Technisches Gebiet
[0001] Die Erfindung bezieht sich auf ein Verfahren zum Nachrüsten von bestehenden, normalspurigen
Eisenbahn-Netzteilen mit dem Zugsicherungssystems ETCS Level 2.
Stand der Technik
Konzeption von ETCS
[0002] Zwischen 1990 und 2005 wurde unter der Ägide der EU-Kommission das neue Eisenbahn-Zugsicherungssystem
ETCS ("European Train Control System") als Teil des umfassenden Zugsteuersystems ERTMS
("European Rail Traffic Management System") entwickelt, das seither bei allen europäischen
Bahnen Anwendung findet.
[0003] Die technischen Anforderungen ("System Requirements Specifications") sehen für ETCS
eine System-Architektur mit u.a. den folgenden Anwendungsstufen vor, die untereinander
abwärtskompatibel sind:
- Bei der "ETCS Anwendungsstufe Level 0" wird ein Triebfahrzeug mit ETCS-Ausrüstung
auf einer Strecke eingesetzt, welche selbst keine ETCS-Ausrüstung aufweist.
- Die "ETCS Anwendungsstufe Level 1" findet Anwendung auf Strecken mit einem traditionellen
Signalsystem, welches meistens beibehalten wird. Eine ortsfeste ETCS-Ausrüstung in
Form von Eurobalisen und Schleifen dient dazu, fixe oder variable Daten vom Boden
zum Zug zu übertragen.
- Bei der "ETCS Anwendungsstufe Level 2" wird GSM-R Funk für die Übertragung der Daten
zwischen dem streckenseitigen Funkblock-Zentrum und den Zügen verwendet. Die Stellwerke
melden dem Funkblock-Zentrum den Status der Apparate für die Zugstandort-Erfassung
(Achszähler, Schienenstromkreise).
[0004] Die funktionalen Anforderungen ("Functional Requirement Specifications") sehen für
normale Fahrten der Züge bei der ETCS Anwendungsstufe Level 1 die Betriebsarten "Vollüberwachung"
("Full Supervision") oder "Teilüberwachung" ("Limited Supervision") vor, während bei
der ETCS Anwendungsstufe Level 2 ausschliesslich die Betriebsart "Vollüberwachung"
zur Anwendung kommt.
[0005] Beim Fahren in der Betriebsart "Vollüberwachung" stellt die ETCS-Fahrzeugausrüstung
sicher, dass der Zug die zulässige Höchstgeschwindigkeit nicht überschreitet und sich
innerhalb der Grenzen der zugeordneten Gleisabschnitte bewegt. Dazu berechnet und
überwacht die ETCS-Fahrzeugausrüstung laufend den Restweg bis zum Ende der Fahrerlaubnis
und die zulässige Höchstgeschwindigkeit sowie den Bremseinsatzpunkt aufgrund der empfangenen
Streckendaten und der durch den Lokführer eingegebenen Zugdaten. Dem Führer werden
die zulässige Geschwindigkeit und die Ist-Geschwindigkeit laufend auf dem Bildschirm
angezeigt; Aussensignale sind nicht zwingend erforderlich.
[0006] Beim Fahren in der Betriebsart "Teilüberwachung" schützt die ETCS-Fahrzeugausrüstung
den Zug durchgehend oder abschnittweise vor dem Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit
und/oder der zugeteilten Gleisabschnitte. ETCS zeigt dem Führer nur die Ist-Geschwindigkeit
an; die maximal zulässige Fahrgeschwindigkeit muss dieser vom Dienstfahrplan und den
Aussensignalen ableiten.
Stand der ETCS Anwendung in der Schweiz
[0007] Als Beispiel wird nachfolgend der heutige Stand der ETCS Anwendung in der Schweiz
genauer erläutert.
[0008] In der Schweiz waren die Vertreter der nationalen Aufsichtsbehörde, der Industrie
und der Bahnen infolge der Kleinheit des Landes und der zentralen Lage in Mitteleuropa
an der Entwicklung und Einführung eines einheitlichen europäischen Betriebsleit- und
Zugsicherungssystems sehr interessiert und förderten diese Entwicklung nach Kräften.
Die Einführung von ETCS erfordert einerseits eine geeignete ortsfeste sowie eine geeignete
fahrzeugseitige Ausrüstung.
