(19)
(11) EP 3 255 028 A1

(12) EUROPÄISCHE PATENTANMELDUNG

(43) Veröffentlichungstag:
13.12.2017  Patentblatt  2017/50

(21) Anmeldenummer: 16173455.3

(22) Anmeldetag:  08.06.2016
(51) Internationale Patentklassifikation (IPC): 
C06B 21/00(2006.01)
C06B 47/00(2006.01)
C06B 23/00(2006.01)
C06B 47/14(2006.01)
(84) Benannte Vertragsstaaten:
AL AT BE BG CH CY CZ DE DK EE ES FI FR GB GR HR HU IE IS IT LI LT LU LV MC MK MT NL NO PL PT RO RS SE SI SK SM TR
Benannte Erstreckungsstaaten:
BA ME
Benannte Validierungsstaaten:
MA MD

(71) Anmelder: Umwelt-Technik-Metallrecycling GmbH
23569 Lübeck (DE)

(72) Erfinder:
  • Franck, Michael
    23569 Lübeck (DE)
  • Chladek, Tomas
    23611 Bad Schwartau (DE)

(74) Vertreter: Patentanwälte Vollmann & Hemmer 
Wallstraße 33a
23560 Lübeck
23560 Lübeck (DE)

   


(54) VERFAHREN ZUR PHLEGMATISIERUNG VON EXPLOSIVSTOFFEN SOWIE DADURCH ERHÄLTLICHE PHLEGMATISIERTE EXPLOSIVSTOFFE


(57) Die Erfindung betrifft ein Verfahren zum Phlegmatisieren eines Explosivstoffs, wobei der Explosivstoff in Form von Partikeln in einem Fluid, welches eine Fließgrenze aufweist, dispergiert wird, und wobei die Fließgrenze des Fluids durch die darin dispergierten Explosivstoffpartikel nicht überschritten wird.


Beschreibung


[0001] Die vorliegende Erfindung betrifft ein Verfahren zur Phlegmatisierung von Explosivstoffen sowie phlegmatisierte Explosivstoffe, die durch dieses Verfahren erhältlich sind. Die Erfindung bezieht sich ferner auf ein Verfahren, welches eine Sensibilisierung der phlegmatisierten Explosivstoffe ermöglicht. Des Weiteren umfasst die Erfindung ein Verfahren zum Transport von Explosivstoffen, welches auf dem erfindungsgemäßen Phlegmatisierungsverfahren beruht.

[0002] Die Handhabung, insbesondere der Transport, von Explosivstoffen, von explosivstoffhaltigen Kampfmitteln oder Sprengstoffen ist mit erheblichen Gefahren verbunden und erfordert entsprechende Sicherheitsvorkehrungen. Deshalb existieren sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene und internationaler Ebene entsprechende Regelwerke, welche besondere Vorschriften für den Transport hinsichtlich Verpackung, Ladungssicherung und Kennzeichnung enthalten (z. B. "Europäisches Übereinkommen über die internationale Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße" (ADR); "Regelung zur internationalen Beförderung gefährlicher Güter im Schienenverkehr" (RID), "Gefahrgutkennzeichnung für gefährliche Güter im Seeschiffsverkehr" (IMDG).

[0003] Allgemein ist in diesen Regelwerken eine Klassifizierung der Gefahrgüter nach verschiedenen Gefährlichkeitsmerkmalen vorgesehen. Die Klassifizierungssystematik aller Regelwerke ist numerisch abgebildet und umfasst neun Gefahrgutklassen. Explosivstoffe werden nach dieser Systematik in die Klasse 1 eingeordnet; dasselbe gilt für Gegenstände, die Explosivstoffe enthalten.

[0004] Als besonders problematisch erweist sich der Transport und die Beseitigung alter Munition aus den vergangenen Kriegen. Für den Transport dieser explosivhaltigen Kampfmittel, die jeweils einer gesonderten Klassifizierung bedürfen, ist eine Ausnahmegenehmigung der zuständigen Behörde erforderlich.

[0005] Schätzungen zufolge beträgt die Menge der in den deutschen Meeresgewässern lagernden konventionellen Kampfmittel bis zu 1.600.000 t, wobei diese Menge einige hunderttausend Tonnen TNT und andere Explosivstoffe umfasst.

[0006] Aufgrund der großen Menge an Explosivstoffen und der davon ausgehenden Gefahren beim Transport und der weiteren Behandlung zur Unschädlichmachung solcher Munition, ist man bisher davon ausgegangen, dass die beste Lösung darin besteht, die Munition auf dem Meeresgrund zu belassen. Jedoch stellen diese Munitions-Altlasten ein Problem dar, wenn der Meeresboden als Baugrund genutzt werden soll, beispielsweise bei der Errichtung von Windparks.

[0007] Bezüglich der Mengen der im Boden an Land lagernden konventionellen Kampfmittel (Munition, insbesondere Bomben-Blindgänger) gibt es keine belastbaren Zahlenangaben. Jedoch sind auch in diesem Fall besonders hohe Risiken beim Transport und der nachfolgenden Beseitigung zu besorgen.

[0008] Hinzu kommt, dass in Deutschland die installierte und genehmigte Behandlungskapazität zur Vernichtung von Munition nur wenige 1000 t pro Jahr beträgt. Diese Kapazitäten sind bereits weitestgehend durch die Vernichtung von Lagermunition der Streitkräfte ausgelastet. Außerdem ist für die Lagerung und Vernichtung von Stoffen, die in die "Klasse 1" nach ADR (oder RID, IMDG; s. oben) klassifiziert worden sind, eine spezielle Anlagengenehmigung nach dem deutschen Bundesimmissionsschutzgesetz erforderlich. Dadurch sind die Möglichkeiten für die Beseitigung von Explosivstoffen zusätzlich eingeschränkt.

[0009] Andererseits gibt es für Stoffe, die in die "Klasse 4" nach ADR (oder RID, IMDG) klassifiziert worden sind und die beseitigt werden sollen, eine installierte und behördlich genehmigte Behandlungskapazität von mehreren Millionen Tonnen pro Jahr.

[0010] Die Klasse 4 nach ADR/RID/IDMG umfasst allgemein "entzündbare feste Stoffe", und insbesondere desensibilisierte (= phlegmatisierte) explosive Stoffe, d. h. explosive Stoffe, die so behandelt wurden, dass ihre explosiven Eigenschaften unterdrückt sind.

