beschleunigung anfangen muss zu bremsen, so dass er die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit auf dem nachfolgenden Streckenabschnitt einhält.


[0047] Beide Fälle lassen sich auf das Problem zurückführen, für eine explizit beschriebene differenzierbare Funktion eine Nullstelle zu bestimmen. Dies ist in genügend guter Annäherung mit dem Newton-Verfahren möglich.

4 Berechnung von Traktionsenergien



[0048] Zusätzlich zu den Formeln zur Bestimmung von Fahrzeiten sind jedoch auch die für die einzelnen Fahrten aufgewendeten Traktionsenergien von einem hohen Interesse, sowohl aus umweltpolitischen als auch monetären Gründen. Es wird nun gezeigt, dass sich auch für den Energieverbrauch geschlossene Formeln herleiten lassen.

[0049] Prinzipiell berechnet sich die aufgewendete Energie aus dem Produkt "Kraft (in Newton) mal Weg (in Metern)". Während einer Beharrungsfahrt entspricht diese Kraft gerade der Summe aller Laufwiderstände der Triebfahrzeuge und des Wagenmaterial sowie dem Streckenwiderstand. Dies multipliziert mit der Weglänge ergibt das gewünschte Ergebnis.

[0050] Aufwändiger ist es, die Traktionsenergie für eine Beschleunigungsphase zu bestimmen, da in diesem Fall die max. Zugkraft eingesetzt wird und diese sich ständig ändert. Es muss also das Integral

gelöst werden. Da keine Formel für F(s) zur Verfügung steht, wird deshalb ersatzweise über die Geschwindigkeit v integriert, da zu jeder Streckenlänge s die dann aktuelle Geschwindigkeit v ermittelt werden kann und umgekehrt:



[0051] Für den Energieverbrauch zwischen dem Beginn der Beschleunigungsphase (mit Einbruchsgeschwindigkeit v0 und Eintrittszeit t(v0) = 0) und seinem Ende (mit Austrittsgeschwindigkeit v und Austrittszeit t(v)) erhält man:



[0052] Hierbei sind q0, q1 q2 Koeffzienten der Zugkraftparabel, wobei die Geschwindigkeit v in Kilometern pro Stunde und die Zugkraft in Kilonewton angegeben werden.

5 Erste Zusammenfassung



[0053] 
  • v(t) gibt die erreichte Geschwindigkeit (in m/s) nach t Sekunden Fahrzeit an. v(t) kann durch eine geschlossene Formel angegeben werden, vorausgesetzt, dass v(t) sich im Gültigkeitsbereich einer bestimmten Zugkraftparabel befindet.
  • t(v) berechnet die Zeit, die der Zug zum Erreichen der Geschwindigkeit v benötigt. t(v) kann innerhalb eines Gültigkeitsbereichs einer Zugkraftparabel durch eine geschlossene Formel angegeben werden.
  • s(t) gibt die zurückgelegte Strecke in Metern nach t Sekunden Fahrzeit an. s(t) kann durch eine geschlossene Formel angegeben werden, vorausgesetzt, dass v(t) sich im Gültigkeitsbereich einer bestimmten Zugkraftparabel befindet.
  • t(s) ermittelt umgekehrt die benötigte Zeit zum Durchfahren eines Streckenabschnitts von s Metern Länge. Zur Bestimmung von t(s) kommt ein iteratives Nullstellenverfahren zum Einsatz.
  • Schließlich wird noch ein Verfahren bereitgestellt, welches bei gegebener Streckenlänge s den Zeitpunkt t bestimmt, ab dem ein Bremsvorgang eingeleitet werden muss, so dass die auf dem nächsten Streckenabschnitt geltende Höchstgeschwindigkeit r eingehalten wird. Folgt der Bremsvorgang unmittelbar auf den Beschleunigungsvorgang, so kommt ein iteratives Nullstellenverfahren zum Einsatz. Folgt der Bremsvorgang einem Fahren mit konstanter Geschwindigkeit, so der Zeitpunkt t durch eine geschlossene Formel angegeben werden.
  • Der Energieverbrauch einer Beschleunigungsphase kann durch eine geschlossene Formel angegeben werden.

