[0001] Die vorliegende Erfindung betrifft ein Verfahren zur zugorientierten Sicherungslogik
für Bahnsicherungsanlagen.
[0002] Die streckenseitigen Sicherungsanlagen (Stellwerk, RBC, zum Teil auch Leittechnik)
müssen für den Bahnverkehr sowohl einen signaltechnisch sicheren als auch einen reibungslosen
Betriebsablauf gewährleisten und die Betriebsprozesse optimal unterstützen. Die Ansprüche
bzgl. Kapazität (Durchsatz) sind vor und seit der Einführung elektronischer Sicherungsanlagen
gestiegen und werden aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklung weiterhin ansteigen.
Gleichzeitig steht die Forderung nach günstigeren und weniger komplexen Lösungen (Kostendruck
seitens Infrastrukturbetreiber) dazu im Raum.
[0003] Zur Orientierung, in welchem Teil einer Bahnsicherungsanlage die hier vorgeschlagene
Erfindung wirkt, ist ein Überblick über die heutige Struktur von Sicherungsanlagen
und einer möglichen vereinfachten Struktur für die Zukunft in Figur 1 dargestellt.
Die im Folgenden vorgeschlagenen Erfindungen zielen darauf ab, den SIL 4 Anteil einer
Bahnsicherungsanlage unter Beibehaltung des Sicherheitsniveaus gemäss Stand der Technik
signifikant zu verringern und die sich daraus ergebenden Chancen aufzuzeigen.
[0004] Bei den elektronischen, streckenseitigen Sicherungsanlagen gibt es mehrere Ausprägungen
mehrerer Hersteller. Bezogen auf den Kunden SBB (Infrastrukturbetreiber mit einer
der höchsten Zugdichten im Bahnverkehr Europas) sind das die Folgenden:


[0005] Diese Stellwerke basieren entweder auf dem ursprünglichen Spurplanprinzip (Simis®
W CH) oder auf dem ursprünglichen Verschlussplanprinzip (Elektra II), wobei aufgrund
der Möglichkeiten in den elektronischen Systemen und den Tools zu deren Bereitstellung
die Umsetzung dieser Prinzipien nicht mehr in reiner Form erfolgt.
[0006] Gemeinsam ist beiden Ansätzen, dass jede mögliche Rangier- und Zugfahrt über Fahrstrasseninstanzen
abgewickelt wird. Als Fahrstrasse wird dabei die geordnete Menge aller relevanten
Instanzen von Weichen, Gleisabschnitten, etc. bezeichnet, welche den Fahrweg von einem
möglichen Start bis zu einem nächstmöglichen Ziel bilden.
[0007] Dies gilt insbesondere für die Leittechnik und den zentralen Teil des Stellwerks
(Komponente IIC/OMC bei Simis® W CH) bzw. für das gesamte Stellwerk (Elektra II).
Die RBC beider Hersteller folgen eher dem Spurplanprinzip, stützen aber in jedem Fall
auf zuverlässigen Informationen des jeweiligen Stellwerks ab, die wiederum auf der
Basis der o.g. Fahrstrasseninstanzen ermittelt werden.
[0008] Die Anzahl der Fahrstrasseninstanzen und deren Kombinationen (mehrere aufeinanderfolgende
Fahrstrassen) macht einen erheblichen Teil der Daten der Sicherungsanlage aus. Die
Fahrweg-Daten von Fahrstrasseninstanzen müssen konsistent mit der zugrundeliegenden
Aussenanlage sein, da sie die Stetigkeit und Unterbruchsfreiheit von Fahrwegen deklarieren
und damit Sicherheitsverantwortung tragen (SIL 4). Sie müssen daher bei Umbauten und
Erweiterungen - zusätzlich zu den einzelnen Elementen wie Weichen, etc. - in jedem
Fall konsistent nachgepflegt und auf Vollständigkeit und Korrektheit geprüft werden.
[0009] Bei den bisherigen Kapazitätssteigerungen (sowohl mit ETCS L0 bzw. L1LS als auch
mit ETCS L2) wurde dabei der Ansatz verfolgt noch mehr Fahrstrassenabschnitte durch
die Unterteilung mit weiteren Start- und Ziel-Elementen (optische Signale oder ETCS-Haltsignale/ETCS-Standortsignale,
kurz EHS/ESS) einzuführen. Dies bedingt eine ungleich höhere Zahl an Signalen und
Fahrstrasseninstanzen und deren Kombinationen und wirkt sich negativ auf die Beherrschbarkeit
dieser Daten aus.
[0010] Ideen für ETCS L3 gehen hier noch einen Schritt weiter und versuchen in einigen Ansätzen
die optimale Länge dieser und noch mehr zusätzlicher Fahrstrasseninstanzen zu ermitteln
(Virtual Subsectioning, Virtual Block). Allerdings wird in diesen Ansätzen oft als
einziges Kriterium die Verbesserung des Headways zwischen zwei Zügen insbesondere
bei höheren Geschwindigkeiten herangezogen. Moving Block wird in diesem Bereich vor
dem Hintergrund des Fahrens im absoluten Bremswegabstand dabei kaum als Mehrwert betrachtet
und für das Fahren im relativen Bremswegabstand bei hohen Geschwindigkeiten werden
die Risiken noch immer als zu hoch beurteilt. Was in diesen Ansätzen jedoch zu kurz
kommt, ist die Entwicklung und Bereitstellung von neuen Kriterien für einen optimalen
Betrieb (sowohl Zugfolge, Fahrplan als auch Energieverbrauch) bei gemässigten Geschwindigkeiten
in komplexen, dicht befahrenen Zonen.
[0011] Die Komplexität wurde zudem in den bestehenden elektronischen, streckenseitigen Sicherungsanlagen
insofern erhöht, dass neue Fahrstrassentypen (Notzugfahrstrasse, Folgezugfahrstrasse,
Gegenzugfahrstrasse, etc.) und weitere Funktionalitäten für ETCS L2 auf Anforderung
des Infrastrukturbetreibers SBB hin eingeführt wurden. Zudem führt die Aufteilung
von Stellwerk und RBC zu erhöhter Komplexität, da gerade diese neuen Funktionalitäten
Querabhängigkeiten zwischen diesen beiden Teilsystemen verursachen.
[0012] Die SBB selbst als Infrastrukturbetreiber strebt aufgrund des o.g. Kostendrucks eine
Eigenentwicklung an, welche unter dem Schlagwort "NextGen" bekannt geworden ist und
u.A. einige o.g. Probleme der bestehenden Technik von Sicherungsanlagen adressiert.
In diesem Zusammenhang wird dort als neuer Ansatz eine "risikobasierte, geometrische
Sicherungslogik" vorgeschlagen. Dieser Ansatz beschäftigt sich sehr intensiv mit der
Risikobewertungsfunktion basierend auf dem Konzept von Gefahrenbereichen, welche entweder
aus dem für einen Zug benötigten Anteil der Topologie inkl. Schutzräume bestehen oder
aus Bereichen, in denen nicht steuerbare Aktivitäten stattfinden oder Störungen vorliegen.