[0011] Allgemein wird die Bezeichnung "Phlegmatisierung" (oder "Desensibilisierung") für Verfahren verwendet, mittels welcher ein Herabsetzen der Empfindlichkeit von Explosivstoffen gegen Schlag und Reibung bewirkt werden kann, wodurch diese (vorübergehend oder permanent) nicht-explosiv gemacht werden können. Unter den bekannten Phlegmatisierungsmethoden ist insbesondere das Einbetten oder Granulieren mittels Wachs oder anderer Bindemittel oder Trägerstoffe zu nennen (z. B. EP 217 770 B1, DE 28 20 704 A1, DE 39 34 368 C1).

[0012] Diese bekannten Verfahren sind jedoch aus verschiedenen Gründen nachteilig. Aufgrund der verwendeten Hilfsmittel (Wachse, Bindemittel) und der aufwendigen Prozeduren sind die Kosten insbesondere bei der Behandlung größerer Explosivstoffmengen zu hoch. Für die Beseitigung von Munitions-Altlasten im industriellen Maßstab kommen derartige Verfahren deshalb nicht in Betracht. Zudem sind einige der im Stand der Technik bekannten Verfahren nur für die Phlegmatisierung bestimmter, ausgewählter Sorten von Explosivstoffen geeignet. Hinzu kommt, dass die mittels bekannter Techniken bewirkte Phlegmatisierung vielfach nicht reversibel ist, d. h. eine nachträgliche Sensibilisierung der phlegmatisierten Explosivstoffe ist nicht oder nur eingeschränkt möglich.

[0013] Ziel der vorliegenden Erfindung ist es, ein Phlegmatisierungsverfahren für Explosivstoffe bereitzustellen, welches die Nachteile bekannter Verfahren vermeidet und es ermöglicht, die Gefährlichkeit von Explosivstoffen zu unterdrücken oder zu vermindern.

[0014] Insbesondere soll damit erreicht werden, dass die mit dem erfindungsgemäßen Verfahren behandelten Explosivstoffe nicht mehr in die Gefahrgutklasse 1 klassifiziert werden müssen, sondern in eine andere Gefahrgutklasse eingeordnet werden können, für welche weniger strenge Sicherheitsanforderungen gelten. Insbesondere soll eine Zuordnung der behandelten Explosivstoffe in die Klasse 4 ermöglicht werden.

[0015] Ein weiteres Ziel der Erfindung besteht darin, ein Verfahren zur Phlegmatisierung von Explosivstoffen anzugeben, welches umkehrbar ist, d. h. welches eine erneute Sensibilisierung des Explosivstoffs und dessen Rückgewinnung ermöglicht.

[0016] Die vorstehend genannten Aufgaben werden durch ein Verfahren zur Phlegmatisierung gemäß Anspruch 1, durch einen phlegmatisierten Explosivstoff gemäß Anspruch 13, durch ein Verfahren zum Sensibilisieren gemäß Anspruch 17 und durch ein Transportverfahren gemäß Anspruch 20 gelöst, sowie durch die in den Unteransprüchen angegebenen Ausführungsformen.

[0017] Überraschenderweise wurde gefunden, dass eine Phlegmatisierung von Explosivstoffen, welche die oben genannten Ziele erfüllt, durch ein Verfahren gemäß Anspruch 1 bewirkt werden kann. Hierbei wird der Explosivstoff in Form von Partikeln in einem Fluid, welches eine Fließgrenze aufweist, dispergiert, wobei die Fließgrenze des Fluids durch die darin dispergierten Explosivstoffpartikel nicht überschritten wird. Die dispergierten Explosivstoffpartikel sind dadurch in dem Fluid schwebend gehalten, wodurch die Explosivität herabgesetzt und die angestrebte Phlegmatisierung herbeigeführt wird.

[0018] Aufgrund der verminderten Gefährlichkeit der phlegmatisierten Explosivstoffe wird der Transport im Straßen-, Schienen- oder Seeverkehr vereinfacht, weniger risikobehaftet und kostengünstiger. Zudem sind hierfür in der Regel keine Ausnahmegenehmigungen erforderlich, und es stehen größere Transport- und Behandlungskapazitäten zur Verfügung als für Gefahrgüter der Klasse 1.

[0019] Allgemein wird mit dem Begriff "Fließgrenze" in der Rheologie diejenige aufzubringende Schubspannung bezeichnet, oberhalb welcher ein Stoff zum Fließen übergeht. Fluide, insbesondere Flüssigkeiten, welche eine solche Fließgrenze besitzen, sind dem Fachmann grundsätzlich bekannt. Oberhalb der Schubspannung, welche die Fließgrenze definiert, verhält sich das Fluid wie eine Flüssigkeit; in dem darunter liegenden Schubspannungsbereich verhält sich das Fluid hingegen wie ein elastischer oder viskoelastischer Festkörper. Die Fließgrenze ist somit diejenige Schubspannung, bei welcher der Übergang zwischen Fließverhalten und (visko-)elastischem Verhalten - oder umgekehrt - stattfindet. Im Zusammenhang mit der vorliegenden Erfindung wird die Bezeichnung "Fluid" auch für den Zustand nach Unterschreiten der Fließgrenze verwendet, d. h. für den plastischen (elastischen oder viskoelastischen) Zustand.

[0020] Bei dem erfindungsgemäßen Phlegmatisierungsverfahren wird ein Explosivstoff in partikulärer Form, d. h. als eine Vielzahl von Partikeln, in einem Fluid dispergiert, welches eine Fließgrenze gemäß obiger Definition aufweist.

[0021] Erfindungsgemäß wird durch die im Fluid dispergierten Explosivstoffpartikel die Fließgrenze des Fluids nicht überschritten. Dies wird dadurch erreicht, dass die von den dispergierten Partikeln aufgrund der Schwerkraft im Fluid erzeugte Schubspannung niedriger ist als diejenige Mindestschubspannung, die erforderlich ist, um einen Übergang vom elastischen Zustand in den Fließzustand zu bewirken (= Fließgrenze).

