(19)
(11) EP 3 130 882 A1

(12) EUROPÄISCHE PATENTANMELDUNG

(43) Veröffentlichungstag:
15.02.2017  Patentblatt  2017/07

(21) Anmeldenummer: 16001715.8

(22) Anmeldetag:  03.08.2016
(51) Internationale Patentklassifikation (IPC): 
F42B 12/22(2006.01)
F42C 19/08(2006.01)
(84) Benannte Vertragsstaaten:
AL AT BE BG CH CY CZ DE DK EE ES FI FR GB GR HR HU IE IS IT LI LT LU LV MC MK MT NL NO PL PT RO RS SE SI SK SM TR
Benannte Erstreckungsstaaten:
BA ME
Benannte Validierungsstaaten:
MA MD

(30) Priorität: 08.08.2015 DE 102015010274

(71) Anmelder: TDW Gesellschaft für verteidigungstechnische Wirksysteme mbH
86529 Schrobenhausen (DE)

(72) Erfinder:
  • Arnold, Werner
    D-85051 Ingolstadt (DE)

(74) Vertreter: Krebs, Jörg 
Airbus Defence and Space GmbH Patentabteilung
81663 München
81663 München (DE)

   


(54) VERFAHREN UND VORRICHTUNG ZUR STEUERUNG DER LEISTUNGSART UND LEISTUNGSEMISSION EINES GEFECHTSKOPFES


(57) Das erfindungsgemäße Verfahren zur Initiierung ermöglicht die Umschaltung der Leistungsabgabe zwischen Blast- und Splitter-Erzeugung.




Beschreibung


[0001] Die Erfindung betrifft ein Verfahren zur Steuerung der Leistungsart und Leistungsemission eines zylindrischen Gefechtskopfes, aufweisend wenigstens zwei Zündeinrichtungen, deren erste im Bereich einer der Kopfseiten und deren zweite im Bereich um die Mitte der Längsachse des Gefechtskopfes angeordnet ist und die wahlweise einzeln oder in einem wählbaren zeitlichen Abstand ausgelöst werden, aufweisend eine zylindrische Sprengladung mit einer diese umgebenden rohrförmigen Lochmaske, und aufweisend eine Splitter bildende, die Lochmaske umgebende Hülle.

[0002] Bekannt sind Standard Druck- (oder häufiger als "Blast" bezeichnet) / Splitter-Ladungen mit einer Sprengladungs-Masse C (Energie-Lieferant) und einer Hüllen-Masse M. Das sogenannte Gurney-Verhältnis µ = M/C bestimmt nun die Geschwindigkeit v, und damit den Impuls I = Mv bzw. die kinetische Energie Ekin = M/2v2 der Hülle.

[0003] Die Rest-Energie der gesamten gespeicherten Sprengstoff-Energie Eges geht in die Blast-Leistung EB der Sprengladung. Diese beiden Komponenten zusammen: Splitter- und Blast-Energie (Ekin + EB) bestimmen damit die Gesamtleistung einer Blast/Splitter-Ladung.

[0004] Es gibt nun ein Optimum für die kinetische Energie bzw. den Impuls einer Ladung. Das Optimum hängt von vorgegebenen Randbedingungen ab, hier etwa eine konstante Gesamtmasse und konstantes Kaliber. Es könnte beispielsweise alternativ auch ein konstantes Gesamt-Volumen verlangt sein.

[0005] Die Erzielung eines Optimums erfordert ein bestimmtes Verhältnis von M und C zueinander. Dieses Optimum wird häufig angestrebt, wenn nicht weitere Randbedingungen, wie z.B. eine dicke Ladungs-Hülle für einen Penetrator, zur Perforation von Strukturzielen mit starken Betonwänden, vorgegeben sind. Deshalb ist man häufig in der Entscheidung nicht frei, welche Verhältnisse von M zu C gewählt werden können.

[0006] Zur maximal möglichen erzielbaren Blast-Leistung ist es notwendig, den Sauerstoff der Luft für die Nachreaktion, also die Verbrennung der gesamten entstehenden Sprengstoffschwaden auszunutzen. Militärische Sprengstoffe sind nämlich stark sauerstoff-unterbilanziert, d.h. es kommt während der Detonation nur zur teilweisen Freisetzung der gesamten möglichen Blast-Leistung. In den Schwaden sind noch viele nicht vollständig oxidierte Moleküle, wie beispielsweise C, CO, HO (bzw. zusätzlich hinzugefügtes Metall-Pulver wie Al) statt CO2 und H2O (bzw. Al2O3). Zur vollständigen Oxidation dieser Schwaden ist aber eine ausreichende Durchmischung mit der umgebenden Luft vonnöten.

