(19)
(11) EP 2 165 910 A1

(12) EUROPÄISCHE PATENTANMELDUNG

(43) Veröffentlichungstag:
24.03.2010  Patentblatt  2010/12

(21) Anmeldenummer: 08016343.9

(22) Anmeldetag:  17.09.2008
(51) Internationale Patentklassifikation (IPC): 
B61F 1/08(2006.01)
(84) Benannte Vertragsstaaten:
AT BE BG CH CY CZ DE DK EE ES FI FR GB GR HR HU IE IS IT LI LT LU LV MC MT NL NO PL PT RO SE SI SK TR
Benannte Erstreckungsstaaten:
AL BA MK RS

(71) Anmelder: Stadler Winterthur AG
8400 Winterthur (CH)

(72) Erfinder:
  • Cortesi, Alberto
    8547 Gachnang (CH)

(74) Vertreter: Fischer, Britta Ruth 
E. BLUM & CO. AG Vorderberg 11
8044 Zürich
8044 Zürich (CH)

   


(54) Schienenfahrzeug


(57) Die Erfindung betrifft ein Schienenfahrzeug (11; 21; 31) mit zwei oder mehr Radachsen (12) und einem Lokrahmen (11), wobei eine Schwingungstilgungsvorrichtung vorgesehen ist, die eine oder mehrere Tilgermassen (15) umfasst, die in Fahrzeugquerrichtung elastisch mit dem Lokrahmen (11) verbunden sind, sodass sie beim Auftreten von Eigenschwingungen des Schienenfahrzeugs (10; 21; 31) im Wesentlichen in Gegenphase zu diesen schwingen. Mittels der Erfindung lässt sich die zulässige Geschwindigkeit insbesondere von schweren zweiachsigen Schienenfahrzeugen mit kleinem Achsabstand vorteilhafterweise erhöhen.




Beschreibung


[0001] Die Erfindung betrifft ein Schienenfahrzeug gemäss Oberbegriff des Anspruchs 1.

[0002] Schienenfahrzeuge sind üblicherweise mit Rädern mit leicht konischförmigen Profilen versehen, von denen jeweils zwei, die verschiedenen Schienen eines Gleises zugeordnet sind, unter Bildung eines Radsatzes starr miteinander verbunden sind. Figur 1 zeigt in einer Querschnittsdarstellung zwei derartige Räder 1, 2, die jeweils mit ihrem Profil 4, 5 auf einer Schiene 3 aufliegen. Bedingt durch die leicht konischen Profile 4, 5 der Räder 1, 2 ergeben sich unterschiedliche Rollradien r0, r1 und r2 (vergleiche hierzu http://de.wikipedia.org/wiki/äquivalente_Konizität). Es ergibt sich bei einer Querverschiebung y von Null ein Rollradius von r0 und bei einer Querverschiebung y mit einem gegebenen Wert die Rollradien r1 und r2.

[0003] Wegen der leicht konischen Profile der Räder, der damit verbundenen Rollradiusänderung dieser Profile und der starren Verbindung der zwei Räder eines Radsatzes erfolgt beim Abrollen eines Radsatzes auf dem Gleis von oben betrachtet (d.h. in Draufsicht auf das Gleis) typischerweise eine Schlängelbewegung (auch Schlingerbewegung genannt) innerhalb des Spurspiels (das in der Regel 15 mm beträgt) zwischen den Spurkränzen der Räder des Radsatzes und den Innenkanten der beiden parallel verlaufenden Schienen. Diese Schlängelbewegung wird auch als "Sinuslauf" oder als "Schlingern" bezeichnet. Letzteres da es sich aufgrund der lichtlinearen Kontaktbedingungen zwischen Rad und Schiene genau betrachtet nicht um eine harmonische Bewegung handelt.

