[0001] Die Erfindung betrifft ein Verfahren zur Durchführung eines Tiefbohrvorgangs, wobei
ein Bohrgestänge verwendet wird, welches an einem Seilzug aufgehängt ist und an seinem
unteren Ende einen Bohrkopf trägt. Das Bohrgestänge wird durch einen Antrieb in eine
Drehung versetzt.
[0002] Geologische Bohrvorgänge, die im Allgemeinen als Tiefbohrvorgänge bezeichnet werden
können, sind sehr energie- und kostenintensiv. Beispielsweise bei der Exploration
und Förderung von Erdöl und/oder Erdgas werden derartige Bohrvorgänge mit hohem Aufwand
durchgeführt. Die Kosten für den Betrieb eines Bohrturms liegen bei sechsstelligen
Dollarbeträgen pro Tag, bei einer Bohrinsel können es Millionenbeträge pro Tag sein.
Verbesserungen bei der Durchführung von Tiefbohrvorgängen sind daher von erheblicher
wirtschaftlicher Bedeutung.
[0003] In der Praxis ist bisher eine manuelle Fahrweise von Bohrvorgängen üblich, bei der
ein erfahrener Anlagenfahrer den Bohrvorgang durch verschiedene Stelleingriffe steuert,
z. B. durch Einstellung der Drehzahl des Bohrers oder des Bremsmoments an einer Seiltrommel,
auf welche ein Seil zur Aufhängung des Bohrgestänges aufgewickelt ist. Der Anlagenfahrer
beobachtet u. a. die Vorschubgeschwindigkeit des Bohrgestänges, die in der Fachliteratur
als "Rate Of Penetration", ROP, bezeichnet wird, die Hakenlast, die bei einem Seilzug
mit Seiltrommel durch deren Bremsmoment einstellbar ist, und Vibrationen am Bohrgestänge.
Zudem wird häufig durch weitere Mitarbeiter die rückgeführte Spülflüssigkeit auf Gesteinsbrocken
untersucht, die mit an die Oberfläche geschwemmt werden, oder auf enthaltene Gasbläschen.
Diese Informationen werden ggf. bei der Festlegung der Fahrweise durch den Anlagenfahrer
berücksichtigt. Weil die Kosten für den Bohrvorgang häufig in Tagessätzen abgerechnet
werden, erfolgt die Kostenbetrachtung dabei überwiegend zeitbezogen und das Ziel des
Anlagenfahrers ist die Minimierung des Zeitbedarfs bis zur Erreichung der angestrebten
Bohrtiefe.
[0004] Aus der
WO 2009/062725 A2 ist ein Verfahren zur Durchführung einer Tiefenbohrung bekannt, bei welchem Motoren
für Vorschub und Drehung am Bohrkopf und damit am unteren Ende des Bohrgestänges angeordnet
sind. Für den Bohrvorgang ist eine Regelung vorgesehen, bei welcher in einer ersten
Betriebsart die Drehzahl des Bohrkopfs, häufig als "Rotations Per Minute", RPM, bezeichnet,
und der Bohrdruck so geregelt werden, dass die Leistung am Bohrkopf ein vorbestimmtes
Maximum beträgt, und bei welcher in einer zweiten Betriebsart dieselben Größen so
geregelt werden, dass die Schnitttiefe ("Depth Of Cut", DOC) auf einem vorbestimmten
Wert gehalten wird. Eventuelle Wechselwirkungen zwischen den beiden Stellgrößen bleiben
dabei in nachteiliger Weise unberücksichtigt.
[0005] Aus der
WO 2012/080812 A2 ist ein Bohrturm mit einem Hydraulikmotor am Bohrkopf bekannt. Bei der Durchführung
eines Bohrvorgangs wird eine iterative Optimierung der Fahrweise vorgenommen, welche
auf einer Approximation von Kennlinien des Hydraulikmotors basiert.