[0007] Bei Versuchen hat es sich gezeigt, dass diese Nachreaktionen mit der Luft gänzlich unterdrückt werden können, d.h. es kommt nur zu geringfügigen Nachverbrennungen und damit entsprechend nur zu stark verminderten Blast-Leistungen. Hierbei konnte nachgewiesen werden, dass der Unterschied zwischen vollständiger Blast-Leistung und unterdrückter Blast-Leistung bis zu 400% beträgt.

[0008] Die Erklärung für dieses Phänomen liegt in der starken Temperatur-Abnahme durch adiabatische Expansion der Schwaden-Gase. Bevor die Hülle aufreißt und sich die Sprengstoff-Schwaden mit der Luft vermischen und mit dem Sauerstoff reagieren können, sind diese schon so stark abgekühlt, dass sie die Schwellen der Reaktions-Temperarturen für die verschiedenen Gas-Moleküle (z.B. CO) unterschritten haben - es kommt zur völligen Unterdrückung von Schwaden-Reaktionen.

[0009] Der Erfindung liegt deshalb die Aufgabe zugrunde ein Verfahren anzugeben, mit dem auf einfache Weise ein bekannter Gefechtskopf zwischen Splittererzeugung und Druck- (Blast-) Erzeugung umgeschaltet werden kann.

[0010] Wie bereits ausgeführt wirkt die Hülle als Barriere zwischen den expandierenden Schwaden und der umgebenden Luft. Jede Verzögerung bei der Beseitigung dieser Barriere führt dazu, dass die Schwaden-Temperaturen die Reaktionsschwellen bereits unterschritten haben, so dass die Reaktionen unterdrückt werden.

[0011] Die Lösung des Problems besteht nun in der rechtzeitigen Beseitigung dieser Barriere. Es bieten sich zwei Möglichkeiten dazu an, die sich durch Abstimmung und Harmonisierung gegenseitig unterstützen und ergänzen können.

[0012] Gemäß der Erfindung besteht die Lösung aus einem Verfahren mit folgenden wahlweise durchzuführenden Schritten:
  • nach alleiniger Auslösung der ersten Zündeinrichtung und der dann erfolgenden Ablenkung der erzeugten Detonationsfront, welche im Wesentlichen streifend zwischen der Hülle und der aus einem porösen RSM-Material (Reaktives-Struktur-Material) bestehenden Lochmaske verläuft, wird die Detonationsfront durch die Lochmaske zusätzlich gedämpft, wodurch keine chemische Reaktion im porösen RSM-Material erfolgt und wodurch die Splitter der Hülle radial beschleunigt werden, ohne dass eine nennenswerte Blast-Reaktion erfolgt,
  • nach alleiniger Auslösung der zweiten Zündeinrichtung trifft die erzeugte Detonationsfront im Wesentlichen senkrecht auf die aus einem porösen RSM-Material bestehende Lochmaske, wodurch die durch deren Löcher durchströmenden Sprengstoffpartikel die Hülle und nachfolgend auch die Lochmaske zerlegen, und wodurch aufgrund des dann verfügbaren Sauerstoffs eine vollständige Nachreaktion der Sprengstoff-Schwaden erfolgt,
  • bei Auslösung der ersten und der zweiten Zündeinrichtung zu wählbaren Zeitpunkten erfolgt eine von den Zündzeitpunkten abhängige Verteilung von Splittererzeugung oder Blast-Erzeugung.


[0013] Weitere vorteilhafte Ausgestaltungen sind den nachgeordneten Ansprüchen zu entnehmen.

[0014] Der besondere Vorteil der erfinderischen Lösung liegt darin, dass erstmalig der wahlweise Einsatz unterschiedlicher Initiierungsorte in einem Fall zur vollständigen Unterdrückung von Nachreaktionen und damit zur gezielten Ausschaltung des Blast-Effektes führt. Im anderen Fall kommt es zur vollständigen Nachreaktion der sauerstoff-unterbilanzierten Schwaden und damit zu einem extrem hohen Blast-Effekt.

[0015] Ausführungsbeispiele der Erfindung sind in der Zeichnung dargestellt und werden im Folgenden näher beschrieben. Es zeigen:

Fig. 1: einen zylindrischen Gefechtskopf mit integrierter Lochmaske,

Fig. 2: unterschiedliche Initiierungsmodi des Gefechtskopfes.