[0004] In Figur 2 ist eine Draufsicht auf ein eine solche Schlängelbewegung ausführendes Schienenfahrzeug schematisch dargestellt, wobei sich die Darstellung des Schienenfahrzeugs der Einfachheit halber auf die Darstellung von dessen Radsätzen 6 beschränkt. Die Fahrzeuglängsrichtung wird mit "x" bezeichnet. Die Fahrzeugquerrichtung wird mit "y" bezeichnet. Die mathematische Mittelachse 7 verläuft mittig zwischen den Schienen 3. Die Schlängelbewegung ist beispielhaft durch die sinusförmige Kurve 8 dargestellt, deren Amplitude für gute Schienenfahrzeuge bei ein paar Millimetern, z.B. 2 bis 3 Millimetern, liegt, soweit die weiter unten beschriebene kritische Geschwindigkeit nicht erreicht ist. Die Ausrichtung der Radsätze 6 ist derart, dass die Längsachsen 9 der Radsätze 6 die Kurve 8 senkrecht schneiden. Die Periodendauer λ ergibt sich gemäss der folgenden Formel (so genannte Klingel'sche Formel):


wobei a der Abstand von der Mittelachse 7 zu einer Schiene 3 (so genanntes Spurmittenmass), r0 der arithmetische Mittelwert der Rollradien und δ0 die äquivalente Konizität sind.

[0005] Die bei der Schlängelbewegung der Radsätze ausgeführten periodischen Querbewebungen führen zu einer Schwingungsanregung der oberhalb der Radsätze angeordneten, typischerweise über Federn abgestützten Massen des Schienenfahrzeugs. Mit zunehmender Fahrzeuggeschwindigkeit erhöhen sich die Frequenz und auch die Amplitude der Anregung der Schienenfahrzeugmassen, die durch die in Figur 2 exemplarisch dargestellte Schlängelbewegung der Radsätze hervorgerufen wird, und kann insbesondere Eigenfrequenzen der Schienenfahrzeugfederung und/oder auch andere Schwingungsmoden des Schienenfahrzeugs anregen. Stimmt die Frequenz dieser Anregung (auch Anregefrequenz genannt) mit einer Eigenfrequenz des Schienenfahrzeugs überein, so kommt es üblicherweise zu Resonanzerscheinungen, die auch als Instabilität (bzw. instabiler Zustand) oder kritische Geschwindigkeiten bezeichnet werden.

[0006] Bei Schienenfahrzeugen mit Drehgestellen ist in der Regel der zuerst auftretende, als störend zu wertende Schwingungsmode, der zu einer Instabilität führt, durch in etwa eine Wendebewegung des Drehgestellrahmens um dessen Hochachse gegeben. Bei zweiachsigen Schienenfahrzeugen ist der zuerst auftretende, als störend zu wertende Schwingungsmode, der zu einer Instabilität führt, meistens durch in etwa eine Wendebewegung des Fahrzeugkastens um dessen Hochachse gegeben.

[0007] Je nach Verkoppelung der einzelnen Massen des Schienenfahrzeugs können bei einer Anregung durch eine Schlängelbewegung der Radsätze auch Eigenschwingungsformen mitschwingen, deren Eigenfrequenzen nicht der Anregefrequenz der durch die Schlängelbewegung hervorgerufenen Anregung entsprechen. Aufgrund des stark nichtlinearen Schlupfverhaltens und der Geometriebedingungen an der Kontaktstelle zwischen Rad und Schiene und aufgrund der Massenbehaftung des Radsatzes kann auch der Radsatz selbst Teil des schwingungsfähigen Systems sein, sodass die Eigenformen typischerweise vielfältiger sind als eine Wendebewegung und mit dem Begriff "Wendebewegung" nicht vollständig erfasst sind. Das Schwingungsverhalten eines Schienenfahrzeugs, welches ein sogenanntes Mehrkörpersystem darstellt, lässt sich dagegen mit speziellen Mehrkörpersystem-Berechnungsprogrammen, die die nicht linearen Kontaktbedingungen zwischen Rad und Schiene berücksichtigen, relativ genau beschreiben und simulieren.

[0008] Das Fahren des Schienenfahrzeugs im instabilen Zustand führt zu grossen seitlichen Beschleunigungen und Kräften zwischen Rad und Schiene und kann im Extremfall zur Entgleisung des Fahrzeugs führen. Das Fahren im instabilen Zustand ist daher nicht zulässig. Bei zweiachsigen Schienenfahrzeugen mit kurzem Achsabstand sind die Verhältnisse in der Regel so ungünstig, dass bei schweren zweiachsigen Schienenfahrzeugen das Fahren mit Geschwindigkeiten von über 100 km/h auf konventionellen Gleisen kaum ohne Instabilitätserscheinungen möglich ist. So muss aus diesem Grunde beispielsweise die zulässige Geschwindigkeit eines konventionellen Eisenbahnfahrzeugs unterhalb der für es kritischen Geschwindigkeit liegen. Momentan werden Schienenfahrzeuge üblicherweise dadurch stabilisiert, dass die Betriebsgeschwindigkeit unterhalb der kritischen Geschwindigkeit liegt, um Resonanzeffekte zu vermeiden.