Es wird jedoch kein instantiierbares Modell definiert, an dem man erkennen kann, wie
diese Eigenschaften der Gefahrenbereiche und Risikobewertungsfunktion eingeordnet
und zur Laufzeit abgearbeitet bzw. gewährleistet werden. Weiter werden die betrieblichen
Sonderfälle (Notbedienungen, Umgehungen), die in den heutigen Betriebsprozessen verankert
sind, noch nicht ausreichend berücksichtigt.
[0013] Der vorliegenden Erfindung liegt daher die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren zur Sicherung
der Fahrt eines Schienenfahrzeugs über einen Abschnitt eines Gleisnetzes anzugeben,
mit dem ein hoher Sicherheitslevel nach SIL4 und gleichzeitig eine hohe Flexibilität
in der Streckennutzung erzielt werden kann.
[0014] Diese Aufgabe wird erfindungsgemäss durch ein Verfahren zur Sicherung einer Fahrt
eines Schienenfahrzeugs bzw. Schienenfahrzeugverbundes - nachfolgend allgemein als
Schienenfahrzeug bezeichnet - über einen Abschnitt eines Gleisnetzes, bei dem:
- a) die aktuelle Position des Schienenfahrzeugs und die für das Schienenfahrzeug von
einem Leitsystem vorgegebenen Fahrtkriterien ausgewertet werden und ein Schutzraum
nach vorne bestimmt wird, und
- b) die im Abschnitt des Gleisnetzes angeordneten Fahrwegelemente in einem Spurplanprinzip
abgebildet sind und ausgehend von der Position des Schienenfahrzeugs und den Fahrtkriterien
jeweils immer das oder die nächsten Fahrwegelemente inkl. der den Schutzraum seitlich
gewährenden Fahrwegelemente, die ausserhalb des bereits für die Fahrt reservierten
Fahrwegs zuzüglich des Schutzraums nach vorne liegen, in der für die Fahrt erforderlichen
Stellung und Ausdehnung eindeutig für die Identität dieses Schienenfahrzeuges reserviert
und ggfs. eingestellt werden.
[0015] Auf diese Weise können die aus den heute bekannten Sicherungsverfahren bekannten
Fahrstrasseninstanzen und die dafür erforderlichen Start-Ziel-Elementinstanzen komplett
eliminiert werden, weil die Sicherungslogik nun zugorientiert und nicht mehr streckenorientiert
arbeitet und Fahrwegelemente für die Zugfahrt nur in Bezug auf das oder die nächsten
ausserhalb des ermittelten Schutzraums nach vorne gelegenen Fahrwegelemente für eine
bestimmte Ausdehnung für die Befahrung reserviert (sperrt), wodurch die Reservierung
auch nach Überfahrt bei vorliegender Gleisfreimeldung sofort wieder für andere Zugfahrten
zur Verfügung gestellt werden kann. Damit müssen weder stellwerkseitig noch leitsystemseitig
die Informationen über die gesamte Reservierung einer Fahrstrasse ausgetauscht und
aktuell gehalten werden, was im Fahrbetrieb dazu führt, dass die einzelnen Fahrwegelemente
weniger lange für eine bestimmte Zugfahrt reserviert (gesperrt) sein müssen und damit
wesentlich früher bzw. länger für eine Reservierung durch andere Züge zur Verfügung
stehen. Damit werden zum einen ein höherer Durchsatz auf der Strecke und zum anderen
eine Verringerung der Komplexität der heutigen Stellwerk- und Leitsystemlogik herbeigeführt,
was ganz besonders auch bei Umbauten der Strecke oder Neubauten von Streckenteilen
in die bestehende Infrastruktur erheblich zur Einsparung von Engineering-Aufwendungen
und notwendigen Aufwendungen für die Zulassung führt.
[0016] In einer vorteilhaften Weiterbildung der vorliegenden Erfindung kann es vorgesehen
sein, dass die Reservierung für die von dem Schienenfahrzeug überfahrenen Fahrwegelemente
bzw. für eine bestimmte Ausdehnung derer aufgehoben wird, wenn eine dem Fahrwegelement
zugeordnete Gleisfreimeldung, sei es im Wege der Erhalts der Information der Position
und Integrität seitens des Zuges und/oder sei es im Wege des von einem Achszählsystem
und/oder Gleisstromkreis ermittelten Freizustandes, den Freizustand für den mit dem
Fahrwegelement assoziierten Freimeldeabschnitt bzw. für eine bestimmte Ausdehnung
dessen feststellt. Auf diese Weise können die Fahrwegelemente sehr schnell wieder
für andere Reservierungen oder für eine Verlängerung der Reservierung für ein derselben
Streckenverlauf nehmendes Schienenfahrzeug zur Verfügung gestellt werden.
[0017] Ein bezüglich einer möglichst dichten Zugfolge besonders sicherheitsrelevantes Kriterium
ist die aktuelle Bremsweglänge eines Schienenfahrzeugs. Es ist daher sinnvoll, wenn
in die Bestimmung der Länge des Schutzraums nach vorne die aktuelle Bremsweglänge
einfliesst.
[0018] Fahrkriterien können für die Sicherung der Fahrt eines Schienenfahrzeugs zum Teil
sehr unterschiedliche Sicherheitsregime hervorrufen. Daher ist es hinsichtlich der
Flexibilität der zugorientierten Sicherungslogik sehr vorteilhaft, wenn als Fahrtkriterien
eine oder mehrere Prozessgrössen, wie Sollgeschwindigkeit, Fahrplanstabilität und
Abstandslänge, auswählbar sind.
[0019] Hinsichtlich der zugorientieren Sicherungslogik ist es besonders vorteilhaft, wenn
aus der Position des Schienenfahrzeugs und der Identität der Onboard-Unit eine eindeutige
leitsystemseitig adressierbare Zuginstanz gebildet wird. Auf diese Weise kann das
mit dieser Zuginstanz verknüpfte Schienenfahrzeug gemäss den für das Schienenfahrzeug
ausgewählten Fahrtkriterien zugorientiert gesichert werden. Der Zuginstanz werden
daher die gesicherten Fahrwegelemente zugeordnet, was somit auch eine Fortschreibung
bestehenden Reservierungen von Fahrwegelementen für nachfolgende Schienenfahrzeuge
ermöglicht. Hierzu ist es besonders zweckmässig, wenn die Zuginstanzen aufeinanderfolgender
Schienenfahrzeuge bei Beanspruchung derselben Fahrwegelemente in korrespondierender
Lage und Orientierung verlinkt werden und diese Verlinkung bei beginnend nicht mehr
korrespondierender Lage oder Orientierung gelöscht wird. Auf diese Weise lassen sich
bestehende Reservierungen verlängern ohne dass Stellwerk- oder Leitsystem-seitig eine
neue Prüfung der Lage der Fahrwegelemente erforderlich wäre.