[0006] In der
DE 601 21 153 T2 ist der detaillierte Aufbau eines Bohrturms als ein Beispiel einer Vorrichtung zur
Durchführung eines Tiefbohrvorgangs beschrieben. Bezüglich weiterer Details zum konstruktiven
Aufbau von Bohrvorrichtungen wird daher auf dieses Dokument verwiesen. Dort wird eine
Optimierung der Vorschubgeschwindigkeit (ROP) mithilfe einer von mehreren möglichen
Stellgrößen vorgeschlagen, und zwar mithilfe von derjenigen, die am besten mit der
Vorschubgeschwindigkeit korreliert. Dabei wird ein Bereich der Vorschubgeschwindigkeit
gesucht, in welchem deren Steigung nahezu Null beträgt und somit ein lokales Maximum
der Vorschubgeschwindigkeit liegt.
[0007] Bezüglich einer Beschreibung eines Beispiels für eine Aufhängung eines Bohrgestänges
mittels Seilzug und Seiltrommel wird auf die
WO 2005/113930 A1 verwiesen. Ein PID-Regler sorgt dort für eine definierte Rotationsgeschwindigkeit
der Seiltrommel durch Eingreifen auf eine mechanische Bremse, die ein Bremsmoment
an der Seiltrommel erzeugt. Solange das Seil straff gespannt ist, seine Elastizität
und der mit der Länge des aufgewickelten Seils veränderliche effektive Trommeldurchmesser
vernachlässigt werden, korreliert die Rotationsgeschwindigkeit der Seiltrommel mit
der Vorschubgeschwindigkeit des Bohrkopfes.
[0008] Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, die Effizienz bei der Durchführung eines
Tiefbohrvorgangs zu verbessern.
[0009] Zur Lösung dieser Aufgabe weist das neue Verfahren zur Durchführung eines Tiefbohrvorgangs
die in Anspruch 1 angegebenen Merkmale auf. In den abhängigen Ansprüchen sind vorteilhafte
Weiterbildungen der Erfindung, in Anspruch 6 ein Computerprogramm, in Anspruch 7 ein
digitales Speichermedium und in Anspruch 8 eine Steuerungseinrichtung zur Durchführung
des Verfahrens beschrieben.
[0010] Die Erfindung hat den Vorteil, dass aufgrund der Verwendung eines Mehrgrößenreglers
die beiden Regelgrößen Vorschubgeschwindigkeit und Hakenlast am Seilzug gleichzeitig
geregelt werden. Da diese Größen stark voneinander abhängig sind, ist dies von besonderem
Vorteil. Die Drehzahl der Drehung des Bohrgestänges, die im Folgenden auch als Wellendrehzahl
bezeichnet wird, stimmt mit der Bohrerdrehzahl überein, wenn kein zusätzlicher Motor
am unteren Ende der Welle für den Bohrkopf vorgesehen ist. Auch wenn am unteren Ende
der Welle beispielsweise ein Hydraulikmotor eine zusätzliche Drehung des Bohrkopfs
gegenüber der Welle bewirkt, beeinflusst eine Änderung der Wellendrehzahl die Bohrerdrehzahl
und damit primär die Vorschubgeschwindigkeit, wirkt sich indirekt aber auch auf die
Hakenlast aus, d. h. auf die durch das Bohrgestänge auf den Seilzug ausgeübte Zugkraft.
Die Bremsgröße für den Seilzug, die beispielsweise bei Verwendung einer Seiltrommel
der für die Betätigung der Trommelbremse erforderlichen Stellgröße entspricht, beeinflusst
primär die Hakenlast, wirkt sich aber über die Anpresskraft des Bohrkopfes ("Weight
On Bit", WOB) maßgeblich auf die Vorschubgeschwindigkeit (ROP) aus. Diese Wechselwirkungen
oder Quereinflüsse werden in vorteilhafter Weise durch den Mehrgrößenregler bei der
Regelung der jeweiligen Regelgröße Vorschubgeschwindigkeit oder Hakenlast berücksichtigt.
