[0001] Die Erfindung betrifft ein Verfahren zur Schätzung eines Netzzustands eines Energieverteilungsnetzes
nach dem Oberbegriff des Anspruchs 1 sowie eine zentrale Rechneranordnung nach dem
Oberbegriff des Anspruchs 8 und ein Computerprogrammprodukt nach dem Anspruch 15.
[0002] Aus der Produktbroschüre "
Intelligent control center technology - Spectrum Power", Siemens AG 2017, Article-No.
EMDG-B90019-00-7600, ist eine Software für ein sog. "Supervisory Control and Data Acquisition (SCADA)"
System, also eine Leitstelle, bekannt. SCADA Systeme sind zur Kontrolle und Steuerung
von Energienetzen lange bekannt (Wikipedia permanenter link:
https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=SCADA&oldid=858433 181). Dabei werden Messwerte
von Sensoren, beispielsweise von Spannungsmessgeräten und Strommessgeräten im Energienetz,
aggregiert und zur Leistelle übermittelt. Zur Steuerung von Leistungsschaltern und
Trennschaltern im Energienetz sowie zur Ansteuerung von Energieerzeugern wie Kraftwerken
werden Steuerbefehle ins Energienetz gesendet. Diese Steuerbefehle werden von "Remote
Terminal Units" (RTUs), "programmable logic controllers" (PLCs) und "intelligent devices"
(IEDs) empfangen und verarbeitet, um die Leistungsschalter und die Trennschalter usw.
anzusteuern. In der Leistelle ist bisher häufig ein lokales Rechenzentrum vorgesehen,
auf dem die Leitstellensoftware wie z.B. Sprectrum Power läuft. Es werden rund um
die Uhr Techniker in der Leitstelle bereitgehalten, die die Anzeigen des SCADA über
den aktuellen Betriebszustand des Energienetzes kontrollieren und im Fehlerfall Gegenmaßnahmen
wie z.B. die Abschaltung eines Netzabschnitts durchführen können. Die Leistellensoftware
wird in der Regel in einer zentralen Rechneranordnung betrieben, die beispielsweise
als ein Rechenzentrum mit Prozessoren, Datenspeichern und Bildschirmen ausgebildet
sein kann. Der Begriff "zentral" zielt dabei darauf ab, dass alle Messdaten aus dem
Energienetz und alle Steuerbefehle für das Energienetz zentral verarbeitet werden.
[0003] Auch eine teilweise oder vollständige Ausbildung der RechnerAnordnung bzw. der Leitstellensoftware
als eine Cloud-Applikation, also eine Serveranordnung mit dezentral verteilten Ressourcen
zur Datenverarbeitung und Datenspeicherung, die über ein Datennetzwerk wie z.B. das
Internet verbunden sind, kann vorgenommen werden.
[0004] Als Begleiterscheinung einer immer weiteren Verbreitung von verteilter Energieerzeugung,
also beispielsweise durch Photovoltaik-Anlagen oder Windkraftanlagen, wird durch die
immer zahlreicheren lokalen Energieerzeuger, die in das Nieder- und Mittelspannungsnetz
einspeisen, eine Vorhersage eines Systemzustands des Energienetzes erschwert. Auch
die Abhängigkeit von Wettereinflüssen steigt, weil z.B. Solarzellen stark von der
Bewölkung und Windkraftanlagen von der Windstärke beeinflusst werden. Diese Probleme
wirken auch auf die nächsthöhere Spannungsebene eines Energieübertragungsnetzes der
Hochspannungsebene zurück, das hierdurch schwieriger zu steuern und vorherzusagen
ist.
[0007] Ausgehend von bekannten Verfahren zur Schätzung eines Netzzustands eines Energieverteilungsnetzes
stellt sich an die Erfindung die Aufgabe, ein Verfahren anzugeben, mit dem vergleichsweise
einfach und schnell ein zukünftiger Systemzustand des Energieverteilungsnetzes geschätzt
werden kann.
[0008] Die Erfindung löst diese Aufgabe durch ein Verfahren gemäß Anspruch 1.
[0009] Ein Netzzustand im Sinne der Erfindung umfasst beispielsweise eine Angabe über den
Spannungsbetrag bzw. eine elektrische Spannung und den Spannungswinkel bzw. Phasenwinkel
an jedem Netzwerkabschnitt. Ein Netzwerkabschnitt wird z.B. auch als "network bus"
im Sinne des "bus-branch"-Modells bezeichnet. Er fungiert als ein Netzmodell-Verbindungspunkt,
an dem modellierte Betriebsmittel des elektrischen Netzes wie Leitungen, Transformatoren,
Verbraucher und Erzeuger elektrischer Energie verknüpft sein können.