[0020] Weitere vorteilhafte Ausgestaltungen der vorliegenden Erfindung sind den übrigen
Unteransprüchen zu entnehmen.
[0021] Bevorzugte Ausführungsbeispiele der vorliegenden Erfindung werden anhand der anhängenden
Zeichnungen näher erläutert. Dabei zeigen:
Figur 1 in schematischer Darstellung die Struktur von heute bestehenden Bahnsicherungsanlagen
und einer zukünftigen mit Zuginstanzen arbeitenden zugorientierten Sicherungslogik;
Figur 2 in schematischer Darstellung eine Beispieltopologie für einen Teil eines Bahnnetzes
mit einem Ausschnitt des Spurplans bezüglich eines auf diesem Teil verkehrenden Zuges;
Figur 3 in schematischer Darstellung einen Ablauf zur Plausibilisierung und Reservierung
für den Start des in Figur 2 dargestellten Zuges bezüglich seiner Startfreigabe und
seinen Fahrweg sowie der erforderlichen Reservierung von Schutzräumen;
Figur 4 in schematischer Darstellung eine Überwachung des Fahrwegs und der zugehörigen
Schutzräume der in Figur 3 gezeigten Zugfahrt sowie das Verfahren zur Bildung der
Fahrerlaubnis (Movement Authority MA);
Figur 5 in schematischer Darstellung Auswirkungen bei einem Überwachungsentfall auf
den Fahrweg und den Schutzraum sowie eine zugehörige Kürzung der Fahrerlaubnis (EoA
= End of Authority); und
Figur 6 in schematischer Darstellung einen Betriebsablauf mit einem Schwerpunkt auf
Folgefahrten und die "Vererbung" von bereits erstellten Reservierungen für Fahrwegelemente
zugunsten einer nachfolgenden Zugfahrt.
[0022] Bei der zugorientierten Streckensicherungslogik wird eine Reihe von grundlegenden
Annahmen getroffen:
A - Grundlegendes Spurplanprinzip
[0023] Wie bisher bereits üblich, werden Fahrwegelementinstanzen von Fahrwegelementen, wie
Weichen, Gleisabschnitte und Kreuzungen, von einer Sicherungslogikinstanz verwaltet.
Diese Fahrwegelemente werden nach dem Spurplanprinzip in der Reihenfolge angeordnet
und verknüpft, wie sie auch in der Aussenanlage liegen.
[0024] Bei den Gleisabschnitten werden möglichst nur die minimal erforderlichen Abschnitte
verwaltet. Kriterien dafür sind:
- a) Eindeutigkeit des Fahrwegs zwischen zwei Weichen/Kreuzungen;
- b) maximale Zuglänge für Streckengleise;
- c) maximale Länge für Gleisfreimeldetechnik, sofern erforderlich; und
- d) Aufstellungsort von EHS/ESS in der Aussenanlage.
[0025] Damit wird auch die Anzahl der EHS/ESS auf das betrieblich notwendige Mass beschränkt.
Start-Ziel-Element-Instanzen (Signale) mit Sicherungslogik-Funktionalität für in der
Aussenanlage aufgestellte EHS/ESS werden in dem neuen Ansatz nicht mehr benötigt.
[0026] An den Schnittstellen zu Altstellwerken mit ETCS L0 bzw. L1LS werden eventuell Start-Ziel-Element-Instanzen
(ebenfalls ohne Sicherungslogik-Funktionalität, nur mit Stell- und Überwachungslogik)
noch benötigt, z.B. im Zusammenhang mit FAP oder Block. Sie sind jedoch auch gemäss
Spurplanprinzip integrierbar.
[0027] Bahnübergänge bzw. deren Auswirkungen auf jedes Gleis, das im Einflussbereich des
jeweiligen Bahnübergangs liegt, sind ebenfalls in einer adäquaten Repräsentation gemäss
Spurplanprinzip integrierbar.
[0028] Die durch das Spurplanprinzip entstehenden Nachbarschaftsbeziehungen werden als Basis
für die Kommunikation der Streckensicherungslogik genutzt (siehe auch die Nachbarports
in Figur 2). Dabei werden konsequent nahe Abhängigkeiten zwischen direkten Nachbarfahrwegelementen
ausgewertet und überwacht. Ferne Abhängigkeiten, sofern erforderlich, werden durch
Rekursion bzw. Fortpflanzung entlang der Nachbarschaftsbeziehungen ausgewertet und
überwacht. Zusätzlich zu den Nachbarschaftsbeziehungen haben die Fahrwegelemente Bezüge
zur Leittechnik, zu Zügen und zu GFM-Informationen (siehe die weiteren Ports in Figur
2).
B - Zug-/Rangierinstanzen statt Fahrstrasseninstanzen
[0029] Statt Fahrstrasseninstanzen werden in der neuen Streckensicherungslogik nun Zug-
bzw. Rangierinstanzen verwaltet. Die Grundlage dieser Instanzen sind die Identität
des Fahrzeuggeräts (Onboard Unit ID-Nummer oder auch kurz OBU-ID) und die jeweils
zugeordneten Zugnummern. Zuginstanzen können zusätzlich untereinander verlinkt werden,
um Folgefahrten bzw. Gegenfahrten, sofern zulässig, zu koordinieren und zu überwachen.
Um die Stetigkeit und Unterbruchsfreiheit von gültigen Fahrwegen dennoch gewährleisten
zu können, wird als vollwertiger Ersatz ein Plausibilisierungsprinzip hergeleitet
(siehe nachfolgender Punkt F).
C - Abstraktion der Art der Gleisfreimeldung/Positionsmeldung
[0030] Die Art der Gleisfreimeldung (herkömmlich mit Achszählern und Gleisstromkreisen oder
mit ideal zuverlässigen, sicheren Positionsmeldungen aller möglichen sich in Gleisnähe
befindlichen Objekte und Menschen) wird abstrahiert modelliert, so dass die neue Streckensicherungslogik
entsprechend der vorliegenden Gleisfreimeldetechnik (lokal unterschiedlich, je nach
Ausbauphase, Bedarf) konservativer oder progressiver handeln kann. Den Fahrwegelementinstanzen
liegt die Information abstrahiert und normiert, also unabhängig von der konkreten
Art der im Gleis realisierten Gleisfreimeldung, vor:
- a) Einfache Freimeldeinformation: {frei | belegt | gestört}
- b) Gerichtete Freimeldeinformation: {keine Information | Richtung1 | Richtung 2 |
beide}
- c) Geometrische Freimeldeinformation: {keine Information | Belegte Länge ab Strang
x | Belegte Länge bis Strang x} , je nach Fahrwegelement gibt es üblicherweise 2 bis
4 Stränge
[0031] Mit den herkömmlichen Mitteln kann z.B. nur die grundlegende Freimeldeinformation
frei/belegt/gestört bereitgestellt werden, für die gerichtete und geometrische Freimeldeinformation
gilt hier keine Information. Mit jeder vorliegenden höherwertigen Freimeldeinformation
können die niederwertigen Freimeldeinformationen nachgebildet werden. Liegt eine höherwertige
Freimeldeinformation nicht vor, so gilt für diese {keine Information}.
