(19)
(11) EP 2 816 194 A1

(12) EUROPÄISCHE PATENTANMELDUNG

(43) Veröffentlichungstag:
24.12.2014  Patentblatt  2014/52

(21) Anmeldenummer: 13172893.3

(22) Anmeldetag:  19.06.2013
(51) Internationale Patentklassifikation (IPC): 
E21B 44/00(2006.01)
(84) Benannte Vertragsstaaten:
AL AT BE BG CH CY CZ DE DK EE ES FI FR GB GR HR HU IE IS IT LI LT LU LV MC MK MT NL NO PL PT RO RS SE SI SK SM TR
Benannte Erstreckungsstaaten:
BA ME

(71) Anmelder: Siemens Aktiengesellschaft
80333 München (DE)

(72) Erfinder:
  • Krohlas, Günther
    76706 Dettenheim (DE)
  • Markus, Jens
    15837 Baruth/Mark (DE)
  • Pfeiffer, Bernd-Markus
    76744 Wörth (DE)

   


(54) Verfahren zur Durchführung eines Tiefbohrvorgangs


(57) Die Erfindung betrifft ein Verfahren zur Durchführung eines Tiefbohrvorgangs, wobei ein Bohrgestänge verwendet wird, das durch einen Antrieb in Drehung versetzt wird, das an einem Seilzug aufgehängt ist, und das an seinem unteren Ende einen Bohrkopf trägt. Zur Verbesserung der Regelgüte wird ein Mehrgrößenregler (4) in einer Steuerungseinrichtung (3) verwendet, auf welchen als Regelgrößen zumindest die durch das Bohrgestänge auf den Seilzug ausgeübte Zugkraft (FH) und die Vorschubgeschwindigkeit (v) des Bohrgestänges geführt sind. Als Stellgrößen werden vorteilhaft die Drehzahl (n) der Drehung des Bohrgestänges und eine Bremsgröße (B) für den Seilzug durch den Mehrgrößenregler (4) ausgegeben. Damit können Quereinflüsse bei der Regelung berücksichtigt werden. Besonders vorteilhaft ist dabei die Verwendung eines Mehrgrößenreglers (4) in welchen eine betriebswirtschaftliche und/oder energetische Optimierung des stationären Arbeitspunktes integriert ist. Dadurch wird eine Minimierung der Kosten für den Bohrvorgang ermöglicht.




Beschreibung


[0001] Die Erfindung betrifft ein Verfahren zur Durchführung eines Tiefbohrvorgangs, wobei ein Bohrgestänge verwendet wird, welches an einem Seilzug aufgehängt ist und an seinem unteren Ende einen Bohrkopf trägt. Das Bohrgestänge wird durch einen Antrieb in eine Drehung versetzt.

[0002] Geologische Bohrvorgänge, die im Allgemeinen als Tiefbohrvorgänge bezeichnet werden können, sind sehr energie- und kostenintensiv. Beispielsweise bei der Exploration und Förderung von Erdöl und/oder Erdgas werden derartige Bohrvorgänge mit hohem Aufwand durchgeführt. Die Kosten für den Betrieb eines Bohrturms liegen bei sechsstelligen Dollarbeträgen pro Tag, bei einer Bohrinsel können es Millionenbeträge pro Tag sein. Verbesserungen bei der Durchführung von Tiefbohrvorgängen sind daher von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung.

[0003] In der Praxis ist bisher eine manuelle Fahrweise von Bohrvorgängen üblich, bei der ein erfahrener Anlagenfahrer den Bohrvorgang durch verschiedene Stelleingriffe steuert, z. B. durch Einstellung der Drehzahl des Bohrers oder des Bremsmoments an einer Seiltrommel, auf welche ein Seil zur Aufhängung des Bohrgestänges aufgewickelt ist. Der Anlagenfahrer beobachtet u. a. die Vorschubgeschwindigkeit des Bohrgestänges, die in der Fachliteratur als "Rate Of Penetration", ROP, bezeichnet wird, die Hakenlast, die bei einem Seilzug mit Seiltrommel durch deren Bremsmoment einstellbar ist, und Vibrationen am Bohrgestänge. Zudem wird häufig durch weitere Mitarbeiter die rückgeführte Spülflüssigkeit auf Gesteinsbrocken untersucht, die mit an die Oberfläche geschwemmt werden, oder auf enthaltene Gasbläschen. Diese Informationen werden ggf. bei der Festlegung der Fahrweise durch den Anlagenfahrer berücksichtigt. Weil die Kosten für den Bohrvorgang häufig in Tagessätzen abgerechnet werden, erfolgt die Kostenbetrachtung dabei überwiegend zeitbezogen und das Ziel des Anlagenfahrers ist die Minimierung des Zeitbedarfs bis zur Erreichung der angestrebten Bohrtiefe.