[0016] In der Figur 1 ist ein Gefechtskopf GK mit zwei unterschiedlichen Zündstellen ZK1, ZK2 dargestellt, die wahlweise einzeln aber auch zu wählbaren Zeitpunkten gemeinsam initiiert werden können. Die eine Zündeinrichtung ZK1 ist an der Kopfseite K des Gefechtskopfes GK im Bereich eines Detonationswellenlenkers DW angeordnet. Die zweite Zündeinrichtung ZK2 ist etwa mittig in der Sprengladung SP auf der Längsachse L des Gefechtskopfes montiert.

[0017] Die zentral angeordnete Sprengladung SP ist außen von einer Lochmaske LM umgeben. Diese liegt unmittelbar an der Hülle H des Gefechtskopfes GK an.

[0018] Je nachdem, welche Zündeinrichtung gewählt wird, ergibt sich bei deren Initiierung nach dem hier beschriebenen Verfahren eine Situation, wie sie links oder rechts in der Figur 2 dargestellt ist. Dazu werden gegenüber den bekannten Methoden nun solche in erweiterter Form verwendet.

[0019] Zum einen werden die Materialien der Hülle H und ihre Festigkeiten so gewählt, dass eine starke und schnelle Zerlegung und damit eine frühzeitige Öffnung zur Entweichung der Schwaden gewährleistet ist. Dies kann beispielsweise durch spezielle Sinterungen von Metall-Partikeln geschehen. Hierfür bieten sich hochdichte Materialien wie Molybdän oder Wolfram-Legierungen an.

[0020] Zum anderen wird dies durch umschaltbare Methoden zur Hüllen-Öffnung unterstützt. In Figur 2 wird deren Funktionalität und Umschaltbarkeit dargestellt. In der linken Teilabbildung treffen die gestrichelt gezeichneten Detonationsfronten frontal senkrecht auf die Lochmaske LM auf. Dadurch bilden sich sehr schnelle Partikel-Jets, die die Hülle extrem beaufschlagen und zerlegen. Auf der rechten Seite der Figur 2 ist auf den streifenden Modus umgeschaltet worden. Nun bilden sich keinerlei Partikel-Jets mehr aus und die frühzeitige Zerlegung der Hülle unterbleibt.Somit wird durch die Unterdrückung von Nachreaktionen auch die gezielte Ausschaltung des Blast-Effektes bewirkt.

[0021] In der linken Teilabbildung der Figur 2 ist der lokal begrenzte Blast-Modus unter Vermeidung von Kollateralschäden dargestellt. In diesem Fall ist der Hüllen-Zerlege-Modus aktiviert. Die Hülle wird schnell und effektiv in kleine und kleinste Splitter zerlegt und subzerlegt, die nicht weit fliegen, da sie von der Luft schnell abgebremst werden. Die Schwaden können rasch entweichen und sich mit der umgebenden Luft vermischen. Es kommt zur vollständigen Nachreaktion der sauerstoff-unterbilanzierten Schwaden. Zusammen bildet sich also lokal ein extrem hoher Blast-Effekt aus, durch feinst zerlegte, schnelle Metall-Partikel der Hülle, ergänzt durch den Blast aus den 100%-Reaktionen der Schwaden. Weiter reichende Wirkungen (einige 100 m) sind nicht erwünscht und auch nicht zu erwarten.

[0022] In der rechten Teilabbildung der Figur 2 ist der bekannte Modus der ausschließlichen Splitterbildung dargestellt. Dabei ist der Modus des Zerlegens der Hülle ausgeschaltet. Somit werden keine Partikel-Jets erzeugt. Die Detonation läuft wie gewöhnlich ab, so dass die Splitter (ob natürliche, oder vorgeformte Splitter) nicht zerlegt oder subzerlegt, sondern wie gewohnt beschleunigt werden und über große Distanzen (einige hundert Meter) weit fliegen und ihre Wirkung im militärischen Ziel voll entfalten können. Es kommt zum Abbruch von Nachreaktionen und einer sehr stark verminderten Blast-Wirkung. Diese ist ohnehin räumlich eng begrenzt und wird hier nicht zur Unterstützung der Leistungsabgabe benötigt.

[0023] Natürlich ist es auch möglich mittels annähernd zeitgleicher Initiierung beider Zündeinrichtungen ZK1 und ZK2 eine Mischform der beiden oben genannten Effekte zu erzielen.