[0009] Die durch das Auftreten von Resonanzerscheinungen bedingte kritische Geschwindigkeit kann durch eine geeignete Wahl bestimmter Fahrzeugparameter beeinflusst werden. Auch die Art der geometrischen Paarung des Radsatzes mit dem Gleis (d.h. die Konizität der Radprofile) und die witterungsabhängigen Kontaktbedingungen zwischen Rad und Schiene haben einen grossen Einfluss auf die kritische Geschwindigkeit, können aber in der Regel nur schwer oder gar nicht geändert bzw. beeinflusst werden.

[0010] Bei Schienenfahrzeugen mit Drehgestellen kann fahrzeugseitig zum Beispiel durch einen relativ grossen Achsabstand im Drehgestell und durch eine möglichst steife Führung der Radsätze in Fahrzeuglängsrichtung die Anregefrequenz reduziert und dadurch die kritische Geschwindigkeit erhöht werden. Ein grosser Achsabstand und eine steife Führung führen aber in der Regel zu einer massiven Verschlechterung des Kurvenlaufs des Schienenfahrzeugs, der wiederum von dem Anlaufwinkel zwischen Rad und Schiene abhängig ist. Eine Verschlechterung des Kurvenlaufs des Schienenfahrzeugs ruft vermehrten Verschleiss, hohe Querkräfte zwischen Rad und Schiene und unerwünschte Quietschgeräusche bei Kurvenfahrten hervor.

[0011] Stabilisierende Effekte können auch durch die Reduzierung der Massenträgkeit bzw. des Massenträgheitsmoments des Drehgestellrahmens um dessen Hochachse erzielt werden. Auch können bekannte Schlingerdämpfer zwischen dem Drehgestellrahmen und dem Wagenkasten des Schienenfahrzeugs vorgesehen sein.

[0012] Bei hohen Gebäuden wie beispielsweise Türmen oder auch bei Hängebrücken oder ähnlichem werden häufig Gegenschwingmassen in Form von Pendeln eingesetzt, deren Eigenfrequenz mit der Eigenfrequenz des Gebäudes bzw. Bauwerks übereinstimmt und die beim Auftreten von Resonanzeffekten (z.B. bei einer Anregung durch Windanfachung) in Gegenphase zur Schwingung des Gebäudes bzw. Bauwerks mitschwingen und damit die Amplitude der Schwingung in Grenzen halten.

[0013] Es ist Aufgabe der vorliegenden Erfindung, ein Schienenfahrzeug mit zwei oder mehr Radachsen und einem Lokrahmen bereitzustellen, bei dem es bei hohen Geschwindigkeiten nicht zu Instabilitätserscheinungen kommt, sodass die Laufstabilität hoch ist. Insbesondere ist es Aufgabe der Erfindung, ein Schienenfahrzeug bereitzustellen, das in einer Ausführung als schwere zweiachsige Lokomotive mit kleinem und somit kurvenlaufgünstigem Achsabstand, höhere zulässige Geschwindigkeiten als bekannte derartige Schienenfahrzeuge fahren kann, ohne das Instabilitätserscheinungen auftreten, sodass für auch derart ausgeführte Schienenfahrzeuge eine Erweiterung des Einsatzspektrums zu höheren Fahrgeschwindigkeiten hin erfolgt, insbesondere damit auch das Führen von leichten Güterzügen mit der momentan üblichen maximalen Geschwindigkeit von 120 km/h oder auch mit höheren Geschwindigkeiten möglich ist.

[0014] Die Aufgabe wird durch ein Schienenfahrzeug mit den Merkmalen des Anspruchs 1 gelöst.