Ortsfeste ETCS-Ausrüstung
[0009] Ortsfest galt es einerseits die neuen Hochgeschwindigkeitslinien zwischen Olten und
Bern mit der Abzweigung nach Solothurn sowie den Lötschberg-Basistunnel auszurüsten,
wobei ETCS Level 2 mit Betriebsart "Vollüberwachung" zur Anwendung gelangte.
[0010] Andererseits waren die mit den traditionellen Zugsicherungssystemen Signum und ZUB
121 ausgerüsteten konventionellen Linien und Knoten zu migrieren. Hierzu wurde ETCS
Level 1 in der Betriebsart "Teilüberwachung" angewendet, eine Lösung deren Aufnahme
in die europäische ETCS Spezifikation gegen erheblichen Widerstand erkämpft werden
musste.
[0011] Heute ist praktisch das ganze konventionelle Netz der Schweiz mit gutem Erfolg auf
diese Art und Weise umgerüstet. Zur Zeit werden im Zusammenhang mit dem Gotthard Basistunnel
erstmals auch angrenzende bestehende konventionelle Strecken auf Führerstandsignalisierung
mit ETCS Level 2 "Vollüberwachung" umgerüstet: ab Mitte August 2015 kann die Strecke
Brunnen (exklusive) - Altdorf - Rynächt/Erstfeld (exklusive) und ab 1. November 2015
die Strecke Pollegio Nord - Biasca (exklusive) - Giustizia - Castione-Arbedo im Regelbetrieb
nur noch von Zügen und Rangierbewegungen genutzt werden, deren Spitzenfahrzeug über
eine aktive ETCS-Bordausrüstung verfügt.
Fahrzeugseitige ETCS-Ausrüstung
[0012] Zurzeit werden im Rahmen eines Projektes "ETCS 2. Welle" die letzten 240 Führerstand-Fahrzeuge
noch ohne ETCS durch die Firma Siemens nachgerüstet. Deren Wiederinbetriebnahme erfolgt
in zwei Schritten:
Im ersten Schritt wird die ETCS-Fahrzeugausrüstung ausschliesslich für den Betrieb
in Level 0 freigeschaltet. In einem zweiten Schritt wird die ETCS-Ausrüstung für den
Betrieb mit Level 2 "Vollüberwachung" freigeschaltet, wobei das zuständige Bundesamt
für Verkehr auf diesen Zeitpunkt hin eine entsprechende Betriebsbewilligung erteilen
muss.
[0013] Allerdings ist die Einführung des ETCS bei einer bestehenden Strecke für einen Betrieb
mit Level 2 "Vollüberwachung" technisch anspruchsvoll, da u.a. die Datenübertragung
per Funk der höchsten Sicherheitsanforderungsstufe SIL 4 genügen muss und eine sichere
Führerstandsignalisierung zu gewährleisten ist. Es ist besonders in der Einführungsphase
mit vermehrten Störungen zu rechnen, was entsprechend negative Auswirkungen auf den
Bahnbetrieb haben kann.
Darstellung der Erfindung
[0014] Ausgehend von diesem Stand der Technik ist es eine Aufgabe der vorliegenden Erfindung,
ein Verfahren zum Nachrüsten von bestehenden Eisenbahn-Netzteilen mit dem Zugsicherungssystems
ETCS Level 2 anzugeben, so dass ein sicherer Bahnbetrieb möglich ist, der weniger
störungsanfällig ist.
[0015] Diese Aufgabe wird durch das Verfahren gemäss dem Anspruch 1 gelöst. Die weiteren
Ansprüche geben bevorzugte Ausführungen des erfindungsgemässen Verfahrens an.
[0016] Beim erfindungsgemässen Verfahren werden Schienenfahrzeuge mit jeweils einem Rechner
bereitgestellt, der im Betrieb nur für ausgewählte Stellen entlang einer Strecke eine
Überwachung durchführt. Die Aussensignalisierung, welche einem Führer eines Zugs Informationen
über zulässige Geschwindigkeiten anzeigt, wird beibehalten, wobei eine zulässige Geschwindigkeit
auch Null betragen kann, wenn z.B. das Aussensignal einen Halt anzeigt. Durch das
Beibehalten der Aussensignalisierung wird das Nachrüsten auf ETCS Level 2 vereinfacht,
da eine Führerstandsignalisierung entfallen kann, die gemäss Stand der Technik bei
ETCS Level 2 immer vorgesehen ist. Im Weiteren sind im Gegensatz zu einer Vollüberwachung
keine kompletten und sicheren Streckendaten entlang der ganzen Strecke erforderlich.