[0022] Allgemein entspricht die Fließgrenze σ eines Fluids der Mindestschubspannung, die auf das Fluid wirken muss, damit dieses fließen kann. Ein im Fluid enthaltener Partikel übt eine Kraft F auf die unter ihm liegende Fläche A aus, wobei F der Gewichtskraft abzüglich der Auftriebskraft entspricht. Ist σ < F/A, dann sinkt der betreffende Partikel zu Boden; andernfalls bleibt er in der Schwebe, wenn σ > F/A; denn in diesem Fall reicht die vom Partikel ausgeübte Schubkraft nicht aus, um das vorher nicht fließfähige Fluid zum Fließen zu bringen.

[0023] Die oben erwähnten Zusammenhänge lassen sich mittels folgender Formel (I) darstellen:

wobei

σ : Fließgrenze des Fluids;

F : Gewichtskraft (abzüglich Auftriebskraft des Partikels im Fluid);

A: Fläche unter dem Partikel, auf welche dessen Gewichtskraft wirkt;

m: Masse des Partikels;

mw: Masse des durch das Partikel verdrängten Fluids;

a: Erdbeschleunigung;

ρ : Dichte des Partikels;

pw: Dichte des durch das Partikel verdrängten Fluids;

h: Höhe des Partikels bezüglich der Fläche A.



[0024] Ob das Partikel absinkt, hängt gemäß vorstehender Formel maßgeblich davon ab, ob die Fließgrenze des Fluids kleiner ist als das Produkt aus der Dichtedifferenz (p - pw), Höhe h des Partikels im Fluid und der Erdbeschleunigung. Da die Dichte p durch die Art des jeweiligen Explosivstoffs vorgegeben ist, kommt es bezüglich des angestrebten Schwebezustandes der Partikel im Fluid im Wesentlichen auf die Partikelgröße (d. h. die Höhe der Partikel im Fluid) in Relation zur Fließgrenze des jeweils verwendeten Fluids an. Die Höhe der Partikel im Fluid kann allgemein in der Weise bestimmt werden, indem man die Längenausdehnung der Partikel in vertikaler Richtung mittels eines Längenmessgeräts (z. B. Lineal) misst.

[0025] Gemäß einer bevorzugten Ausführungsform des erfindungsgemäßen Verfahrens wird deshalb in der Weise vorgegangen, dass die Partikelgröße der dispergierten Explosivstoffpartikel so gewählt oder eingestellt wird, dass die von den Partikeln ausgeübte Schubspannung kleiner ist als die Fließgrenze des Fluids.

[0026] Die oben erwähnte "Höhe des Partikels im Fluid" entspricht nicht notwendigerweise der Partikelgröße, da ein (nicht sphärisches) Partikel je nach Messrichtung unterschiedliche Längenausdehnungen haben kann. Abhängig von der räumlichen Ausrichtung eines Partikels innerhalb des Fluids kann dessen "Höhe im Fluid" variieren. Im Extremfall kann die längste Seite (bzw. der größte Durchmesser) eines Partikels die "Höhe h" in obiger Formel bilden, je nach Ausrichtung des Partikels im Fluid. Im Zusammenhang mit der vorliegenden Erfindung wird deshalb unter "Partikelgröße" die "Höhe des Partikels im Fluid" verstanden. Die maximale Höhe eines Partikels im Fluid entspricht im Wesentlichen der größten Längenausdehnung bzw. dem größten Durchmesser eines Partikels.

[0027] Die Fließgrenzen unterschiedlicher Fluide können der Fachliteratur entnommen werden. Falls erforderlich, kann die Fließgrenze eines Fluids mittels folgender Methode ermittelt werden:

[0028] Test-Partikel mit einer vorher ermittelten oder bekannten Dichte werden in einem durchsichtigen Gefäß in dem Fluid dispergiert, dessen Fließgrenze bestimmt werden soll. Nach einer Wartezeit von 1 Monat ist ein Teil der Partikel sedimentiert, während ein anderer Teil in der Schwebe geblieben ist. Bei den zuletzt genannten Partikeln wird der Durchschnittswert für die "Höhe im Fluid" (siehe oben) ermittelt. Durch Einsetzen dieses Wertes in obige Formel (I) lässt sich die Fließgrenze σ errechnen. Die Bestimmung der Fließgrenze wird im Allgemeinen bei einem Temperaturbereich von 10 bis 25 °C durchgeführt, insbesondere bei 20 °C.

[0029] Bei den für die vorliegende Erfindung in Betracht kommenden Fluiden liegt die Fließgrenze im Allgemeinen im Bereich von 5 bis 10 N/m2, insbesondere 10 bis 50 N/m2. Abhängig von der Art des jeweils verwendeten Explosivstoffs, der Größe der zu dispergierenden Partikel usw. kann von den angegebenen Bereichen auch abgewichen werden.

[0030] Da ein Überschreiten der Fließgrenze erfindungsgemäß vermieden wird, hat dies zur Folge, dass die dispergierten Explosivstoffpartikel in dem Fluid, welches ein elastisches oder viskoelastisches Verhalten zeigt, schwebend gehalten werden. Dabei wird ein im Wesentlichen stabiler Zustand hergestellt, der sich dadurch auszeichnet, dass die Explosivstoffpartikel voneinander beabstandet sind und in der durch das Fluid gebildeten, elastischen oder viskoelastischen Matrix immobilisiert sind. Es wird angenommen, dass dies die Ursache für die beobachtete Phlegmatisierung des Explosivstoffs ist. Durch die erfindungsgemäße Phlegmatisierung wird eine Explosion selbst bei Einwirkung von Funken oder Hitze, oder bei mechanischer Gewalteinwirkung (z. B. Stöße, Schläge, Erschütterung) verhindert.

[0031] Der Dispergier-Vorgang kann in der Weise durchgeführt werden, dass das Fluid einer derartigen Schub- oder Scherbelastung ausgesetzt wird, beispielsweise durch Rotation oder Rühren mittels eines Mischers, dass dadurch die Fließgrenze überschritten wird und das Fluid zu fließen beginnt. Werden nun Explosivstoffpartikel hinzugegeben, können diese sich durch das viskose Fluid bewegen und unter fortgesetztem Rühren oder Mischen darin dispergiert werden. Sobald eine ausreichende Dispergierung der Partikel erreicht ist, kann die Rühr- oder Rotationsgeschwindigkeit allmählich verlangsamt werden, bis die Fließgrenze durch die Rotation bzw. das Rühren nicht mehr überschritten wird und die Explosivstoffpartikel in dem erwähnten Schwebezustand gehalten werden.