[0032] Je detaillierter Positionsmeldungen zuverlässig zur Verfügung stehen, desto feiner
granular (optimaler bzgl. der Kapazität) kann die neue zugorientierte Streckensicherungslogik
die Überwachung bearbeiten. Solange eine einfache Freimeldeinformation sicher vorliegt,
wird diese v.a. beim Freimelden auch direkt genutzt, da sie je nach Häufigkeit der
Positionsmeldungen eventuell früher vorliegen kann.
D - Nur eine Streckensicherungslogik
[0033] Die neue zugorientierte Streckensicherungslogik wird ohne eine Auftrennung in einen
"Stellwerk"- und "RBC"-Teil realisiert. Die für die Interoperabilität erforderlichen
Schnittstellen zu den On-Board-Units (OBUs) und damit zu den Zügen, d.h. das Protokoll
Euroradio und die Telegramminhalte und Verfahren gemäss ETCS-Spezifikationen, werden
kompatibel weiter geführt bzw. die Informationen der Züge über diese Schnittstelle
werden konsequent genutzt.
[0034] Die für die Aussenanlagen erforderlichen Schnittstellen zu Weichen, Bahnübergängen,
Gleisfreimeldetechniken (entweder Ader-Schnittstellen bei Altstellwerken ab Kabelabschlussgestell
oder RaSTA mit standardisierten Schnittstellen-Protokollen bei elektronischen Stellwerken)
werden kompatibel weiter geführt oder abwärtskompatibel ergänzt.
E - Reduktion des SIL 4 Anteils
[0035] Die Schnittstelle von und zur Leittechnik wird grundlegend verändert, da Fahrstrasseninstanzen
nicht mehr existieren. Aufgaben, welche nur steuernden Charakter haben, werden an
die Leittechnik ausgelagert, da sie alleine noch nicht sicherheitsrelevant sind.
[0036] In der neuen zugorientierten Streckensicherungslogik werden nur diejenigen Anteile
angeordnet, die zwingend SIL 4 sein müssen. Der Anteil SIL 4 wird alleine aus diesem
Aspekt heraus bereits stark reduziert.
[0037] Die Anteile in der Leittechnik, welche in einem engen Zusammenhang mit sicherheitsrelevanten
Funktionen in der neuen zugorientierten Streckensicherungslogik stehen, werden weiterhin
in etwa SIL 2 bezüglich der Verfahrenssicherheit erfüllen müssen. Auch dieser Anteil
kann aber kompakt gestaltet und reduziert werden. Eine Entflechtung von SIL2 und SIL0
Anteilen kann hierbei erzielt werden. Insgesamt ist dies schematisch in Figur 1 veranschaulicht.
F - Stark vereinfachte Streckensicherungslogik
[0038] Die modellierten Fahrwegelemente erhalten ihre Reservierungsaufträge mit den erforderlichen
Parametern Zugnummer, OBU ID, Orientierung (Richtung 1, 2), Lage (links, rechts) bei
Weichen, Kreuzungen, reservierte Länge (ab/bis Position), Sollgeschwindigkeit, ggf.
weitere Parameter, direkt von der Leittechnik.
[0039] In Figur 3 wird basierend darauf der grundsätzliche Ablauf für Reservierungsaufträge
und für die Plausibilisierung des Starts bzw. eines weiteren Fahrwegelements während
einer bereits bestehenden Fahrt dargestellt. Weitere Fahrwegverlängerungen gehen aus
der Rekursion der anschliessend hergeleiteten Prinzipien für die Plausibilisierung
und die Schutzräume hervor.
[0040] Voraussetzung für das in Figur 3 dargestellte Szenario sind die folgenden Punkte:
- a) Anmeldung des betreffenden Zuges via interoperable ETCS-Schnittstelle von der OBU
in der zugorientierten Streckensicherungslogik und Zuordnung zu einer entsprechenden
Zuginstanz
- b) Meldungen der Zuginstanz in der zugorientierten Streckensicherungslogik an die
Leittechnik über die Anmeldung inkl. Movement Authority-Request, kurz MA-Request
- c) Ermittlung des Sollfahrweges und ggf. der Sollgeschwindigkeit aus dem fortwährend
optimierten Fahrplan (Produktionsplanung) und weiteren allgemeinen und der momentanen
Situation entsprechenden dispositiven Kriterien und sowie aus der Kenntnis der Topologie
der Station/Strecke heraus.
[0041] Eine Reservierung eines Fahrwegelements wird primär dann als gültig angesehen, wenn
zum Zeitpunkt dieser keinerlei andere Reservierung des betrachteten Fahrwegelements
besteht oder mit anderen Worten keinerlei andere Reservierung von der zugorientierten
Streckensicherungslogik verwaltet wird. Ausnahmeregeln zu dieser Grundregel können
für Spezialfälle definiert werden.
[0042] Für die Plausibilisierung des Fahrwegs werden die Zugnummer (kann bei identischen
OBU ID wechseln), OBU ID, Orientierung, Lage und Länge (ab/bis Position) benötigt.
Die Regeln und das Ergebnis der Plausibilisierung in allgemeiner Form sind aus der
Entscheidungstabelle in Tabelle 1 ersichtlich.
Tabelle 1: Entscheidungstabelle Plausibilisierung Fahrweg; R steht für Regel
Bedingungen B |
R 1 |
R 2 |
R 3 |
R 4 |
R 5 |
R 6 |
R 7 |
B1: Fahrwegelement <UUID_FWE> ist in Richtung <Ri_FWE> und Lage <La_FWE> gültig reserviert |
N |
J |
J |
J |
J |
J |
J |
B2: Länge der Reservierung in dieser Richtung <Ri_FWE> und Lage <La_FWE> gilt bis
ans Ende dieses Fahrwegelements |
- |
N |
J |
J |
J |
J |
J |
B3: In Richtung <Ri_FWE> existiert ein Nachbarfahrwegelement <UUID_NFWE> |
- |
- |
N |
J |
J |
J |
J |
B4: Dieses Nachbarfahrwegelement <UUID_NFWE> ist in einer zum Fahrwegelement passenden
Richtung <Ri_NFWE> und passenden Lage <La_NFWE> gültig reserviert |
- |
- |
- |
N |
J |
J |
J |
B5: Länge der Reservierung in dieser Richtung <Ri_NFWE> und Lage <La_NFWE> gilt vom
Anfang dieses Nachbarfahrwegelements an |
- |
- |
- |
- |
N |
J |
J |
B6: Zugnummer und OBU ID sind für dieses Fahrwegelement und dieses Nachbarfahrwegelement
identisch |
- |
- |
- |
- |
- N |
N |
J |
Ergebnis |
|
|
|
|
|
|
|
A1: Fahrweg im Fahrwegelement <UUID_FWE> ist nicht gültig |
x |
|
|
|
|
|
|
A2: Fahrweg ist nur innerhalb des Fahrwegelements <UUID_FWE> gültig |
|
x |
x |
x |
x |
x |
|
A3: Fahrweg ist vom Fahrwegelement <UUID_FWE> zum Nachbarfahrwegelement <UUID_NFWE>
gültig |
|
|
|
|
|
|
x |
Legende zu Tabelle 1: - FWE: Fahrwegelement
- NFWE: Nachbarfahrwegelement
- <UUID_FWE>, <UUID_NFWE>: universell eindeutige Identifikationsnummer
- <Ri_FWE>, <Ri_NFWE>: Richtung {Ri1 = typischerweise nach rechts, Ri2 = typischerweise
nach links}
- <La_FWE>, <La_NFWE>: Lage {nicht relevant, links, rechts} |
[0043] Hinweis zu Bedingung B4: <Ri_FWE> und <Ri_NFWE> müssen im Allgemeinen identisch sein.