Lediglich ausgewählte Stellen entlang der Strecke werden überwacht, während z.B. unkritische
Stellen nicht überwacht werden. Dies erlaubt eine flexiblere Einführung von ETCS Level
2. Auch sind die Sicherheitsanforderungen an die Funkverbindung zwischen Zug und Funkblock-Zentrale
reduzierbar. So führt ein Abriss der Funkverbindung während des Fahrbetriebs nicht
zwangsläufig dazu, dass eine Zwangsbremsung eingeleitet wird. So kann der Führer aufgrund
der Aussensignalisierung z.B. bei unkritischen Stellen den Zug weiterhin steuern,
auch wenn vorübergehend eine ETCS-Überwachung nicht gewährleistet ist. Insgesamt wird
ein sicherer Bahnbetrieb mit ETCS Level 2 ermöglicht, der weniger störungsanfällig
ist.
Kurze Beschreibung der Zeichnungen
[0017] Die Erfindung wird im Folgenden anhand von Ausführungsbeispielen unter Bezugnahme
auf Figuren erläutert. Es zeigen
Fig. 1 eine schematische Darstellung eines Schienenfahrzeugs mit einer ETCS-Ausrüstung,
Fig. 2 eine schematische Darstellung eines Gleisabschnitts, welcher eine ortsfeste
ETCS-Ausrüstung aufweist und welcher vom einem Schienenfahrzeug gemäss Fig. 1 befahren
wird, und
Fig. 3 das Schienenfahrzeug gemäss Fig. 1, dessen Fahrbetrieb an ausgewählten Stellen
einer Strecke überwacht wird.
Wege zur Ausführung der Erfindung
[0018] Fig. 1 zeigt die verschiedenen Komponenten 2-9 einer ETCS-Fahrzeugeinrichtung für
einen Betrieb im Level 2 mit Teilüberwachung. Die Komponenten 2-9 haben folgende Bedeutung:
Rechner 2:
[0019] Das Fahrzeug 1 ist mit einem Rechner 2 ausgerüstet, der auch als "European Vital
Computer" (EVC) bezeichnet wird und der den Kern der ETCS-Fahrzeugeinrichtung bildet.
Der Rechner 2 ist verbunden mit den Komponenten 3, 6, 8, 9 zum Austausch von Signalen
sowie mit den Komponenten 2a bzw. 4, 5a, 5b zum Empfang von Signalen. Wie weiter unten
erläutert, ist der Rechner 2 mit einem Programm ausgestattet, bei dessen Ausführung
eine Teilüberwachung entlang der Strecke durchführbar ist.
Zugschnittstelleneinheit 3 (auf Englisch "Train Interface Unit" TIU) :
[0020] Über die Schnittstelleneinheit 3 kann ETCS die Antriebs- und Bremskomponenten des
Fahrzeugs 1 steuern. Folgende Zugriffe sind über die Schnittstelleneinheit 3 u.a.
möglich:
- ETCS kann ein Signal an die Bremseinrichtung des Fahrzeugs 1 senden, um bei bestimmten
Ereignissen eine Bremsung zu bewirken.
- ETCS kann eine Änderung der Traktionsleistung, eine Betätigung des Stromabnehmers
und die Verriegelung der Aussentüren des Zuges bewirken.
Balisenleser 4:
[0021] Der Balisenleser 4 ist eingerichtet, eine Eurobalise beim Überfahren mit Energie
zu versorgen. Die Eurobalise übermittelt dann ihr Telegramm, welches vom Balisenleser
4 empfangen und über das Balisentransmissionsmodul 2a ("BTM") an den Rechner 2 weitergegeben
wird.
Geschwindigkeitsmesseinrichtung 5a, 5b:
[0022] Die Tachometer 5a dienen zur Drehzahlmessung der Achsen auf dem Fahrzeug 1. Eine
Radareinrichtung 5b, die mit Eurobalisen zusammenwirkt, liefert zusätzliche Messdaten,
mittels welchen eine durch die Tachometer 5a gemessene Geschwindigkeit kalibriert
werden kann. Eine derartige Kalibrierung ist erforderlich, weil z.B. die Achsen beim
Fahren oder Bremsen mit hohem Drehmoment gleiten können, insbesondere auf steilen
Strecken. Die von der Geschwindigkeitsmesseinrichtung 5a, 5b ermittelten Daten werden
an den Rechner 2 geliefert.