[0004] Aus der WO 2009/062725 A2 ist ein Verfahren zur Durchführung einer Tiefenbohrung bekannt, bei welchem Motoren für Vorschub und Drehung am Bohrkopf und damit am unteren Ende des Bohrgestänges angeordnet sind. Für den Bohrvorgang ist eine Regelung vorgesehen, bei welcher in einer ersten Betriebsart die Drehzahl des Bohrkopfs, häufig als "Rotations Per Minute", RPM, bezeichnet, und der Bohrdruck so geregelt werden, dass die Leistung am Bohrkopf ein vorbestimmtes Maximum beträgt, und bei welcher in einer zweiten Betriebsart dieselben Größen so geregelt werden, dass die Schnitttiefe ("Depth Of Cut", DOC) auf einem vorbestimmten Wert gehalten wird. Eventuelle Wechselwirkungen zwischen den beiden Stellgrößen bleiben dabei in nachteiliger Weise unberücksichtigt.

[0005] Aus der WO 2012/080812 A2 ist ein Bohrturm mit einem Hydraulikmotor am Bohrkopf bekannt. Bei der Durchführung eines Bohrvorgangs wird eine iterative Optimierung der Fahrweise vorgenommen, welche auf einer Approximation von Kennlinien des Hydraulikmotors basiert.

[0006] In der DE 601 21 153 T2 ist der detaillierte Aufbau eines Bohrturms als ein Beispiel einer Vorrichtung zur Durchführung eines Tiefbohrvorgangs beschrieben. Bezüglich weiterer Details zum konstruktiven Aufbau von Bohrvorrichtungen wird daher auf dieses Dokument verwiesen. Dort wird eine Optimierung der Vorschubgeschwindigkeit (ROP) mithilfe einer von mehreren möglichen Stellgrößen vorgeschlagen, und zwar mithilfe von derjenigen, die am besten mit der Vorschubgeschwindigkeit korreliert. Dabei wird ein Bereich der Vorschubgeschwindigkeit gesucht, in welchem deren Steigung nahezu Null beträgt und somit ein lokales Maximum der Vorschubgeschwindigkeit liegt.

[0007] Bezüglich einer Beschreibung eines Beispiels für eine Aufhängung eines Bohrgestänges mittels Seilzug und Seiltrommel wird auf die WO 2005/113930 A1 verwiesen. Ein PID-Regler sorgt dort für eine definierte Rotationsgeschwindigkeit der Seiltrommel durch Eingreifen auf eine mechanische Bremse, die ein Bremsmoment an der Seiltrommel erzeugt. Solange das Seil straff gespannt ist, seine Elastizität und der mit der Länge des aufgewickelten Seils veränderliche effektive Trommeldurchmesser vernachlässigt werden, korreliert die Rotationsgeschwindigkeit der Seiltrommel mit der Vorschubgeschwindigkeit des Bohrkopfes.

[0008] Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, die Effizienz bei der Durchführung eines Tiefbohrvorgangs zu verbessern.

[0009] Zur Lösung dieser Aufgabe weist das neue Verfahren zur Durchführung eines Tiefbohrvorgangs die in Anspruch 1 angegebenen Merkmale auf. In den abhängigen Ansprüchen sind vorteilhafte Weiterbildungen der Erfindung, in Anspruch 6 ein Computerprogramm, in Anspruch 7 ein digitales Speichermedium und in Anspruch 8 eine Steuerungseinrichtung zur Durchführung des Verfahrens beschrieben.