6 Berechnung von Fahrzeiten



[0054] Zunächst wird die zu durchfahrende Folge von Streckenabschnitten einer Vorverarbeitung unterworfen, wobei zahlreiche Nebenbedingungen berücksichtigt werden. Dies betrifft vor allen Dingen die Gültigkeit der Höchstgeschwindigkeiten, die aus folgenden Parametern abgeleitet werden:
  • Angabe, ob der Zug konventionell oder unter LZB fährt
  • Höchstgeschwindigkeiten des Zuges bei konventioneller und LZB-Fahrt
  • Höchstgeschwindigkeit, Länge, Bremsweg und maßgebende Neigung der einzelnen Streckenabschnitte
  • Höchstgeschwindigkeit jeder beteiligten Lok
  • Allgemeine Höchstgeschwindigkeit des Zuges
  • Angabe darüber, ob ein Tunnel durchfahren wird
  • Bremshundertstel und Bremsstellung (P, R+Mg, R+Mg, R/P, WB oder G) des Zuges
  • Passende Bremstafeln, die aus der Bremsstellung, dem Bremsweg, der maßgebenden Neigung und den Bremshundertsteln die zugehörige Höchstgeschwindigkeit ermitteln
  • LZB-Bremskurven
  • Länge des Zuges


[0055] Weiterhin werden die Einflussgrößen auf den Bremsvorgang, wobei zwischen LZB-Fahrt und konventioneller Fahrt zu unterscheiden ist, die Einflussgrößen auf die Beschleunigung und die Fahrzeitzuschläge berechnet, bevor die eigentliche Fahrzeitenrechnung ausgeführt wird. Außerdem können die konstanten Anteile an den Parametern a, b und c der späteren Differentialgleichungen (Gewicht des Zuges usw.) bereits vorab verarbeitet werden.

[0056] In einem Parameter v wird stets die aktuelle Geschwindigkeit gespeichert und dieser Wert mit der vorgegebenen Einbruchsgeschwindigkeit v0 initialisiert. Unter der Annahme, dass ein Streckenabschnitt der Länge P gegeben ist, und dass r die gültige Höchstgeschwindigkeit auf dem nächsten Abschnitt bezeichnet, wird die Austrittsgeschwindigkeit (diese ist später in v gespeichert) sowie die benötigte Fahrzeit t wie folgt berechnet:
Schritt 1:
Initialisierung. Die Fahrzeit setzt sich aus der benötigten Durchfahrtszeit für verschiedene Teilstücke des Streckenabschnitts zusammen, die in t aufsummiert werden. Deshalb wird anfangs t := 0 gesetzt.
Schritt 2:
Berechnung der Parameter a, b und c der Differentialgleichung sowie der aktuellen Beschleunigung acc := av2 + bv + c. Falls v genau auf der Grenze zwischen zwei Zugkraftbereichen liegt, werden für beide Bereiche die jeweiligen Parameter sowie die zugehörigen Beschleunigungen berechnet und eine Wahl zwischen beiden Möglichkeiten getroffen. Ist im höheren Geschwindigkeitsbereich die Beschleunigung noch positiv, wird dieser ausgewählt. Ist nur die andere Beschleunigung im unteren Bereich positiv, so wird der Zug nicht langsamer, aber auch nicht schneller, setzt also seine Fahrt mit konstanter Geschwindigkeit fort, was acc := 0 bedeutet. Falls schließlich beide Beschleunigungen negativ sind, so kann der Zug seine aktuelle Geschwindigkeit nicht halten, und es werden die berechneten Werte bzgl. des niedrigeren Geschwindigkeitsbereichs benutzt.
Schritt 3:
Sicherheitsüberprüfungen. Falls der Zug mit der maximal zulässigen Zug- oder Streckengeschwindigkeit unterwegs ist, wird acc = 0 gesetzt. Falls v = 0 und acc# 0 gilt, wird die Berechnung beendet (der Zug steht).
Schritt 4:
Test auf Beharrungsfahrt. Falls acc = 0 gilt, wird t := t + P/v gesetzt, sofern die zulässige Höchstgeschwindigkeit r des nächsten Streckenabschnitts nicht kleiner als v ist. Ansonsten muss der Bremsvorgang berücksichtigt werden, was durch die Zuweisung