GSM-R-Modul 6 ("Global System for Mobile Communication, Railway") mit Antenne 7:
[0023] Das GSM-R-Modul 6 und Antenne 7 bilden die Datenfunkeinrichtung. Das GSM-R-Modul
6 kann mittels Antenne 7 über Funk Daten nach aussen austauschen. Das GSM-R-Modul
6 ist zum Empfang bzw. Weitergabe der Daten mit dem Rechner 2 verbunden.
Schnittstelle Triebfahrzeugführer-Maschine 8 (auf Englisch "Driver Machine Interface" DMI):
[0024] Die Schnittstelle 8 befindet sich im Führerstand und dient als Bedien- und Anzeigeeinrichtung.
Über diese kann ETCS mit dem Fahrzeugführer kommunizieren. Beispielsweise wird über
die Schnittstelle 8 die Ist-Geschwindigkeit des Fahrzeugs 1 auf einem Bildschirm ("Driver-Machine-Interface")
angezeigt. Der Führer kann über die Schnittstelle 8 auch Daten eingegeben, die vom
Rechner 2 empfangen werden.
Aufzeichnungseinheit für juristische Zwecke 9 (auf Englisch "Juridical Recorder Unit"
JRU)
[0025] Die Aufzeichnungseinheit 9 dient zur Aufzeichnung von Daten, so dass diese z.B. im
Falle eines Unfalls für eine Auswertung zur Verfügung stehen.
[0026] Fig. 2 zeigt einen Gleisabschnitt einer Strecke, welche im ETCS Level 2 mit Teilüberwachung
betreibbar ist. Entlang eines Geleises 15 befinden sich Eurobalisen 16 (nachfolgend
auch "Balisen") zur Informationsübermittlung sowie Aussensignale 17 zur optischen
Informationsanzeige ("Signalbegriff") für den Triebfahrzeugführer 12 ("Lokführer").
[0027] Eine Balise 16 ist als passiver Transponder ausgestaltet und dient als Informationsträger,
der insbesondere zur Datenübertragung an ein überfahrendes Fahrzeug 1 eingerichtet
ist. Die Daten werden in Form eines Telegramms übermittelt. Aus den übertragenen Daten
kann das Fahrzeug 1 z.B. Informationen über seinen Ort, seine Fahrrichtung, seine
Geschwindigkeit und/oder Streckendaten erhalten. Letztere können z.B. folgende Informationen
enthalten:
- zulässige Geschwindigkeiten auf einem Streckenabschnitt,
- Geometrie eines Streckenabschnitts, z.B. Länge, Kurve, Neigung, etc.
- Lage und/oder Länge ausgewählter Objekte (z.B. Bahnhof, Tunnel, Bahnübergang, Brücke,
Fahrleitungsschutzstrecke).
[0028] Anstelle von Balisen 16 oder ergänzend dazu kann ein Stellwerk 18 via die Funkverbindung,
welche durch die Komponenten 7, 19, 20 gegeben ist, Streckendaten an ein Fahrzeug
1 übermitteln.
[0029] Aussensignale 17 sind unter anderem Signale, welche z.B. Informationen über Höchstgeschwindigkeiten
bzw. eine Verminderung der Geschwindigkeit anzeigen, und Signale, welche Informationen
über die Freigabe bzw. Sperrung eines Streckenabschnitts anzeigen. Ein Aussensignal
17 kann schaltbar oder fix ausgestaltet sein. Die schaltbaren Signale, welche typischerweise
Lichtsignale sind, sind mit einem Stellwerk 18 verbunden, das zur technischen Sicherung
der Fahrwege der Züge und/oder Rangierbewegungen dient. Das Stellwerk 18 ist mit einem
oder mehreren Funkblock-Zentren 19 (auf Englisch "Radio Block Centre" RBC) verbunden,
welche mittels Antennen 20 per Funk einen Datenaustausch mit dem Fahrzeug 1 ermöglichen.
[0030] Das Stellwerk 18 bestimmt die Freigabe eines Streckenabschnitts und erteilt entsprechende
Fahrerlaubnisse an ein Fahrzeug 1, indem es die entsprechenden Aussensignale schaltet
und die Fahrerlaubnis via ein Funkblock-Zentrum 19 an das Fahrzeug 1 übermittelt.
