(19)
(11) EP 1 962 554 A2

(12) EUROPÄISCHE PATENTANMELDUNG

(43) Veröffentlichungstag:
27.08.2008  Patentblatt  2008/35

(21) Anmeldenummer: 08101558.8

(22) Anmeldetag:  13.02.2008
(51) Internationale Patentklassifikation (IPC): 
H04R 25/00(2006.01)
(84) Benannte Vertragsstaaten:
AT BE BG CH CY CZ DE DK EE ES FI FR GB GR HR HU IE IS IT LI LT LU LV MC MT NL NO PL PT RO SE SI SK TR
Benannte Erstreckungsstaaten:
AL BA MK RS

(30) Priorität: 22.02.2007 DE 102007008739

(71) Anmelder: Siemens Audiologische Technik GmbH
91058 Erlangen (DE)

(72) Erfinder:
  • Tiefenau, Andreas
    90443, Nürnberg (DE)
  • Bäuml, Robert
    90542, Eckental (DE)

(74) Vertreter: Maier, Daniel Oliver 
Siemens Aktiengesellschaft Postfach 22 16 34
80506 München
80506 München (DE)

   


(54) Hörvorrichtung mit Störsignaltrennung und entsprechendes Verfahren


(57) Die Wahrnehmbarkeit eines Nutzsignals bei binauraler Versorgung eines Nutzers soll verbessert werden. Dazu wird eine Hörvorrichtung mit mindestens einem Mikrophon zur Aufnahme eines Eingangsschalls, der einen Nutzschall (11) und einen Störschall (12) aufweist, vorgeschlagen. Eine Störsignalschätzeinrichtung dient zum Schätzen des Störschalls (12) in dem Eingangsschall. Durch eine Signalverarbeitungseinrichtung wird ein erstes Ausgangssignal auf der Basis des geschätzten Störschalls für das eine Ohr des Nutzers (10) und ein zweites Ausgabesignal auf der Basis des geschätzten Störschalls für das andere Ohr des Nutzers (10) bereitgestellt. Das zweite Ausgabesignal wird gegenüber dem ersten Ausgabesignal mit einem vorgegebenen Zeitversatz versehen. Dadurch ergibt sich eine virtuelle örtliche Verschiebung der Störsignalquelle, so dass das Nutzsignal (11) besser wahrgenommen werden kann.




Beschreibung


[0001] Die vorliegende Erfindung betrifft eine Hörvorrichtung zur binauralen Versorgung eines Nutzers mit mindestens einem Mikrophon zur Aufnahme eines Eingangsschalls, der einen Nutzschall und einen Störschall aufweist. Darüber hinaus betrifft die vorliegende Erfindung ein entsprechendes Verfahren zur binauralen Versorgung. Unter einer Hörvorrichtung wird hier insbesondere ein Hörgerät, aber auch ein Headset, ein Kopfhörer und dergleichen verstanden.

[0002] Hörgeräte sind tragbare Hörvorrichtungen, die zur Versorgung von Schwerhörenden dienen. Um den zahlreichen individuellen Bedürfnissen entgegenzukommen, werden unterschiedliche Bauformen von Hörgeräten wie Hinter-dem-Ohr-Hörgeräte (HdO) und In-dem-Ohr-Hörgeräte (IdO), z.B. auch Concha-Hörgeräte oder Kanal-Hörgeräte (CIC), bereitgestellt. Die beispielhaft aufgeführten Hörgeräte werden am Außenohr oder im Gehörgang getragen. Darüber hinaus stehen auf dem Markt aber auch Knochenleitungshörhilfen, implantierbare oder vibrotaktile Hörhilfen zur Verfügung. Dabei erfolgt die Stimulation des geschädigten Gehörs entweder mechanisch oder elektrisch.