[0010] Eine zentrale Rechneranordnung weist beispielsweise Prozessoren, Datenspeicher und
Bildschirme auf. Der Begriff zentral zielt dabei darauf ab, dass alle wesentlichen
Messdaten aus dem Energienetz und alle wesentlichen Steuerbefehle für das Energienetz
zentral verarbeitet werden.
[0011] Messeinrichtungen können beispielsweise Spannungsmessgeräte, Strommessgeräte, Phasenmessgeräte
bzw. "Phasor measurement units (PMUs)", "Remote Terminal Units" oder Intelligente
Stromzähler bzw. "Smart Meter", "Intelligent electrical devices (IEDs)" zur Überwachung
von Schaltern und anderen Betriebsmitteln, Steuereinrichtungen z.B. für Intelligente
Substations oder Schutzgeräte sein. Die Datenübertragung der Messdaten kann dabei
z.B. nach dem IEC 61850 Protokoll oder nach dem Internet-Protokoll erfolgen. Es können
per Powerline-Communication über das Stromnetz, oder per Funk z.B. per LTE (4G) oder
per Kabel wie z.B. Ethernet oder Lichtwellenleiter Daten übertragen werden.
[0012] Die Zustandsschätzungseinrichtung weist mindestens einen Prozessor auf, um komplexe
Berechnungen zur Durchführung des naiven-Bayes-Verfahrens zu ermöglichen. Es kann
auch ein Rechenzentrum oder eine räumlich verteilte Server- und Datenbankarchitektur
wie eine Cloud eingesetzt werden.
[0013] Naive-Bayes-Verfahren sind als Methoden des maschinellen Lernens beispielsweise im
Bereich der Textanalyse eingesetzt worden. Zwar ist es aus "
A Naive Bayes Classification Approach for Short-Term Forecast of a Photovoltaic System"
von Quek et al. 2017, DOI 10.5176/2251-189X_SEES17.5, bekannt, aus lokalen Messwerten wie z.B. Tageszeit, Außentemperatur, Lichtstärke,
Temperatur eines Moduls mit Solarzellen, eine Vorhersage einer zukünftigen Leistung
der PV-Anlage zu treffen. Es ist jedoch bisher im Stand der Technik kein Ansatz bekannt,
ein Naive Bayes Verfahren für eine optimierte Vorhersage eines Systemzustands im elektrischen
Energieverteilungsnetz, insbesondere im Verteilnetz der Niederspannungsebene, durchzuführen.
[0014] Im Gegensatz zu bisherigen Ansätzen zur Vorhersage des Netzzustands, insbesondere
in Verteilnetzen, können mit dem naive Bayes Ansatz vergleichsweise genaue Vorhersagen
erstellt werden, obwohl es häufig zu wenige Messstellen für eine komplette Überwachung
des Netzes gibt und aus Gründen des Aufwands nicht jede im Netz direkt modulierte
Anlage mit einer eigenen Vorhersage erfasst werden kann. Dies spart Zeit und Kosten
ein und ermöglicht es mit der vergleichsweisen genauen Vorhersage, Probleme der Netzstabilität
frühzeitig zu erkennen und damit die Verfügbarkeit des Energienetzes zu verbessern.
[0015] Bei dem bisherigen Ansatz zur Zustandsschätzung mittels dem eingangs beschriebenen
DSPF ergibt sich regelmäßig der Nachteil, dass lokale Vorhersagen nicht für alle Anschlussstellen
an jeden Netzwerkabschnitt zur Verfügung stehen, weil nicht überall geeignete Messeinrichtungen
installiert sind. Darüber hinaus führt eine Aggregation solcher lokalen Vorhersagen
mit entsprechenden großen Fehlerungenauigkeiten dazu, dass auch in einer aggregierten
Netzzustandsschätzung ein vergleichsweise großer Fehler anzunehmen ist.
