1. Technisches Problem
[0001] Aktuelle und vermutlich auch künftige Einsatzszenarien erfordern grundsätzlich eine
hohe Flexibilität beim Einsatz von Flugkörpern, Geschossen und Bomben, sofern diese
gegen Ziele am Boden oder in Bodennähe eingesetzt werden sollen und sich insbesondere
in einem urbanen Umfeld befinden können.
[0002] Hierfür wurden u.a. Wirksystemkonzepte vorgeschlagen, in denen mit Hilfe zweier Initiierungseinrichtungen
zur kontrollierten Deflagration sowie zur klassischen Detonation der Sprengladung
eine flexible Leistungssteuerung ermöglicht wird. Damit lassen sich verschiedene Wirkmodi
realisieren, von der reinen Deflagration als kleinster Wirkung über zeitlich versetzte,
kombinierte Reaktionsmechanismen als Zwischenwirkungen bis hin zur Detonation mit
der größten Wirkung.
[0003] Bei subdetonativen Outputmodi, insbesondere im kleinsten Modus der Deflagration der
Sprengladung, treten vergleichsweise große Splitter bei der Zerlegung der Hülle auf,
was auf geringe quasistatische Drücke zurückzuführen ist. Daraus ergeben sich zwei
Nachteile. Zum einen ist in diesen Fällen die Splitterdichte gering, so dass militärische
Ziele, selbst wenn sie sich im Nahbereich befinden, nicht getroffen und beschädigt
oder zerstört werden können. Zum anderen erhöhen große Splittermassen in Kombination
mit kleinen Splittergeschwindigkeiten die Schadensbereiche des Gefechtskopfes, was
insbesondere bei nicht kämpfenden / militärischen Personen und Objekten unerwünscht
sein kann. Damit vergrößern sich die sogenannten Kollateralschadensbereiche.
[0004] Die Größe und Form der Splitter hängt neben der Sprengladung und dessen Anzündung
im Wesentlichen vom L/D- Verhältnis des Gefechtskopfes und den Materialeigenschaften
der Gefechtskopfhülle ab. Dies sind die Wandstärke und quasistatische Eigenschaften
wie Zugfestigkeit, Streckgrenze und Bruchdehnung. Die infolge der Expansion der Hülle
in Umfangsrichtung auftretenden Spannungen führen zu typischen Scherbrüchen. Insbesondere
bei Metallen mit geringer Zugfestigkeit und duktilem Verhalten (hohe Streckgrenze
und Bruchdehnung) und / oder zylindrischen Hüllen können die Hüllensplitter sehr lang
sein und sich auch über die gesamte Länge der Gefechtskopfhülle erstrecken.
[0005] Passive Maßnahmen zur kontrollierten Splitterzerlegung wie die Schwächung der Gefechtskopfhülle
und / oder zusätzliche inerte Einlagen zwischen Hülle und Sprengladung funktionieren
nur bedingt. Hinzu kommt, dass solche Maßnahmen in Fällen nicht anwendbar sein können,
in denen eine vorgegebene Hülle genutzt werden muss und / oder aus Kompatibilitätsgründen
Änderungen von aerodynamischen Eigenschaften und / oder physikalischen Eigenschaften
(wie Schwerpunkt, Massen und Trägheitsmomenten) der Hülle nicht möglich sind. Dies
schließt praktisch die Anwendung derartig geschilderter passiver Maßnahmen von vornherein
aus.
[0006] Gegenstand der vorliegenden Erfindung ist daher eine Vorrichtung, die auch bei den
im kleinsten Outputmodus auftretenden Drücken eine kontrollierte Splitterbildung ermöglicht.
Damit können die Splittermassen signifikant reduziert und gleichzeitig die Splitterdichte
erhöht werden. Dadurch lassen sowohl die Wirkung gegen militärische Ziele im Nahbereich
verbessern als auch gleichzeitig Kollateralschadensbereiche reduzieren.
2. Stand der Technik
[0007] Die vorliegende Erfindung baut z.T. auch auf bekannter Technik auf und / oder steht
mit den nachfolgenden Patentschriften im Zusammenhang:
Es ist bekannt, verschiedene Vorrichtungen bei Gefechtsköpfen einzusetzen, um auch
bei subdetonativen Outputs mit signifikant kleineren Drücken als bei einer Detonation
die Gefechtskopf- oder Munitionshülle kontrolliert in Splitter einer gewünschten Größe
und Masse zu zerlegen.