[0010] Die Erfindung hat den Vorteil, dass aufgrund der Verwendung eines Mehrgrößenreglers die beiden Regelgrößen Vorschubgeschwindigkeit und Hakenlast am Seilzug gleichzeitig geregelt werden. Da diese Größen stark voneinander abhängig sind, ist dies von besonderem Vorteil. Die Drehzahl der Drehung des Bohrgestänges, die im Folgenden auch als Wellendrehzahl bezeichnet wird, stimmt mit der Bohrerdrehzahl überein, wenn kein zusätzlicher Motor am unteren Ende der Welle für den Bohrkopf vorgesehen ist. Auch wenn am unteren Ende der Welle beispielsweise ein Hydraulikmotor eine zusätzliche Drehung des Bohrkopfs gegenüber der Welle bewirkt, beeinflusst eine Änderung der Wellendrehzahl die Bohrerdrehzahl und damit primär die Vorschubgeschwindigkeit, wirkt sich indirekt aber auch auf die Hakenlast aus, d. h. auf die durch das Bohrgestänge auf den Seilzug ausgeübte Zugkraft. Die Bremsgröße für den Seilzug, die beispielsweise bei Verwendung einer Seiltrommel der für die Betätigung der Trommelbremse erforderlichen Stellgröße entspricht, beeinflusst primär die Hakenlast, wirkt sich aber über die Anpresskraft des Bohrkopfes ("Weight On Bit", WOB) maßgeblich auf die Vorschubgeschwindigkeit (ROP) aus. Diese Wechselwirkungen oder Quereinflüsse werden in vorteilhafter Weise durch den Mehrgrößenregler bei der Regelung der jeweiligen Regelgröße Vorschubgeschwindigkeit oder Hakenlast berücksichtigt. Somit werden Regelgüte und Effizienz bei der Durchführung des Tiefbohrvorgangs verbessert.

[0011] Ein dazu geeigneter Mehrgrößenregler hat zumindest so viele Eingänge wie Regelgrößen und zumindest so viele Ausgänge wie Stellgrößen. Die Kopplungen zwischen den verschiedenen Größen werden in einem einheitlichen Reglerkonzept berücksichtigt. Der Entwurf des Mehrgrößenreglers erfolgt über eine Matrizen-/Vektorrechnung.

[0012] Die Wahl der Vorschubgeschwindigkeit (ROP) als Regelgröße hat den Vorteil, dass diese leicht messbar und von großer Bedeutung für den Zeitbedarf zur Erreichung der angestrebten Bohrtiefe ist. Die Hakenlast ist ebenfalls leicht messbar und repräsentativ für die Anpresskraft des Bohrkopfes (WOB), welche maßgeblich für die Zertrümmerung des Gesteins ist. Eine Verwendung der Anpresskraft als Regelgröße hätte dagegen den Nachteil, dass ihre Messung mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden wäre, da sie u. a. von den Reibungskräften an den Wänden des Bohrlochs und dem Auftrieb des Bohrgestänges in der Spülflüssigkeit abhängt, welche starken Schwankungen unterliegen können.

[0013] Die verwendeten Stellgrößen Wellendrehzahl und Bremsgröße für den Seilzug entsprechen in vorteilhafter Weise den bisher vom Anlagenfahrer für manuelle Steuerung genutzten Eingriffen. Dabei wird durch den Mehrgrößenregler eine deutliche Entlastung des Anlagenfahrers von manuellen Stelleingriffen gegenüber der konventionellen Handfahrweise, die eingangs beschrieben wurde, erreicht. Der in einem geschlossenen Regelkreis befindliche Mehrgrößenregler reagiert schneller und reproduzierbarer auf Störeinflüsse, die beispielsweise durch Änderungen in den Gesteinsformationen beim Bohrvorgang auftreten können. Durch die Regelung werden Vorschubgeschwindigkeit und Anpresskraft präziser auf vorgegebenen Werten gehalten und somit die Standzeit von Bohrköpfen verbessert.

[0014] In einer besonders vorteilhaften Ausgestaltung wird als Mehrgrößenregler ein modellbasierter Prädiktivregler ("Model Predictive Control", MPC) verwendet. In derartigen Reglern dient ein zeitdiskretes dynamisches Modell des zu regelnden Prozesses dazu, die zukünftigen Zustände des Prozesses in Abhängigkeit von den Eingangssignalen zu berechnen und aufgrund dieser Vorhersage geeignete Eingangssignale zu wählen. Dies ermöglicht die Berechnung des im Sinne einer Gütefunktion optimalen Eingangssignales unter der gleichzeitigen Berücksichtigung von Eingangs- und Zustandsbeschränkungen.