[0032] Eine andere Möglichkeit für die Durchführung des Dispergiervorgangs besteht z. B. darin, dass das Fluid erwärmt wird und auf diese Weise die Fließgrenze herabgesetzt wird, so dass Explosivstoffpartikel mittels Rühren in das Fluid eingebracht und darin dispergiert werden können. Zur Erzeugung des erwähnten Schwebezustandes wird das Fluid anschließend abgekühlt, wodurch die Fließgrenze wieder angehoben wird.

[0033] Als Explosivstoffe kommen grundsätzlich alle explosionsfähigen Stoffe oder Stoffgemische in Betracht, sofern sie zu Partikeln verarbeitet werden können oder in Form von Partikeln vorliegen. Im Allgemeinen handelt es sich bei den gemäß vorliegender Erfindung verwendeten Explosivstoffen um feste Stoffe oder Stoffgemische.

[0034] Die vorliegende Erfindung bezieht sich insbesondere auf Explosivstoffe aus Munition, d. h. aus Gegenständen oder Bestandteilen für militärische Zwecke, die aus Explosivstoffen bestehen oder solche enthalten (z. B. Patronen- und Kartuschenmunition, Torpedos, Granaten, Bomben, Raketen), aber auch auf technisch bzw. zivil verwendete Sprengstoffe. Ein bevorzugtes Anwendungsgebiet betrifft die Phlegmatisierung von Explosivstoffen aus Munitions-Altlasten (z. B. Bomben-Blindgänger) oder Kampfmitteln, die in Gewässern, auf dem Meeresgrund oder im Erdboden lagern, und die zwecks Unschädlichmachung geborgen und abtransportiert werden müssen.

[0035] Hinsichtlich der chemischen Zusammensetzung der Explosivstoffe, welche nach dem erfindungsgemäßen Verfahren phlegmatisiert werden können, bestehen grundsätzlich keine besonderen Einschränkungen. Für die Durchführung des Verfahrens ist es auch nicht erforderlich, dass die Art des Explosivstoffs oder seine Zusammensetzung bekannt ist. Als Beispiele für Explosivstoffe seien folgende genannt: Trinitrotoluol (TNT), Trinitrobenzol (TNB), Hexogen (RDX), Octogen (HMX), Nitropenta (PETN).

[0036] Der Explosivstoff, welcher auch ein explosivstoffhaltiges Stoffgemisch sein kann, wird in Form von Partikeln in dem genannten Fluid dispergiert. Zur Erzeugung dieser Partikel wird der Explosivstoff mittels bekannter Methoden zerkleinert und, falls erforderlich, mechanischen Trennverfahren unterzogen, um Partikel mit der erforderlichen Partikelgröße zu erhalten, bei welcher ein Überschreiten der Fließgrenze vermieden wird.

[0037] Die Partikelgröße der Explosivstoffpartikel kann auf bekannte Weise durch Siebanalyse ermittelt werden. Eine vorangehende Siebanalyse ist jedoch nicht zwingend erforderlich, da es erfindungsgemäß auch möglich (und bevorzugt) ist, das Fluid selbst als Mittel für die Größenklassierung zu verwenden. Nach dem Einbringen und Dispergieren von Explosivstoffpartikeln unterschiedlicher Größe in das Fluid sinken diejenigen Partikel, deren Größe (d. h. deren Höhe im Fluid) den maximal zulässigen Wert überschreitet, aufgrund der Schwerkraft nach unten und sammeln sich als Bodensatz an. Nach Abtrennen der sedimentierten Partikel enthält das Fluid im Wesentlichen nur noch solche Partikel, die im Fluid in der Schwebe bleiben können; diese Partikel erfüllen die aus der oben genannten Formel (I) resultierende Bedingung hinsichtlich der Höhe der Partikel im Fluid (σ > (p - pw) x h x a).

[0038] Die abgetrennten sedimentierten Partikel können einer erneuten Zerkleinerung unterworfen und danach in einem erfindungsgemäßen Fluid dispergiert werden. Der vorstehend beschriebene Verfahrensablauf kann wiederholt werden, um den Anteil der in der Schwebe gehaltenen Explosivstoffpartikel weiter zu erhöhen. Auf diese Weise kann erreicht werden, dass die Explosivstoffpartikel im Wesentlichen vollständig im Fluid schwebend dispergiert sind, oder dass zumindest 90 Gew.-%, vorzugsweise mindestens 95 Gew.-% der Partikel sich in diesem Zustand befinden.

[0039] Die maximale Partikelgröße der Explosivstoffpartikel, bei welcher diese ohne Überschreitung der Fließgrenze im Fluid dispergiert werden können, hängt im Wesentlichen von der Dichte des jeweiligen Explosivstoffs ab (siehe obige Formel (I)). Da dieser Parameter bekannt ist oder sich leicht ermitteln lässt, kann die geeignete maximale Partikelgröße berechnet werden. Alternativ kann die maximal zulässige Partikelgröße auch durch Vorversuche experimentell ermittelt werden.

[0040] Der Explosivstoff kann in einem Mengenanteil von bis zu 80 Gew.-% in das Fluid inkorporiert werden (bezogen auf die gesamte Masse des phlegmatisierten Explosivstoffs, d. h. einschließlich der Masse des Fluids und darin enthaltener Additive); unter Umständen kann dieser Wert auch überschritten werden. Vorzugsweise beträgt der Explosivstoffanteil 10 bis 80 Gew.-%, insbesondere 20-50 Gew.-%. Um eine ausreichende Phlegmatisierung zu erreichen, kann - je nach Art des verwendeten Explosivstoffs - der Mengenanteil beschränkt werden. Beispielsweise ist gemäß ADR 4.1 UN 1356 ein maximaler Massenanteil von 70 % TNT-Partikeln in Wasser zulässig.

[0041] Als Fluide, welche bei dem erfindungsgemäßen Verfahren verwendet werden können, kommen grundsätzlich alle Fluide in Betracht, welche eine Fließgrenze aufweisen, wie weiter oben erläutert. Vorzugsweise werden für diesen Zweck wässrige Fluide verwendet. Die Eigenschaft einer Fließgrenze kommt allgemein dadurch zustande, dass das jeweilige Fluid zumindest ein Rheologie-Additiv enthält, oder dass mindestens ein solches Additiv zugefügt wird.

