[0001] Die vorliegende Erfindung betrifft ein Verfahren zur Einstellung einer Verstärkungskennlinie
einer Hörvorrichtung, insbesondere eines Hörgeräts, wobei die Verstärkungskennlinie,
die die Verstärkung zwischen Eingangs- und Ausgangssignalpegel definiert, einen ersten
im Wesentlichen linearen Kennlinienbereich, einen zweiten im Wesentlichen linearen
Kennlinienbereich und einen dazwischenliegenden Kniepunkt aufweist. Darüber hinaus
betrifft die vorliegende Erfindung eine Hörvorrichtung mit einer entsprechenden Verstärkungseinrichtung.
[0002] Bei Innenohrschwerhörigen tritt oftmals das Phänomen des Rekruitments auf, d. h.
ein pathologischer Lautheitsanstieg. Dieser lässt sich wie folgt erklären: Bei Normalhörenden
wird durch die Funktion der äußeren Haarzellen und die aktiven Prozesse der große
Dynamikbereich natürlich vorkommender akustischer Signalpegel in einen relativ kleinen
Bereich von Auslenkungen auf der Basiliarmembran komprimiert. Bei Ausfall dieser Prozesse
liegen die Auslenkungen für kleine Eingangssignalpegel unterhalb der Wahrnehmungsgrenze,
während bei mittleren Eingangspegeln die Wahrnehmungsgrenze überschritten wird und
der gesamte Bereich der Wahrnehmung von mittleren Pegeln bis hin zu hohen Pegeln überstrichen
wird. Dies führt zu einer größeren Steigung der subjektiven Lautheitsfunktion.
[0003] Um das Rekruitment bei Hörgeschädigten auszugleichen und die Sprachverständlichkeit
zu verbessern, werden die Eingangssignale bei digitalen Hörsystemen komprimiert, d.
h. leise Signale werden stärker verstärkt als laute Signale. Es ist jedoch bekannt,
dass Hörgeräteträger lineare Einstellungen oft bevorzugen, weil der Klang als angenehmer
empfunden wird. Daher ist man stets bemüht, den Verstärker so einzurichten, dass in
dem Nutzsignalpegelbereich eine lineare Verstärkung stattfindet. Hierzu ist es notwendig,
die Verstärkungskennlinie, d. h. die Übertragungsfunktion vom Eingangssignalpegel
zum Ausgangssignalpegel in zwei lineare Bereiche L1 und L2 aufzuteilen, die durch
einen Kniepunkt K getrennt sind, wie dies in FIG 1 dargestellt ist. Dieser Kurvenverlauf
macht deutlich, dass niedrigere Eingangssignalpegel stärker und höhere Eingangssignalpegel
oberhalb des Kniepunkts K1 weniger stark verstärkt werden. Daher ergibt sich in dem
Linearbereich L2 eine Kompression. In FIG 1 ist ferner ein Nutz- bzw. Eingangssignalpegelbereich
EB dargestellt, in dem typischerweise die meisten Sprachsignale liegen. In dem gewählten
Beispiel liegt der Eingangssignalpegelbereich von 50 dB bis 80 dB.
[0004] Da der Kniepunkt K1 in dem Pegelbereich EB des Nutzsignals liegt, können unter Umständen
Verzerrungen hörbar sein. Daher wird bekanntermaßen die Verstärkung eines Hörgeräts
hard- oder softwaremäßig so eingestellt, dass der Kniepunkt K1' der Verstärkung unterhalb
des Nutzsignalpegelbereichs EB liegt, wie dies in FIG 2 dargestellt ist. In diesem
Fall ist zwar die Verstärkung des Signals geringer und das Signal wird komprimiert,
aber dies wird vom Hörgeräteträger eher akzeptiert als störende Verzerrungen. Das
Hörgerät verhält sich somit linear und Oberschwingungen, die aufgrund einer nicht
linearen Kennlinie bei schwankendem Nutzsignalpegel um den Kniepunkt auftreten, sind
nicht mehr zu befürchten. Damit ergibt sich bei dem Nutzsignal "Sprache" oder "Musik"
ein eher natürliches Hörempfinden.
[0005] Alternativ kann der Kniepunkt der Verstärkungskurve auch oberhalb des Nutzsignalpegelbereichs
EB liegen. Dies ist jedoch eher ungünstig, da dann der geforderte Rekruitment-Ausgleich
schwer erreichbar ist.
[0006] Die Einstellung des Kniepunkts beruht jedoch auf Annahmen, die während der Hörsystemanpassung
gemacht werden. Wenn sich der Pegelbereich des Nutzsignals ändert, ist die Anpassung
nicht mehr optimal. Wurde die Anpassung beispielsweise für einen leisen Sprecher durchgeführt,
so gibt es Probleme bei einer späteren Kommunikation mit einem lauten Sprecher, da
sich der Nutzsignalpegelbereich hier nach oben verschiebt. Ebenso können Probleme
bei Musik mit hoher Dynamik auftreten, da der Pegelbereich dort sehr breit ist.