berücksichtigt wird. Anschließend ist die Berechnung beendet.
Schritt 5:
Fallunterscheidung. Es wird geprüft, ob b2 größer, gleich, oder kleiner als 4ac ist und bei den nachfolgenden Schritten die entsprechenden Formeln für v(t), t(v), usw. verwendet.
Schritt 6:
Überwachung der Geschwindigkeit. Bezeichnet vmax die maximale Geschwindigkeit (eingeschränkt u.a. durch den aktuellen Zugkraftbereich), für die die Konstanten a, b und c noch gültig sind, und gilt acc > 0, wird getestet, ob die Gültigkeit der Formeln durch das Erreichen der maximalen Geschwindigkeit begrenzt wird. Zu diesem Zweck wird geprüft, ob die asymptotische Geschwindigkeit des Zuges vmax übersteigt. (Dies ist im dritten Fall b2 < 4ac nicht erforderlich, da der Zug dann immer unendlich schnell wird und folglich jede Geschwindigkeitsgrenze überbietet.) Falls dies zutrifft, so erreicht der Zug die maximale Geschwindigkeit nach t(vmax) Sekunden. Zu diesem Zeitpunkt hat er bereits s := s(t(vmax)) Meter Strecke zurückgelegt. Falls vmax größer als r ist, so muss der Zug später noch bremsen, und deshalb wird s um den Bremsweg (v2max - r2)/(2acc) erhöht. Falls nun s ≤ P gilt, so steht fest, dass der Zug innerhalb des gegenwärtigen Abschnitts auf vmax Meter pro Sekunde beschleunigt. Deshalb wird v := vmax, t := t+t(vmax) sowie P := P-s(t(vmax)) gesetzt und erneut bei Schritt 2 begonnen. Ansonsten wird auf die gleiche Art und Weise für die minimale Geschwindigkeit vmin geprüft, ob einerseits acc < 0 gilt und ferner der Zug von seiner asymptotischen Geschwindigkeit her die Grenze vmin unterbietet (im dritten Fall kann man diesen Test wieder überspringen). Gegebenenfalls werden die obigen Tests mit vmin an Stelle von vmax durchgeführt.
Schritt 7:
Einsatz der Nullstellenverfahren. Wird dieser Schritt erreicht, wird der Zug ohne Wechsel der Zugkraftparabel den Abschnitt durchfahren, wobei am Ende ggfs. noch auf die nächste Höchstgeschwindigkeit r abgebremst werden muss.

7 Vorteile der Erfindung gegenüber dem Stand der Technik



[0057] Ein Vergleich der Fahrzeitrechnung für die Betriebszentralen, kurz FZR-BZ, Version 1.4, des Standes der Technik und dem erfindungsgemäßen Verfahren zeigt:
  • Von der Genauigkeit her weichen die Fahrzeiten und Zuggeschwindigkeiten, wenn überhaupt, meist nur minimal (etwa um ein Promille) voneinander ab. Die größte beobachtete Zeitabweichung betrug etwa sechs Promille.
  • Grund für die Abweichungen sind die Beschleunigungsphasen, bei denen die bisherige Fahrzeitrechnung auf eine Approximation zurückgreift. Die größten Ungenauigkeiten ergeben sich beim Anfahren aus dem Stillstand heraus, hier treten Abweichungen von 20-30 % auf. Diese treten in dieser Größenordnung aber nur während der ersten Sekunden auf (bis die Züge also etwas Fahrt aufgenommen hatten), so dass die resultierenden Abweichungen von z.B. einer halben Sekunde für die Gesamtfahrzeit unwesentlich sind.
  • Zumindest theoretisch scheint es aber denkbar, eine Zugfahrt zu konstruieren, bei der sich die Approximationsfehler erheblich auswirken. Man denke z.B. an einen Stop-and-Go-Verkehr, bei dem die Züge häufig wiederanfahren müssen, oder an einen "passend gewählten" Steigungsabschnitt, bei dem es der Zug bei exakter Rechnung gerade noch schafft, über den Berg zu kommen, bei einem eigentlich nur geringem Approximationsfehler aber vorher stehen bleibt.
  • Der signifikante Unterschied zwischen beiden Fahrzeitrechnungen ist die Ausführungsgeschwindigkeit. Die geschlossenen Formeln und eine effziente Algorithmik für die Vorverarbeitung ergeben in der Praxis ein um etwa 70-mal schnelleres Verfahren. Dies bedeutet, dass sich alle wenige 100 Meter die Neigung bzw. Höchstgeschwindigkeit ändert oder ein Messpunkt auftaucht. Falls die Abschnitte mit konstanten Bedingungen kürzer werden, schrumpft auch der Geschwindigkeitsvorteil zusammen, da selbst mit den geschlossenen Formeln bei jeder Änderung der Rahmenbedingungen ein weiterer Rechenschritt notwendig wird. Umgekehrt kann man sich auch den Extremfall vorstellen, dass z.B. ein Zug auf einer langen Strecke mit konstanter Steigung beschleunigt, ohne die erlaubte Höchstgeschwindigkeit zu erreichen. In diesem Fall endet die Beschleunigungsphase nicht, und die resultierende Fahrzeit kann mit nur einem Schritt ermittelt werden (unabhängig davon, wie lang die Strecke ist!). Die herkömmliche Approximation kann die Besonderheit dieser Situation dagegen nicht ausnutzen. Der Geschwindigkeitsvorteil kann also theoretisch in beide Richtungen hin variieren.