[0003] Hörgeräte besitzen prinzipiell als wesentliche Komponenten einen Eingangswandler, einen Verstärker und einen Ausgangswandler. Der Eingangswandler ist in der Regel ein Schallempfänger, z. B. ein Mikrofon, und/oder ein elektromagnetischer Empfänger, z. B. eine Induktionsspule. Der Ausgangswandler ist meist als elektroakustischer Wandler, z. B. Miniaturlautsprecher, oder als elektromechanischer Wandler, z. B. Knochenleitungshörer, realisiert. Der Verstärker ist üblicherweise in eine Signalverarbeitungseinheit integriert. Dieser prinzipielle Aufbau ist in FIG 1 am Beispiel eines Hinter-dem-Ohr-Hörgeräts dargestellt. In ein Hörgerätegehäuse 1 zum Tragen hinter dem Ohr sind ein oder mehrere Mikrofone 2 zur Aufnahme des Schalls aus der Umgebung eingebaut. Eine Signalverarbeitungseinheit 3, die ebenfalls in das Hörgerätegehäuse 1 integriert ist, verarbeitet die Mikrofonsignale und verstärkt sie. Das Ausgangssignal der Signalverarbeitungseinheit 3 wird an einen Lautsprecher bzw. Hörer 4 übertragen, der ein akustisches Signal ausgibt. Der Schall wird gegebenenfalls über einen Schallschlauch, der mit einer Otoplastik im Gehörgang fixiert ist, zum Trommelfell des Geräteträgers übertragen. Die Stromversorgung des Hörgeräts und insbesondere die der Signalverarbeitungseinheit 3 erfolgt durch eine ebenfalls ins Hörgerätegehäuse 1 integrierte Batterie 5.

[0004] Moderne Hörgeräte können häufig Störgeräusche erkennen. Die Erkennung erfolgt beispielsweise anhand der Stationarität von Signalanteilen. Sobald die Störgeräusche erkannt sind, können sie durch den jeweils eingesetzten Störgeräuschunterdrückungsmechanismus unterdrückt werden. Bei der Störgeräuschunterdrückung treten jedoch häufig Artefakte auf. So entstehen beispielsweise so genannte "musical tones" durch das Heraus-und Hereinnehmen von spektralen Anteilen. Des Weiteren wird durch viele Störgeräuschreduktionsalgorithmen das Signal verfremdet, wodurch die Klangqualität leidet.

[0005] Den Artefakten und Signalverfremdungen ist man in aktuellen Hörgeräten bislang dadurch begegnet, dass man versucht hat, diese so weit wie möglich zu eliminieren bzw. zu unterdrücken. So erfolgte beispielsweise im Rahmen der Störgeräuschunterdrückung nur eine begrenzte Absenkung der Störgeräusche bzw. eine begrenzte Änderungsgeschwindigkeit der Dämpfung.

[0006] Aus dem Artikel von ANEMÜLLER, Jörn: "Blinde Quellentrennung als Vorverarbeitung zur robusten Sprecherkennung", in DAGA 2000, Oldenburg ist beschrieben, wie sich die Qualität der Spracherkennung durch "Blinde Quellentrennung" verbessern lässt. Dabei wird aus einem Eingangssignal, das mit zwei Mikrofonen aufgenommen wird, ein Störsignal ausgefiltert, so dass lediglich das gewünschte Sprachsignal bleibt.

[0007] Weiterhin beschreibt die Druckschrift EP 1 640 972 A1 ein Verfahren zur Trennung der Sprache eines Nutzers von Umgebungsgeräuschen. Hierzu wird ein Gerät genutzt, das am Ohr getragen wird und ein erstes, nach außen gerichtetes Mikrofon und ein zweites nach innen in den Ohrkanal gerichtetes Mikrofon besitzt. Aus den beiden Eingangssignalen lässt sich durch blinde Quellentrennung ein Sprachsignal des Nutzers gewinnen, um es drahtlos an einen Empfänger zu übertragen.

[0008] Die Aufgabe der vorliegenden Erfindung besteht darin, die Wahrnehmung von Nutzschall in Störschall zu verbessern.

[0009] Erfindungsgemäß wird diese Aufgabe gelöst durch eine Hörvorrichtung zur binauralen Versorgung eines Nutzers mit mindestens einem Mikrophon zur Aufnahme eines Eingangsschalls, der einen Nutzschall und einen Störschall aufweist, einer Störsignalschätzeinrichtung zur Schätzung des Störschalls in dem Eingangsschall und einer Signalverarbeitungseinrichtung zur Bereitstellung eines ersten Ausgabesignals auf der Basis der Störschallschätzung für das eine Ohr des Nutzers und eines zweiten Ausgabesignals auf der Basis der Störschallschätzung für das andere Ohr des Nutzers, wobei das zweite Ausgabesignal gegenüber dem ersten Ausgabesignal mit einem vorgegebaren Zeitversatz versehen ist.