Somit werden Regelgüte und Effizienz bei der Durchführung des Tiefbohrvorgangs verbessert.
[0011] Ein dazu geeigneter Mehrgrößenregler hat zumindest so viele Eingänge wie Regelgrößen
und zumindest so viele Ausgänge wie Stellgrößen. Die Kopplungen zwischen den verschiedenen
Größen werden in einem einheitlichen Reglerkonzept berücksichtigt. Der Entwurf des
Mehrgrößenreglers erfolgt über eine Matrizen-/Vektorrechnung.
[0012] Die Wahl der Vorschubgeschwindigkeit (ROP) als Regelgröße hat den Vorteil, dass diese
leicht messbar und von großer Bedeutung für den Zeitbedarf zur Erreichung der angestrebten
Bohrtiefe ist. Die Hakenlast ist ebenfalls leicht messbar und repräsentativ für die
Anpresskraft des Bohrkopfes (WOB), welche maßgeblich für die Zertrümmerung des Gesteins
ist. Eine Verwendung der Anpresskraft als Regelgröße hätte dagegen den Nachteil, dass
ihre Messung mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden wäre, da sie u. a. von den
Reibungskräften an den Wänden des Bohrlochs und dem Auftrieb des Bohrgestänges in
der Spülflüssigkeit abhängt, welche starken Schwankungen unterliegen können.
[0013] Die verwendeten Stellgrößen Wellendrehzahl und Bremsgröße für den Seilzug entsprechen
in vorteilhafter Weise den bisher vom Anlagenfahrer für manuelle Steuerung genutzten
Eingriffen. Dabei wird durch den Mehrgrößenregler eine deutliche Entlastung des Anlagenfahrers
von manuellen Stelleingriffen gegenüber der konventionellen Handfahrweise, die eingangs
beschrieben wurde, erreicht. Der in einem geschlossenen Regelkreis befindliche Mehrgrößenregler
reagiert schneller und reproduzierbarer auf Störeinflüsse, die beispielsweise durch
Änderungen in den Gesteinsformationen beim Bohrvorgang auftreten können. Durch die
Regelung werden Vorschubgeschwindigkeit und Anpresskraft präziser auf vorgegebenen
Werten gehalten und somit die Standzeit von Bohrköpfen verbessert.
[0014] In einer besonders vorteilhaften Ausgestaltung wird als Mehrgrößenregler ein modellbasierter
Prädiktivregler ("Model Predictive Control", MPC) verwendet. In derartigen Reglern
dient ein zeitdiskretes dynamisches Modell des zu regelnden Prozesses dazu, die zukünftigen
Zustände des Prozesses in Abhängigkeit von den Eingangssignalen zu berechnen und aufgrund
dieser Vorhersage geeignete Eingangssignale zu wählen. Dies ermöglicht die Berechnung
des im Sinne einer Gütefunktion optimalen Eingangssignales unter der gleichzeitigen
Berücksichtigung von Eingangs- und Zustandsbeschränkungen.
[0015] Beim Bohrvorgang können in vorteilhafter Weise zusätzlich das Antriebsdrehmoment,
welches zur Erreichung der gewünschten Wellendrehzahl erforderlich ist, und/oder die
Rücklauftemperatur einer beim Bohrvorgang verwendeten Spülflüssigkeit auf Einhalten
vorgegebener Obergrenzen überwacht werden. Dadurch können Störungen, z. B. eine Überlastung
des Antriebs bzw. eine Überhitzung des Bohrkopfs, vermieden werden.
