(19)
(11) EP 2 960 617 A1

(12) EUROPÄISCHE PATENTANMELDUNG

(43) Veröffentlichungstag:
30.12.2015  Patentblatt  2015/53

(21) Anmeldenummer: 15001662.4

(22) Anmeldetag:  03.06.2015
(51) Internationale Patentklassifikation (IPC): 
F42B 8/24(2006.01)
F42B 10/66(2006.01)
(84) Benannte Vertragsstaaten:
AL AT BE BG CH CY CZ DE DK EE ES FI FR GB GR HR HU IE IS IT LI LT LU LV MC MK MT NL NO PL PT RO RS SE SI SK SM TR
Benannte Erstreckungsstaaten:
BA ME
Benannte Validierungsstaaten:
MA

(30) Priorität: 26.06.2014 DE 102014009540

(71) Anmelder: Diehl BGT Defence GmbH & Co. KG
88662 Überlingen (DE)

(72) Erfinder:
  • Kuhn, Thomas
    DE - 88633 Heiligenberg (DE)
  • Knutzen, Björn
    DE - 90408 Nürnberg (DE)
  • Noll, Matthias
    DE - 90542 Eckental (DE)
  • Rumsauer, Wolfgang
    90571 Schwaig (DE)

(74) Vertreter: Diehl Patentabteilung 
c/o Diehl Stiftung & Co. KG Stephanstrasse 49
90478 Nürnberg
90478 Nürnberg (DE)

   


(54) VERFAHREN ZUR REDUKTION DES GEFAHRENBEREICHS GELENKTER ÜBUNGSMUNITION; ÜBUNGSMUNITION; SYSTEM


(57) Verfahren zur Reduktion des Gefahrenbereichs (GG) gelenkter Übungsmunition, umfassend folgende Schritte:
Ausrüsten der Übungsmunition mit einem nicht-aerodynamischen Stellsystem, und
Begrenzen der im nicht-aerodynamischen Stellsystem bereitgestellten Stellenergie derart, dass sie die Stellenergie, die zur Korrektur (ΔyK) des innerhalb eines vorbestimmten Fehlerbereichs (n Sigma) liegenden ballistischen Fehlers (K) der Übungsmunition notwendig ist, nicht übersteigt.




Beschreibung


[0001] Die Erfindung betrifft ein Verfahren zur Reduktion des Gefahrenbereichs gelenkter Übungsmunition. Die Erfindung betrifft ferner eine zur Durchführung dieses Verfahrens geeignete Übungsmunition und ein zur Durchführung des Verfahrens geeignetes System.

[0002] Bisher war die Durchführung von Übungsschießen gelenkter Artillerieraketen oder Lenkmunitionen nur auf flächenmäßig großen Übungsplätzen möglich, da neben dem unvermeidlichen ballistischen Fehler insbesondere ein Fehlverhalten des Stellsystems zu einem erheblichen Abweichen der Ablage vom ursprünglich geplanten Ziel führen kann. So ist z. B. beim Blockieren eines aerodynamischen Stellsystems mit beweglichen Rudern (Canards, Leitwerk) in einer extremen Ruderstelllage in einer frühen Flugphase der Lenkmunition eine Abweichung vom geplanten Zielpunkt in Größenordnung der ballistischen Reichweite der Lenkmunition zu befürchten. Wollte man also bisher gelenkte Artillerieraketen oder Lenkmunitionen zu Übungszwecken abschießen, so konnte dies bisher nur auf großflächigen Übungsplätzen geschehen, die den sehr großen Gefahrenbereichen solcher Munitionen Rechnung tragen.

[0003] Aufgabe der Erfindung ist es daher, einen Weg aufzuzeigen, wie auch auf kleineren Übungsplätzen zu Übungszwecken ein Lenkkonzept zum Ausgleich des ballistischen Fehlers einer ungelenkten Munition eingesetzt werden kann. Diese Aufgabe wird zum einen durch das Verfahren nach Anspruch 1, zum anderen durch die Übungsmunition nach Anspruch 6, deren Verwendung nach Anspruch 8 und ferner durch das System nach Anspruch 10 gelöst. Vorteilhafte Ausgestaltungen der Erfindung sind in den abhängigen Ansprüchen angegeben.