[0016] Es ist ein wesentlicher Vorteil des erfindungsgemäßen Verfahrens, dass anstatt des
DSPF ein sog. "Distribution system state estimator (DSSE)" eingesetzt wird. Der DSSE
ist ausgebildet, zumindest einige der verfügbaren Systeminformationen wie z.B. statische
Betriebsmitteldaten, lokale Vorhersagen für einen Energieverbrauch und eine Energieerzeugung,
dynamische Topologie-Informationen (d.h. welche Leitungen zwischen den einzelnen Komponenten
aktuell geschaltet sind), dynamische analoge Leistungsmessungen, Spannung- und Stromstärkewerte
sowie Unterschiede in der Genauigkeit verschiedener Messgeräte, zu berücksichtigen.
Aus diesen Informationen kann mittels eines DSSE Verfahrens der wahrscheinlichste
zukünftige Netzzustand geschätzt werden. Dabei ist als Ergebnis der Schätzung eine
Angabe von Spannung und Phasenwinkel an jedem Netzwerkabschnitt zu verstehen.
[0017] In einer bevorzugten Ausführungsform des erfindungsgemäßen Verfahrens wird für das
Energieverteilungsnetz zumindest teilweise ein Niederspannungsnetz verwendet. Dies
ist ein Vorteil, weil die Vorhersage des Netzzustands aufgrund der Vielzahl von Energieverbrauchern
und Erzeugern auf dieser Spannungsebene besonders problematisch ist.
[0018] In einer weiteren bevorzugten Ausführungsform des erfindungsgemäßen Verfahrens werden
für die Vorhersage spezifische Vorhersagen für einzelne Messeinrichtungen berücksichtigt,
die jeweils einen messstellenspezifischen Fehlergrad aufweisen, wobei anhand des jeweiligen
Fehlergrads ein messstellenspezifischer Gewichtungsfaktor derart bestimmt wird, dass
spezifische Vorhersagen umso stärker gewichtet werden, je geringer ihr Fehlergrad
ist. Dies ist ein Vorteil, weil aufgrund von Erfahrungswerten als besonders akkurat
einschätzbare Messstellen stärker berücksichtigt werden können, was die Vorhersagequalität
positiv beeinflusst.
[0019] In einer weiteren bevorzugten Ausführungsform des erfindungsgemäßen Verfahrens werden
die Messeinrichtungen zumindest teilweise in Substations angeordnet. Eine Substation
ist dabei im Sinne der Erfindung ein Unterwerk bzw. eine Ortsnetztransformatorenstation.
Diese Ausführungsform hat den Vorteil, dass die Messungen einer Substation bereits
eine Summe der Einflüsse zahlreicher Verbraucher und Erzeuger elektrischer Energie
angeben, so dass insgesamt mit einem weniger fehlerbehafteten Verfahren zu rechnen
ist als bei einer Berücksichtigung jeder einzelnen Anschlussstelle eines Erzeugers
oder Verbrauchers an einem Netzwerkabschnitt.
[0020] In einer weiteren bevorzugten Ausführungsform des erfindungsgemäßen Verfahrens werden
zusätzlich historische Messdaten und/oder Wetterdaten herangezogen. Dies ist ein Vorteil,
weil häufig bereits eine lange zurückreichende Datensammlung zu einzelnen Messstellen
vorliegt.
[0021] In einer weiteren bevorzugten Ausführungsform des erfindungsgemäßen Verfahrens werden
Messeinrichtungen zumindest teilweise an Einspeisepunkten der Netzwerkabschnitte angeordnet.
[0022] In einer weiteren bevorzugten Ausführungsform des erfindungsgemäßen Verfahrens schätzt
die Vorhersage den Netzzustand mindestens 5 Stunden im Voraus. Dies ist ein Vorteil,
weil 5 Stunden im Voraus genügen, um Gegenmaßnahmen bei anhand der Vorhersagen erkannten
Problemen in Energienetz einzuleiten. In einer Weiterbildung der vorgenannten Ausführungsform
kann die Vorhersage bis zu 24 Stunden im Voraus mit ausreichender Genauigkeit erfolgen.
[0023] In einer weiteren bevorzugten Ausführungsform des erfindungsgemäßen Verfahrens weist
die Vorhersage durchschnittlich höchstens eine Abweichung von 10 % vom später tatsächlich
festgestellten Netzzustand auf. Die Abweichung von durchschnittlich höchstens 10%
ist dabei beispielsweise als ein sog. "mean average percentage error (MAPE)" von 10%
zu verstehen.