Es ist jedoch aufgrund von einer Gleisschleife oder einem Gleisdreieck (z.B. Zürich
Hardbrücke) an bestimmten Stellen in einem Schienennetz mit einem Richtungssprung
zu rechnen. Daher müssen die beiden Richtungen passend zueinander sein, aber nicht
in jedem Fall identisch. Richtungssprünge müssen im Spurplan hinterlegt werden. Ähnliches
gilt für Sprünge in der Kilometrierung. Erst wenn alle Bedingungen B1 bis B6 und damit
die Regel R7 erfüllt sind, kann es zum Ergebnis A3 kommen, welches die Gültigkeit
des Fahrwegs vom aktuellen Fahrwegelement bis zum Nachbarfahrwegelement bejaht.
[0044] In Tabelle 2 wird eine FMEA bzgl. der zu betrachtenden Einzelfehlern in den Reservierungsaufträgen
durchgeführt. Die Kombinationen mehrerer Einzelfehler führen ebenfalls zur Offenbarung
von Unstimmigkeiten.
Tabelle 2: FMEA für Plausibilisierung Fahrweg bzgl. Einzelfehler
Reservierung Fahrwegelement |
Reservierung Nachbarfahrwegelement |
Ergebnis |
Regel |
Bemerkung |
G3 (Zug A, OBU ID A, Ri1, bis Ende) |
W9 (Zug A, OBU ID A, Ri1, links, ab Anfang) |
A3 |
R7 |
Ok |
W9 (Zug A, OBU ID C, Ri1, |
A2 |
R6 |
Falsche OBU ID |
|
links, ab Anfang) |
|
|
übertragen |
W9 (Zug F, OBU ID A, Ri1, links, ab Anfang) |
A2 |
R6 |
Falsche Zugnummer übertragen |
W9 (Zug A, OBU ID A, Ri1, links, ab 50m nach Anfang) |
A2 |
R5 |
Position um 50m versetzt übertragen, Lücke, daher nicht plausibel |
W9 (Zug A, OBU ID A, Ri1, links, vor Anfang) |
A2 |
R5 |
Position ausserhalb von Nachbarfahrwegelement, Überlappung, trotzdem nicht plausibel |
W9 (Zug A, OBU ID A, Ri2, links, ab Anfang) |
A2 |
R4 |
Falsche Richtung übertragen |
W9 (Zug A, OBU ID A, Ri1, rechts, ab Anfang) |
A2 |
R4 |
Falsche Lage übertragen |
G11 (Zug A, OBU ID A, Ri2, bis Ende) |
beliebig |
A2 |
R3 |
Ende der Topologie |
G3 (Zug A, OBU ID A, Ri1, bis 50m vor Ende) |
W9 (Zug A, OBU ID A, Ri1, links, ab Anfang) |
A2 |
R2 |
Position um 50m versetzt übertragen, Lücke, daher nicht plausibel |
G3 (Zug A, OBU ID A, Ri1, nach Ende) |
W9 (Zug A, OBU ID A, Ri1, links, ab Anfang) |
A2 |
R2 |
Position ausserhalb von Fahrwegelement, Überlappung, trotzdem nicht plausibel |
keine Reservierung G3 |
beliebig |
A1 |
R1 |
Fahrwegelement wurde nicht oder es wurde ein ganz anderes Fahrwegelement reserviert |
[0045] Mit dem in Tabelle 1 hergeleiteten Prinzip und den Erkenntnissen aus Tabelle 2 ist
grundsätzlich eine "sichere" Plausibilisierung gültiger Fahrwege möglich (SIL 4 Aufgabe).
Dies erhält umso mehr Bedeutung, da die Steueraufgabe, wann und wo ein Zug/eine Rangierbewegung
durchfahren soll, aus der Streckensicherungslogik ausgelagert wird (SIL 0 Aufgabe).
"Sicher" formulierte Fahrstrasseninstanzen gemäss dem Stand der Technik sind damit
nicht mehr erforderlich.
[0046] Für den Start wird zusätzlich noch eine weitere Plausibilisierung ausgewertet, welche
jedoch von der Qualität der Gleisfreimeldeinformation und einer gültigen Positionsmeldung
abhängt (siehe auch Punkt C). Die Regeln und das Ergebnis der Plausibilisierung in
allgemeiner Form sind aus der Entscheidungstabelle in Tabelle 3 ersichtlich.
Tabelle 3: Entscheidungstabelle Plausibilisierung Start; R steht für Regel
Bedingungen |
R 1 |
R 2 |
R 3 |
R 4 |
R 5 |
R 6 |
R 7 |
B1: Fahrwegelement <UUID_FWE> ist in Richtung <Ri_FWE> und Lage <La_FWE> gültig reserviert |
N |
J |
J |
J |
J |
J |
J |
B2: Für dieses Fahrwegelement als Nachbarfahrwegelement sind die Bedingungen gemäss
"Wahrheitstabelle Plausibilisierung Fahrweg" Regel R7 nicht erfüllt |
- |
N |
J |
J |
J |
J |
J |
B3: Für dieses Fahrwegelement ist die Einfache Freimeldeinformation gleich {belegt,
gestört} |
- |
- |
N |
J |
J |
J |
J |
B4: Für dieses Fahrwegelement ist die Geometrische Freimeldeinformation ungleich {keine
Information} |
- |
- |
- |
N |
J |
J |
J |
B5: Zugnummer und OBU ID für dieses Fahrwegelement sind auch die Quelle der Geometrischen
Freimeldeinformation (Positionsmeldung des Zuges) |
- |
- |
- |
- |
N |
J |
J |
B6: Geometrische Freimeldeinformation enthält die Position des Zuges mit Zugnummer
und OBU ID in der führenden Position für <Ri_FWE> |
- |
- |
- |
- |
- |
N |
J |
Ergebnis |
|
|
|
|
|
|
|
A1: Fahrwegelement <UUID_FWE> ist als Start nicht gültig |
x |
x |
x |
|
|
|
|
A2: Fahrwegelement <UUID_FWE> ist als Start im Mode SR gültig (TAF) |
|
|
|
x |
x |
x |
|
A3: Fahrwegelement <UUID_FWE> ist als Start im Mode OS/FS gültig |
|
|
|
|
|
|
x |
[0047] Die gerichtete Freimeldeinformation ist für die Plausibilisierung Start nicht relevant,
da hier alle Werte möglich sind, insbesondere auch wenn der Richtungs-Wert der Richtung
<Ri_FWE> nicht entspricht (Wendefahrt).