[0008] Passive Maßnahmen wie Kerben in der Außenhülle sind in Abhängigkeit von der Kerbtiefe
und dem Hüllenmaterial nur bedingt erfolgreich, was sich in oftmals größeren Splittern
als beabsichtigt äußert.
[0009] Passive Maßnahmen in Form von verschiedenen Einlagen zwischen Gefechtskopfhülle und
Sprengladung wie Diamantmuster-Einlagen, Loch-Einlagen, und Kerbringen führen zu ähnlichen
Schwierigkeiten bei der kontrollierten Zerlegung der Außenhülle. Allerdings funktionieren
manche Einlagen derart gut, dass sie kleine, zusätzliche Splitter generieren, die
die Wirkung insbesondere gegen weiche Ziele im Nahbereich verbessern können.
[0010] Insgesamt zeigt sich, dass eine gute Trennung der Splitter in Umfangsrichtung möglich
ist, wie sie infolge der Expansion der Hülle auch bei geringen quasistatischen Drücken
und Aufweitungsgeschwindigkeiten wie im kleinsten Wirkmodus auftreten können. Problematisch
ist vor allem die Zerlegung in axialer Richtung, insbesondere bei unvorteilhaften
Materialeigenschaften und Hüllenformen. Dies zeigt sich besonders an den Hüllenenden,
wo typischerweise die Zerlegung schlechter funktioniert als in der Hüllenmitte mit
größeren Reaktionsgeschwindigkeiten und -drücken.
DE 10 2013 011 404.7 - Verfahren und Vorrichtung zur Leistungssteuerung eines Wirksystems
[0011] In dieser Patentanmeldung wird zum ersten Mal ein Verfahren zur Leistungssteuerung
beschrieben, das im Gegensatz zu bisher bekannten Patenten die beiden Reaktionsmechanismen
Deflagration und Detonation von der gleichen Seite einleitet. Die Vorrichtung lässt
die konkrete Ausführung des Zündsystems offen.
DE 10 2023 011 786.0 - Vorrichtung zur gesteuerten Initiierung der Deflagration einer
Sprengladung
[0012] In dieser Anmeldung wird die Ausführung eines Deflagrators in Abhängigkeit verschiedener
Wirkteileigenschaften wie Abmessungen und Verdämmung spezifiziert. Dabei können im
kleinsten Wirkmodus vergleichsweise große und schwere Hüllensplitter auftreten.
[0013] Allerdings ist anzumerken, dass der Einsatz von Metallen wie z.B. Stählen hoher Festigkeit
und spröden Eigenschaften (geringe Streckgrenze und Bruchdehnung) und / oder konvex
gekrümmten Hüllenformen bereits zu kleineren Splittern führt. Dies liegt daran, dass
dann die Zerlegung in axialer Richtung besser funktioniert.
US 8272330B1 - Selectable Size Fragmentation Warhead
[0014] Hier wird auf ein Paar von zylindrischen Linern abgestellt, die auch verdrehbar sein
können. Als Material wird Kunststoff angegeben. Es werden verschiedene geometrische
Formen als Öffnungen angegeben. Wie bei P700464 ergibt sich das Problem, dass die
Drücke bei Kombination mit Initiiereinrichtungen zur Erzeugung subdetonativer Outputmodi
typischerweise zu klein sind, um die äußere Hülle kontrolliert zu zerlegen. Dies gilt
insbesondere im kleinsten Wirkmodus mit der Deflagration der Sprengladung.
US 8272329B1 - Selectable Lethality Warhead Patterned Hole Fragmentation Insert Sleeves
[0015] In diesem Patent wird explizit auf runde Öffnungen abgestellt, wobei mindestens drei
Einlagen in den Ansprüchen genannt werden, die wiederum verdrehbar sein können. Es
gelten die gleichen Nachteile wie zuvor genannt.
US 8276520B1 - Adaptive Fragmentation Mechanism to Enhance Lethality
[0016] Hier werden Ringeinlagen beschrieben, die bei detonativer Umsetzung mit einem Hohlladungseffekt
die Außenhülle zerlegen. Hierbei ist anzumerken, dass die Wirkung bei deflagrativer
/ subdetonativer Umsetzung zu keinem Hohlladungseffekt führt, da der deflagrative
Reaktionsmechanismus keine Schockfront mit hohen Drücken erzeugt.
3. Lösungsmöglichkeiten und technische Merkmale der Erfindung
[0017] Die quasistatischen Drücke, die bei einer Deflagration auftreten, hängen von den
Raten der Energiedissipation im Vergleich zur Energieerzeugung ab. Hierbei spielt
auch die Verdämmung des Gefechtskopfes durch seine Hülle und eventuelle Deckel, konstruktive
Maßnahmen zur Entlüftung sowie auch die Ausgangstemperatur der Sprengladung des Gefechtskopfes
und seiner Umgebung eine Rolle.