[0058] Beispielsweise kann auf einen 500 MHz Intel Pentium 111 Rechner als Richtwert pro 100 km Strecke eine Millisekunde Rechenzeit je für Vorverarbeitung und eigentliche Fahrzeitrechnung veranschlagt werden.

9 Hyperbolische Beschleunigung



[0059] Wie oben dargestellt ergibt sich die Differentialgleichung v'(t) = av2(t)+bv(t)+c aus der Tatsache, dass alle auf den Zug einwirkenden Kräfte quadratisch von der momentanen Geschwindigkeit v abhängen. Dies gilt insbesondere für die Zugkraft, die sich eigentlich jedoch hyperbolisch verhält, d.h. proportional zum Kehrwert der Geschwindigkeit (abgesehen von niedrigen Geschwindigkeiten, wo die Haftreibungswerte zwischen Rad und Schiene die maximale Zugkraft begrenzen). Deshalb wird einen hyperbolischer Anteil bei der Zugkraft und damit insgesamt bei der Differentialgleichung angesetzt, d.h. es wird eine Lösung der Gleichung

gesucht. Selbst in diesem Fall lassen sich geschlossene Formeln ermitteln.

[0060] Die Lösung der Differentialgleichung führt analog zu dem oben aufgezeigten Weg zu dem Integral



[0061] Erfindungsgemäß werden zunächst die Nullstellen des im Nenner stehenden kubischen Polynoms ermittelt und basierend auf diesen Lösungen die sich ergebenden Stammfunktionen ermittelt.

[0062] Fall 1: Es existiert eine dreifache Nullstelle x1. Dann gilt:



[0063] Fall 2: Es existiert eine einfache Nullstelle x1 sowie eine doppelte Nullstelle x2. Dann gilt:



[0064] Fall 3: Es existieren drei verschiedene Nullstellen x1, x2 und x3. Dann gilt:



[0065] Fall 4: Es existiert nur eine einfache Nullstelle x1; das verbleibende Restpolynom v2 + pv + q lässt sich nicht (reell) faktorisieren. Dann gilt:



[0066] Diese Terme lassen sich jedoch nicht umkehren (bis auf den ersten Fall), d.h. es kann i.A. keine geschlossene Formel für v(t) gefunden und auch keine Formel für s(t) gebildet werden. Es kann jedoch eine geschlossene Formel für s(v) hergeleitet werden, da gilt:



[0067] Für das verbleibende Integral können entsprechend den obigen Ausführungen in Abhängigkeit der Nullstellen des Nennerpolynoms verschiedene Lösungen angeben werden.