[0015] Beim Bohrvorgang können in vorteilhafter Weise zusätzlich das Antriebsdrehmoment, welches zur Erreichung der gewünschten Wellendrehzahl erforderlich ist, und/oder die Rücklauftemperatur einer beim Bohrvorgang verwendeten Spülflüssigkeit auf Einhalten vorgegebener Obergrenzen überwacht werden. Dadurch können Störungen, z. B. eine Überlastung des Antriebs bzw. eine Überhitzung des Bohrkopfs, vermieden werden.

[0016] Eine Regelung der Drehzahl einer Pumpe für die Spülflüssigkeit könnte zusätzlich zur oben beschriebenen Mehrgrößenregelung sinnvoll sein. Solange für eine ausreichende Abfuhr von Bohrklein und eine ausreichende Kühlung des Bohrkopfes gesorgt ist, hat jedoch die Pumpendrehzahl keinen nennenswerten Quereinfluss auf die übrigen Regelgrößen des oben beschriebenen Mehrgrößenreglers. Die Regelung der Pumpendrehzahl kann daher wahlweise durch einen gesonderten Eingrößenregler erfolgen oder in einen entsprechend erweiterten Mehrgrößenregler integriert werden. In jedem Fall ist durch die Verwendung der Pumpendrehzahl als weitere Stellgröße, die in Abhängigkeit zumindest von der Rücklauftemperatur der Spülflüssigkeit durch einen Regler vorgegeben wird, eine Optimierung der Pumpenleistung bei gleichzeitiger Gewährleistung einer ausreichenden Kühlung erreichbar.

[0017] Besonders vorteilhaft ist die Verwendung eines Mehrgrößenreglers, in welchen eine betriebswirtschaftliche und/oder energetische Optimierung des stationären Arbeitspunktes beim Bohrvorgang integriert ist. Beispielsweise der im Prozessleitsystem SIMATIC PCS 7 integrierte Funktionsbaustein zur modellbasierten prädiktiven Mehrgrößenregelung enthält ab PCS 7 V8.0 (Dezember 2012) eine derartige Optimierung. Als Gütekriterium kann eine beliebige Linearkombination aller Stell-und Regelgrößen des Mehrgrößenreglers formuliert werden. Nebenbedingungen für die Regelgrößen werden in Form von Toleranzbereichen für die Sollwerte vorgegeben. Der Optimierer liefert Sollwerte innerhalb der Toleranzbereiche, die optimal im Sinne des Gütekriteriums sind. Dabei wird in vorteilhafter Weise der aktuelle Wert des Gütekriteriums, z. B. der entstehenden Kosten oder des spezifischen Energieverbrauchs, dem Anlagenfahrer auf einer Operatorstation angezeigt, um das Energie- und Kostenbewusstsein zu stärken. Insbesondere bei der Durchführung von Tiefbohrvorgängen hat die Arbeitspunktoptimierung im Mehrgrößenregler den Vorteil, dass jede Stell-und Regelgröße mit einem Kostenfaktor bewertet werden kann. Dadurch wird eine objektive Kostenoptimierung erreicht, die von der rein subjektiven Einschätzung des Anlagenfahrers deutlich abweichen kann. Diese objektive Kostenoptimierung ist von erheblichem Vorteil gegenüber einer "blinden" Maximierung der Vorschubgeschwindigkeit (ROP), weil im Bereich der maximal erreichbaren Vorschubgeschwindigkeit erfahrungsgemäß bereits unerwünschte Nebenwirkungen auftreten, beispielsweise ein Verschmieren des Bohrkopfes, unerwünschte Vibrationen, überhöhter Verschleiß oder Energieverschwendung. Die Grenzen, die für jede Stell- oder Regelgröße vorgegeben werden können, ergeben sich aufgrund technologischer Randbedingungen, z. B. der maximal zur Verfügung stehenden Antriebsleistung, des Verschleißzustands des Bohrkopfes oder der Vermeidung von Vibrationen. Die Vorüberlegungen zur Spezifikation des Gütekriteriums unterstützen zudem bei der Definition von Alarmgrenzwerten, z. B. im Hinblick auf einen erforderlichen Austausch des Bohrkopfes.