[0048] Die Positionsmeldung des Zuges geht nur dann in die geometrische Freimeldeinformation
ein, wenn diese Positionsmeldung hinreichenden Kriterien genügt.
[0049] Für den optimalen Schutzraum wird primär der Parameter Sollgeschwindigkeit benötigt.
Kann der Schutzraum seitlich nicht den zugrundeliegenden Regeln (Risikofunktion, ggf.
Formeln, etc.) entsprechend erzielt werden, wird die Geschwindigkeit reduziert. Kann
der Schutzraum vorne nicht den Regeln (Risikofunktion, ggf. Formeln, etc.) entsprechend
erzielt werden, wird die Geschwindigkeit reduziert oder die fehlende Länge von der
reservierten Fahrweglänge abgezogen.
[0050] Diese Regeln können nach dem Ansatz einer herkömmlichen Sicherungslogik wie auch
durch den Ansatz einer möglichen "risikobasierten, geometrischen" Sicherungslogik
formuliert werden. Gemeinsam soll diesen Ansätzen sein, dass sie wesentlich einfacher
und möglichst ohne Sonderfälle gegenüber den heutigen Sicherungslogiken (technisch
bedingte Abhängigkeiten, gewachsene und nicht bereinigte Vorschriften und Regelwerke,
etc.) formuliert werden.
[0051] In Figur 4 wird basierend auf dem Ablauf aus Figur 3 der grundsätzliche weitere Ablauf
bis zur Bildung einer gültigen Fahrerlaubnis dargestellt.
[0052] In Figur 5 wird basierend auf dem Ablauf aus Figur 4 die Auswirkung jeweils eines
Überwachungsentfalls im Fahrweg und in einem Schutzraum aufgezeigt.
Weitere Eigenschaften und entsprechendes Verhalten in der zugorientieren Streckensicherungslogik
[0053]
- a) Der Zug fährt gemäss der erteilten MA (und ggf. weiterer Optimierungen ATO, etc.),
deren Status und Ausdehnung auch der Leittechnik gemeldet wird, und aktualisiert regelmässig
und ggf. balisenbezogen seine Position/Geschwindigkeit/Zugintegrität der zugehörigen
Zuginstanz in der Streckensicherungslogik und auch der Leittechnik.
- b) Die Zuginstanz liefert damit auch einen wesentlichen Beitrag zur abstrahierten
Gleisfreimeldeinformation.
- c) Die Streckensicherungslogik kann damit nach Passieren des Zugschlusses die entsprechende
Reservierung der Fahrwegelemente entweder als Ganzes wieder freigeben oder kontinuierlich
für nachfolgende Zuginstanzen freigeben (je nach Qualität der Gleisfreimeldung und
Zugintegrität der vorausfahrenden Zuginstanz). Diese Zustandswechsel werden unverzüglich
auch der Leittechnik übermittelt, sodass diese laufend neue Entscheidungen treffen
kann.
- d) Insbesondere dienen die Positionsmeldungen der Zuginstanzen aus der Streckensicherungslogik
und die zugehörige MA somit als neue Grundlage für die Zugnummernfortschaltung, welche
aktuell noch auf Belegungen von Fahrwegelementinstanzen und Haltstellungen von Signalinstanzen
beruht.
- e) Steuert die Leittechnik für einen Folgezug Fahrwegelemente an, welche durch den
vorausfahrenden Zug belegt sind oder für diesen in derselben Richtung und Lage überwacht
werden, so verlinkt die Streckensicherungslogik die Zuginstanz des Folgezuges mit
der Zuginstanz der vorausfahrenden Zuginstanz. Eine kontinuierliche Überwachung des
Abstandes wird je nach Qualität der Gleisfreimeldeinformation, Positions- und Geschwindigkeitsmeldung
und der Zugintegrität realisiert.
- f) Steuert die Leittechnik für einen bereits verlinkten Folgezug Fahrwegelemente in
einer anderen Lage an, so wird dieser Folgelink aufgelöst. Eine Überwachung für den
Folgezug ist möglich, sobald das stellbare Fahrwegelement die neue Lage einnimmt.
- g) Steuert die Leittechnik (aus dispositiven Gründen, z.B. Vereinigen) für einen Zug
Fahrwegelemente an, welche durch einen entgegenkommenden Zug belegt sind oder für
diesen in der entgegengesetzten Richtung, aber derselben Lage überwacht werden, so
verlinkt die Streckensicherungslogik die Zuginstanz des Gegenzuges mit der Zuginstanz
der gegengerichteten Zuginstanz (als Gegenlink). Eine kontinuierliche Überwachung
des Abstandes wird je nach Qualität der Gleisfreimeldeinformation, Positions- und
Geschwindigkeitsmeldung realisiert.
G - Mischbetrieb ETCS L2 / L3
[0054] Durch den in den Punkten A, B, C, D, E und F formulierten Ansatz ist ein Mischbetrieb
ETCS L2 und L3 realisierbar. Solange ein vorausfahrender Zug seine Zugintegrität sicher
übermittelt und die Art der Gleisfreimeldung ausreichende Qualität aufweist, kann
der Folgezug im ETCS L3 und ggfs. im relativen Bremswegabstand folgen.
H - Betriebliche Ausnahmesituationen, Notbedienungen, etc.
[0055] Auch in einem in Zukunft weiter automatisierten, digitalisierten und optimierten
Betrieb sind betriebliche Ausnahmesituationen und Notbedienungen nicht restlos auszuschliessen.
Folgende Merkmale sind dafür vorgesehen.
- a) Langsamfahrstellen (TSRs) und Sperren, diese sollten jedoch möglichst ähnlich (Abstraktion
als kategorisierte Belegung von differenzierter Qualität) gehandhabt werden, um unterschiedliche
Spezialfunktionen zu vermeiden.
- b) Notbedienungen auf einzelne Fahrwegelemente (Umgehung einer Weiche bzw. deren Flankenschutzes,
eines Gleisabschnittes, etc.). Diese gelten nach heutigen Risikoakzeptanzkriterien
jeweils nur für eine Zug-/Rangierfahrt. Durch derartige Notbedienungen können Besetzte
Einfahrten oder Notzugfahrten gehandhabt werden, wobei auch hier eine Abstraktion
im o.g. Sinne anzustreben ist.
- c) Vereinigen/Trennen/Wenden ist ohne weitere Bedienungen mittels punktgenauer Bestimmung
von Movement Authorities im Mode FS (ETCS Full Supervision) möglich.