[0015] Das erfindungsgemässe Schienenfahrzeug kennzeichnet sich dadurch aus, dass eine Schwingungstilgungsvorrichtung vorgesehen ist, die eine oder mehrere Tilgermassen umfasst, wobei die einen oder mehreren Tilgermassen in Fahrzeugquerrichtung elastisch mit dem Lokrahmen verbunden sind, sodass die einen oder mehreren Tilgermassen beim Auftreten von Eigenschwingungen des Schienenfahrzeugs, insbesondere bei Eigenschwingungen in Fahrzeugquerrichtung, im Wesentlichen in Gegenphase zu diesen schwingen. Eine Tilgermasse kann auch als Zusatzmasse bezeichnet werden. Die einen oder mehreren Tilgermassen können mittelbar oder unmittelbar mit dem Lokrahmen verbunden sein.

[0016] Die einen oder mehreren Tilgermassen sind beispielsweise über Federn und/oder Dämpfer derart mit der insbesondere durch den Lokrahmen gebildeten schwingenden Struktur verbunden, dass sie bei Auftreten von Eigenschwingungen der schwingenden Struktur im Wesentlichen in Gegenphase zu dieser schwingen und auf diese Weise der schwingenden Struktur Schwingungsenergie entziehen und die Schwingung der schwingenden Struktur zumindest teilweise tilgen. Die Massenträgheit bzw. das Massenträgheitsmoment der einen oder mehreren Tilgermassen um die Hochachse (Gierachse) des Schienenfahrzeugs hat quantitativ gesehen vorzugsweise dieselbe Grössenordnung wie die Massenträgheit bzw. das Massenträgheitsmoment der schwingenden Struktur, insbesondere des Lokrahmens, sodass eine möglichst vollständige Tilgung der Eigenschwingung der schwingenden Struktur erzielt werden kann.

[0017] Weitere vorteilhafte Ausgestaltungen der Erfindung ergeben sich aus den abhängigen Ansprüchen und den anhand der Zeichnungen nachfolgend dargestellten Ausführungsbeispielen. Es zeigen:

Fig. 1 eine schematische Querschnittsdarstellung zweier Räder eines Schienenfahrzeugs, die jeweils mit ihrem Profil auf einer Schiene aufliegen,

Fig. 2 eine schematische Draufsicht auf ein eine Schlängelbewegung ausführendes Schienenfahrzeug,

Fig. 3 eine Längsschnittdarstellung eines ersten Ausführungsbeispiels eines erfindungsgemässen Schienenfahrzeugs,

Fig. 4 eine Grundrissdarstellung des in Figur 3 gezeigten ersten Ausführungsbeispiels,

Fig. 5 eine Querschnittdarstellung des in den Figuren 3 und 4 gezeigten ersten Ausführungsbeispiels,

Fig. 6 eine Grundrissdarstellung des ersten Ausführungsbeispiels des erfindungsgemässen Schienenfahrzeugs, wobei es Schwingungsbewegungen ausführt,

Fig. 7 eine Querschnittdarstellung des in Figur 6 gezeigten, Schwingungsbewegungen ausführenden ersten Ausführungsbeispiel,

Fig. 8 eine Querschnittdarstellung eines zweiten Ausführungsbeispiels eines erfindungsgemässen Schienenfahrzeugs und

Fig. 9 eine Querschnittdarstellung eines dritten Ausführungsbeispiels eines erfindungsgemässen Schienenfahrzeugs mit einer Führung.



[0018] In den Figuren bezeichnen gleiche Bezugszeichen strukturell- bzw. funktionell gleiche bzw. gleich wirkende Komponenten. Die Figuren 1 und 2 sind bereits in der Beschreibungseinleitung beschrieben und es wird auf diese Textstellen verwiesen.

[0019] Die Figuren 3, 4 und 5 zeigen ein erfindungsgemässes Schienenfahrzeug 10, bei dem es sich beispielhaft um eine Lokomotive handelt, mit einem Lokrahmen 11 im Längsschnitt (Figur 3), im Grundriss (Figur 4) und im Querschnitt (Figur 5). Es sind zwei Radachsen vorgesehen, die durch jeweils einen Radsatz 12 definiert sind, wobei in den Figuren 4 und 5 der Einfachhalt der Darstellung halber nur ein Radsatz 12 dargestellt ist. Die Radsätze 12 sind über querelastisch ausgebildete Tragfedern 17 - sogenannten Flexicoil-Schraubfedern - mit dem Lokrahmen 11 bzw. dem Fahrzeugkasten verbunden. Die Tragfedern 17 sind in Figur 5 der Einfachheit halber nicht dargestellt. Die Räder 13 der Radsätze 12 laufen auf den Schienen 14.