[0010] Darüber hinaus wird erfindungsgemäß bereitgestellt ein Verfahren zur binauralen Versorgung eines Nutzers durch Aufnehmen eines Eingangsschalls, der einen Nutzschall und einen Störschall aufweist, Schätzen des Störschalls in dem Eingangssignal und Bereitstellen eines ersten Ausgabesignals auf der Basis des geschätzten Störschalls für das eine Ohr des Nutzers und eines zweiten Ausgabesignals auf der Basis des geschätzten Störschalls für das andere Ohr des Nutzers, wobei das zweite Ausgabesignal gegenüber dem ersten Ausgabesignal mit einem vorgebbaren Zeitversatz versehen wird.

[0011] Die vorliegende Erfindung beruht auf dem Gedanken, Störsignale grundsätzlich anders zu behandeln als bei üblichen Störgeräuschreduktionsverfahren. Das Störsignal soll nicht aus dem Gesamtsignal entfernt werden. Stattdessen wird nur die räumliche Lokalisation des Störsignals verändert. Hierdurch werden Artefakte vermieden und das Klangbild bleibt weitgehend erhalten.

[0012] Vorzugsweise besitzt die Störsignalschätzeinrichtung eine Spracherkennungseinheit, so dass das Störsignal dadurch schätzbar ist, dass ein erkanntes Sprachsignal als Nutzschall von dem Eingangsschall subtrahiert wird. Dabei wird also primär das Nutzsignal geschätzt und daraus indirekt das Störsignal. Diese Art der Schätzung des Störsignals ist häufig dann von Vorteil, wenn das Nutzsignal bekannt ist.

[0013] Die Störsignalschätzeinrichtung kann in der Lage sein, in mehreren Frequenzbändern jeweils einen Störsignalanteil zu schätzen. Durch diese bandweise Störsignalbehandlung sind vielfach bessere Resultate erzielbar.

[0014] Weiterhin kann die erfindungsgemäße Hörvorrichtung ein Richtmikrophon aufweisen, mit dem Störschallkomponenten dämpfbar sind, die nicht aus einer Nutzschallrichtung kommen. Die erfindungsgemäße Hörvorrichtung bzw. das erfindungsgemäße Verfahren lässt sich aber auch mit beliebigen anderen Störgeräuschunterdrückungsmaßnahmen kombinieren. Dadurch ergibt sich beispielsweise eine übliche Dämpfung eines Störgeräuschs zusammen mit dessen räumlicher Verschiebung.

[0015] Die vorliegende Erfindung ist anhand der beigefügten Zeichnungen näher erläutert, in denen zeigen:
FIG 1
einen üblichen Aufbau eines Hörgeräts gemäß dem Stand der Technik und
FIG 2
eine Skizze zur Wahrnehmung eines gestörten Sprach-signals und
FIG 3
eine Skizze zur Wahrnehmung des gestörten Sprach-signals nach einer virtuellen örtlichen Verschiebung der Störquelle.


[0016] Das nachfolgend näher geschilderte Ausführungsbeispiel stellt eine bevorzugte Ausführungsform der vorliegenden Erfindung dar.

[0017] Entsprechend dem Beispiel von FIG 2 nimmt ein Hörgeräteträger 10 ein Nutzsignal 11, hier ein Sprachsignal, aus einer Nutzsignalrichtung wahr. Aus dieser Nutzsignalrichtung hört der Hörgeräteträger auch ein Störsignal 12. Dadurch ist die Sprachverständlichkeit im vorliegenden Beispiel stark eingeschränkt.

[0018] Wie bei modernen Hörgeräten üblich, wird nun das Störgeräusch durch die in FIG 2 nicht dargestellten Hörgeräte in verschiedenen Frequenzbändern geschätzt. Wird in einem Band durch die Schätzung ein Überwiegen des Störgeräuschanteils festgestellt, erzeugt ein Störgeräuschtrennungsalgorithmus einen zeitlichen Versatz zwischen den Signalen auf der rechten und der linken Seite. Hierdurch ergibt sich entsprechend FIG 3 eine virtuelle örtliche Verschiebung der Störsignalquelle um einen Winkel α. Dies bedeutet, dass das Sprachsignal 11 nach wie vor aus der Nutzsignalrichtung wahrgenommen wird, ein geschätztes Störsignal 12' jedoch aus einer anderen Richtung.

[0019] Der zeitliche Versatz der Signale am linken und rechten Ohr durch das linke und rechte Hörgerät führt also zu einer Verschiebung der räumlichen Lokalisation. Hierdurch wird die Separierung von Störsignal 12, 12' und Nutzsignal 11 in der zentralen Verarbeitung (auditorisches System) unterstützt, da die Signalanteile in verschiedenen Bereichen des auditorischen Kortex (menschliches Hörsystem) abgebildet werden.