I - Beispiel für das neuartige Zusammenwirken von
Fahrwegelement- und Zuginstanzen in einem Betriebsablauf
[0056] In der folgenden Figur 6 ist ein Ausschnitt eines Betriebsablaufes mit Schwerpunkt
Folgefahrten ersichtlich. Es wird aufgezeigt, wie die unter A bis F aufgezeigten Merkmale
in der neuen zugorientierten Streckensicherungslogik wirken.
[0057] Zug A hat einen gültigen Fahrweg Richtung Gleis 400 und Schutzräume und fährt weiter.
Zug B hat einen gültigen Fahrweg bis Weiche 7 (Fahrweg und zusätzlicher Schutzraum
vorne) und hat gerade angehalten.
Zug C folgte ursprünglich Zug B (mit Folgelink), bis die Leittechnik die Weiche 3
in der anderen Lage (links) ansteuern wollte. In diesem Moment wurde der Folgelink
Zug C auf Zug B gelöscht. Nachdem Zug B die Weiche 3 freigegeben hatte, konnte diese
in den Fahrweg für Zug C aufgenommen und der Fahrweg inkl. der notwendigen Schutzräume
weiter verlängert werden. Bei der Verlängerung auf Gleis 3 wird dieses nun für dieselbe
Richtung angesteuert. Dadurch wird der Folgelink Zug C auf Zug A gesetzt. Die kontinuierliche
Abstandskontrolle kommt zum Tragen, da Zug A volle Zugintegrität meldet. Zug C kann
Zug A im relativen Bremswegabstand folgen. Die Leittechnik wird für Zug C auch in
Folge Weiche 9 und Weiche 10 ansteuern und aufgrund derselben Lage und Richtung wird
der Folgelink zu Zug A erhalten bleiben. Wenn Zug A das Gleis 3 endgültig frei gibt,
wird der Link der Zuginstanz A zum Gleis 3 unterbruchsfrei von der Zuginstanz C übernommen.
Zug D hat nur einen gültigen Fahrweg inkl. zusätzlichen Schutzraums vorne bis und
mit Weiche 4. Trotz angeforderter Weiche 5 (auch wenn die Linkslage schon vorhanden
wäre) wird die Überwachung dort verweigert, da Zug D ansonsten in den für Zug C überwachten
seitlichen Schutzraum in der Flanke eindringen würde. Auch Weiche 6 ist angefordert,
kann aber zusätzlich aufgrund der aktuellen Lage, welche nicht der angeforderten Lage
entspricht, noch gar nicht für Zug D überwacht werden.
[0058] Der zusätzliche Schutzraum hinten wird durch das Min Safe Front End, die Zuglänge,
die Zugintegrität und allenfalls einen Sicherheitszuschlag (damit ergibt sich ein
Min Safe Rear End) definiert, dargestellt für Zug A, C und D. Bei fehlender bzw. entfallener
Zugintegrität wird der zusätzliche Schutzraum hinten bis zur nächsten Gleisfreimeldegrenze
als Rückfallebene ausgedehnt, dargestellt für Zug B.
Vorteile Umsetzbarkeit, Migration
[0059] Durch den Wegfall von Signalinstanzen und Fahrstrasseninstanzen im Stellwerk und
in der Leittechnik werden unnötige Datenhaltungen, welche konsistent sein müssen,
vermieden und müssen daher auch nicht geprüft werden und bei Umbauten/Erweiterungen
nicht nachgepflegt und gewartet werden. Der Vergleich der Mengengerüste an einem Beispiel
einer Sicherungsanlage (Sion - Sierre, mit Levelgrenzen zu L0 bzw. L1/LS an beiden
Stellwerkgrenzen) in Tabelle 4 zeigt dies eindrücklich auf.
[0060] Neben diesen Vorteilen in der Sicherungsanlage selbst kann die Sicherungsanlage zudem
vom Infrastrukturbetreiber viel effizienter und einfacher geplant werden (z.B. Planungsaufwände
bei Sicherungsanlagen der SBB bis zum Prozessschritt SIOP-A). Die damit einhergehende
Komplexität entfällt also.
[0061] Erfahrungsgemäss gibt es nämlich oft viele Abklärungen und Korrekturrunden, bis Signalpläne
stabil sind.
[0062] Beide Effekte führen unmittelbar zu direkten Kosteneinsparungen im Engineering der
Sicherungsanlagen und damit auch zu Einsparungen von Folgekosten, die sich durch Verzögerungen,
welche durch diese Arbeiten verursacht werden, ergeben.
[0063] Die in Tabelle 4 in der letzten Spalte aufgeführten EHS und ESS in der Aussenanlage
erfüllen nur noch die Funktion, dass der Lokführer einen definierten Haltepunkt bzw.
Standpunkt erkennt (v.a. im Modus SR bzw. im Störungsfall). In der zugorientierten
Streckensicherungslogik spielt dieser keine essentielle Rolle bezüglich der Sicherungslogik-Funktionalität
mehr bzw. es wird lediglich die Position verwaltet.
Tabelle 4:Vergleich Mengengerüst am Beispiel der Sicherungsanlage Sion - Sierre; SA
steht für Sicherungsanlage
Elementart |
SA bisher L0 bzw. L1/LS |
SA bisher L2 |
SA neu L3, virtuelle Abschnitte |
SA L2/L3 mit neuer zugorientierter Streckensicherungslogik |
Gleisabschnitt |
129 (Stellwerk) |
139 (Stellwerk)
139 (RBC) |
146 (Stellwerk)
146 (RBC) |
139 |
Kreuzung |
1 (Stellwerk) |
1 (Stellwerk)
2 (RBC) |
1 (Stellwerk)
2 (RBC) |
1 |
Weiche / Entgleisungsvorrichtung |
109 (Stellwerk) |
109 (Stellwerk)
109 (RBC) |
109 (Stellwerk)
109 (RBC) |
109 |
Freimeldeabschnitt |
176 |
186 |
186 |
186 |
Block |
4 |
4 |
4 |
4 |
Zwergsignal (ZS) / ETCS-Rangiersignal (ERS) |
142 |
142 |
142 |
0 |
Hauptsignale optisch |
100 |
8 |
8 |
8 |
ETCS-Haltsignal (EHS) bzw. ETCS-Standortsignal (ESS) in der Aussenanlage |
0 |
113 |
155 |
113 |
Start-Ziel-Elemente (Signal, Block) in der Sicherungsanlage |
193 (Stellwerk) |
214 (Stellwerk)
214 (RBC) |
256 (Stellwerk)
256 (RBC) |
8 |
Rangierfahrstrassen (inkl. Kombinationen, ohne Umwege) |
1339 |
1339 |
1339 |
0 |
Zugfahrstrassen (inkl. Kombinationen, ohne Umwege) |
1397 |
2047 |
ca. 3500 |
0 |
Hinweis:
[0064] Bei der Anzahl der Zugfahrstrassen liegt die Annahme zugrunde, dass es pro elementare
Start-Ziel-Kombination nur eine einzige Fahrstrasseninstanz gibt. Diese Annahme ist
beim Stellwerktyp Simis® W CH erfüllt. Bei anderen Stellwerktypen ist die Anzahl höher,
da ggf. für jeden erforderlichen Zugfahrstrassentyp eine separate Fahrstrasseninstanz
benötigt wird. Umwegfahrten sind in Tabelle 4 nicht berücksichtigt, da diese nicht
über separate Fahrstrasseninstanzen gehandhabt werden.