[0020] Es ist eine Schwingungstilgungsvorrichtung vorgesehen, die zwei Tilgermassen 15 umfasst, die an den beiden Enden (Extremitäten) des Schienenfahrzeugs 10 innerhalb des Lokrahmens 11 vorgesehen sind. In Fahrzeuglängsrichtung gesehen ist jeweils vor dem vorderen Radsatz 12 und nach dem hinteren Radsatz 12 eine Tilgermasse 15 angeordnet. Die Tilgermassen 15 sind beispielhaft quaderförmig dargestellt, sodass der vorhandene Bauraum effizient ausgenutzt wird, und erstrecken sich in Fahrzeugquerrichtung. Sie können jedoch selbstverständlich auch jede andere geeignete Form aufweisen. Auch der Einbauort der Tilgermassen 15 ist nicht zwingend an die Extremitäten des Fahrzeugs gebunden, wenngleich die Extremitäten als Einbauort für die Tilgung von Schwingbewegungen um die Fahrzeughochachse besonders günstig sind. Die Figuren 3, 4 und 5 stellen das Schienenfahrzeug 10 und die Tilgermassen 15 in Neutrallage dar.

[0021] Die Tilgermassen 15 sind in Fahrzeugquerrichtung elastisch am Lokrahmen 11 befestigt, wobei die Befestigungselemente vorzugsweise derart ausgeführt und abgestimmt sind, dass die Quer-Eigenfrequenz (d.h. die Eigenfrequenz mit der die Tilgermassen 15 in Fahrzeugquerrichtung schwingen) der Schlinger-Eigenfrequenz des Lokrahmens 11 und/oder anderer schwingender Komponenten bzw. Massen des Schienenfahrzeugs 10 entsprechen. Die Schlinger-Eigenfrequenz entspricht der Frequenz, mit der der Lokrahmen (bzw. andere schwingende Komponenten/ Massen) schlingert bzw. eine Schlängelbewegung ausführt. Die Schlinger-Eigenfrequenz(en) des Lokrahmens und/oder anderen schwingenden Komponenten/ Massen des Schienenfahrzeugs können beispielsweise mittels Mehrkörpersystemberechnungsprogrammen ermittelt werden. Mittels der Mehrkörpersystemprogramme können auch weitere Aussagen über das Schwingungsverhalten des Schienenfahrzeugs 10 bzw. seines Lokrahmens 11 und über geeignete schwingungstechnische Abstimmungen, z.B. über die Dimensionierung und das Gewicht einer als Tilgermasse 15 geeigneten Masse, getroffen werden.

[0022] Das Massenträgheitsmoment der Tilgermassen 15 um die Hochachse (Gierachse) des Schienenfahrzeugs 10 ist vorzugsweise von ähnlicher Grösse wie das Massenträgheitsmoment der abgefederten Masse des Schienenfahrzeugs 10, damit eine wirkungsvolle Tilgung der lauftechnisch bedingten Schlängelbewegung des Schienenfahrzeugs 10 erreicht werden kann. Dies wird durch entsprechend schwere Tilgermassen 15 erreicht, die an den Extremitäten (Enden) des Schienenfahrzeugs 10 angeordnet sind. Beispielhaft hat jede Tilgermasse 15 ein Gewicht von im Wesentlichen 5 Tonnen und besteht z.B. aus gegossenem Stahl.

[0023] Als Befestigungselemente sind vorzugsweise Abstützelemente 16 zur Abstützung jeder der Tilgermassen 15 vorgesehen, die vorzugsweise als Federn (z.B. als Gummischichtfedern) ausgebildet sind und die jeweilige Tilgermasse 15 mit der Struktur des Lokrahmens 11 verbinden, wobei vorzugsweise an jeder bodenseitigen Ecke einer Tilgermasse 15 ein Abstützelement 16 befestigt ist. Die Abstützelemente 16 sind der Einfachheit halber unterhalb der ihnen zugeordneten Tilgermasse 15 angeordnet. Bei einer quaderförmigen Tilgermasse 15 sind vier Abstützelemente 16 vorgesehen.