8 Anwendungsbeispiele


8.1 Energiesparende Fahrweise



[0068] Der Berechnung von Fahrzeiten wird üblicherweise, wie oben erwähnt, eine straffe Fahrweise zugrunde gelegt, d.h. die Züge beschleunigen so früh wie möglich, fahren wenn möglich mit Höchstgeschwindigkeit und bremsen erst möglichst spät wieder ab. Da die Fahrzeiten mit Regelzuschlägen versehen werden, kann man ― sofern keine Verspätungen aufzuholen sind ― diese Zeitpuffer zur energiesparenden Fahrweise (ESF) nutzen, d.h. man lässt den Zug gezielt ausrollen, spart so die Traktionsenergie ein, und ist dennoch pünktlich am Ziel.

[0069] Sinnvoll scheint das Ausrollen also vor allem dann, wenn der Zug später die Geschwindigkeit ohnehin reduziert oder sogar an einem Signal oder Bahnhof halten muss. Das von der DB Systems entwickelte ESF-System für ICE-Züge nutzt neben diesen Situationen auch Gefällstrecken als Ausrollabschnitte. Problematisch dabei ist jedoch, dass alle zugehörigen Fahrplan- und Streckendaten schon vor der Zugfahrt in den Bordcomputer eingespielt werden müssen. Dies ist unter anderem durch die bisher zu langsame Fahrzeitrechnung bedingt.

[0070] Mit Hilfe der erfindungsgemäßen, sehr viel schnelleren Fahrzeitrechnung ist es möglich, dieses Problem zu überwinden. Zudem ist von vorneherein nicht klar, warum z.B. nicht auch auf Steigungsstrecken ausgerollt werden darf, solange nur die Kontrollrechnung ergibt, dass der Schwung ausreichen wird. Hier erscheint uns eine noch bessere Energieeinsparung, auch auf Nicht-ICE-Zügen, möglich zu sein. Gemessen an den enormen Energiemengen und -kosten, die für den Bahnverkehr jedes Jahr aufgewendet werden, schlummert hier noch ein beträchtliches Potenzial.

8.2 Energieoptimierte Fahrpläne



[0071] Mit den Ideen aus dem letzten Abschnitt liegt es nahe, Fahrpläne auch an der Energieeffzienz der Zugfahrten zu messen und dahingehend zu optimieren. Heutzutage liegt den Berechnungen normalerweise stets eine straffe Fahrweise zugrunde. Wie oben gesehen macht es aber keinen Sinn, z.B. mit 160 km/h auf eine Langsamfahrstelle aufzufahren. Einem nur geringfügigen Zeitverlust steht hier eine erhebliche Energieeinsparung gegenüber, so dass sich ein entsprechender Fahrplan auch monetär auszahlt, vom geringeren Verschleiß an den Bremsen usw. einmal ganz abgesehen.

8.3 Berechnung von Bauzuschläaen



[0072] Bauzuschläge stellen zeitliche Puffer dar, die bei erwarteten Behinderungen durch Baustellenarbeiten (z.B. eingleisiger Betrieb) zusätzlich zu den Regelzuschlägen auf die Fahrzeit aufgeschlagen werden. Die Höhe der Bauzuschläge orientiert sich jedoch nur an dem erwarteten Zeitverlust von Fernverkehrszügen.

[0073] In einem ersten Schritt werden durch die Fahrzeitrechnung die Auswirkungen von Langsamfahrstellen usw. auf einzelne Züge ermittelt und somit einen vorgegebenen Bauzuschlag bewertet. Als nächster Schritt werden automatisch Bauzuschläge ermittelt, die in Abhängigkeit des Zuges stehen und gegebenenfalls direkt bei der Veröffentlichung von Fahrplänen berücksichtigt werden.

8.4 Echtzeit-Disposition



[0074] Züge "geschickt" ausrollen zu lassen ist nicht nur für energiesparende Fahrweisen sinnvoll, sondern kann in bestimmten Fällen auch die Fahrzeit verkürzen. Läuft ein Zug insbesondere auf ein (noch) Halt zeigendes Hauptsignal auf, so muss er bis zum Stillstand abbremsen und danach aus dem Stand heraus wieder beschleunigen. Schneller und auch energietechnisch wesentlich günstiger ist es jedoch, die Zeit bis zum Hochschalten des Signals durch energiesparende Fahrweise auszufüllen, um dann das Signal mit einer (hohen) Restgeschwindigkeit zu passieren. Die Wiederbeschleunigungsphase fällt entsprechend kürzer aus.