[0024] In einer weiteren bevorzugten Ausführungsform des erfindungsgemäßen Verfahrens wird
anhand der Vorhersage eines zukünftigen Netzzustands mittels einer Fehlerkorrektureinrichtung
eine Gegenmaßnahme ausgewählt, um Grenzwertverletzungen zu vermeiden. Beispielsweise
kann ein vorgegebenes Spannungsband von +/- 10% um die vorgesehene Nennspannung mit
einem oberen und einem unteren Grenzwert versehen sein. Über- oder unterschreitet
die vorhergesagte Spannung diese Grenzwerte oder droht gar ein Stromausfall, so muss
entsprechend in der Gegenwart eine Gegenmaßnahme ergriffen werden. Eine Gegenmaßnahme
im Sinne der Erfindung ist beispielsweise eine Reduktion des Verbrauchs eines einzelnen
Verbrauchers oder einer Verbrauchergruppe oder eine Reduktion der Einspeiseleistung
eines Energieerzeugers oder einer Gruppe von Energieerzeugern oder eine Änderung eines
Fahrplans für einen Verbraucher oder Erzeuger elektrischer Energie. Beispielsweise
können entsprechende Steuerbefehle über Sollwerte an ansprechende Betriebsmittel im
Energienetz gesendet werden.
[0025] Ferner stellt sich an die Erfindung, ausgehend von bekannten Verfahren zur Schätzung
eines Netzzustands eines Energieverteilungsnetzes, die Aufgabe, eine zentrale Rechneranordnung
anzugeben, mit der vergleichsweise einfach und schnell ein zukünftiger Systemzustand
des Energieverteilungsnetzes geschätzt werden kann.
[0026] Die Erfindung löst diese Aufgabe durch eine zentrale Rechneranordnung gemäß Anspruch
8. Bevorzugte Ausführungsformen ergeben sich aus den Unteransprüchen 8 bis 14. Es
ergeben sich dabei sinngemäß die gleichen Vorteile wie eingangs für das erfindungsgemäße
Verfahren erläutert.
[0027] Des Weiteren stellt sich an die Erfindung, ausgehend von bekannten Verfahren zur
Schätzung eines Netzzustands eines Energieverteilungsnetzes, die Aufgabe, ein Computerprogrammprodukt
anzugeben, mit dem vergleichsweise einfach und schnell ein zukünftiger Systemzustand
des Energieverteilungsnetzes geschätzt werden kann.
[0028] Die Erfindung löst diese Aufgabe durch ein Computerprogrammprodukt gemäß Anspruch
15. Es ergeben sich dabei sinngemäß die gleichen Vorteile wie eingangs für das erfindungsgemäße
Verfahren erläutert.
[0029] Zur besseren Erläuterung der Erfindung zeigen in schematischer Darstellung die
- Figur 1
- ein Beispiel für ein Energieverteilungsnetz, und
- Figur 2
- einen Ansatz für ein Naives Bayes-Verfahren, und
- Figur 3
- ein Beispiel für ein erfindungsgemäßes Verfahren.
[0030] Die Figur 1 zeigt ein einfaches Beispiel für ein Energieverteilungsnetz 1. Das Energieverteilungsnetz
1 weist eine Mittelspannungsebene 2 auf, die über eine Substation mit einer Messstelle
8 und einen Transformator 11 mit einer Niederspannungsebene 3 des Verteilnetzes verbunden
ist. Das Verteilnetz 3 weist zwei Abschnitte 6,7 bzw. Zweige auf. Jeder Zweig weist
mehrere Generatoren 12 bzw. Erzeuger von elektrischer Energie auf, die jeweils als
Kreis dargestellt sind. Dabei kann es sich beispielsweise um Windkraftanlagen oder
Photovoltaik-Anlagen handeln. Als Pfeile dargestellt sind elektrische Verbraucher
5, bei denen es sich beispielsweise um Einfamilienhäuser o.Ä. handeln kann. Im Abschnitt
7 ist eine Messstelle 9 in der Verbindungsleitung zum Verteilnetz 3 vorgesehen. Im
Abschnitt 6 ist eine Messstelle 19 in der Verbindungsleitung zum Verteilnetz 3 vorgesehen.
[0031] Durch die zunehmende Einspeisung von Erzeugern erneuerbarer Energie auf der Verteilnetzebene
wird es immer wichtiger, zuverlässige Vorhersagen des Netzzustands treffen zu können.