[0024] Die Abstützelemente 16 einer Tilgermasse 15 sind bevorzugt derart ausgerichtet bzw. orientiert, dass sich ihre Längsachsen bzw. ihre Wirkungslinien im Wesentlichen auf der Höhe des Schwerpunkts der jeweiligen Tilgermasse 15 schneiden (in Seitenansicht des Schienenfahrzeugs 10 gesehen). Die Abstützelemente 16 sind also vorzugsweise schräggestellt angeordnet, wobei jedes Abstützelement 16 sich in Seitenansicht gesehen zum Schwerpunkt der dem jeweiligen Abstützelement 16 zugeordneten Tilgermasse 15 neigt. Dadurch wird erreicht, dass bei Beschleunigungen oder Verzögerungen des Schienenfahrzeugs 10 in Fahrzeuglängsrichtung auch bei unterhalb des Schwerpunkts der jeweiligen Tilgermasse 15 angeordneten Abstützelementen 16 die jeweilige Tilgermasse 15 durch die ihr zugeordneten Abstützelemente 16 daran gehindert wird, grosse (Pendel-)Bewegungen in Fahrzeuglängsrichtungen auszuführen, da durch die Abstützelemente 16 eine Längskraft in etwa auf Schwerpunkthöhe der jeweiligen Tilgermasse 15 angreift.

[0025] Wie in Figur 5 dargestellt kann zur Dämpfung der Bewegung der Tilgermassen 15 jeder Tilgermasse 15 eine Dämpfungseinrichtung zugeordnet sein, bei der es sich vorzugsweise um einen Dämpfer 18 in Form eines Querdämpfers handelt, d.h. um einen Dämpfer, der Bewegungen der Tilgermasse 15 in Fahrzeugquerrichtung bedämpft. Hierdurch wird vorteilhafterweise die Schwingungsamplitude der Tilgermasse 15 bei Resonanz beschränkt. Ferner wird hierdurch insbesondere auch dann für eine schwingungstilgende Wirkung der Tilgermasse 15 gesorgt, wenn die Eigenfrequenzen der jeweiligen Tilgermasse 15 und des Lokrahmen 11 nicht exakt übereinstimmen.

[0026] Bei dem Dämpfer 18 handelt es sich beispielsweise um einen hydraulischen Dämpfer. Der Dämpfer 18 ist zwischen der Tilgermasse 15 und dem Lokrahmen 11 angeordnet und vorzugsweise in Schwingrichtung der Tilgermasse 15 mit beiden verbunden. Der Dämpfer 18 kann beispielsweise einen ölbefüllten Zylinder und einen Kolben umfassen, der sich in dem im Zylinder enthaltenen Öl axial hin- und herbewegt, wobei mit zunehmender Geschwindigkeit der Kolbenbewegung der Strömungswiderstand und somit die Dämpfungswirkung steigen. Selbstverständlich können auch andere Dämpfer eingesetzt werden z.B. mechanische Reibungsdämpfer, die beispielsweise geschichtete Blattfedern aufweisen. Es kann auch eine aktive Dämpfungseinrichtung eingesetzt werden, bei der die Dämpfungskennlinie einstellbar ist bzw. sich selbst an die jeweiligen Verhältnisse adaptiert.

[0027] Zusätzlich oder alternativ zu der Dämpfungseinrichtung kann ein aktives Stellglied (nicht dargestellt) zwischen Tilgermasse(n) 15 und Lokrahmen 11 vorgesehen sein, das derart ausgeführt ist, dass es in Abhängigkeit von der Bewegung des Lokrahmens 11 angesteuert wird (beispielsweise über ein oder mehrere hydraulische Stellglieder, die Kräfte zwischen Lokrahmen 11 und Tilgermasse(n) 15 aufbauen können), sodass Gierbewegungen des Lokrahmens 11 minimiert werden. Diese gezielte Ansteuerung des Lokrahmens 11 stellt eine Gegensteuerung in Bezug auf die Gierbewegungen des Lokrahmens 11 dar, wobei die Tilgermassen 15 als inerte Massen fungieren, an denen sich das aktive Stellglied abstützt. Selbstverständlich kann sich das aktive Stellglied hierfür auch nur an einer der Tilgermassen 15 abstützen. Das aktive Stellglied ist insbesondere derart ausgebildet, dass auch anderen Frequenzen als der Gier- bzw. Schlinger-Eigenfrequenz entgegengewirkt werden kann, indem es entsprechende Gegenkräfte erzeugt und beispielsweise über ein hydraulisches Stellglied oder zum Beispiel über ein aktiv angesteuertes hydropneumatisches Element auf den Lokrahmen 11 überträgt (aktive Federung).