[0004] Erfindungsgemäß wird die Reduktion des Gefahrenbereichs gelenkter Übungsmunition dadurch erreicht, dass die im nicht-aerodynamischen Stellsystem bereitgestellte Stellenergie derart begrenzt wird, dass sie die Stellenergie, die zur Korrektur des innerhalb eines vorbestimmten Fehlerbereichs liegenden ballistischen Fehlers der Übungsmunition notwendig ist, nicht übersteigt. Durch die Mitnahme einer begrenzten Stellenergie bei Abschuss der Übungsmunition wird eine gegrenzte Wegänderung der Raketentrajektorie bewirkt. Diese Begrenzung wird unter Festlegung der Korrekturfähigkeit der Fehlerstreuung bezogen auf eine vorgegebene Trefferkoordinate so bemessen, dass gerade die entstehenden ballistischen Abweichungen kompensiert werden können. Geht man bei der Verteilung der Fehlerstreuungen der ballistischen Flugbahn von einer Normalverteilung aus, so bestimmt die Standardabweichung Sigma (σ) maßgeblich den notwendigen Korrekturbedarf des Stellsystems. Damit ist die Zunahme des Gefahrenbereichs bei gelenkten Raketen durch die Wahl des Kompensationsgrades auftretender Fehlerstreuung beeinflussbar.

[0005] Durch den Einsatz eines nicht-aerodynamischen Stellsystems wird die Korrektur der Trajektorie nicht über eine Änderung der Aerodynamik der Rakete mittels Änderung der Außenkontur der Rakete (z. B. bewegliche Ruder oder Canards) erreicht, sondern durch eine limitierte Anzahl von Kraftstößen. Diese können beispielsweise durch Quer- und Längsschubeinrichtungen (sogenannte Thruster), welche am Umfang der zu lenkenden Übungsmunition angeordnet sind, auf die Übungsmunition übertragen werden.

[0006] Die Quer-/Längsschubeinrichtungen erzeugen vorzugsweise durch chemische Umsetzung eines pyrotechnischen Materials ein Gas mit hohem Druck, welches über Öffnungen am Umfang der Übungsmunition ausgestoßen wird und somit der Übungsmunition nach dem Rückstoßprinzip flugbahnkorrigierende Impulsänderungen erteilt. Dabei wird der durch das Stellsystem maximal abgebbare Gesamtkorrekturimpuls, welcher durch die begrenzt bereitgestellte Stellenergie bewirkbar ist, so bemessen, dass gerade der maximal auftretende ballistische Fehler kompensiert werden kann. Dies bedeutet, dass im Fehlerfall der Raketenlenkung im schlimmsten Fall ein doppelt so großer ballistischer Fehler beim Flug auftreten kann. Bei Annahme einer Fehlerkorrektur von 6 Sigma (Fehlerwahrscheinlichkeit < 10-7) würde die notwendige Stellenergie zu einer Verdoppelung des Gefahrenbereichs im Fehlerfall führen. Da bei einem Übungsschießen eine Korrektur des auftretenden ballistischen Fehlers von 2 Sigma (die Korrektur beinhaltet 94,45 % aller Fehler) ausreichend ist, wird die notwendig zu korrigierende Ablage deutlich verringert und führt damit zu einer Reduktion des Zuwachses des Gefahrenbereichs im Fehlerfall. Dieses Verfahren benötigt damit einen lediglich um diesen Zuwachs höheren Gefahrenbereich als eine rein ballistisch fliegende Rakete.

[0007] Gelenkte Übungsraketen oder auch gelenkte Übungsmunitionen können durch das erfindungsgemäße Konzept auf Übungsplätzen verschossen werden, die für die operationelle Variante (ohne angepasst begrenzte Stellenergie und/oder mit aerodynamischem Stellsystem) nicht infrage kommen. Kostspielige Transporte zu weiter entfernten großen Übungsplätzen können damit entfallen.

[0008] Durch Variation und Wahl der zeitlichen Aktivierung der möglichen Kompensation des ballistischen Fehlers und Änderungen zu kleineren ballistischen Reichweiten kann der so entstehende Gefahrenbereich an den zulässigen Schussbereich des Übungsplatzes angepasst werden. Demzufolge bezieht sich die Erfindung insbesondere auch auf ein System umfassend einen Übungsplatz und mindestens eine auf diesen Übungsplatz abgestimmte gelenkte Übungsmunition, wobei die Übungsmunition ein nicht-aerodynamisches Stellsystem in Form von pyrotechnischen Quer-/ Längsschubeinrichtungen aufweist, welche eingerichtet sind, der Übungsmunition eine oder mehrere flugbahnkorrigierende Impulsänderungen zu erteilen, wobei die im Stellsystem bevorratete pyrotechnische Stellenergie derart begrenzt ist, dass sie die Energie, die zur Korrektur des innerhalb eines vorbestimmten Fehlerbereichs liegenden ballistischen Fehlers der Übungsmunition notwendig ist, nicht übersteigt, wobei der Übungsplatz eine Längsausdehnung aufweist, welche mindestens der ballistischen Reichweite der Übungsmunition entspricht, wobei dessen Querausdehnung wesentlich geringer als die Längsausdehnung ist, wobei die Querausdehnung des Übungsplatzes mindestens das Doppelte der Breite des maximalen lateralen ballistischen Fehlerbereichs der Übungsmunition beträgt.