Ansprüche

1. Verfahren zur Steuerung der Leistungsart und Leistungsemission eines zylindrischen Gefechtskopfes, aufweisend wenigstens zwei Zündeinrichtungen, deren erste im Bereich einer der Kopfseiten und deren zweite im Bereich um die Mitte der Längsachse des Gefechtskopfes angeordnet ist und die wahlweise einzeln oder in einem wählbaren zeitlichen Abstand ausgelöst werden, aufweisend eine zentral angeordnete Sprengladung mit einer die umgebende rohrförmigen Lochmaske, und aufweisend eine Splitter bildende, die Lochmaske umgebende Hülle,
gekennzeichnet durch folgende Merkmale,

a) nach alleiniger Auslösung der ersten Zündeinrichtung und der dann erfolgenden Ablenkung der erzeugten Detonationsfront, welche im Wesentlichen streifend an der aus einem porösen RSM-Material bestehenden Lochmaske verläuft, wird die Detonationsfront durch die Lochmaske zusätzlich gedämpft, wodurch keine chemische Reaktion im porösen RSM-Material erfolgt und wodurch die Splitter der Hülle radial beschleunigt werden, ohne dass eine nennenswerte Blast-Reaktion erfolgt,

b) nach alleiniger Auslösung der zweiten Zündeinrichtung trifft die erzeugte Detonationsfront im Wesentlichen senkrecht auf die aus einem porösen RSM-Material bestehende Lochmaske, wodurch die durch deren Löcher durchströmenden Sprengstoffpartikel die Hülle und auch die Lochmaske zerlegen, und wodurch aufgrund des dann verfügbaren Sauerstoffs eine vollständige Nachreaktion der Sprengstoff-Schwaden erfolgt,

c) bei Auslösung der ersten und der zweiten Zündeinrichtung zu wählbaren Zeitpunkten erfolgt eine von den Zündzeitpunkten abhängige Verteilung von Splittererzeugung oder Blast-Erzeugung.


 
2. Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens nach Anspruch 1, umfassend einen zylindrischen Gefechtskopf mit einer zylindrischen zentralen Sprengladung und einer diese umgebenden rohrförmigen Lochmaske, sowie mit wenigstens zwei Zündeinrichtungen, deren erste im Bereich einer der Kopfseiten der zylindrischen Ladung angeordnet ist und deren zweite im Bereich um die Mitte der Längsachse des Gefechtskopfes angeordnet ist, und mit einer Splitter bildenden, die Lochmaske umgebenden Hülle,
dadurch gekennzeichnet, dass der Gefechtskopf wahlweise nach einem der drei Modi initiierbar ist,

a) entweder mittels alleiniger Auslösung der ersten Zündeinrichtung, wodurch die erzeugte Detonationsfront nach Ablenkung um einen Detonationswellenlenker im Wesentlichen streifend an der aus einem porösen RSM-Material bestehenden Lochmaske führbar ist, wobei die Lochmaske als Dämpfung für die Detonationsfront nutzbar ist, wodurch die Auslösung ohne jegliche chemische Reaktion im porösen RSM-Material durchführbar ist, wobei die Splitter der Hülle ohne eine nennenswerte Blast-Reaktion radial beschleunigbar sind,

b) oder mittels alleiniger Auslösung der zweiten Zündeinrichtung, wodurch die erzeugte Detonationsfront im Wesentlichen senkrecht auf die aus einem porösen RSM-Material bestehende Lochmaske führbar ist, wodurch mittels der durch deren Löcher strömenden Sprengstoffpartikel die Hülle und nachfolgend auch die Lochmaske zerlegbar sind, und wodurch aufgrund des dann verfügbaren Sauerstoffs eine vollständige Nachreaktion der Sprengstoff-Schwaden bewirkbar ist,

c) oder mittels Auslösung der ersten und der zweiten Zündeinrichtung zu wählbaren Zeitpunkten, wodurch eine von den Zündzeitpunkten abhängige Verteilung von Splittererzeugung oder Blast-Erzeugung bewirkbar ist.


 
3. Vorrichtung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass Hülle und Lochmaske aus porösem RSM-Material bestehen.
 
4. Vorrichtung nach Anspruch 3, dadurch gekennzeichnet, dass Hülle und Lochmaske aus unterschiedlichem RSM-Material bestehen.
 




Zeichnung







Recherchenbericht









Recherchenbericht