[0016] Eine Regelung der Drehzahl einer Pumpe für die Spülflüssigkeit könnte zusätzlich
zur oben beschriebenen Mehrgrößenregelung sinnvoll sein. Solange für eine ausreichende
Abfuhr von Bohrklein und eine ausreichende Kühlung des Bohrkopfes gesorgt ist, hat
jedoch die Pumpendrehzahl keinen nennenswerten Quereinfluss auf die übrigen Regelgrößen
des oben beschriebenen Mehrgrößenreglers. Die Regelung der Pumpendrehzahl kann daher
wahlweise durch einen gesonderten Eingrößenregler erfolgen oder in einen entsprechend
erweiterten Mehrgrößenregler integriert werden. In jedem Fall ist durch die Verwendung
der Pumpendrehzahl als weitere Stellgröße, die in Abhängigkeit zumindest von der Rücklauftemperatur
der Spülflüssigkeit durch einen Regler vorgegeben wird, eine Optimierung der Pumpenleistung
bei gleichzeitiger Gewährleistung einer ausreichenden Kühlung erreichbar.
[0017] Besonders vorteilhaft ist die Verwendung eines Mehrgrößenreglers, in welchen eine
betriebswirtschaftliche und/oder energetische Optimierung des stationären Arbeitspunktes
beim Bohrvorgang integriert ist. Beispielsweise der im Prozessleitsystem SIMATIC PCS
7 integrierte Funktionsbaustein zur modellbasierten prädiktiven Mehrgrößenregelung
enthält ab PCS 7 V8.0 (Dezember 2012) eine derartige Optimierung. Als Gütekriterium
kann eine beliebige Linearkombination aller Stell-und Regelgrößen des Mehrgrößenreglers
formuliert werden. Nebenbedingungen für die Regelgrößen werden in Form von Toleranzbereichen
für die Sollwerte vorgegeben. Der Optimierer liefert Sollwerte innerhalb der Toleranzbereiche,
die optimal im Sinne des Gütekriteriums sind. Dabei wird in vorteilhafter Weise der
aktuelle Wert des Gütekriteriums, z. B. der entstehenden Kosten oder des spezifischen
Energieverbrauchs, dem Anlagenfahrer auf einer Operatorstation angezeigt, um das Energie-
und Kostenbewusstsein zu stärken. Insbesondere bei der Durchführung von Tiefbohrvorgängen
hat die Arbeitspunktoptimierung im Mehrgrößenregler den Vorteil, dass jede Stell-und
Regelgröße mit einem Kostenfaktor bewertet werden kann. Dadurch wird eine objektive
Kostenoptimierung erreicht, die von der rein subjektiven Einschätzung des Anlagenfahrers
deutlich abweichen kann. Diese objektive Kostenoptimierung ist von erheblichem Vorteil
gegenüber einer "blinden" Maximierung der Vorschubgeschwindigkeit (ROP), weil im Bereich
der maximal erreichbaren Vorschubgeschwindigkeit erfahrungsgemäß bereits unerwünschte
Nebenwirkungen auftreten, beispielsweise ein Verschmieren des Bohrkopfes, unerwünschte
Vibrationen, überhöhter Verschleiß oder Energieverschwendung. Die Grenzen, die für
jede Stell- oder Regelgröße vorgegeben werden können, ergeben sich aufgrund technologischer
Randbedingungen, z. B. der maximal zur Verfügung stehenden Antriebsleistung, des Verschleißzustands
des Bohrkopfes oder der Vermeidung von Vibrationen. Die Vorüberlegungen zur Spezifikation
des Gütekriteriums unterstützen zudem bei der Definition von Alarmgrenzwerten, z.
B. im Hinblick auf einen erforderlichen Austausch des Bohrkopfes.
[0018] Die oben genannte Aufgabe wird auch mit einer Steuerungseinrichtung zur Regelung
eines Tiefbohrvorgangs gelöst, die Mittel zur Durchführung des Verfahrens gemäß Anspruch
1 umfasst. Die Erfindung ist dabei bevorzugt in Software oder in Soft-und Firmware
implementiert. Die Erfindung ist damit einerseits auch ein Computerprogramm mit durch
einen Computer ausführbaren Programmcodeanweisungen und andererseits ein Speichermedium
mit einem derartigen Computerprogramm, also ein Computerprogrammprodukt mit Programmcodemitteln,
sowie schließlich auch eine Steuerungseinrichtung, in deren Speicher als Mittel zur
Durchführung des Verfahrens und seiner Ausgestaltungen ein solches Computerprogramm
geladen oder ladbar ist.