[0031] In Fig. 2 ist auch ein Teil einer Gleisfreimeldeeinrichtung 21 dargestellt, welche
mit dem Stellwerk 18 verbunden ist und welche dazu dient festzustellen, ob ein Gleisabschnitt
durch einen Zug belegt ist oder nicht. Die Gleisfreimeldeeinrichtung 21 umfasst beispielsweise
Achszähler oder Schienenstromkreise.
[0032] Um eine Teilüberwachung eines Fahrzeugs 1 durch den Rechner 2 zu ermöglichen, wird
der Informationsgehalt von ausgewählten Aussensignalen 17 dem Rechner 2 zugeführt,
z.B. über Balisen 16 und/oder vom Stellwerk 18 via ein Funkblock-Zentrum 19.
[0033] Ein möglicher Betrieb im ETCS Level 2 mit Teilüberwachung ist wie folgt:
Das Stellwerk 18 empfängt über die Funkverbindung, welche durch die Komponenten 7,
19, 20 gegeben ist, von einem jeweiligen Fahrzeug 1 Daten über seinen Ort, seine Fahrtrichtung
und seine ID (=Identifikator zum eindeutigen Identifizieren des Zuges). Daten über
Ort und Fahrrichtung sind dem Fahrzeug 1 beim Überfahren einer Gruppe von entsprechend
eingerichteten Balisen 16 erhältlich. Den aktuellen Ort kann das Fahrzeug 1 anhand
des Standorts der letzten überfahrenen Balisengruppe und der Drehzahlmessung der Radsätze
mittels Tachometer 5a ermitteln.
[0034] Das Stellwerk 18 legt für das jeweilige Fahrzeug 1 die Fahrerlaubnis fest, welche
definiert auf welchem Streckenabschnitt das Fahrzeug 1 fahren darf ("Gleisfreimeldung"),
und übermittelt die Fahrerlaubnis via oben erwähnte Funkverbindung an das Fahrzeug
1. Das Stellwerk 18 schaltet entsprechend der Fahrerlaubnis die schaltbaren Aussensignale
17 am Streckenabschnitt.
[0035] Über die Schnittstelle 8 kann der Führer 12 bei Bedarf aktuelle Fahrzeugdaten dem
Rechner 2 mitteilen, die dieser für die Teilüberwachung benötigt. Diese Fahrzeugdaten
können z.B. die Länge und/oder Masse des aktuellen Zuges beinhalten. Der Rechner 2
kann auch bereits vorkonfigurierte Fahrzeugdaten enthalten.
[0036] Die ETCS-Ausrüstung des Fahrzeugs 1 ist so eingerichtet, dass auf dem Bildschirm
13 im Führerstand des Fahrzeugs 1 lediglich die Ist-Geschwindigkeit angezeigt wird,
jedoch keine Signalisation. (Dies ist ein Unterschied zu einem Betrieb im ETCS Level
2 mit Vollüberwachung, bei welchem die Signalisation nicht durch Aussensignale, sondern
durch Anzeigen von entsprechenden Informationen auf dem Bildschirm 13 erfolgt.) Der
Führer steuert das Fahrzeug 1 anhand der Aussensignalen 17 sowie des Dienstfahrplans.
Insbesondere leitet er die maximal zulässige Fahrgeschwindigkeit vom Dienstfahrplan,
den Vorschriften und/oder den Aussensignalen ab. Die ETCS-Ausrüstung des Fahrzeugs
1 ist vorzugsweise nicht zur Anzeige einer Soll-Geschwindigkeit auf dem Bildschirm
13 eingerichtet.
[0037] Im Betrieb führt der Rechner 2 des Fahrzeugs 1 im Hintergrund eine Teilüberwachung
durch, bei welcher er punktuell und/oder entlang ausgewählten Teilabschnitten Ist-
und Soll-Geschwindigkeit vergleicht und bei unzulässigen Abweichungen via die Zugschnittstelleneinheit
3 eine Geschwindigkeitsänderung, z.B. eine Zwangsbremsung einleitet.
[0038] Das Fahrzeug 1 erhält beim Überfahren von entsprechend eingerichteten Balisen 16
und/oder via Funk vom Stellwerk 18 Informationen u.a. über zulässige Geschwindigkeiten
auf einem Streckenabschnitt und gegebenenfalls über die Geometrie des Streckenabschnitts.