[0028] Die Figuren 6 und 7 entsprechen im Wesentlichen den Figuren 4 und 5, wobei jedoch das Schienenfahrzeug 10 sich nicht in der neutralen Lage befindet, sondern eine Schlingerbewegung ausführt, die durch eine Gierbewegung des Lokrahmens 11 um dessen Hochachse hervorgerufen wird. Dies ist durch die Pfeile 19 angedeutet, die die Fahrzeugquerrichtung angegeben, in die das jeweilige Ende des Schienenfahrzeugs 10 ausschwenkt. Die Tilgermassen 15 schwingen in Gegenphase zum Schienenfahrzeug 10 bzw. dessen Lokrahmen 11, was durch die Pfeile 20 angedeutet ist. D.h. die an einem Ende des Schienenfahrzeugs 10 angeordnete Tilgermasse 15 bewegt sich in die entgegengesetzte Fahrzeugquerrichtung als das entsprechende Ende des Schienenfahrzeugs 10. Insbesondere wenn die Schlingerbewegung des Schienenfahrzeugs 10 derart ist, dass der Lokrahmen 11 anfängt mit Eigenfrequenz in Fahrzeugquerrichtung zu schwingen, so wird die durch die Tilgermassen 15 gebildete Schwingungstilgungsvorrichtung derart zur Schwingung angeregt, dass sie einen beruhigenden Einfluss auf die Schwingung des Schienenfahrzeugs 10 bzw. von dessen Lokrahmen 11 hat und zwar auch/oder auch auf andere als auf die beispielhaft in den Figuren 6 und 7 dargestellten Schwingungsmoden.

[0029] Figur 8 zeigt ein zweites Ausführungsbeispiel eines erfindungsgemässen Schienenfahrzeugs 21 mit einer Schwingungstilgungsvorrichtung mit Tilgermassen 15. Das Schienenfahrzeug 21 ist in Neutrallage dargestellt. Bei diesem Ausführungsbeispiel sind die Tilgermassen 15 über als Pendel 22 ausgeführte Befestigungselemente mit dem Lokrahmen verbunden, d.h. die Tilgermassen 15 sind an Pendeln 22 aufgehängt, die in Fahrzeugquerrichtung hinund herschwenkbar sind, wobei vorzugsweise für Pendel 22, d.h. ein Pendel 22 für jede obere Ecke der Tilgermasse 15, vorgesehen sind. Bei diesem Ausführungsbeispiel ist ein als Dämpfungseinrichtung vorgesehener Dämpfer 18 auf der oberen Seite einer jeden Tilgermasse 15 angeordnet und mit einer innenliegenden nicht näher gekennzeichneten Komponente (z.B. einem Querblech) des Lokrahmens 11 verbunden. Die Dämpfungseinrichtung kann auch unterhalb und/oder seitlich der Tilgermasse 15 angeordnet sein. Das für das erste Ausführungsbeispiel 10 Ausgeführte gilt entsprechend auch für das zweite Ausführungsbeispiel 21.

[0030] Bei dem in Figur 9 dargestellten Ausführungsbeispiel eines erfindungsgemässen Schienenfahrzeugs 31 ist die Tilgermasse 15 gleitend auf einer Führung bzw. auf Führungen 32 gelagert, sodass die Tilgermasse auf der Führung(en) 32 gleiten kann. Die Führung(en) 32 können zum Beispiel mittels Rollen ausgebildet sein bzw. bei den Führung(en) 32 kann es sich beispielsweise um eine oder mehrere Rollenführungen handeln, wobei die Rollen an der Tilgermasse 15 oder/und am Lokrahmen 11 befestigt sein können. Die Führung(en) 32 können beispielsweise gekrümmt bzw. gebogen ausgebildet sein, wobei die Krümmung bzw. die Biegung vom Lokrahmen aus gesehen vorzugsweise nach aussen verläuft. Das Ausführungsbeispiel 31 enspricht im Wesentlichen dem in Figur 8 dargestellten Ausführungsbeispiel 21, wobei statt der Pendel 22 beispielhaft seitlich angeordnete, optionale Abstützelemente 33, z.B. in Form von Federn (insbesondere Gummischichtfedern), vorgesehen sind.