[0019] Anhang der Zeichnung, in der ein Ausführungsbeispiel der Erfindung dargestellt ist,
werden im Folgenden die Erfindung sowie Ausgestaltungen und Vorteile näher erläutert.
[0020] Die einzige Figur zeigt ein Blockschaltbild einer Tiefbohrvorrichtung 1 mit den wesentlichen
Komponenten Bohrgerät 2 und Steuerungseinrichtung 3. Bei dem Bohrgerät 2 handelt es
sich beispielsweise um einen Bohrturm, der mit Messmitteln zur Erfassung aktueller
Messwerte und mit Stellmitteln zur Beeinflussung des Bohrvorgangs ausgestattet ist.
Die Steuerungseinrichtung 3 ist beispielsweise durch ein Automatisierungsgerät realisiert,
in welches ein Funktionsbaustein 4 für einen Mehrgrößenregler mit integrierter Arbeitspunktoptimierung
geladen ist. Das Automatisierungsgerät enthält eine Verarbeitungseinheit und einen
Speicher, in den ein Computerprogramm geladen ist, das im Betrieb des Automatisierungsgeräts
zur Regelung des Tiefbohrvorgangs durch die Verarbeitungseinheit ausgeführt wird.
Als Automatisierungsgerät kommt beispielsweise eine SIMATIC S7, als Funktionsbaustein
4 beispielsweise der modellbasierte prädiktive Mehrgrößenregler ModPreCon, der aus
dem SIEMENS Katalog ST PCS 7 bekannt ist, zum Einsatz.
[0021] Bei Tiefbohrvorgängen wird ein Bohrgestänge verwendet, das aus mehreren Segmenten
zusammengesetzt ist und an seinem unteren Ende einen Bohrkopf trägt, der, sobald er
verschlissen ist, bei vollständiger Entnahme des Gestänges ausgetauscht werden muss.
Die Vorschubgeschwindigkeit v (ROP) und der Verschleiß des Bohrkopfes sind überwiegend
abhängig von der Gesteinsart G, die beispielsweise anhand einer Laborprobe des aus
dem Bohrloch austretenden Rücklaufschlamms bestimmt werden kann, von der Anpresskraft
des Bohrkopfs (WOB) gegen das Gestein sowie von der Bohrerdrehzahl n (RPM).
[0022] Am unteren Ende des Bohrgestänges kann dem Bohrkopf ein Hydraulikmotor vorgeschaltet
sein, der eine zusätzliche Drehung des Bohrkopfs gegenüber dem Gestänge bewirkt. In
diesem Fall ist die Bohrkopfdrehzahl gegenüber der Wellendrehzahl um einen im Wesentlichen
konstanten Offset erhöht, der jedoch unerheblich für das Verhalten der Regelung ist,
sodass im Folgenden zwischen den Begriffen Wellendrehzahl und Bohrerdrehzahl nicht
unterschieden werden muss.
[0023] Die verschiedenen primären Wirkungen und Wechselwirkungen, welche die auf das Bohrgerät
2 gegebenen Stellgrößen auf die Messgrößen ausüben, sind in der Figur durch Pfeile
angedeutet, die mit durchbrochenen Linien in den Block eingezeichnet sind, der das
Bohrgerät 2 repräsentiert. So haben die Bohrerdrehzahl n (RPM) eine primäre Wirkung
auf die Vorschubgeschwindigkeit v (ROP) und die Bremsgröße B, welche auf den Seilzug
der Bohrgestängeaufhängung gegeben wird, eine primäre Wirkung auf die gemessene Hakenlast
FH. Zwischen Bohrerdrehzahl n und Hakenlast FH sowie zwischen Bremsgröße B und Vorschubgeschwindigkeit
v besteht jedoch zusätzlich eine starke Wechselwirkung, welche bisher vernachlässigt
wurde, durch den neuen Mehrgrößenregler nun in vorteilhafter Weise in der Regelung
Berücksichtigung findet. Mit dem neuen Verfahren zur Durchführung eines Tiefbohrvorgangs
können somit Vorschubgeschwindigkeit v und Hakenlast FH erheblich präziser als bisher
auf vorgegebenen oder vorgebbaren Sollwerten gehalten werden.