[0039] Aus diesen Streckendaten und gegebenenfalls zusätzlich den oben erwähnten Fahrzeugdaten
bestimmt der Rechner 2 des Fahrzeugs 1 punktuell und/oder für bestimmte Teilabschnitten
der Strecke die Soll-Geschwindigkeit.
[0040] Punktuell entlang der Strecke kann der Rechner 2 auch überprüfen, ob eine bestimmte
Stelle überfahren worden ist und gibt ein Warnsignal via die Schnittstelle 8 an den
Führer 12 ab und/oder leitet via die Einheit 8 eine Zwangsbremsung ein.
[0041] Fig. 3 zeigt ein Beispiel einer derartigen Teilüberwachung. Die untere Grafik zeigt
einen Gleisabschnitt 15 mit schaltbaren Aussensignalen 17a, 17b, 17c, 17d. Der aktuelle
Schaltzustand eines Aussensignals 17a, 17b, 17c, 17d, das überwacht werden soll, wird
vom Stellwerk 18 via Funk an das Fahrzeug 1 übermittelt.
[0042] An ausgewählten Stellen entlang des Gleisabschnitts 15 erfolgt eine Überwachung durch
den Rechner 2.
[0043] Die Stellen 25 haben z.B. eine Warnungsfunktion. An diesen Stellen 25 befinden sich
z.B. Balisen, die vom Fahrzeug 1 beim Überfahren gelesen werden. Der Rechner 2 erzeugt
dann ein Warnsignal, welches an den Führer 12 abgegeben wird und welches z.B. eine
Geschwindigkeitsreduktion anzeigt oder ein schaltbares Aussensignal 17a, 17b, 17c,
17d vorankündigt. Der Führer 12 muss innerhalb einer vorgegebenen Zeit das Warnsignal
quittieren. Tut er dies nicht, so veranlasst der Rechner 2 über die Zugschnittstelleneinheit
3 eine Zwangsbremsung.
[0044] Die Stelle 26a hat z.B. eine Geschwindigkeitsprüfungsfunktion. An dieser Stelle 26a
befindet sich z.B. eine Balise, die beim Überfahren Informationen über die Höchstgeschwindigkeit
an das Fahrzeug 1 weitergibt. Der Rechner 2 vergleicht die Ist-Geschwindigkeit mit
den erhaltenen Informationen zur Höchstgeschwindigkeit. Ist die Ist-Geschwindigkeit
zu hoch, so veranlasst der Rechner 2 über die Zugschnittstelleneinheit 3 eine Zwangsbremsung.
[0045] Die Stelle 26b hat z.B. eine Funktion, bei welcher auf einem Teilabschnitt kontinuierlich
die Geschwindigkeit überwacht wird. An der Stelle 26b befindet sich z.B. eine Balise,
die beim Überfahren Informationen über die Höchstgeschwindigkeit an das Fahrzeug 1
weitergibt. Aus diesen Informationen und gegebenenfalls Fahrzeugdaten berechnet der
Rechner 2 ein Soll-Geschwindigkeitsprofil für die Strecke zwischen x3 und x4. (Im
vorliegenden Beispiel zeigt das Aussensignal 17c einen Halt an. Das Soll-Geschwindigkeitsprofil
geht daher bei x4 auf Null.) Liegt die Ist-Geschwindigkeit des Fahrzeugs 1 irgendwo
auf der Strecke x3-x4 über der Soll-Geschwindigkeit, so veranlasst der Rechner 2 über
die Zugschnittstelleneinheit 3 eine Geschwindigkeitsänderung.
[0046] Alternativ oder ergänzend zu den oben erwähnten Balisen ist es auch möglich, Informationen,
die zur Überwachung der Stellen 25, 26a, 26b nötig sind, via Funk vom Stellwerk 18
an das Fahrzeug 1 zu übermitteln.
[0047] Die Stellen 27 haben z.B. eine Stoppfunktion. An diesen Stellen 27 befinden sich
z.B. schaltbare Aussensignale 17a, 17b, 17c, 17d, die einen Halt anzeigen können.
Ist dies der Fall und der Führer 12 überfährt eine derartige Stelle 20, so veranlasst
der Rechner 2 über die Zugschnittstelleneinheit 3 eine Zwangsbremsung, so dass das
Fahrzeug 1 zum Stillstand kommt.