[0007] Die Aufgabe der vorliegenden Erfindung besteht somit darin, die Verstärkung einer
Hörvorrichtung dahingehend zu optimieren, dass bei unterschiedlichen Nutzsignalpegelbereichen
weniger Verzerrungen durch Nichtlinearität der Verstärkungskennlinie auftreten.
[0008] Erfindungsgemäß wird diese Aufgabe gelöst durch ein Verfahren zur Einstellung einer
Verstärkungskennlinie einer Hörvorrichtung, insbesondere eines Hörgeräts, wobei die
Verstärkungskennlinie, die die Verstärkung zwischen Eingangs- und Ausgangssignalpegel
definiert, einen ersten im Wesentlichen linearen Kennlinienbereich, einen zweiten
im Wesentlichen linearen Kennlinienbereich und einen dazwischenliegenden Kniepunkt
aufweist, durch Erfassen eines Eingangssignalpegelbereichs und Verschieben des Kniepunkts
in Abhängigkeit des Eingangspegelbereichs.
[0009] Darüber hinaus wird erfindungsgemäß bereitgestellt eine Hörvorrichtung, insbesondere
ein Hörgerät, mit einer Verstärkungseinrichtung, deren Verstärkungskennlinie, die
die Verstärkung zwischen Eingangs- und Ausgangssignalpegel definiert, einen ersten
im Wesentlichen linearen Kennlinienbereich, einen zweiten im Wesentlichen linearen
Kennlinienbereich und einen dazwischenliegenden Kniepunkt aufweist, einer Erfassungseinrichtung
zum Erfassen eines Eingangssignalpegelbereichs und einer Adaptionseinrichtung zum
Verschieben des Kniepunkts der Verstärkungseinrichtung in Abhängigkeit des Eingangssingalpegelbereichs.
[0010] Durch das erfindungsgemäße, automatische Anpassen der Verstärkungskennlinie an den
Nutz- bzw. Eingangssignalpegelbereich kann stets eine gewünschte Klangqualität erzielt
werden.
[0011] Vorzugsweise wird der Kniepunkt der Verstärkungskennlinie unterhalb des Eingangssignalpegelbereichs
geschoben. Damit kann im Nutz- bzw. Eingangssignalpegelbereich immer optimale Lautheit
und lineare Verstärkung geboten werden. Folglich ergeben sich im interessierenden
Bereich keine Verzerrungen und ein angenehmer Klang.
[0012] Die Verstärkungskennlinie kann darüber hinaus einen zweiten Kniepunkt aufweisen,
der zwischen dem zweiten im Wesentlichen linearen Kennlinienbereich und einem dritten
im Wesentlichen linearen Kennlinienbereich liegt, wobei der zweite Kniepunkt oberhalb
des Eingangsignalpegelbereichs liegt oder gelegt wird. Damit lässt sich die Kompression
im oberen Pegelbereich besser steuern und der Nutzpegelsignalbereich erfährt nach
wie vor eine lineare Verstärkung.
[0013] Die vorliegende Erfindung ist anhand der beigefügten Zeichnungen näher erläutert,
in denen zeigen:
- FIG 1
- einen Pegelbereich eines Nutzsignals um einen Kniepunkt;
- FIG 2
- einen Kniepunkt der Verstärkungskennlinie unterhalb des Nutzsignalbereichs und
- FIG 3
- eine Verstärkungskennlinie mit zwei Kniepunkten, die unter- und oberhalb des Nutzsignalbereichs
liegen.
[0014] Die nachfolgend näher geschilderten Ausführungsbeispiele stellen bevorzugte Ausführungsformen
der vorliegenden Erfindung dar.
[0015] Erfindungsgemäße wird zunächst für die Einstellung der Verstärkungskennlinie der
Pegelbereich des Nutzsignals ermittelt. In der erfindungsgemäßen Hörvorrichtung bzw.
dem erfindungsgemäßen Hörgerät ist hierzu beispielsweise ein Pegelschätzer vorgesehen.
Er ermittelt den Nutz- bzw. Eingangssignalpegelbereich EB. In dem Beispiel von FIG
1 liegt dieser Bereich, wie eingangs erwähnt, zwischen 50 dB und 80 dB. Die Verstärkungskennlinie
besitzt in dem hier gewählten Beispiel den bereits geschilderten Verlauf mit zwei
linearen Abschnitten L1 und L2 sowie einen dazwischenliegenden Kniepunkt K1.
[0016] Nach der automatischen Ermittlung des Eingangssingalpegelbereichs EB wird der Kniepunkt
langsam adaptiv zu dem unteren Ende des Nutzsignalpegelbereichs EB nachgeführt. Schließlich
ergibt sich ein neuer Kniepunkt K1' an der in FIG 2 eingezeichneten Stelle. Er trennt
nun die Linearbereiche L1' und L2'.
[0017] Das Nachführen erfolgt im vorliegenden Beispiel so, dass die Steilheit der Verstärkungskennlinie
im Linearbereich L1 bis zum Nutzsignalpegelbereich EB beibehalten wird. Im Nutzsignalpegelbereich
und darüber wird in etwa die Steilheit bzw. Kompression des ursprünglichen Linearbereichs
L2 gewählt, so dass sich der neue Linearbereich L2' ergibt.