[0024] Bohrerdrehzahl n und Bremsgröße B haben zusätzlich Auswirkungen auf ein Drehmoment
M des Antriebsmotors, welcher die Welle des Bohrgestänges in Drehung versetzt, und
eine gemessene Rücklauftemperatur T des in das Bohrloch gepumpten Spülmittels. Bei
den Größen Drehmoment M und Rücklauftemperatur T würde prinzipiell deren Überwachung
auf Einhalten vorgegebener Grenzen genügen, damit Störungen aufgrund unzulässiger
Überhöhungen vermieden werden. Die Einstellung einer Rücklaufmenge Q des Spülmittels
erfolgt zur Optimierung des Spülmittel- und Energieverbrauchs mit einem gesonderten
Regler 5 in der Steuerungseinrichtung 3, welcher eine Pumpendrehzahl nP in Abhängigkeit
der gemessenen Rücklauftemperatur T und eventuell in Abhängigkeit der ermittelten
Gesteinsart G als Stellgröße vorgibt. In einer Abwandlung des gezeigten Ausführungsbeispiels
kann dieser Regler zusätzlich im Mehrgrößenregler realisiert sein, sodass es sich
anstelle einer 2X2-Mehrgrößenregelung dann um eine 3X3-Mehrgrößenregelung durch den
Funktionsbaustein 4 handelt.
[0025] Als weitere Größen, welche den durch das Bohrgerät 2 ausgeführten Bohrvorgang beeinflussen,
sind exemplarisch Gesteinseigenschaften R, z. B. die Gesteinshärte, und ein Gewicht
FG des in das Bohrloch eingeführten Bohrgestänges eingezeichnet. Die Gewichtskraft
FG des Bohrgestänges lastet, vermindert um den durch den Spülmittelstand im Bohrloch
verursachten Auftrieb und die Hakenlast FH, auf dem Bohrkopf. Die Anpresskraft des
Bohrkopfs (WOB) unterscheidet sich beim Bohrvorgang lediglich um einen Offset von
der Hakenlast FH, sodass an der Hakenlast gemessene Änderungen, abgesehen von dynamischen
Effekten und der Reibung im Bohrloch, in für die Regelung vorteilhafter Weise den
Veränderungen der Anpresskraft des Bohrkopfes entsprechen.