[0048] Informationen über den Schaltzustand der Aussensignale 17a, 17b, 17c, 17d werden
z.B. via Funk vom Stellwerk 18 an das Fahrzeug 1 übermittelt.
[0049] In der oberen Grafik in Fig. 3, welche die Geschwindigkeit v in Abhängigkeit des
Weges x entlang des Gleisabschnitts 15 zeigt, ist angedeutet, dass entlang des Weges
x die Geschwindigkeit an ausgewählten Stellen x1, x2, x3 sowie x4 bis x5 überwacht
wird.
[0050] Die soweit dargestellte ETCS Betriebsart mit Level 2 "Teilüberwachung" erlaubt es
auf eine vereinfachtere Weise das konventionelle Netz einschliesslich der Knoten nachzurüsten:
Während einer mehr oder weniger lang dauernden Übergangszeit wird die bestehende Aussensignalisierung
beibehalten und parallel dazu schrittweise eine Hintergrundüberwachung mittels ETCS
Level 2 in Betriebsart "Teilüberwachung" eingeführt.
[0051] Als endgültige Lösung ist ein schrittweiser Übergang auf ETCS Level 2 in der Betriebsart
"Vollüberwachung" denkbar, womit sich die Aussensignale erübrigen.
[0052] Diese Strategie bietet erstmals eine Perspektive für die Abkehr von den Aussensignalen
in einem ganzen Eisenbahnnetz, z.B. in der Schweiz. Voraussetzung für diese Vorgehensweise
ist die Einführung eines netzweiten Digital-Funksystems mit hoher Verfügbarkeit und
Sicherheit im Endzustand, wie es z.B. die strategische Planung für die Normalspurbahnen
in der Schweiz vorsieht.
[0053] Das oben erwähnte Vorgehen ist zum Nachrüsten von bestehenden, normalspurigen Eisenbahn-Netzteilen
anwendbar, die von verschiedenen Arten von Schienenfahrzeugen befahren werden können.
Beispielsweise umfassen die Eisenbahn-Netzteile Strecken und Knoten, welche für Geschwindigkeiten
bis maximal 160 km/h ausgelegt sind. Beispiele von möglichen Schienenfahrzeugen sind:
- Streckenlokomotive (Triebfahrzeug, das selbst keine Nutzlast, d.h. Güter und/oder
Passagiere aufnehmen kann, und für Fahrten auf Strecken dient),
- Triebwagen (Triebfahrzeug, das auch Platz für Güter und/oder Passagiere bietet),
- Steuerwagen (antriebsloser Eisenbahnwagen mit einem Führerstand, von welchem aus ein
Triebfahrzeug gesteuert werden kann),
- Rangierlokomotiven (Triebfahrzeug, das für Fahrten innerhalb eines Bahnhofs dient).
[0054] Derartige Schienenfahrzeuge können beidseitig Führerstände aufweisen oder auch nur
mit einem einzigen Führerstand versehen sein. Ein jeweiliges Schienenfahrzeug wird
jeweils so eingerichtet, das es eine Datenfunkeinrichtung 6, 7 und einen Rechner 2
mit einem Programm aufweist, bei dessen Ausführung die oben beschriebene Teilüberwachung
bei ETCS Level 2 durchführbar ist.