[0020] Gemäß einer alternativen Ausführungsform erfolgt die Störgeräuschtrennung ohne separate Analyse in mehreren Frequenzbändern. Die Trennung erfolgt hier von einem bekannten Typ von Nutzsignal. So wird beispielsweise ein Sprachsignal von einem Restsignal breitbandig getrennt. Das Feststellen eines Sprachsignals erfolgt durch einen Spracherkennungsalgorithmus und das erkannte Sprachsignal wird anschließend von dem Gesamtsignal subtrahiert, wodurch sich ein Restsignal, also ein indirekt geschätztes Störsignal, ergibt. Die Trennung des Sprachsignals von dem Restsignal erfolgt nun dadurch, dass das Sprachsignal in seiner räumlichen Information unangetastet bleibt, während das Restsignal beispielsweise um 10 bis 20 Grad horizontal örtlich verschoben wird. Die Verschiebung erfolgt wie oben durch den zeitlichen Versatz der beiden für das linke und das rechte Ohr bestimmten Signale. Das menschliche Gehirn ist dann in der Lage, das Sprachsignal besser zu verstehen, da das Störgeräusch aus einer anderen Richtung wahrgenommen wird.


Ansprüche

1. Hörvorrichtung zur binauralen Versorgung eines Nutzers (10) mit

- mindestens einem Mikrophon zur Aufnahme eines Eingangsschalls, der einen Nutzschall (11) und einen Störschall (12) aufweist, und

- einer Störsignalschätzeinrichtung zur Schätzung des Störschalls (12) in dem Eingangsschall,

gekennzeichnet durch

- einen Signalverarbeitungseinrichtung zur Bereitstellung eines ersten Ausgabesignals aus der Störschallschätzung für das eine Ohr des Nutzers (10) und eines zweiten Ausgabesignals aus der Störschallschätzung für das andere Ohr des Nutzers (10), wobei das zweite Ausgabesignal gegenüber dem ersten Ausgabesignal mit einem vorgebbaren Zeitversatz versehen ist.


 
2. Hörvorrichtung nach Anspruch 1, wobei die Störsignalschätzeinrichtung eine Spracherkennungseinrichtungseinheit aufweist, so dass das Störsignal (12) dadurch schätzbar ist, dass ein erkanntes Sprachsignal als Nutzschall (11) von dem Eingangssignal subtrahiert wird.
 
3. Hörvorrichtung nach Anspruch 1 oder 2, wobei die Störsignalschätzeinrichtung in der Lage ist, in mehreren Frequenzbändern jeweils einen Störsignalanteil zu schätzen.
 
4. Hörvorrichtung nach einem der vorhergehenden Ansprüche, die ein Richtmikrophon aufweist, mit dem Störschallkomponenten dämpfbar sind, die nicht aus einer Nutzschallrichtung kommen.
 
5. Verfahren zur binauralen Versorgung eines Nutzers (10) durch

- Aufnehmen eines Eingangsschalls, der einen Nutzschall (11) und einen Störschall (12) aufweist, und

- Schätzen des Störschalls (12) in dem Eingangssignal,

gekennzeichnet durch

- Bereitstellen eines ersten Ausgabesignals auf der Basis des geschätzten Störschalls (12') für das eine Ohr des Nutzers (10) und eines zweiten Ausgabesignals auf der Basis des geschätzten Störschalls (12') für das andere Ohr des Nutzers (10), wobei das zweite Ausgabesignal gegenüber dem ersten Ausgabesignal mit einem vorgebbaren Zeitversatz versehen wird.


 
6. Verfahren nach Anspruch 5, wobei in dem Eingangssignal ein Sprachsignal durch eine Spracherkennung als Nutzschall (11) erkannt und das Störsignal (12) dadurch geschätzt wird, dass das erkannte Sprachsignal von dem Eingangsschall subtrahiert wird.
 
7. Verfahren nach Anspruch 5 oder 6, wobei in mehreren Frequenzbändern jeweils ein Störsignalanteil geschätzt wird.
 
8. Verfahren nach einem der Ansprüche 5 bis 7, wobei Störschallkomponenten, die nicht aus einer Nutzschallrichtung kommen, durch ein Richtmikrophon gedämpft werden.
 




Zeichnung








Angeführte Verweise

IN DER BESCHREIBUNG AUFGEFÜHRTE DOKUMENTE



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In der Beschreibung aufgeführte Patentdokumente