[0026] Die beschriebene Integration einer Arbeitspunktoptimierung im Funktionsbaustein 4
und damit im Mehrgrößenregler hat den Vorteil, dass eine wirtschaftliche Optimierung
des Bohrvorgangs durchgeführt werden kann, welche das Ziel hat, die Gesamtkosten für
ein Bohrloch an einem Standort mit spezifischen Gesteinseigenschaften R und einer
vorgegebenen Tiefe H zu minimieren. Dazu kann ein Gütekriterium vorgegeben werden,
welches auf der Basis der Kosten gebildet ist. Gesamtkosten KG für das Bohrloch setzen
sich dabei zusammen aus Kosten KA für die Anlage, Kosten KM für die Wartung beim Bohrvorgang
und Kosten KE der aufgewendeten Energie. Es gilt:

[0027] Die Anlagekosten KA sind zeitbezogene Kosten und ergeben sich aus den Kosten für
das Anlagen-Leasing und für das Personal. Dabei fallen pro Tag Kosten dK an. Der Zeitbedarf
tDR für den gesamten Bohrvorgang, englisch: "Drilling Time", kann berechnet werden
zu

mit

[0028] Die Anlagekosten KA können dann berechnet werden zu:

[0029] Die Hakenlast FH wirkt sich über die Anpresskraft des Bohrkopfes (WOB) auf den Verschleiß
des Bohrkopfes und damit auf die Instandhaltungskosten aus. Der Austausch eines Bohrkopfes
verursacht Materialkosten KB. Für den gesamten Bohrvorgang sind N Bohrköpfe erforderlich,
wobei sich die Anzahl der Bohrköpfe aus den Quotienten des Zeitbedarfs tDR für den
gesamten Bohrvorgang und der mittleren Lebensdauer eines Bohrkopfes ergibt. Der Bohrkopfwechsel
wirkt sich zweifach auf die Kosten aus. Zum einen erhöht sich die Stillstandszeit
tDO entsprechend der Formel:

mit
N - Anzahl der Bohrköpfe und
tR - Zeitbedarf eines Bohrkopftauschs, englisch: "Replacement Time".
[0030] Zum anderen fallen Instandhaltungskosten KM an gemäß der Formel:

mit
KB - Kosten eines Bohrkopfs, englisch: "Bit".
[0031] Beispielsweise bei Verwendung eines Seilzugs mit Seiltrommel und Reibbremse zur Erzeugung
eines Bremsdrehmoments werden durch den Bremsenverschleiß keine nennenswerten Kosten
verursacht. Die Wellendrehzahl n hingegen wirkt sich auf die Reibungskräfte am Bohrkopf
und Gestänge aus und korreliert in erster Näherung mit Energiekosten KE für den Antrieb
des Bohrers, welche berechnet werden zu:

mit
KC - Energiefixkosten und
KF - ein drehzahlbezogener Kostenfaktor.
[0032] Bei Verwendung eines derart bestimmten Gütekriteriums erfolgt in vorteilhafter Weise
automatisch eine betriebswirtschaftliche Optimierung des Tiefbohrvorgangs.
[0033] Ergänzend zur betriebswirtschaftlichen Optimierung kann die spezifische mechanische
Energie MSE, englisch: "Mechanical Specific Energy", für den Bohrvorgang berechnet
und angezeigt werden. Diese ist proportional zu dem auf die Vorschubgeschwindigkeit
v bezogenen Energieverbrauch und berechnet sich nach der Formel:

[0034] Nach Multiplikation mit einem Bohrkopfwirkungsgrad, der üblicherweise zwischen 30
und 40 % beträgt, und Einheitenumrechnung kann die spezifische mechanische Energie
mit der sogenannten "Rock Compressive Strength" verglichen werden, einer Kennzahl
für die physikalischen Eigenschaften des Gesteins. Wenn die Gesteinseigenschaften
aufgrund von Laboruntersuchungen bekannt sind, kann damit die Effizienz des Bohrvorgangs
überprüft werden.
[0035] Das vorgeschlagene Verfahren zur Durchführung eines Tiefbohrvorgangs ist universell
einsetzbar, bei Bohrtürmen an Land oder bei Bohrinseln, d. h. On-Shore oder Off-Shore,
unabhängig von konstruktiven Details der Bohranlage. Es kann insbesondere angewendet
werden für Bohrgeräte mit elektrischem oder hydraulischem Hauptantrieb, direkt auf
einer Welle montiertem Bohrkopf, für Bohrgeräte mit hydraulischem Downhole-Motor oder
mit elektrischem Downhole-Motor, oder für Bohrgeräte mit Seilzugbremssystemen, die
mechanisch oder elektrodynamisch in Abhängigkeit einer dem jeweiligen Bremsentyp entsprechenden,
durch den Mehrgrößenregler vorgegebenen Bremsgröße wirken. Dabei ist in vorteilhafter
Weise keine spezielle Downhole-Sensorik erforderlich. Die Anpassung an ein konkretes
Bohrgerät erfolgt durch datenbasierte Prozessidentifikation für den modellbasierten
Prädiktivregler und ggf. durch Spezifikation des Gütekriteriums für die Optimierung
nach betriebswirtschaftlichen oder energetischen Gesichtspunkten. Dabei ist, wie oben
dargelegt, eine weitgehend exakte Kostendefinition für das Gütekriterium möglich.