1. Verfahren zum Nachrüsten von bestehenden, normalspurigen Eisenbahn-Netzteilen, insbesondere
von Strecken (15) und Knoten für Geschwindigkeiten bis maximal 160 km/h, mit dem europäischen
Zugsicherungssystem ETCS Level 2, indem eine Übergangsphase vorgesehen ist, in welcher
die bestehende Aussensignalisierung (17, 17a-17d) für Zug- und/oder Rangierfahrten
weiterhin genutzt wird, wobei die Aussensignalisierung dem Führer (12) eines Zugs
Informationen über die höchstzulässige Geschwindigkeit anzeigt, welche abschnittsweise
für eine sichere Zugfahrt einzuhalten ist, wobei das Verfahren folgende Schritte aufweist:
- Bereitstellen von Schienenfahrzeugen (1), welche jeweils folgende Komponenten aufweisen:
• eine Datenfunkeinrichtung (6, 7) zum Austausch von Daten per Funk mit mindestens
einem Funkblock-Zentrum (19), welches mit einem Stellwerk (18) verbunden ist,
• einen Balisenleser (4), der zum Empfang von Daten eingerichtet ist, die von Balisen
(16) ausgesandt werden,
• einen Rechner (2), welcher mit der Datenfunkeinrichtung (6, 7) und dem Balisenleser
(4) verbunden ist, um Daten zu empfangen, und welcher mit einem Programm ausgestattet
ist, bei dessen Ausführung der Rechner für ausgewählte Stellen (25-27) einer Strecke
eine Überwachung durchführt, die nur einen Teil der Strecke abdeckt, so dass die Überwachung
Lücken aufweist, und
- Beibehalten der Aussensignalisierung entlang der Strecke, so dass im Fahrbetrieb
ein Führer anhand der durch die Aussensignalisierung angezeigten Informationen einen
Zug (1) steuern kann,
wobei der Rechner im Betrieb im Hintergrund die Überwachung sicherstellt, indem er
mindestens einen der folgenden Schritte durchführt:
a) der Rechner bestimmt aus den empfangenen Daten für eine ausgewählte Stelle (26a,
26b) eine Sollgeschwindigkeit, vergleicht diese mit der Ist-Geschwindigkeit des Zugs
und erzeugt bei einer unzulässigen Abweichung ein Warnsignal und/oder leitet eine
Geschwindigkeitsermässigung des Zuges ein,
b) der Rechner bestimmt aus den empfangenen Daten, ob der Zug eine ausgewählte Stelle
(27) überfahren darf und leitet, wenn dies nicht der Fall ist, eine Zwangsbremsung
des Zuges ein,
c) der Rechner prüft aus den empfangenen Daten, ob der Zug eine ausgewählte Stelle
(25) überfahren hat und erzeugt, wenn dies der Fall ist, ein Warnsignal und leitet,
wenn der Führer das Warnsignal nicht quittiert, eine Zwangsbremsung des Zuges ein.
2. Verfahren nach Anspruch 1, wobei in der Übergangsphase die Überwachung, welche von
einem Rechner (2) sichergestellt wird, verschieden von einer Vollüberwachung ist,
so dass im Führerstand eines Zugs keine Anzeige der Soll-Geschwindigkeit und/oder
der durch die Aussensignalisierung (17, 17a-17) angezeigten höchstzulässigen Geschwindigkeiten
erfolgt.
3. Verfahren nach einem der vorangehenden Ansprüche, wobei das jeweilige Programm so
eingerichtet ist, dass ein Schienenfahrzeug (1) beim Fahrbetrieb im Hintergrund per
Funk seinen aktuellen Ort, seine Fahrrichtung und seine ID an ein Funkblock-Zentrum
(19) übermittelt.
4. Verfahren nach einem der vorangehenden Ansprüche, wobei das Programm eines jeweiligen
Rechners (2) und mindestens ein Funkblock-Zentrum (19) so eingerichtet sind, dass
im Fahrbetrieb im Hintergrund der Austausch von Daten zwischen einem Schienenfahrzeug
(1) und dem Funkblock-Zentrum (19) mit einem Sicherheitslevel von weniger als SIL
4 erfolgt.
5. Verfahren nach einem der vorangehenden Ansprüche, bei welchem eine Strecke (15) für
einen bestimmten Zeitraum, welcher vorzugsweise mindestens ein Jahr beträgt, durch
Befahren der Schienenfahrzeuge (1) betrieben wird und danach ein weiteres Nachrüsten
erfolgt, indem die Streckenzentrale (18) eingerichtet wird, Daten an die Schienenfahrzeuge
(1) für eine Führerstandsignalierung zu übermitteln, so dass die Aussensignalisierung
(17, 17a-17d) für den Fahrbetrieb nicht mehr erforderlich ist, und im Endzustand die
Rechner (2) mit einem Programm für eine Vollüberwachung ausgestattet werden, bei dessen
Ausführung der jeweilige Rechner den Fahrzeugbetrieb lückenlos auf einer Strecke überwacht.
6. Verfahren nach einem der vorangehenden Ansprüche, wobei das jeweilige Schienenfahrzeug
ein Triebfahrzeug, insbesondere eine Streckenlokomotive, ein Triebwagen oder eine
Rangierlokomotive, oder ein Steuerwagen ist und/oder wobei das jeweilige Schienenfahrzeug
beidseitig oder nur einseitig einen Führerstand aufweist.