[0065] In der neuen zugorientierten Streckensicherungslogik wird die Komplexität durch den
Wegfall der Fahrstrasseninstanzen, der damit verbundenen fernen Abhängigkeiten und
durch die Auslagerung des steuernden Anteils und Minimierung des Anteils SIL 4 stark
verringert. Dies hat unmittelbar positive Auswirkungen auf die Entwicklung einer derartigen
Streckensicherungslogik inkl. aller dazu notwendigen Arbeitsbereiche.
[0066] Dadurch, dass Funktionalitäten von Stellwerk und RBC nur mehr in einer einzigen Streckensicherungslogik
betrieben werden, entfällt die doppelte Haltung von Daten bzgl. der Gleistopologie
(Fahrwegelemente, Signale) und der Abgleich von Elementinstanzen für den Datenaustausch
über die Schnittstelle. Gleichfalls wird dadurch die Komplexität von Funktionen, welche
eine enge Zusammenarbeit beider Systeme bedingt haben, stark reduziert.
Vorteile Effektivität, Leistung, Kapazität
[0067] Die Streckenausrüstung bzgl. der Qualität der Gleisfreimeldeinformation kann geografisch
selektiv gebaut werden. In Zonen von verdichtetem Verkehr kann eine höhere Qualität
verbaut werden, als in Zonen mit geringem Verkehrsaufkommen. Genauso kann die für
eine präzisere Positionsmeldung auf den Fahrzeugen verbaute Ausrüstung selektiv verbaut
werden. Bei S-Bahn-Verkehr in dicht befahrenen Zonen werden z.B. alle Züge mit Überwachung
der Zugintegrität und Ausrüstung für präzisere Positionsmeldung ausgerüstet.
[0068] Durch die abstrahierte Gleisfreimeldeinformation mit hoher Qualität und durch den
Wegfall der fixen Fahrstrassenabschnitte aufgrund der Signale kann ein Betrieb im
ETCS L3 bis hin zum Fahren im relativen Bremswegabstand realisiert werden. Dadurch
kann der Durchsatz an neuralgischen Punkten entscheidend erhöht werden. Fahren unter
Full Supervision (FS) in ein noch besetztes Gleis durch einen bereits ausfahrenden
Zug wird damit ermöglicht. Im Vergleich dazu kann mit einem Betrieb im L2 in der heutigen
Ausprägung eine derartige Fahrt ausschliesslich unter On-Sight (OS) durchgeführt werden,
was unweigerlich zu unerwünschten Verzögerungen führt. Selbst mit optischer Signalisierung
war das bereits effizient, jedoch mit mehr Restrisiko, mittels einer Besetzten Folgefahrt
möglich.
[0069] Darüber hinaus wird die Effektivität für jeden Betriebsfall erreicht. Im Gegensatz
zu einem Streckenlayout mit "geplant optimierten" Fahrstrassenabschnitten, bei dem
unweigerlich in der Realität Abweichungen gegenüber dem Plan entstehen (unerwartetes
Beschleunigungs- oder Bremsverhalten, betrieblich wechselnde Verhältnisse), welche
nicht mehr oder nur schlecht ausgeglichen werden können, kann in jeder Situation dynamisch
reagiert werden und das dafür mögliche Optimum herausgeholt werden.
[0070] Es kann nämlich bereits bei jeder Positionsmeldung reagiert werden und nicht erst
dann, wenn eine Positionsmeldung derart gemeldet wird, dass damit ein örtlich festgelegter
Fahrstrassenabschnitt (real oder virtuell) als wieder frei bewertet wird. Die zeitliche
Diskretisierung der Positionsmeldung und eine damit nicht korrespondierende örtliche
Diskretisierung führen nämlich bisher zu zusätzlichen Verzögerungen im gesamten Steuerungsablauf.
Durch die Eliminierung der örtlichen Diskretisierung in Fahrstrassenabschnitte entfallen
derartige Verzögerungen ersatzlos.
Vorteile Umsetzbarkeit, Migration
[0071] Die Einführung der neuen zugorientierten Streckensicherungslogik wird von der Einführung
von neuen (streckenseitigen) Lokalisierungstechniken und von der Aufrüstung der Fahrzeuge
für die L3-Fähigkeit (Zugintegrität, fahrzeugseitige Lokalisierungstechniken) entkoppelt.
Durch die Beschränkung des Lösungsansatzes auf die Streckensicherungslogik und die
Leittechnik ist eine interoperable Migration mit diversen Fahrzeugen, welche zumindest
L2-fähig sind, möglich. Dies ist zum Beispiel in der Schweiz auf dem Schienennetz
der SBB gegeben.
[0072] Eine spätere Aufrüstung präziserer Lokalisierungstechniken sowie Fahrzeugausrüstungen
bedingt keine Anpassungen an der neuen zugorientierten Streckensicherungslogik. Sie
wirkt dann ggfs. einfach effektiver.
[0073] Durch die Abstraktion der Gleisfreimeldeinformationen ist der Zeitpunkt der Umsetzung
einer Lösung der zugorientierten Streckensicherungslogik unabhängig von der Entwicklung
von intelligenteren Gleisfreimeldetechniken bzw. präziserer Positionsmeldungen. Wenn
diese dann zur Verfügung stehen, können sie durch die optimalere Ausnutzung zu weiteren
Kapazitätssteigerungen genutzt werden.
Abgrenzung zu Alternativen
[0074] Alternativ könnten die Züge selbst noch autarker mit Steuerungsgeräten auf der Strecke
kommunizieren, damit der streckenseitige Anteil der Sicherungsanlage weiter verringert
wird. Die Leittechnik müsste dazu aber streckenseitige Informationen auf die Züge
übermitteln. Dies bedingt aber neue Schnittstellen zu den OBUs, wodurch die Interoperabilität,
insbesondere mit ETCS, gefährdet ist. Ausserdem ist es dann problematisch eine Plausibilisierung
des Fahrwegs sicher durchzuführen, womit ein erfolgreicher Sicherheitsnachweis fraglich
ist.
[0075] Im Nahverkehr wäre das eine gangbare Alternative, in dem z.B. die Streckenkenntnis
statisch auf den Fahrzeugen hinterlegt ist, da es sich jeweils um eine bekannte Topologie
und eine begrenzte, einheitliche und beherrschbare Anzahl von Fahrzeugen in einem
geschlossenen System handelt. Im Fernverkehr treffen jedoch diese Randbedingungen
nicht zu.