[0018] Die oben genannte Aufgabe wird auch mit einer Steuerungseinrichtung zur Regelung eines Tiefbohrvorgangs gelöst, die Mittel zur Durchführung des Verfahrens gemäß Anspruch 1 umfasst. Die Erfindung ist dabei bevorzugt in Software oder in Soft-und Firmware implementiert. Die Erfindung ist damit einerseits auch ein Computerprogramm mit durch einen Computer ausführbaren Programmcodeanweisungen und andererseits ein Speichermedium mit einem derartigen Computerprogramm, also ein Computerprogrammprodukt mit Programmcodemitteln, sowie schließlich auch eine Steuerungseinrichtung, in deren Speicher als Mittel zur Durchführung des Verfahrens und seiner Ausgestaltungen ein solches Computerprogramm geladen oder ladbar ist.

[0019] Anhang der Zeichnung, in der ein Ausführungsbeispiel der Erfindung dargestellt ist, werden im Folgenden die Erfindung sowie Ausgestaltungen und Vorteile näher erläutert.

[0020] Die einzige Figur zeigt ein Blockschaltbild einer Tiefbohrvorrichtung 1 mit den wesentlichen Komponenten Bohrgerät 2 und Steuerungseinrichtung 3. Bei dem Bohrgerät 2 handelt es sich beispielsweise um einen Bohrturm, der mit Messmitteln zur Erfassung aktueller Messwerte und mit Stellmitteln zur Beeinflussung des Bohrvorgangs ausgestattet ist. Die Steuerungseinrichtung 3 ist beispielsweise durch ein Automatisierungsgerät realisiert, in welches ein Funktionsbaustein 4 für einen Mehrgrößenregler mit integrierter Arbeitspunktoptimierung geladen ist. Das Automatisierungsgerät enthält eine Verarbeitungseinheit und einen Speicher, in den ein Computerprogramm geladen ist, das im Betrieb des Automatisierungsgeräts zur Regelung des Tiefbohrvorgangs durch die Verarbeitungseinheit ausgeführt wird. Als Automatisierungsgerät kommt beispielsweise eine SIMATIC S7, als Funktionsbaustein 4 beispielsweise der modellbasierte prädiktive Mehrgrößenregler ModPreCon, der aus dem SIEMENS Katalog ST PCS 7 bekannt ist, zum Einsatz.

[0021] Bei Tiefbohrvorgängen wird ein Bohrgestänge verwendet, das aus mehreren Segmenten zusammengesetzt ist und an seinem unteren Ende einen Bohrkopf trägt, der, sobald er verschlissen ist, bei vollständiger Entnahme des Gestänges ausgetauscht werden muss. Die Vorschubgeschwindigkeit v (ROP) und der Verschleiß des Bohrkopfes sind überwiegend abhängig von der Gesteinsart G, die beispielsweise anhand einer Laborprobe des aus dem Bohrloch austretenden Rücklaufschlamms bestimmt werden kann, von der Anpresskraft des Bohrkopfs (WOB) gegen das Gestein sowie von der Bohrerdrehzahl n (RPM).

[0022] Am unteren Ende des Bohrgestänges kann dem Bohrkopf ein Hydraulikmotor vorgeschaltet sein, der eine zusätzliche Drehung des Bohrkopfs gegenüber dem Gestänge bewirkt. In diesem Fall ist die Bohrkopfdrehzahl gegenüber der Wellendrehzahl um einen im Wesentlichen konstanten Offset erhöht, der jedoch unerheblich für das Verhalten der Regelung ist, sodass im Folgenden zwischen den Begriffen Wellendrehzahl und Bohrerdrehzahl nicht unterschieden werden muss.