[0075] Zur Berechnung des passenden Zeitpunkts, ab dem das Ausrollen zu erfolgen hat, werden Daten aus der Leit- und Sicherungstechnik erhoben, die für die aktuelle Kenntnis der Signalstellungen unerlässlich sind. Mit einem entsprechender Lesezugriff, bieten sich entsprechende Möglichkeiten an, die Trassenlagen nicht nur vor, sondern sogar während des Betriebs zu optimieren, gleichzeitig Fahrzeiten zu verkürzen und dabei noch Energie und somit Geld zu sparen.


Ansprüche

1. Verfahren zur Ermittlung einer benötigten Fahrzeit eines Zuges beim Zurücklegen einer Strecke mit vorgegebener Neigung und zulässiger Höchstgeschwindigkeit, dadurch gekennzeichnet, dass eine einer Beschleunigungsphase zugrundeliegende Differentialgleichung v'(t) = a v2(t) + b v(t) + c mit einer von einer Zeit t abhängigen Geschwindigkeit v(t) und Parametern a, b, c durch geschlossene Formeln gelöst wird und diese geschlossenen Formeln neben den allgemein bekannten Rechenvorschriften für Zugfahrten mit konstanter Geschwindigkeit bzw. konstanter Bremsverzögerung benutzt werden, um wie folgt die Fahrzeit zu ermitteln:

- bei positiver Beschleunigung v'(t) > 0 wird geprüft, ob ausreichend Strecke zur Erreichung der Höchstgeschwindigkeit zur Verfügung steht und wenn genügend Strecke zur Verfügung steht, wird die Zeit und der Weg, die für die Beschleunigungsphase erforderlich sind, durch geschlossene Formeln ausgedrückt und mit konstanter Höchstgeschwindigkeit weitergefahren sowie werden andernfalls die geschlossenen Formeln für die Zeit und den Weg, um auf eine bestimmte Geschwindigkeit zu kommen, dafür genutzt, um durch ein numerisches Verfahren, insbesondere dem Newton-Verfahren, die Austrittsgeschwindigkeit und -zeit aus dem Streckenabschnitt zu bestimmen,

- bei negativer Beschleunigung v'(t) < 0 wird geprüft, ob der Zug evtl. vorher zum Stehen kommt, gegebenenfalls wird der Zeitpunkt des Stillstands und die dabei zurückgelegte Strecke ermittelt, ansonsten wird die Austrittsgeschwindigkeit sowie die benötigte Fahrzeit durch die geschlossenen Formeln ermittelt,

- bei Beharrungsfahrt v'(t) = 0 wird eine Einbruchsgeschwindigkeit v0 beibehalten,

- grundsätzlich wird eine evtl. vorgegebene Begrenzung einer Austrittsgeschwindigkeiten durch einen rechtzeitig eingeleiteten Bremsvorgang berücksichtigt.


 
2. Verfahren zur Ermittlung einer benötigten Fahrzeit eines Zuges nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass zur Ermittlung einer benötigten Beschleunigungsenergie eines Zuges ein einem Energieverbrauch des Zuges zugrundeliegende Produkt aus aufgewendeter Kraft von Antriebsaggregaten und zurückgelegtem Weg als Integral

formuliert und gelöst wird, wobei a, b und c die Koeffizienten der Gesamtbeschleunigung, d.h. die Traktionsbeschleunigung minus Widerstandsbeschleunigung sind, q0, q1 und q2 die Koeffizienten der Traktionskraft sowie A und B die Koeffizienten des Restpolynoms sind, das sich aus der Polynomdivision für (q2v2 + q1v + q0) v /(av2 + b v + c) ergibt, und t(v) die Zeit ist, um von Null auf v zu beschleunigen.
 