[0018] Alternativ könnte das Nachführen des Kniepunkts auch dadurch erfolgen, dass die Steilheit
der Linearbereiche variiert und Endpunkte der Linearbereiche vorgegeben werden. So
könnte beispielsweise der Kniepunkt immer auf den Ausgangssignalpegel 50 dB am Anfang
des Nutzsignalpegelbereichs EB gesetzt werden.
[0019] Die Verstärkung des Nutzsignals ist im Anschluss an die Nachführung des Kniepunkts
zwar geringer und das Nutzsignal wird mehr komprimiert, aber es treten keine Verzerrungen
durch Nichtlinearitäten auf.
[0020] Bei einer anderen Ausführungsform der vorliegenden Erfindung besitzt die Verstärkungskennlinie
der Hörvorrichtung gemäß FIG 3 zwei Kniepunkte K2 und K3. Diese beiden Kniepunkte
K2 und K3 trennen die linearen Bereiche L3, L4 und L5 voneinander. Auch hier wird
die Verstärkungskennlinie automatisch an den Nutz- bzw. Eingangssignalpegelbereich
EB adaptiert. Dies bedeutet, dass der Kniepunkt K2 unterhalb des Nutzsignalbereichs
EB oder an dessen unteren Rand und der zweite Kniepunkt K3 oberhalb des Nutzsignalbereichs
EB oder an dessen oberen Rand automatisch verschoben wird. Der gesamte Ausgangssignalpegelbereich
ist bei dem gewählten Beispiel dann zwar geringer als bei den oben dargestellten Beispielen
mit einem Kniepunkt, aber die Gesamtverstärkung kann dann erhöht und damit das Nutzsignal
lauter wiedergegeben werden. Die Signale oberhalb des zweiten Kniepunkts K3 werden
stark komprimiert, sie sind jedoch nicht von großer Bedeutung, da sie außerhalb des
wesentlichen Eingangssignalpegelbereichs liegen. Vorteilhaft bei dieser Verstärkungsvariante
ist auch, dass der Ausgangsverstärkungsbereich praktisch ohne qualitative Einbußen
für den Nutzer deutlich verkleinert werden kann.
1. Verfahren zur Einstellung einer Verstärkungskennlinie einer Hörvorrichtung, insbesondere
eines Hörgeräts, wobei die Verstärkungskennlinie, die die Verstärkung zwischen Eingangs-
und Ausgangssignalpegel definiert, einen ersten im Wesentlichen linearen Kennlinienbereich
(L1, L1'), einen zweiten im Wesentlichen linearen Kennlinienbereich (L2, L2') und
einen dazwischenliegenden Kniepunkt (K1, K1') aufweist,
gekennzeichnet, durch
- Erfassen eines Eingangssignalpegelbereichs (EB) und
- Verschieben des Kniepunkts (K1, K1') in Abhängigkeit des Eingangspegelbereichs.
2. Verfahren nach Anspruch 1, wobei der Kniepunkt (K1, K1') unterhalb des Eingangssignalpegelbereichs
(EB) geschoben wird.
3. Verfahren nach Anspruch 1 oder 2, wobei die Verstärkungskennlinie einen zweiten Kniepunkt
(K3) aufweist, der zwischen dem zweiten im Wesentlichen linearen Kennlinienbereich
(L4) und einem dritten im Wesentlichen linearen Kennlinienbereich (L5) liegt, und
wobei der zweite Kniepunkt (K3) oberhalb des Eingangsignalpegelbereichs (EB) liegt.
4. Hörvorrichtung, insbesondere Hörgerät, mit
- einer Verstärkungseinrichtung, deren Verstärkungskennlinie, die die Verstärkung
zwischen Eingangs- und Ausgangssignalpegel definiert, einen ersten im Wesentlichen
linearen Kennlinienbereich (L1, L1'), einen zweiten im Wesentlichen linearen Kennlinienbereich
(L2, L2') und einen dazwischenliegenden Kniepunkt (K1, K1') aufweist,
gekennzeichnet, durch
- eine Erfassungseinrichtung zum Erfassen eines Eingangssignalpegelbereichs (EB) und
- eine Adaptionseinrichtung zum Verschieben des Kniepunkts (K1, K1') der Verstärkungseinrichtung
in Abhängigkeit des Eingangssingalpegelbereichs (EB).
5. Hörvorrichtung nach Anspruch 4, wobei der Kniepunkt (K1, K1') der Verstärkungskennlinie
der Verstärkungseinrichtung durch die Adaptionseinrichtung unterhalb des Eingangssignalpegelbereichs
(EB) schiebbar ist.
6. Hörvorrichtung nach Anspruch 4 oder 5, wobei die Verstärkungskennlinie der Verstärkungseinrichtung
einen zweiten Kniepunkt (K3) aufweist, der zwischen dem zweiten im Wesentlichen linearen
Kennlinienbereich (L4) und einem dritten im Wesentlichen linearen Kennlinienbereich
(L5) liegt, und wobei der zweite Kniepunkt (K3) durch die Adaptionseinrichtung oberhalb
des Eingangssignalpegelbereichs (EB) schiebbar ist.