[0042] Gemäß einer bevorzugten Ausführungsform des erfindungsgemäßen Phlegmatisierungsverfahren wird als das genannte Fluid, welches eine Fließgrenze aufweist, eine wässrige Lösung von Xanthan oder von Carboxymethylcellulose (CMC) verwendet; auch Mischungen von Xanthan und CMC können verwendet werden. CMC wird vorzugsweise in Form des Natriumsalzes verwendet (Na-Carboxymethylcellulose). Ein bevorzugter Konzentrationsbereich von CMC liegt bei 0,5 bis 5 Gew.-%, insbesondere 0,5 bis 2 Gew.-%.

[0043] Neben Xanthan und CMC können auch andere Hydrokolloide verwendet werden, um ein Fluid herzustellen, welches bei dem erfindungsgemäßen Verfahren eingesetzt werden kann. Verschiedene Rheologie-Additive können für unterschiedliche Temperaturbereiche geeignet sein; dies kann abhängig vom jeweiligen Anwendungsfall bei der Auswahl des/der Rheologie-Additive zu berücksichtigen sein.

[0044] Vorzugsweise wird ein Rheologie-Additiv verwendet, das aus der Gruppe ausgewählt ist, welche Polysaccharide, vorzugsweise Xanthan, Pectine, Alginate, Chitosan, Dextran und Pullulan, sowie Celluloseether, vorzugsweise Carboxymethylcellulose, Methylcellulose, Ethylcellulose, Hydroxyethylcellulose, Hydroxyethylmethylcellulose und Hydroxypropylmethylcellulose, sowie Kombinationen der vorgenannten Stoffe umfasst.

[0045] Gemäß einer weiteren Ausführungsform des erfindungsgemäßen Verfahrens ist vorgesehen, dass die Fließgrenze des Fluids in Abhängigkeit von der Art des jeweils verwendeten Explosivstoffs oder/und der Partikelgröße durch Zugabe eines oder mehrerer Rheologie-Additive, vorzugsweise Hydrokolloide, entsprechend angepasst wird. Insbesondere kann durch eine Erhöhung der Konzentration des Rheologie-Additivs (z. B. Xanthan, CMC oder andere Hydrokolloide) die Fließgrenze heraufgesetzt werden. Dadurch wird es ermöglicht, dass Explosivstoffteilchen mit größerer Teilchengröße in dem Fluid schwebend gehalten werden können, d. h. ohne dass es zu einer Überschreitung der Fließgrenze kommt. Dabei besteht eine annähernd lineare Beziehung zwischen der Fließgrenze und der Partikelgröße (siehe Beispiel 2).

[0046] Der Anteil des erwähnten Rheologie-Additivs liegt üblicherweise im Bereich von 0,01 bis 10 Gew.-%, vorzugsweise im Bereich von 0,1 bis 5 Gew.-% (bezogen auf die Gesamtmasse des Fluids, ohne Explosivstoffpartikel). Die Höhe dieses Anteils richtet sich hauptsächlich nach der Art des verwendeten Additivs und nach der angestrebten Fließgrenze.

[0047] Sofern der Explosivstoff anfangs noch nicht in partikulärer Form vorliegt, kann er mittels bekannter Methoden zu Partikeln geeigneter Größe verarbeitet werden. In einer weiteren Ausführungsform des erfindungsgemäßen Verfahrens ist vorgesehen, dass es einen vorgeschalteten Verfahrensschritt aufweist, in welchem die genannten Partikel aus einem Explosivstoff hergestellt werden. Dies kann insbesondere durch Zerschneiden des Explosivstoffs mittels Wasserstrahl bewerkstelligt werden.

[0048] Gemäß einer bevorzugten Ausführungsform umfasst das Verfahren zum Phlegmatisieren eines Explosivstoffs die folgenden Schritte:
  1. a) Herstellen oder Bereitstellen eines Fluids, welches eine Fließgrenze aufweist. Als Fluid wird vorzugsweise eine wässrige Lösung von Carboxymethylcellulose verwendet, insbesondere mit einer Konzentration im Bereich von 0,5 bis 2 Gew.-%.
  2. b) Durchmischen des Fluids, vorzugsweise mittels einer rotierenden Mischvorrichtung (z. B. Laborrührer), so dass aufgrund der erzeugten Schubspannung die Fließgrenze des Fluids überschritten wird. Infolgedessen beginnt das Fluid beginnt zu fließen und verhält sich nun wie eine Flüssigkeit. Dieser Schritt, wie auch die anderen Verfahrensschritte, wird vorzugsweise bei Raumtemperatur (20 °C) durchgeführt.
  3. c) Hinzufügen und Dispergieren der Explosivstoff-Partikel (insbesondere TNT) im Fluid unter fortgesetztem Mischen.
  4. d) Nachdem die Explosivstoffpartikel im Fluid dispergiert worden sind, wird der Rühr- oder Mischvorgang beendet. Dies geschieht vorzugsweise durch allmähliches Verringern der Rührgeschwindigkeit bis zum völligen Stillstand des Rührwerkzeugs.
  5. e) Anschließend werden diejenigen Partikel, welche nach Beendigung des Mischvorgangs, insbesondere innerhalb von 0,5 bis 2 h nach Beendigung des Mischvorgangs, einen Bodensatz bilden (d. h. sedimentieren), aus dem Fluid abgetrennt. Dieser Schritt kann auch entfallen, falls der Anteil von sedimentierenden Partikeln gering ist und/oder eine Abtrennung nicht für erforderlich gehalten wird.
    Abhängig von der Art des Explosivstoffs und je nach Art und Konzentration des gewählten Rheologie-Additivs werden dabei bevorzugt Partikel einer bestimmten Größenklasse in dem Fluid in der Schwebe gehalten, d. h. die Fließgrenze wird nicht überschritten. Beispielsweise können die bei Verwendung einer wässrigen CMC-Lösung mit einem CMC-Gehalt mindestens 1 Gew.-% in der Schwebe gehaltenen TNT-Partikel eine durchschnittliche Höhe im Fluid von bis zu 5 mm haben.
  6. f) Die in Schritt (e) abgetrennten Explosivstoffpartikel können erneut oder weiter zerkleinert werden und gemäß den vorstehend beschriebenen Verfahrensschritten (b) und (c) in dem Fluid dispergiert werden. Falls erforderlich oder gewünscht, kann eine erneute Abtrennung von sedimentierten Partikeln gemäß den Schritten d) und e) vorgenommen werden. Die Schritte (b) bis (f) können nach Bedarf wiederholt werden.