Nur auf der Basis einer belastbaren Vorhersage kann ein Operator einer Leitstelle
Probleme erkennen und rechtzeitig Gegenmaßnahmen einleiten. Bisher werden dafür zumeist
Vorhersagen für einzelne Betriebsmittel wie z.B. die eingangs genannten Generatoren
12 und Verbraucher 5 erstellt. Diese Informationen werden genutzt, um Leistungsflüsse
im Energienetz zu berechnen. Dieser Ansatz hat mehrere Nachteile:
- Die Einzelvorhersagen der Betriebsmittel 5,12 weisen häufig vergleichsweise hohe Fehler
auf, weil einzelne Betriebsmittel 5,12 naturgemäß stärkeren Schwankungen unterliegen
als aggregierte Betrachtungen - also z.B. die an den Messstellen 8,9,10 gewonnenen
Messdaten.
- Es muss jede Einspeisung vorhergesagt werden.
- Alle Vorhersagen werden unabhängig von der Vorhersagequalität herangezogen, um eine
zusammengefasste Vorhersage zu erstellen.
- Wetterprognosen sind meistens verfügbar für größere Gebiete und nicht punktuell für
Bereiche, an denen einzelne Anlagen installiert sind.
[0032] Im Gegensatz dazu schlägt die Erfindung vor, Vorhersagen für die Messstellen 8,9,10
zu erstellen, an denen bereits eine hohe Aggregation der einzelnen Einflüsse der Lasten
5 und der Generatoren 12 vorliegt. Dies hat den besonderen Vorteil, dass vergleichsweise
kleine Fehler für die Vorhersage gegeben sind. Weil nicht alle Einspeisungen der Generatoren
12 ins Netz bekannt sind, kann eine Leistungsflussberechnung nicht mehr ausreichend
genau durchgeführt werden. Vielmehr muss erfindungsgemäß eine Zustandsschätzung durchgeführt
werden, die das gesamte Energieverteilungsnetzes 1 betrifft.
[0033] Die Genauigkeit der Vorhersagen kann weiter erhöht werden, wenn für die Vorhersage
spezifische Vorhersagen für einzelne Messeinrichtungen berücksichtigt werden, die
jeweils einen messstellenspezifischen Fehlergrad aufweisen,
wobei anhand des jeweiligen Fehlergrads ein messstellenspezifischer Gewichtungsfaktor
derart bestimmt wird, dass spezifische Vorhersagen umso stärker gewichtet werden,
je geringer ihr Fehlergrad ist. Zuverlässigere Schätzungen werden damit höher gewichtet
für die endgültige Vorhersage.
[0034] Die Erfindung schlägt vor, einen sog. Naive-Bayes-Ansatz anzuwenden. Hierfür werden
als Eingangsdaten beispielsweise benötigt:
- Historische Messdaten zur Wirkleistung, die bevorzugt eine vergleichbare zeitliche
Auflösung wie die als Endergebnis bereitzustellende Vorhersage aufweisen; z.B. 15
Minuten oder 1 Stunde. "Historisch" bezeichnet in diesem Zusammenhang längere Messzeiträume
der Erfassung der mit Zeitstempeln versehenen Messdaten, z.B. über Tage, Wochen oder
Monate, wobei insbesondere auch eine Kennzeichnung der Art des Tages (Wochentag, Arbeitstag,
Wochenende, Feiertag, usw.) vorteilhaft ist. Ferner beziehen sich die historischen
Daten zur Wirkleistung auf Netze ohne Korrekturmaßnahmen wie z.B. Abregelung. Sollten
sich die historischen Daten zur Wirkleistung bereits auf "korrigierte" Netze beziehen,
muss bekannt sein, was korrigiert worden ist, um eine entsprechende Umrechnung (Rückkorrektur)
der historischen Daten vorzunehmen.
- Historische und vorhergesagte Wetterdaten: Umgebungstemperatur, Feuchtkugeltemperatur
(die tiefste Temperatur, die sich durch direkte Verdunstungskühlung erreichen lässt),
Taupunkt, relative Luftfeuchtigkeit, Windgeschwindigkeit, Lichtstärke.
- Soweit verfügbar können auch historische und vorhergesagte Marktdaten wie z.B. der
Strompreis usw. eingesetzt werden.
[0035] In Naive Bayes Ansatz wird eine Klassifizierung derart vorgenommen, dass die Wahrscheinlichkeit
des vorhergesagten Wertes ("Forecast") gegeben ist durch die Messdaten ("Predictor",
z.B. Umgebungstemperatur, Feuchtkugeltemperatur, usw.):

[0036] Dabei bezeichnen:
- ForecastedF
- Vorherzusagende Variable: Wirkleistung an der jeweiligen Messstelle.