[0009] Weitere Vorteile, Merkmale und Einzelheiten der Erfindung ergeben sich aus dem im Folgenden beschriebenen Ausführungsbeispiel sowie anhand der Zeichnung.

[0010] Die Zeichnung Figur 1 illustriert das erfindungsgemäße Konzept des Einsatzes eines nicht-aerodynamischen Stellsystems in Verbindung mit der Nutzung limitierter Stellenergie bei Berücksichtigung von begrenzter Fehlerkorrektur der ballistischen Flugbahn.

[0011] Figur 1 zeigt schematisch den Verschuss einer erfindungsgemäßen Übungsmunition mit einem nicht-aerodynamischen Stellsystem in Form von pyrotechnischen Schubeinrichtungen, welche eingerichtet sind, der Übungsmunition eine oder mehrere flugbahnkorrigierende Impulsänderungen zu erteilen, wobei die im Stellsystem bevorratete pyrotechnische Stellenergie derart begrenzt ist, dass sie die Energie, die zur Korrektur des innerhalb eines vorbestimmten Fehlerbereichs liegenden ballistischen Fehlers der Übungsmunition notwendig ist, nicht übersteigt.

[0012] Falls eine operationelle Variante der Munition (mit aerodynamischem Stellsystem) für das Übungsschießen verwendet werden soll, kann die operationelle Munition durch Demontieren oder unwirksam Machen des aerodynamischen Stellsystems der Munition für das erfindungsgemäße Verfahren zur gefahrenbereichsreduzierten Übungsmunition umgerüstet werden.

[0013] Die in Figur 1 auf das Ziel Z verschossene Übungsmunition weist die vorbestimmte ballistische Reichweite ΔxB auf. Der ballistische Gefahrenbereich GB wird durch den maximal zu erwartenden ballistischen Fehler ΔxB und ΔyB definiert (im Allgemeinen unter Annahme eines maximalen ballistischen Fehlers von 6 Sigma). Dieser rein ballistische Gefahrenbereich GB vergrößert sich durch den Einsatz des erfindungsgemäßen nicht-aerodynamischen Stellsystems um den Betrag ΔyK auf den gelenkten Gefahrenbereich GG.

[0014] Bei einem Übungsschießen ist eine Korrekturmöglichkeit bis zu einem auftretenden ballistischen Fehler von 2 Sigma ausreichend. In Figur 1 ist dieser 2-Sigma-Bereich durch den ellipsoidförmigen Korrekturbereich K gekennzeichnet. Erfindungsgemäß ist nun die im nicht-aerodynamischen Stellsystem bereitgestellte Stellenergie gleich der zur Korrektur des innerhalb des vorbestimmten Fehlerbereichs von 2 Sigma liegenden ballistischen Fehlers der Übungsmunition notwendigen Stellenergie. Das bedeutet, dass eine Übungsrakete mit einem lateralen ballistischen Fehler von 2 Sigma gerade noch mit der maximal erreichbaren Fehlerkorrektur ΔyK auf das Ziel Z abgelegt werden kann.

[0015] Dies hat zwar den Nachteil, dass ballistische Abweichungen von mehr als 2 Sigma nicht mehr vollständig korrigiert werden können (kein direkter Zieltreffer mehr möglich), dies wird aber mehr als aufgewogen durch den Vorteil, dass sich der ballistische Gefahrenbereich GB nur um einen vergleichsweise geringen Betrag ΔyK auf den gelenkten Gefahrenbereich GG vergrößert (unter Annahme einer totalen Fehlfunktion des Stellsystems, bei der eine maximale ballistische Abweichung ΔyB genau in die falsche Richtung vom Ziel Z weg "korrigiert" wird).

[0016] Beispiele für typische Werte bei einem Übungsschießen gemäß obiger Beschreibung sind xB = 10.000 m, ΔxB = 900 m, ΔyB = 800 m, ΔyK = 500 m.

[0017] Neben der Begrenzung der im nicht-aerodynamischen Stellsystem bereitgestellten Stellenergie kann der gelenkte Gefahrenbereich GG auch noch durch die Vorwahl der ballistischen Reichweite xB und durch die verzögerte Aktivierung A des Stellsystems gering gehalten und an den zulässigen Schussbereich des Übungsplatzes angepasst werden.