[0049] Der gemäß obigem Verfahren phlegmatisierte Explosivstoff (z. B. TNT) kann beispielsweise nach ADR 4.1 UN 1536 befördert werden. Der phlegmatisierte Explosivstoff kann wieder sensibilisiert werden, z.B. durch Einbringen von Flüssigkeit (insbesondere Wasser) in das Fluid und/oder durch geeignete Filterverfahren oder andere Trennverfahren.

[0050] Die erfindungsgemäßen Verfahren sind im Allgemeinen bei einem Temperaturbereich von 10 bis 25 °C anwendbar; dies gilt insbesondere bei der Verwendung von CMC als Rheologie-Additiv. Jedoch ist auch eine Anwendung außerhalb dieses Temperaturbereichs nicht ausgeschlossen.

[0051] Die vorliegende Erfindung erstreckt sich ferner auf einen phlegmatisierten Explosivstoff, insbesondere auf einen phlegmatisierten Explosivstoff, der mit einem erfindungsgemäßen Verfahren, wie vorstehend beschrieben oder in den Ansprüchen definiert, hergestellt worden ist oder durch ein solches Verfahren erhältlich ist. Der erfindungsgemäße phlegmatisierte Explosivstoff umfasst ein eine Fließgrenze aufweisendes Fluid, in welchem eine Vielzahl von Explosivstoffpartikeln schwebend dispergiert ist, wie weiter oben erläutert. Eine Sedimentation der Partikel im Fluid findet nicht statt, da die durch die Schwerkraft bedingte Schubspannung der im Fluid dispergierten Partikel kleiner ist als die Fließgrenze des Fluids. Da die Fließgrenze nicht überschritten wird, hat das Fluid (mit den darin dispergierten Partikeln) die Eigenschaften eines deformierbaren, elastischen oder viskoelastischen Körpers.

[0052] Insbesondere bei der Verwendung der erwähnten Hydrokolloide kann das Fluid in Form einer vorzugsweise wässrigen Gelmatrix vorliegen, innerhalb welcher die Explosivstoffpartikel dispergiert und immobilisiert sind.

[0053] Der Explosivstoffanteil beträgt vorzugsweise 10 bis 80 Gew.-%, insbesondere 20-50 Gew.-%, jeweils bezogen auf die gesamte Masse des phlegmatisierten Explosivstoffs (d. h. einschließlich der Masse des Fluids und darin enthaltener Additive).

[0054] Die Explosivstoffpartikel sind in den erfindungsgemäßen phlegmatisierten Explosivstoffen schwebend dispergiert. Im Allgemeinen wird dieser Zustand über einen Zeitraum von mindestens 1 Woche bis über mehrere Wochen oder mindestens zwei Monate stabil aufrechterhalten, d. h. während dieser Zeit tritt keine sichtbare Veränderung des Schwebezustands der Partikel ein.
Eine derartige Stabilität des Schwebezustands lässt sich beispielsweise bei Verwendung von 1 % CMC erreichen. Abhängig von der Auswahl und Konzentration der verwendeten Rheologie-Additive können die Stabilität des Schwebezustands und die Haltbarkeit des Fluids bei Bedarf gesteigert werden.

[0055] Ein Vorteil des erfindungsgemäßen Phlegmatisierungsverfahrens besteht darin, dass die Phlegmatisierung reversibel ist. Das Verfahren lässt sich umkehren oder rückgängig machen, so dass es nachträglich möglich ist, den phlegmatisierten Explosivstoff wieder zu sensibilisieren, d. h. die Explosionsfähigkeit wiederherzustellen. Allgemein lässt sich dies dadurch erreichen, dass die Fließgrenze des Fluids, in welchem Explosivstoffpartikel dispergiert sind, derartig abgesenkt wird, dass die von den Explosivstoffpartikeln ausgeübte Schubspannung größer ist als die Fließgrenze, wodurch die Partikel schwerkraftbedingt zu Boden sinken.

[0056] Demnach umfasst die vorliegende Erfindung ferner ein Verfahren zum Sensibilisieren eines erfindungsgemäß phlegmatisierten Explosivstoffs, wobei dieses Verfahren auf dem Prinzip beruht, dass die Fließgrenze des die Explosivstoffpartikel enthaltenden Fluids derart abgesenkt wird, dass die im Fluid schwebend dispergierten Partikel sedimentieren.

[0057] Eine Absenkung der Fließgrenze lässt sich vorzugsweise dadurch erreichen, dass der Flüssigkeitsanteil des Fluids, in welchem das/die Rheologie-Additiv(e) gelöst ist/sind, durch Zugabe von Flüssigkeit (Dispersionsmedium) erhöht wird. Bevorzugt wird im Falle von wässrigen Fluiden (z. B. mit einem Gehalt an Hydrokolloiden wie Xanthan oder/und CMC) ein Absinken der Fließgrenze durch Zugabe von Wasser herbeigeführt.

[0058] Nach erfolgter Sedimentation können die sedimentierten Explosivstoffpartikel in einem weiteren Schritt mittels bekannter mechanischer Trennverfahren, vorzugsweise Sieben oder Filtration, aus dem Fluid abgetrennt und damit wiedergewonnen werden. Da die Explosivstoffpartikel nun nicht mehr in dem Fluid immobilisiert sind, ist die Phlegmatisierung aufgehoben und die Explosionsfähigkeit wiederhergestellt.

[0059] Bei der vorstehend beschriebenen Verfahrensvariante kann das Fluid nach Abtrennung der Explosivstoffpartikel erneut zum Phlegmatisieren von Explosivstoffen, wie oben beschrieben, verwendet werden. Auf diese Weise lässt sich das Verfahren sehr kostengünstig gestalten. Falls erforderlich, können dem Fluid vor seiner Wiederverwendung erneut Rheologie-Additive (wie oben beschrieben) zugefügt werden, um die gewünschte Fließgrenze einzustellen.