- Predictor
- Vorhersagevariable, die korreliert ist mit dem vorherzusagendem Wert Wirkleistung.
Es kann sich z.B. um Umgebungstemperatur und/oder Feuchtkugeltemperatur handeln.
- P(Predictor|ForecastedF)
- Abhängige Wahrscheinlichkeit, dass Vorhersagevariable den Wert v annimmt, wenn vorherzusagende
Variable den Wert w aufweist.
- P(ForecastedF)
- Wahrscheinlichkeit, dass die vorherzusagende Variable Wirkleistung den Wert f annimmt.
- P(Predictor)
- Wahrscheinlichkeit, dass die Vorhersagevariable den Wert v annimmt.
[0037] Weiterhin kann im Rahmen des Naive Bayes Klassifizierung das Vorhersagemodel wesentlich
vereinfacht werden. Figur 2 zeigt hierzu, dass die Wirkleistung an einer Last 20 -
links im der Abbildung - bei bisherigen Ansätzen aus einer Vielzahl von einzeln berechneten
Vorhersagevariablen für z.B. vorherige Wirkleistung an der Last, Stunde des Tages,
Verdunstungskühlung, Taupunkt, Temperatur, relative Luftfeuchtigkeit oder Art des
Tages (Wochentag, Wochenende, Feiertag, usw.) berechnet wird. Dies wird dadurch angedeutet,
dass die Pfeile von den einzelnen Vorhersagevariablen zur vorherzusagenden Variable
Wirkleistung 20 zeigen. Dies ist jedoch sehr rechenaufwändig.
[0038] Im Gegensatz dazu ergibt sich - im rechten Teil der Abbildung
- eine Umkehrung der Pfeilrichtung, da im Naive Bayes Ansatz die Vorhersagevariablen
auf die Wirkleistung trainiert werden. Dieses "Umdrehen der Pfeile" bewirkt eine Trennung
der bedingten Wahrscheinlichkeit für jede Vorhersagevariable.
[0039] Zur Anwendung des Naive Bayes Ansatzes können folgende Schritte vorgesehen werden:
- Iteratives Berechnen eines Vektors für die vorgesehenen Klassen,
- In jeder Klasse berechnen von:

- Identifizieren derjenigen Klasse aus dem vorhergehenden Schritt, bei der der höchste
Wert erreicht wird:
Arg max

[0040] Um nun die Wirkleistung vorherzusagen, werden zwei Schritte hintereinander durchgeführt:
- A) Training
- B) Arbeitsschritt
[0041] Im Training (A) können folgende Unterschritte durchgeführt werden:
A1) Sammeln historischer Daten
A2) Aufbereiten der historischen Daten, um z.B. Ausreißer und offensichtliche Fehler
zu entfernen. Es können ferner fehlende Datenpunkte durch Schätzungen ergänzt werden,
um eine lückenlose Zeitreihe zu erhalten.
A3) Ggf. Umwandeln der historischen Daten in diskrete Werte, z.B. mittels eines "equal
bin approach".
A4) Bereitstellen eines Trainingsdatensatzes und eines Evaluationsdatensatzes, jeweils
mit den aufbereiteten historischen Daten.
A5) Berechnen von bedingten Wahrscheinlichkeitstabellen für jedes Paar aus vorherzusagender
Variable (z.B. Wirkleistung an der jeweiligen Messstelle) und Vorhersagevariable,
basierend auf dem Trainingsdatensatz. Bevorzugt werden die Tabellen für jede Art eines
Tages (Arbeitstag, Wochenende, Feiertag, usw.) sowie entsprechend der zeitlichen Auflösung
für jede Tageszeit bestimmt, also z.B. bei gewünschter Vorhersage von einer Stunde
in der Zukunft mit stündlicher Auflösung. A6) Durchführen von Naive Bayes mit dem
Trainingsdatensatz bzw. den Wahrscheinlichkeitstabellen.
A7) Überprüfen der Vorhersagegenauigkeit aus A7 mit dem Evaluationsdatensatz.
A8) Ermitteln des jeweiligen Vorhersagefehlers für jede Vorhersage an einer Messstelle.
Es wird ein messstellenspezifischen Fehlergrad als "mean average percentage error
(MAPE)" berechnet.