[0018] Aufgabengemäß soll die im Rahmen der Erfindung vorgeschlagene Vorrichtung besonders
das axiale Zerlegen der Hülle in kürzere und insgesamt leichtere Splitter signifikant
verbessern.
[0019] Gemäß der vorgeschlagenen Lösung werden Kerbladungen (auch als Sprengstoffkerben,
Schneidladungen oder lineare Hohlladungen bekannt) vorgeschlagen, die sich auf der
Innenseite der Hülle befinden. Durch Ausnutzen des Hohlladungseffektes wird die Hülle
in den betroffenen Bereichen erheblich geschwächt und / oder penetriert, so dass sich
in der Folge kleinere Splitter bilden können. Beispiele möglicher Querschnitte der
Kerbladungen sind in Figur 1 angegeben, wobei sich diese nicht notwendigerweise darauf
beschränken.
[0020] Derartige Kerbladungen funktionieren jedoch nicht in ihrer Standardausführung (wie
in Figur 1 gezeigt), da im Fall der subdetonativen Umsetzung der Sprengladung üblicherweise
keine Detonationsfront mit entsprechend hohen Reaktionsgeschwindigkeiten und -drücken
auftritt. Genau für diesen Fall soll eine Lösung vorgeschlagen werden, die eine sichere
Initiierung der Kerbladungen ermöglicht.
[0021] Als Lösung dieser Aufgabe wird erfindungsgemäß vorgeschlagen, dass die vorgenannten
Kerbladungen temperaturaktivierbar ausgeführt werden. Dabei wird ausgenutzt, dass
eine mehrphasige Reaktionszone bestehend aus Flammen- und Druckfront, wie sie bei
einer Verbrennungs- oder auch Deflagrationsreaktion typischerweise auftritt, zu hohen
Temperaturen von mehreren 1000 K führt.
[0022] Die Kerbladungen werden dabei so ausgeführt, dass eine thermisch aktivierbare Anzündladung
infolge der ablaufenden Reaktion den Druck lokal erhöht und in der Kerbladung nach
einer vom verwendeten Sprengstoff und Initiierungsdruck abhängigen Anlaufstrecke letztlich
zu einer schockinitiierten, selbständigen Reaktion führt. Sobald diese Detonationsfront
auf das der Hülle zugewandte Ende der Kerbladung trifft, kollabiert diese und führt
zu einer lokalen Schwächung der Hülle in Form einer Kerbwirkung. Die Auskerbung kann
zusätzlich auch über eine Einlage aus einem Metall, Kunststoff oder beliebig anderem
inerten Material bestehen. Zudem sind reaktive Einlagen möglich.
[0023] Zur geschickten Erhöhung des Initierungsdruckes und damit auch Reduktion der Baulänge
kann die Vorrichtung mit einem inerten Material verdämmt sein. Eine geschickte Kombination
des Sprengstoffes der Kerbladung und ihrer Verdämmung kann dazu führen, dass auf eine
Anzündladung verzichtet werden kann.
[0024] Des Weiteren kann die Vorrichtung mit einer einzelnen oder mehreren Dämpfungsschichten
aus inerten Materialien mit schockdämpfenden Eigenschaften umgeben sein, um eine unerwünschte
sympathetische Initiierung der Sprengladung zu vermeiden. Dies hilft wiederum, die
IM-Eigenschaften bei thermischen Stimuli zu verbessern.
[0025] Figur 2 zeigt den Querschnitt der Kerbladung mit Anzündladung, Verdämmungs- und Dämpfungsschichten,
die vor einer äußeren Hülle angeordnet und in eine Hauptladung eingebettet ist.
[0026] Diese Kerbladungen können schließlich axial, quer und / oder schräg zur Gefechtskopfachse
einzeln oder mehrere in parallelen und / oder sich kreuzenden Lagen angeordnet sein,
um Splitter einer gewünschten Größe und Masse zu erzeugen. Beispiele derartiger Anordnungen
sind in Figur 3 zu finden, die an einem zylindrischen Gefechtskopf dargestellt sind.
Daneben sind aber auch beliebige andere Formen, wie beispielsweise konvex geformte
Gefechtsköpfe, wie sie typischerweise bei Bomben, Artillerie- und Mörsergeschossen
angewendet werden, möglich.