Bezugszeichenliste



[0018] 
GB
Ballistischer Gefahrenbereich
GG
Gelenkter Gefahrenbereich
ΔxB
maximale longitudinale ballistische Abweichung
ΔyB
maximale laterale ballistische Abweichung
ΔyK
maximal erreichbare laterale Fehlerkorrektur
K
Korrekturbereich (vorbestimmter Fehlerbereich in Vielfachen von Sigma)
A
Aktivierungspunkt des nicht-aerodynamischen Stellsystems
Z
Ziel



Ansprüche

1. Verfahren zur Reduktion des Gefahrenbereichs (GG) gelenkter Übungsmunition, umfassend folgende Schritte:

Ausrüsten der Übungsmunition mit einem nicht-aerodynamischen Stellsystem, und

Begrenzen der im nicht-aerodynamischen Stellsystem bereitgestellten Stellenergie derart, dass sie die Stellenergie, die zur Korrektur (ΔyK) des innerhalb eines vorbestimmten Fehlerbereichs (n Sigma) liegenden ballistischen Fehlers (K) der Übungsmunition notwendig ist, nicht übersteigt.


 
2. Verfahren nach Anspruch 1,
wobei die im nicht-aerodynamischen Stellsystem bereitgestellte Stellenergie gleich der zur Korrektur (ΔyK) des innerhalb des vorbestimmten Fehlerbereichs (n Sigma) liegenden ballistischen Fehlers (K) der Übungsmunition notwendigen Stellenergie ist.
 
3. Verfahren nach Anspruch 1 oder 2,
wobei das nicht-aerodynamische Stellsystem mittels Quer- und Längsschubeinrichtungen Kraftstöße auf die Übungsmunition überträgt.
 
4. Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 3,
ferner umfassend den Schritt des Demontierens oder unwirksam Machens eines aerodynamischen Stellsystems der Munition, welche für das Verfahren zur gefahrenbereichsreduzierten Übungsmunition umgerüstet werden soll.
 
5. Verfahren nach einem der vorhergehenden Ansprüche,
wobei die Begrenzung der Stellenergie und damit die Reduktion des Gefahrenbereichs (GG) in Abhängigkeit der Querausdehnung des Übungsplatzes erfolgt, auf dem die Übungsmunition verschossen wird.
 
6. Übungsmunition mit einem nicht-aerodynamischen Stellsystem in Form von pyrotechnischen Quer- und Längsschubeinrichtungen, welche eingerichtet sind, der Übungsmunition eine oder mehrere flugbahnkorrigierende Impulsänderungen zu erteilen,
wobei die im Stellsystem bevorratete pyrotechnische Stellenergie derart begrenzt ist, dass sie die Energie, die zur Korrektur (ΔyK) des innerhalb eines vorbestimmten Fehlerbereichs (n Sigma) liegenden ballistischen Fehlers (K) der Übungsmunition notwendig ist, nicht übersteigt.
 
7. Übungsmunition nach Anspruch 6,
wobei die im Stellsystem bevorratete pyrotechnische Stellenergie gleich der zur Korrektur (ΔyK) des innerhalb des vorbestimmten Fehlerbereichs (n Sigma) liegenden ballistischen Fehlers (K) der Übungsmunition notwendigen Energie ist.
 
8. Verwendung einer Übungsmunition gemäß Anspruch 6 oder 7 auf einem Übungsplatz, dessen Längsausdehnung mindestens der ballistischen Reichweite (xB) der Übungsmunition entspricht, wobei dessen Querausdehnung wesentlich geringer als die Längsausdehnung ist, wobei die Querausdehnung des Übungsplatzes mindestens das Doppelte der Breite (2ΔyB) des maximalen lateralen ballistischen Fehlerbereichs der Übungsmunition beträgt.
 
9. Verwendung nach Anspruch 8,
wobei die Querausdehnung des Übungsplatzes höchstens das Dreifache der Breite (2ΔyB) des maximalen lateralen ballistischen Fehlerbereichs der Übungsmunition beträgt.
 
10. System umfassend einen Übungsplatz und mindestens eine auf diesen Übungsplatz abgestimmte gelenkte Übungsmunition,
wobei die Übungsmunition ein nicht-aerodynamisches Stellsystem in Form von pyrotechnischen Quer- und Längsschubeinrichtungen aufweist, welche eingerichtet sind, der Übungsmunition eine oder mehrere flugbahnkorrigierende Impulsänderungen zu erteilen,
wobei die im Stellsystem bevorratete pyrotechnische Stellenergie derart begrenzt ist, dass sie die Energie, die zur Korrektur des innerhalb eines vorbestimmten Fehlerbereichs liegenden ballistischen Fehlers der Übungsmunition notwendig ist, nicht übersteigt,
wobei der Übungsplatz eine Längsausdehnung aufweist, welche mindestens der ballistischen Reichweite der Übungsmunition entspricht, wobei dessen Querausdehnung wesentlich geringer als die Längsausdehnung ist, wobei die Querausdehnung des Übungsplatzes mindestens das Doppelte der Breite des maximalen lateralen ballistischen Fehlerbereichs der Übungsmunition beträgt.
 




Zeichnung







Recherchenbericht









Recherchenbericht