[0023] Die verschiedenen primären Wirkungen und Wechselwirkungen, welche die auf das Bohrgerät 2 gegebenen Stellgrößen auf die Messgrößen ausüben, sind in der Figur durch Pfeile angedeutet, die mit durchbrochenen Linien in den Block eingezeichnet sind, der das Bohrgerät 2 repräsentiert. So haben die Bohrerdrehzahl n (RPM) eine primäre Wirkung auf die Vorschubgeschwindigkeit v (ROP) und die Bremsgröße B, welche auf den Seilzug der Bohrgestängeaufhängung gegeben wird, eine primäre Wirkung auf die gemessene Hakenlast FH. Zwischen Bohrerdrehzahl n und Hakenlast FH sowie zwischen Bremsgröße B und Vorschubgeschwindigkeit v besteht jedoch zusätzlich eine starke Wechselwirkung, welche bisher vernachlässigt wurde, durch den neuen Mehrgrößenregler nun in vorteilhafter Weise in der Regelung Berücksichtigung findet. Mit dem neuen Verfahren zur Durchführung eines Tiefbohrvorgangs können somit Vorschubgeschwindigkeit v und Hakenlast FH erheblich präziser als bisher auf vorgegebenen oder vorgebbaren Sollwerten gehalten werden.

[0024] Bohrerdrehzahl n und Bremsgröße B haben zusätzlich Auswirkungen auf ein Drehmoment M des Antriebsmotors, welcher die Welle des Bohrgestänges in Drehung versetzt, und eine gemessene Rücklauftemperatur T des in das Bohrloch gepumpten Spülmittels. Bei den Größen Drehmoment M und Rücklauftemperatur T würde prinzipiell deren Überwachung auf Einhalten vorgegebener Grenzen genügen, damit Störungen aufgrund unzulässiger Überhöhungen vermieden werden. Die Einstellung einer Rücklaufmenge Q des Spülmittels erfolgt zur Optimierung des Spülmittel- und Energieverbrauchs mit einem gesonderten Regler 5 in der Steuerungseinrichtung 3, welcher eine Pumpendrehzahl nP in Abhängigkeit der gemessenen Rücklauftemperatur T und eventuell in Abhängigkeit der ermittelten Gesteinsart G als Stellgröße vorgibt. In einer Abwandlung des gezeigten Ausführungsbeispiels kann dieser Regler zusätzlich im Mehrgrößenregler realisiert sein, sodass es sich anstelle einer 2X2-Mehrgrößenregelung dann um eine 3X3-Mehrgrößenregelung durch den Funktionsbaustein 4 handelt.

[0025] Als weitere Größen, welche den durch das Bohrgerät 2 ausgeführten Bohrvorgang beeinflussen, sind exemplarisch Gesteinseigenschaften R, z. B. die Gesteinshärte, und ein Gewicht FG des in das Bohrloch eingeführten Bohrgestänges eingezeichnet. Die Gewichtskraft FG des Bohrgestänges lastet, vermindert um den durch den Spülmittelstand im Bohrloch verursachten Auftrieb und die Hakenlast FH, auf dem Bohrkopf. Die Anpresskraft des Bohrkopfs (WOB) unterscheidet sich beim Bohrvorgang lediglich um einen Offset von der Hakenlast FH, sodass an der Hakenlast gemessene Änderungen, abgesehen von dynamischen Effekten und der Reibung im Bohrloch, in für die Regelung vorteilhafter Weise den Veränderungen der Anpresskraft des Bohrkopfes entsprechen.

[0026] Die beschriebene Integration einer Arbeitspunktoptimierung im Funktionsbaustein 4 und damit im Mehrgrößenregler hat den Vorteil, dass eine wirtschaftliche Optimierung des Bohrvorgangs durchgeführt werden kann, welche das Ziel hat, die Gesamtkosten für ein Bohrloch an einem Standort mit spezifischen Gesteinseigenschaften R und einer vorgegebenen Tiefe H zu minimieren. Dazu kann ein Gütekriterium vorgegeben werden, welches auf der Basis der Kosten gebildet ist. Gesamtkosten KG für das Bohrloch setzen sich dabei zusammen aus Kosten KA für die Anlage, Kosten KM für die Wartung beim Bohrvorgang und Kosten KE der aufgewendeten Energie. Es gilt:



[0027] Die Anlagekosten KA sind zeitbezogene Kosten und ergeben sich aus den Kosten für das Anlagen-Leasing und für das Personal. Dabei fallen pro Tag Kosten dK an. Der Zeitbedarf tDR für den gesamten Bohrvorgang, englisch: "Drilling Time", kann berechnet werden zu


mit



[0028] Die Anlagekosten KA können dann berechnet werden zu:



[0029] Die Hakenlast FH wirkt sich über die Anpresskraft des Bohrkopfes (WOB) auf den Verschleiß des Bohrkopfes und damit auf die Instandhaltungskosten aus. Der Austausch eines Bohrkopfes verursacht Materialkosten KB. Für den gesamten Bohrvorgang sind N Bohrköpfe erforderlich, wobei sich die Anzahl der Bohrköpfe aus den Quotienten des Zeitbedarfs tDR für den gesamten Bohrvorgang und der mittleren Lebensdauer eines Bohrkopfes ergibt. Der Bohrkopfwechsel wirkt sich zweifach auf die Kosten aus. Zum einen erhöht sich die Stillstandszeit tDO entsprechend der Formel:


mit
N - Anzahl der Bohrköpfe und
tR - Zeitbedarf eines Bohrkopftauschs, englisch: "Replacement Time".

[0030] Zum anderen fallen Instandhaltungskosten KM an gemäß der Formel:


mit
KB - Kosten eines Bohrkopfs, englisch: "Bit".

[0031] Beispielsweise bei Verwendung eines Seilzugs mit Seiltrommel und Reibbremse zur Erzeugung eines Bremsdrehmoments werden durch den Bremsenverschleiß keine nennenswerten Kosten verursacht. Die Wellendrehzahl n hingegen wirkt sich auf die Reibungskräfte am Bohrkopf und Gestänge aus und korreliert in erster Näherung mit Energiekosten KE für den Antrieb des Bohrers, welche berechnet werden zu:


mit
KC - Energiefixkosten und
KF - ein drehzahlbezogener Kostenfaktor.

[0032] Bei Verwendung eines derart bestimmten Gütekriteriums erfolgt in vorteilhafter Weise automatisch eine betriebswirtschaftliche Optimierung des Tiefbohrvorgangs.

[0033] Ergänzend zur betriebswirtschaftlichen Optimierung kann die spezifische mechanische Energie MSE, englisch: "Mechanical Specific Energy", für den Bohrvorgang berechnet und angezeigt werden. Diese ist proportional zu dem auf die Vorschubgeschwindigkeit v bezogenen Energieverbrauch und berechnet sich nach der Formel:



[0034] Nach Multiplikation mit einem Bohrkopfwirkungsgrad, der üblicherweise zwischen 30 und 40 % beträgt, und Einheitenumrechnung kann die spezifische mechanische Energie mit der sogenannten "Rock Compressive Strength" verglichen werden, einer Kennzahl für die physikalischen Eigenschaften des Gesteins. Wenn die Gesteinseigenschaften aufgrund von Laboruntersuchungen bekannt sind, kann damit die Effizienz des Bohrvorgangs überprüft werden.

[0035] Das vorgeschlagene Verfahren zur Durchführung eines Tiefbohrvorgangs ist universell einsetzbar, bei Bohrtürmen an Land oder bei Bohrinseln, d. h. On-Shore oder Off-Shore, unabhängig von konstruktiven Details der Bohranlage. Es kann insbesondere angewendet werden für Bohrgeräte mit elektrischem oder hydraulischem Hauptantrieb, direkt auf einer Welle montiertem Bohrkopf, für Bohrgeräte mit hydraulischem Downhole-Motor oder mit elektrischem Downhole-Motor, oder für Bohrgeräte mit Seilzugbremssystemen, die mechanisch oder elektrodynamisch in Abhängigkeit einer dem jeweiligen Bremsentyp entsprechenden, durch den Mehrgrößenregler vorgegebenen Bremsgröße wirken. Dabei ist in vorteilhafter Weise keine spezielle Downhole-Sensorik erforderlich. Die Anpassung an ein konkretes Bohrgerät erfolgt durch datenbasierte Prozessidentifikation für den modellbasierten Prädiktivregler und ggf. durch Spezifikation des Gütekriteriums für die Optimierung nach betriebswirtschaftlichen oder energetischen Gesichtspunkten. Dabei ist, wie oben dargelegt, eine weitgehend exakte Kostendefinition für das Gütekriterium möglich. Bei Bedarf kann diese durch empirische Abschätzungen, z. B. für die Standzeit des Bohrkopfes, ergänzt werden.