Bei Bedarf kann diese durch empirische Abschätzungen, z. B. für die Standzeit des
Bohrkopfes, ergänzt werden.
1. Verfahren zur Durchführung eines Tiefbohrvorgangs,
wobei ein Bohrgestänge verwendet wird, das durch einen Antrieb in Drehung versetzt
wird, das an einem Seilzug aufgehängt ist und das an seinem unteren Ende einen Bohrkopf
trägt,
wobei zumindest die durch das Bohrgestänge auf den Seilzug ausgeübte Zugkraft (FH)
und die Vorschubgeschwindigkeit (v) des Bohrgestänges gemessen und als Regelgrößen
auf einen gemeinsamen Regler (4) zur Regelung auf jeweils einen vorgegebenen oder
vorgebbaren Sollwert geführt werden,
wobei der Regler (4) als Stellgrößen zumindest die Drehzahl (n) der Drehung des Bohrgestänges
und eine Bremsgröße (B) für den Seilzug ausgibt und
wobei der Regler (4) zur Berücksichtigung der jeweiligen Einflüsse der Drehzahl (n)
des Bohrgestänges auf die Vorschubgeschwindigkeit (v) und auf die Zugkraft (FH) sowie
zur Berücksichtigung der jeweiligen Einflüsse der Bremsgröße (B) auf die Vorschubgeschwindigkeit
(v) und auf die Zugkraft (FH) als Mehrgrößenregler (4) ausgebildet ist.
2. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet,
dass als Mehrgrößenregler (4) ein modellbasierter Prädiktivregler verwendet wird.
3. Verfahren nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass das Antriebsdrehmoment (M) und/oder die Rücklauftemperatur (T) einer beim Bohrvorgang
verwendeten Spülflüssigkeit auf Einhalten vorgegebener Obergrenzen überwacht werden.
4. Verfahren nach Anspruch 3, dadurch gekennzeichnet,
dass als weitere Stellgröße eine Drehzahl (nP) einer Pumpe für die Spülflüssigkeit in
Abhängigkeit zumindest von der Rücklauftemperatur (T) der Spülflüssigkeit durch den
Regler (4) oder einen weiteren Regler (5) ausgegeben wird.
5. Verfahren nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet,
dass in dem Mehrgrößenregler (4) eine betriebswirtschaftliche und/oder energetische Optimierung
des stationären Arbeitspunktes beim Bohrvorgang integriert ist.
6. Computerprogramm oder Computerprogrammprodukt mit auf einem computerlesbaren Datenträger
gespeicherten Programmcodemitteln, die dafür vorgesehen und bestimmt sind, alle Schritte
eines Verfahrens nach zumindest einem der Ansprüche 1 bis 5 durchzuführen, wenn das
Programm auf einer Steuerungseinrichtung zur Regelung eines Tiefbohrvorgangs ausgeführt
wird.
7. Digitales Speichermedium mit elektronisch auslesbaren Steuersignalen, die so mit einer
programmierbaren Steuerungseinrichtung zur Regelung eines Tiefbohrvorgangs zusammenwirken
können, dass ein Verfahren nach zumindest einem der Ansprüche 1 bis 5 ausgeführt wird.
8. Steuerungseinrichtung zur Regelung eines Tiefbohrvorgangs mit einer Verarbeitungseinheit
und einem Speicher, in den ein Computerprogramm nach Anspruch 6 geladen ist, das im
Betrieb der Steuerungseinrichtung (3) durch die Verarbeitungseinheit ausgeführt wird.