[0060] Das erfindungsgemäße Verfahren zum Phlegmatisieren von Explosivstoffen eignet sich insbesondere, um den Transport von Explosivstoffen, wie sie beispielsweise in Munitions-Altlasten oder sonstigen Kampfstoffen enthalten sind, zu erleichtern und kostengünstiger zu gestalten.

[0061] Die vorliegende Erfindung bezieht sich deshalb auf ein Verfahren zum Transportieren von Explosivstoffen, welches folgende Schritte umfasst:
  • Phlegmatisieren eines Explosivstoffs durch ein Verfahren wie oben beschrieben und wie in den Ansprüchen angegeben;
  • Transport des phlegmatisierten Explosivstoffs zu einem anderen Ort zum Zwecke der Lagerung, Beseitigung oder Verwertung.


[0062] Infolge der erfindungsgemäßen Phlegmatisierung entfällt die Einordnung in die Gefahrstoffklasse 1 (nach ADR, RID oder IMDG); stattdessen ist eine Zuordnung der phlegmatisierten Stoffe in die Klasse 4 möglich. Dies hat zur Folge, dass der Transport sowie die nachfolgende Behandlung oder Vernichtung unter weniger strengen Sicherheitsbedingungen erfolgen können, und dass entsprechend größere bestehende Transport- und Anlagenkapazitäten genutzt werden können. Durch die herabgesetzte Gefährlichkeit wird es ferner ermöglicht, vorhandene Behandlungs- und Beseitigungskapazitäten für Explosivstoffe im industriellen Maßstab zu erschließen.

Beispiele


A. Phlegmatisierung von TNT mittels CMC-Lösung



[0063] Das Prinzip des erfindungsgemäßen Verfahrens wird durch nachfolgendes Ausführungsbeispiel veranschaulicht, bei welchem TNT als Explosivstoff verwendet wurde. Als Fluid (Dispersionsmedium) diente eine wässrige Lösung von Carboxymethylcellulose (CMC) mit einem CMC-Gehalt von 1 Gew.-% (oder auch höher).
  1. (1) TNT wird z. B. mit einem Hochdruckwasserstrahl in Partikel geeigneter Korngröße zerkleinert.
  2. (2) Das Fluid (wässrige CMC-Lösung, siehe oben) wird bei 20 °C in einem Labormischer derart in Rotation versetzt, dass es zu fließen beginnt.
  3. (3) Die in Schritt (1) erzeugten TNT-Partikel werden in die CMC-Lösung gegeben, wobei der TNT-Anteil 30 Gew.-% beträgt. Bei der angegebenen CMC-Konzentration (1 Gew.-% oder höher) bleiben erwartungsgemäß sämtliche TNT-Partikel, die eine durchschnittliche Höhe im Fluid von weniger als 5 mm haben, in der Schwebe (bei 20 °C).
  4. (4) Die Rotationsgeschwindigkeit des Labormischers wird nach und nach verlangsamt, bis dieser zu Stillstand kommt.
  5. (5) Eine Stunde nach Stillstand des Labormischers werden diejenigen Sprengstoffpartikel, die sich als Bodensatz angesammelt haben, dem Fluid entnommen und weiter zerkleinert. Die zerkleinerten Partikel werden der Lösung wieder zugeführt. Die Schritte (2) bis (5) können je nach Bedarf wiederholt werden.
  6. (6) Der so phlegmatisierte Explosivstoff TNT kann nun nach ADR 4.1 UN 1356 befördert werden.
  7. (7) Der phlegmatisierte Explosivstoff kann wieder sensibilisiert werden, z. B. durch Verdünnen des Fluids mit Wasser und/oder durch Filtration (zum Abtrennen der TNT-Partikel aus dem Fluid).

B. Bestimmung der Fließgrenze



[0064] Rot eingefärbte Test-Partikel mit einer vorher ermittelten Dichte wurden in ein durchsichtiges Gefäß gegeben, welches mit einem Fluid gefüllt war. Als Fluid wurde Wasser mit einem oder mehreren eingerührten Rheologie-Additiven verwendet (vorzugsweise CMC). Von denjenigen Partikeln, welche nach 1 Monat noch im Fluid in der Schwebe geblieben sind, wurde deren durchschnittliche Höhe im Fluid ermittelt. Die durchschnittliche Höhe der größten dieser Partikel wurde in die oben erwähnte Formel (I) eingesetzt und damit ein Wert σ errechnet; dieser entspricht der Fließgrenze, die von dem untersuchten Fluid mindestens erreicht wird. Die Bestimmung der Fließgrenze wurde - bei Verwendung von CMC als Additiv - bei 20 °C durchgeführt.

[0065] Die Messung der Höhe der Partikel im Fluid erfolgt in der Weise, dass die Längenausdehnung der Partikel in vertikaler Richtung mittels eines Lineals oder eines anderen Längenmessgeräts bestimmt wird. Für die Praxis des erfindungsgemäßen Verfahrens ist es im Allgemeinen völlig ausreichend, wenn die durchschnittliche Höhe der größten Partikel bestimmt wird. Auf diese Weise lässt sich die Fließgrenze näherungsweise nach unten abschätzen.

[0066] Bei der Verwendung von wässrigen Lösungen von CMC (in verschiedenen Konzentrationen) und Test-Partikeln mit einer Dichte von 1,75 g/cm3 wurden für die Fließgrenze jeweils folgende Werte ermittelt:
CMC-Konzentration h durchschnittliche Höhe der Partikel im Fluid σ Fließgrenze
0,7% 2,0 mm 14,7 n/m2
0,8 % 2,5 mm 18,4 n/m2
1,0 % 3,5 mm 25,8 n/m2
1,1 % 4,0 mm 29,4 n/m2
1.2 % 5,5 mm 40,5 n/m2
Diese Ergebnisse belegen das allgemeine Prinzip, wonach die Fließgrenze mit zunehmender Konzentration des Rheologie-Additivs (CMC) annähernd linear ansteigt. Außerdem belegen die Ergebnisse die Grundregel, dass die durchschnittliche Höhe der Partikel, welche noch im Fluid schweben, umso größer ist, je höher die Fließgrenze ist.


Ansprüche

1. Verfahren zum Phlegmatisieren eines Explosivstoffs, dadurch gekennzeichnet, dass der Explosivstoff in Form von Partikeln in einem Fluid, welches eine Fließgrenze aufweist, dispergiert wird, wobei die Fließgrenze des Fluids durch die darin dispergierten Explosivstoffpartikel nicht überschritten wird.
 
2. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die Partikelgröße der dispergierten Explosivstoffpartikel so gewählt oder eingestellt wird, dass die von den Partikeln ausgeübte Schubspannung kleiner ist als die Fließgrenze des Fluids.
 
3. Verfahren nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass als Fluid ein wässriges Fluid verwendet wird.
 
4. Verfahren nach einem der vorangehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass das Fluid mindestens ein Rheologie-Additiv, vorzugsweise aus der Gruppe der Hydrokolloide, enthält.
 
5. Verfahren nach einem der vorangehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass das Rheologie-Additiv aus der Gruppe ausgewählt ist, welche Polysaccharide, vorzugsweise Xanthan, Pectine, Alginate, Chitosan, Dextran und Pullulan, sowie Celluloseether, vorzugsweise Carboxymethylcellulose, Methylcellulose, Ethylcellulose, Hydroxyethylcellulose, Hydroxyethylmethylcellulose und Hydroxypropylmethylcellulose, sowie Kombinationen der vorgenannten Stoffe umfasst.
 
6. Verfahren nach einem der vorangehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass als Fluid eine wässrige Lösung von Xanthan oder/und Na-Carboxymethylcellulose verwendet wird.
 
7. Verfahren nach einem der vorangehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Fließgrenze durch Zugabe eines oder mehrerer Rheologie-Additive, vorzugsweise Hydrokolloide, erhöht oder auf einen gewünschten Wert eingestellt wird.
 
8. Verfahren nach einem der vorangehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Fließgrenze je nach Art des jeweils verwendeten Explosivstoffs oder/und der Partikelgröße durch Zugabe eines oder mehrerer Rheologie-Additive, vorzugsweise Hydrokolloide, angepasst wird.
 
9. Verfahren nach einem der vorangehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass es einen vorgeschalteten Verfahrensschritt aufweist, in welchem die genannten Partikel aus einem Explosivstoff hergestellt werden, vorzugsweise durch Zerschneiden des Explosivstoffs mittels Wasserstrahl.
 
10. Verfahren nach einem der vorangehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass es folgende Schritte aufweist:

a) Herstellen oder Bereitstellen eines Fluids, welches eine Fließgrenze aufweist;

b) Durchmischen des Fluids, vorzugsweise mittels einer rotierenden Mischvorrichtung, so dass die Fließgrenze überschritten wird und das Fluid sich wie eine Flüssigkeit verhält;

c) Hinzufügen und Dispergieren der Explosivstoff-Partikel im Fluid unter fortgesetztem Mischen.


 
11. Verfahren nach Anspruch 10, dadurch gekennzeichnet, dass es ferner folgende Schritte aufweist:

d) Beendigung des Mischvorgangs;

e) Abtrennen der Partikel, die nach Beendigung des Mischvorgangs, vorzugsweise innerhalb von 0,5 bis 2 h, insbesondere innerhalb von 1 Stunde nach Beendigung des Mischvorgangs, sedimentieren.


 
12. Verfahren nach Anspruch 11, dadurch gekennzeichnet, dass es ferner folgende Schritte aufweist:

f) Zerkleinern der in Schritt e) abgetrennten sedimentierten Explosivstoff-Partikel;

g) Dispergieren dieser zerkleinerten Partikel in dem Fluid gemäß den Verfahrensschritten b) und c).


 
13. Phlegmatisierter Explosivstoff, insbesondere ein nach einem Verfahren gemäß einem der vorangehenden Ansprüche hergestellter oder erhältlicher phlegmatisierter Explosivstoff, welcher dadurch gekennzeichnet ist, dass der Explosivstoff in Form von Partikeln in einem Fluid, welches eine Fließgrenze aufweist, dispergiert ist und die Partikel in dem Fluid schwebend gehalten sind.
 
14. Phlegmatisierter Explosivstoff nach Anspruch 13, dadurch gekennzeichnet, dass die durch die Schwerkraft bewirkte Schubspannung der im Fluid dispergierten Partikel kleiner ist als die Fließgrenze des Fluids.
 
15. Phlegmatisierter Explosivstoff nach Anspruch 13 oder 14, dadurch gekennzeichnet, dass der Explosivstoffanteil 10 bis 80 Gew.-%, insbesondere 20-50 Gew.-%, beträgt.
 
16. Phlegmatisierter Explosivstoff nach einem der Ansprüche 13 bis 15, dadurch gekennzeichnet, dass als Fluid ein wässriges Fluid verwendet wird, welches mindestens ein Rheologie-Additiv, vorzugsweise aus der Gruppe der Hydrokolloide, enthält, wobei wässrige Lösungen von Xanthan oder/und Na-Carboxymethylcellulose besonders bevorzugt sind.
 
17. Verfahren zum Sensibilisieren eines gemäß einem der Ansprüche 1 bis 12 phlegmatisierten Explosivstoffs oder eines phlegmatisierten Explosivstoffs nach einem der Ansprüche 13 bis 16, dadurch gekennzeichnet, dass die Fließgrenze des die Explosivstoffpartikel enthaltenden Fluids derart abgesenkt wird, dass die im Fluid dispergierten Partikel sedimentieren.
 
18. Verfahren nach Anspruch 17, dadurch gekennzeichnet, dass das Absenken der Fließgrenze durch Zugabe von Dispersionsmedium bewirkt wird, im Falle von wässrigen Fluiden durch Zugabe von Wasser.
 
19. Verfahren nach Anspruch 17 oder 18, dadurch gekennzeichnet, dass die sedimentierten Explosivstoffpartikel durch mechanische Trennverfahren, vorzugsweise Sieben oder Filtration, aus dem Fluid abgetrennt werden.
 
20. Verfahren zum Transportieren von Explosivstoffen, gekennzeichnet durch:

- Phlegmatisieren eines Explosivstoffs durch ein Verfahren nach einem der Ansprüche 1-12;

- Transport des phlegmatisierten Explosivstoffs zu einem anderen Ort zum Zwecke der Lagerung, Beseitigung oder Verwertung.


 





Recherchenbericht












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Angeführte Verweise

IN DER BESCHREIBUNG AUFGEFÜHRTE DOKUMENTE



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In der Beschreibung aufgeführte Patentdokumente