Ansprüche

1. Verfahren zur Durchführung eines Tiefbohrvorgangs,
wobei ein Bohrgestänge verwendet wird, das durch einen Antrieb in Drehung versetzt wird, das an einem Seilzug aufgehängt ist und das an seinem unteren Ende einen Bohrkopf trägt,
wobei zumindest die durch das Bohrgestänge auf den Seilzug ausgeübte Zugkraft (FH) und die Vorschubgeschwindigkeit (v) des Bohrgestänges gemessen und als Regelgrößen auf einen gemeinsamen Regler (4) zur Regelung auf jeweils einen vorgegebenen oder vorgebbaren Sollwert geführt werden,
wobei der Regler (4) als Stellgrößen zumindest die Drehzahl (n) der Drehung des Bohrgestänges und eine Bremsgröße (B) für den Seilzug ausgibt und
wobei der Regler (4) zur Berücksichtigung der jeweiligen Einflüsse der Drehzahl (n) des Bohrgestänges auf die Vorschubgeschwindigkeit (v) und auf die Zugkraft (FH) sowie zur Berücksichtigung der jeweiligen Einflüsse der Bremsgröße (B) auf die Vorschubgeschwindigkeit (v) und auf die Zugkraft (FH) als Mehrgrößenregler (4) ausgebildet ist.
 
2. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet,
dass als Mehrgrößenregler (4) ein modellbasierter Prädiktivregler verwendet wird.
 
3. Verfahren nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass das Antriebsdrehmoment (M) und/oder die Rücklauftemperatur (T) einer beim Bohrvorgang verwendeten Spülflüssigkeit auf Einhalten vorgegebener Obergrenzen überwacht werden.
 
4. Verfahren nach Anspruch 3, dadurch gekennzeichnet,
dass als weitere Stellgröße eine Drehzahl (nP) einer Pumpe für die Spülflüssigkeit in Abhängigkeit zumindest von der Rücklauftemperatur (T) der Spülflüssigkeit durch den Regler (4) oder einen weiteren Regler (5) ausgegeben wird.
 
5. Verfahren nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet,
dass in dem Mehrgrößenregler (4) eine betriebswirtschaftliche und/oder energetische Optimierung des stationären Arbeitspunktes beim Bohrvorgang integriert ist.
 
6. Computerprogramm oder Computerprogrammprodukt mit auf einem computerlesbaren Datenträger gespeicherten Programmcodemitteln, die dafür vorgesehen und bestimmt sind, alle Schritte eines Verfahrens nach zumindest einem der Ansprüche 1 bis 5 durchzuführen, wenn das Programm auf einer Steuerungseinrichtung zur Regelung eines Tiefbohrvorgangs ausgeführt wird.
 
7. Digitales Speichermedium mit elektronisch auslesbaren Steuersignalen, die so mit einer programmierbaren Steuerungseinrichtung zur Regelung eines Tiefbohrvorgangs zusammenwirken können, dass ein Verfahren nach zumindest einem der Ansprüche 1 bis 5 ausgeführt wird.
 
8. Steuerungseinrichtung zur Regelung eines Tiefbohrvorgangs mit einer Verarbeitungseinheit und einem Speicher, in den ein Computerprogramm nach Anspruch 6 geladen ist, das im Betrieb der Steuerungseinrichtung (3) durch die Verarbeitungseinheit ausgeführt wird.
 




Zeichnung







Recherchenbericht


















Recherchenbericht




Angeführte Verweise

IN DER BESCHREIBUNG AUFGEFÜHRTE DOKUMENTE



Diese Liste der vom Anmelder aufgeführten Dokumente wurde ausschließlich zur Information des Lesers aufgenommen und ist nicht Bestandteil des europäischen Patentdokumentes. Sie wurde mit größter Sorgfalt zusammengestellt; das EPA übernimmt jedoch keinerlei Haftung für etwaige Fehler oder Auslassungen.

In der Beschreibung aufgeführte Patentdokumente