[0031] Bei dem in den Figuren dargestellten zweiachsigen Schienenfahrzeug 11, 21, 31 können als Tilgermassen 15 vorteilhafterweise im Schienenfahrzeug bereits vorgesehene Ballastmassen eingesetzt werden, die der Erreichung des Traktionsgewichts dienen. Ferner können als Tilgermassen 15 auch bereits im Schienenfahrzeug vorgesehene Massen wie Transformatoren, Dieselöltanks oder ähnliches eingesetzt werden. Die bei der Schwingungstilgung auftretende Querauslenkung der als Tilgermassen 15 eingesetzten Komponenten beträgt circa ±10-20 mm. Das Vorsehen von Tilgermassen 15 führt somit nicht notwendig zu einer Gewichtserhöhung.

[0032] Bei dem erfindungsgemässen Schienenfahrzeug kann es sich selbstverständlich zum Beispiel auch um ein vierachsiges Schienenfahrzeug mit Drehgestellen handeln. Bei einem solchen Drehgestellfahrzeug werden zur Tilgung von Schlingerbewegungen des Drehgestellrahmens vorzugsweise bereits vorhandene schwere Einbaukomponenten wie z.B. Fahrmotoren als Tilgermassen eingesetzt, sodass das Gewicht des Schienenfahrzeugs nicht unnötig erhöht wird. Zur Tilgung von Kastenschwingungsmoden können sinngemäss bereits vorhandene Massen im Fahrzeugkasten eingesetzt werden.

[0033] Bei dem erfindungsgemässen Schienenfahrzeug mit der Schwingungstilgungsvorrichtung bestehend aus einer oder mehreren querelastischen Tilgermassen lassen sich vorteilhafterweise nicht nur die Laufstabilität betreffende Schwingungen tilgen, sondern auch andere störende Schwingungsformen.


Ansprüche

1. Schienenfahrzeug mit zwei oder mehr Radachsen (12) und einem Lokrahmen (11), wobei eine Schwingungstilgungsvorrichtung vorgesehen ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Schwingungstilgungsvorrichtung eine oder mehrere Tilgermassen (15) umfasst, die in Fahrzeugquerrichtung elastisch mit dem Lokrahmen (11) verbunden sind, sodass sie beim Auftreten von Eigenschwingungen des Schienenfahrzeugs (10; 21; 31) im Wesentlichen in Gegenphase zu diesen schwingen.
 
2. Schienenfahrzeug nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die einen oder mehreren Tilgermassen (15) über eine oder mehrere Fahrzeugkomponenten mit dem Lokrahmen (11) verbunden sind.
 
3. Schienenfahrzeug nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass zur Dämpfung der Bewegung der einen oder mehreren Tilgermassen (15) eine Dämpfungseinrichtung (18), insbesondere ein oder mehrere hydraulische Dämpfer, vorgesehen ist.
 
4. Schienenfahrzeug nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass ein aktives Stellglied vorgesehen ist, das derart ausgeführt ist, dass es in Abhängigkeit von der Bewegung des Lokrahmens (11) und/oder anderer schwingender Massen eine oder mehrere Tilgermassen (15) ansteuert, sodass Gierbewegungen des Lokrahmens (11) und/oder andere störende Schwingungsformen minimiert werden.
 
5. Schienenfahrzeug nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Massenträgheit der einen oder mehreren Tilgermassen (11) im Wesentlichen dieselbe Grössenordnung hat wie die Massenträgheit des Lokrahmens (11).
 
6. Schienenfahrzeug nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die einen oder mehreren Tilgermassen (15) an Pendeln (22) aufgehängt sind.
 
7. Schienenfahrzeug nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass eine oder mehrere Führungen (32) vorgesehen sind, auf denen die einen oder mehreren Tilgermassen (15) rollen und/oder gleiten können.
 
8. Schienenfahrzeug nach einem der vorhergehende Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass Abstützelemente (16) zur Abstützung der einen oder mehreren Tilgermassen (15) vorgesehen sind, wobei die einer Tilgermasse (15) zugeordneten Abstützelemente (16) insbesondere derart ausgerichtet sind, dass sich ihre Längsachsen im Wesentlichen auf der Höhe des Schwerpunkts derjenigen Tilgermasse (16) schneiden, der sie zugeordnet sind.
 




Zeichnung



















Recherchenbericht