[0042] In dem Arbeitsschritt (B) können z.B. folgende Unterschritte durchgeführt werden:
B1) Ggf. Umwandeln der Messdaten von jeder Messstelle in diskrete Werte, z.B. mittels
eines "equal bin approach". Es werden bevorzugt Messdaten des gleichen Zeitpunkts
herangezogen, wobei anhand der verfügbaren zeitlichen Auflösung sowie der gewünschten
Vorhersagegenauigkeit festgelegt werden kann, wie groß das Zeitfenster an Messdaten
ist, das herangezogen werden soll.
B2) Bereitstellen eines Messdatensatzes mit den Messdaten aus Schritt (B1),
B3) Durchführen von Naive Bayes mit dem Messdatensatz und mit den Wahrscheinlichkeitstabellen.
B4) Ermitteln und Abspeichern des wahrscheinlichsten Netzzustands aus Schritt (B3)
für den jeweiligen Zeitpunkt.
[0043] Bei der Nutzung z.B. in einer Zustandsschätzungseinrichtung wie etwa dem eingangs
beschriebenen DSSE können folgende Schritte hinzukommen:
B5) Festlegen eines Zeitpunkts in der Zukunft, an dem die Vorhersage den Netzzustand
angeben soll.
B6) Hinzuziehen von Vorhersagedaten und optional prognostizierten Fahrplänen für Erzeuger
und/oder Verbraucher aus einer Vorhersagedatenbank, die sich jeweils auf die Messstellen
beziehen. Ergänzend können auch Vorhersagedaten zu einzelnen Einspeisepunkten in Netz
herangezogen werden.
B7) Festlegen eines Vorhersagefehlers für die die Vorhersagedaten aus Schritt (B6),
wobei eine Prozentangabe zw. 0% und 100% festgelegt wird. Es gilt für den jeweiligen
Vorhersagefehler w:
W= 1/ Vorhersagefehler mit w =100 für Vorhersagefehler =0.
B8) Durchführen der Zustandsschätzung für den Zeitpunkt in der Zukunft.
B9) Auswertung der Vorhersage für den Netzzustand zu dem zukünftigen Zeitpunkt in
der Art, dass festgestellt wird, ob zulässige Schwellenwerte für elektrische Größen
verletzt werden. Dabei kann es sich beispielsweise um ein vorgegebenes Spannungsband
und/oder einen maximalen Strom handeln. Es kann sich ferner um einen Phasenwinkel
handeln. Diese Überprüfung wird für alle Netzwerkabschnitte, Leitungen und Transformatoren
durchgeführt.
[0044] Die Figur 3 zeigt ein Beispiel für ein erfindungsgemäßes Verfahren. Es werden aus
einer Vorhersagedatenbank 31 für die Messstellen Vorhersagen 34 entnommen, die insbesondere
Gewichtungsfaktoren entsprechend der Vorhersagefehler aus Schritt B(7) aufweisen.
Ferner werden Netzwerkdaten 32 zur Topologie und elektrischen Eigenschaften des Netzes
und der Betriebsmittel abgerufen. Auch geplante Schalthandlungen 33 werden mit einbezogen.
[0045] Mit diesen Eingangsdaten wird in einer Zustandsschätzungseinrichtung 30 die Schätzung
durchgeführt und eine Vorhersage eines zukünftigen Netzzustands 38 bereitgestellt.
[0046] Optional können auch Vorhersagen für Fahrpläne 36 und Lastvorhersagen 37 berücksichtigt
werden.
1. Verfahren zur Schätzung eines Netzzustands eines elektrischen Energieverteilungsnetzes
(1) mit einer Vielzahl von Netzwerkabschnitten (6,7), bei dem
mittels einer zentralen Rechneranordnung (30,31,32,33,34,36,36,37) Messwerte von Messeinrichtungen
(8,9,10) empfangen werden,
dadurch gekennzeichnet, dass
mittels einer Zustandsschätzungseinrichtung (30) eine Vorhersage eines zukünftigen
Netzzustands (38) durchgeführt wird, wobei jeweils eine elektrische Spannung und ein
Phasenwinkel für jeden Netzwerkabschnitt (6,7) ermittelt werden,
und dass
bei der Vorhersage ein naives Bayes-Verfahren eingesetzt wird.
2. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass für das Energieverteilungsnetz (1) zumindest teilweise ein Niederspannungsnetz (3)
verwendet wird.