3. Verfahren zur Ermittlung einer benötigten Fahrzeit eines Zuges nach einem oder mehreren der Ansprüche 1 und 2, dadurch gekennzeichnet, dass Strecken mit wechselnden Höchstgeschwindigkeiten und/oder wechselnden Neigungen in einer Vorverarbeitung in Abschnitte mit konstanter Höchstgeschwindigkeiten und/oder konstanter Neigungen unterteilt und jeweilige Fahrzeiten bzw. Traktionsenergien zu einem Gesamtergebnis kumuliert werden, d.h. es werden für die einzelnen Abschnitte nacheinander bei vorgegebenen Eintrittsgeschwindigkeiten die Austrittsgeschwindigkeiten, die Fahrzeiten und die Traktionsenergien berechnet und die Fahrzeiten und die Traktionsenergien addiert und eisenbahnbetriebliche Regelwerke und Besonderheiten berücksichtigt.
 
4. Verfahren zur Ermittlung einer benötigten Fahrzeit eines Zuges nach einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, dass alle auf die Beschleunigung einwirkenden Zug- und Widerstandskräfte durch eine Vorverarbeitung auf eine Differentialgleichung der Form v'(t) = a v2(t) + b v(t) + c abgebildet werden, die Zugkraft eines Triebfahrzeuges durch ein stückweise quadratisches Polynom in Abhängigkeit der Geschwindigkeit v vorgegeben wird, die Gesamtwiderstandskraft durch ein quadratisches Polynom vorgegeben wird und sich die Beschleunigung aus der Differenz der Zugkraft und der Gesamtwiderstandskraft dividiert durch die Masse des Zuges ermittelt wird und die Gesamtwiderstandskraft sich aus dem quadratisch von der Geschwindigkeit abhängigen Luftwiderstand, dem Rollreibungswiderstand, der durch eine lineare Funktion gegeben ist, und dem Neigungswiderstand, der konstant ist, ermittelt wird.
 
5. Verfahren zur Ermittlung einer benötigten Fahrzeit eines Zuges nach einem der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, dass mehrere, in Abhängigkeit von dem Geschwindigkeitsbereich gültige, Differentialgleichungen für die Beschleunigungsphase durch einen entsprechenden Katalog von geschlossenen Formeln berücksichtigt werden, wobei während der Ermittlung der Beschleunigung der jeweils gültige Formelsatz zur Anwendung kommt:

- für den Fall, dass b2 > 4ac, wird D = √(b2- 4ac) und k = 1 - 2D/(2av0 +b + D) gesetzt, so dass t(v)= (1/D) In | ((1 - 2D/(2av+b+D))/k)| , v(t) = (2D/(1 + keDt) - b -D)/2a und s(t) = (In | (1+k) /(1 + keDt)| + (D-b)t/2)/a,

- für den Fall, dass b2 < 4ac wird D = √(4ac - b2) gesetzt, so dass t(v) = arctan(av/D + b/2D) + C mit einer Konstante, v(t)= (D tan(D(t+k) - b/2)/a und s(t) = (In |cos(Dk)/cos(D(t+k)| bt/2)/a, und v(t) die Zeit zum Zeitpunkt t und s(t) der zum Zeitpunkt t zurückgelegte Weg ist.


 
6. Verfahren zur Ermittlung einer benötigten Fahrzeit eines Zuges nach einem der Ansprüche 1 bis 5, dadurch gekennzeichnet, dass die durch vollständige oder teilweise Nichtberücksichtigung der Zugkräfte von einem oder mehreren der an dem Zug beteiligten Triebfahrzeuge eine Fahrzeit zugrundegelegt wird, die nicht eine technisch kürzeste erreichbare Fahrzeit darstellt und wenn mehrere Triebfahrzeuge in einem Zug vorhanden sind, vorgegeben wird, welches Triebfahrzeug aktiv ist und nur die Zugkräfte der aktiven Triebfahrzeuge addiert werden.
 






Angeführte Verweise

IN DER BESCHREIBUNG AUFGEFÜHRTE DOKUMENTE



Diese Liste der vom Anmelder aufgeführten Dokumente wurde ausschließlich zur Information des Lesers aufgenommen und ist nicht Bestandteil des europäischen Patentdokumentes. Sie wurde mit größter Sorgfalt zusammengestellt; das EPA übernimmt jedoch keinerlei Haftung für etwaige Fehler oder Auslassungen.

In der Beschreibung aufgeführte Nicht-Patentliteratur