3. Verfahren nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass für die Vorhersage spezifische Vorhersagen für einzelne Messeinrichtungen (8,9,10)
berücksichtigt werden, die jeweils einen messstellenspezifischen Fehlergrad aufweisen,
wobei anhand des jeweiligen Fehlergrads ein messstellenspezifischer Gewichtungsfaktor
derart bestimmt wird, dass spezifische Vorhersagen umso stärker gewichtet werden,
je geringer ihr Fehlergrad ist.
4. Verfahren nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Messeinrichtungen (8) zumindest teilweise in Substations angeordnet werden.
5. Verfahren nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Messeinrichtungen (9,10) zumindest teilweise ein Einspeisepunkten der Netzwerkabschnitte
(6,7) angeordnet werden.
6. Verfahren nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Vorhersage (38) den Netzzustand mindestens 5 Stunden im Voraus schätzt.
7. Verfahren nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Vorhersage (38) durchschnittlich höchstens eine Abweichung von 10 % vom später
tatsächlich festgestellten Netzzustand aufweist.
8. Zentrale Rechneranordnung (30,31,32,33,34,36,36,37) zur Schätzung eines Netzzustands
(38) eines elektrischen Energieverteilungsnetzes (1) mit einer Vielzahl von Netzwerkabschnitten
(6,7), aufweisend:
eine Empfangseinrichtung für Messwerte von Messeinrichtungen (8,9,10) im Energieverteilungsnetz
(1),
dadurch gekennzeichnet, dass
eine Zustandsschätzungseinrichtung (30) ausgebildet ist, eine Vorhersage eines zukünftigen
Netzzustands (38) durchzuführen, wobei jeweils eine elektrische Spannung und ein Phasenwinkel
für jeden Netzwerkabschnitt (6,7) ermittelt werden,
und dass
die Zustandsschätzungseinrichtung (30) ausgebildet ist, bei der Vorhersage ein naives
Bayes-Verfahren einzusetzen.
9. Zentrale Rechneranordnung (30,31,32,33,34,36,36,37) nach Anspruch 8, dadurch gekennzeichnet, dass das Energieverteilungsnetz (1) zumindest teilweise ein Niederspannungsnetz (3) aufweist.
10. Zentrale Rechneranordnung (30,31,32,33,34,36,36,37) nach einem der Ansprüche 8 oder
9, dadurch gekennzeichnet, dass die Zustandsschätzungseinrichtung (30) ausgebildet ist, für die Vorhersage spezifische
Vorhersagen für einzelne Messeinrichtungen zu berücksichtigen, die jeweils einen messstellenspezifischen
Fehlergrad aufweisen,
wobei anhand des jeweiligen Fehlergrads ein messstellenspezifischer Gewichtungsfaktor
derart bestimmt wird, dass spezifische Vorhersagen umso stärker gewichtet werden,
je geringer ihr Fehlergrad ist.
11. Zentrale Rechneranordnung (30,31,32,33,34,36,36,37) nach einem der Ansprüche 8 bis
10, dadurch gekennzeichnet, dass die Messeinrichtungen (8) zumindest teilweise in Substations angeordnet sind.
12. Zentrale Rechneranordnung (30,31,32,33,34,36,36,37) nach einem der Ansprüche 8 bis
11, dadurch gekennzeichnet, dass die Messeinrichtungen (9,10) zumindest teilweise an Einspeisepunkten (6,7) der Netzwerkabschnitte
angeordnet sind.
13. Zentrale Rechneranordnung (30,31,32,33,34,36,36,37) nach einem der Ansprüche 8 bis
12, dadurch gekennzeichnet, dass die Zustandsschätzungseinrichtung (30) ausgebildet ist, durch die Vorhersage (38)
den Netzzustand (38) mindestens 5 Stunden im Voraus zu schätzen.
14. Zentrale Rechneranordnung (30,31,32,33,34,36,36,37) nach einem der Ansprüche 8 bis
13, dadurch gekennzeichnet, dass die Zustandsschätzungseinrichtung (30) ausgebildet ist, die Vorhersage (38) mit einer
Abweichung von durchschnittlich höchstens 10 % vom später tatsächlich festgestellten
Netzzustand zu bestimmen.
15. Computerprogrammprodukt, das auf einem dauerhaften Datenspeichermedium speicherbar
ist und bei Ausführung auf einem Computer ein Verfahren gemäß einem der Ansprüche
1 bis 7 durchführt.