[0001] Die Erfindung betrifft ein Verfahren zum Betrieb eines binauralen Hörvorrichtungssystems.
Außerdem betrifft die Erfindung ein solches binaurales Hörvorrichtungssystem.
[0002] Hörvorrichtungen dienen üblicherweise zur Ausgabe eines Tonsignals an das Gehör des
Trägers dieser Hörvorrichtung. Die Ausgabe erfolgt dabei mittels eines Ausgabewandlers,
meist auf akustischem Weg über Luftschall mittels eines Lautsprechers (auch als "Hörer"
oder "Receiver" bezeichnet). Häufig kommen derartige Hörvorrichtungen dabei als sogenannte
Hörhilfegeräte (auch kurz: Hörgeräte) zum Einsatz. Dazu umfassen die Hörvorrichtungen
normalerweise einen akustischen Eingangswandler (insbesondere ein Mikrofon) und einen
Signalprozessor, der dazu eingerichtet ist, das von dem Eingangswandler aus dem Umgebungsschall
erzeugte Eingangssignal (auch: Mikrofonsignal) unter Anwendung mindestens eines üblicherweise
nutzerspezifisch hinterlegten Signalverarbeitungsalgorithmus derart zu verarbeiten,
dass eine Hörminderung des Trägers der Hörvorrichtung zumindest teilweise kompensiert
wird. Insbesondere im Fall eines Hörhilfegeräts kann es sich bei dem Ausgabewandler
neben einem Lautsprecher auch alternativ um einen sogenannten Knochenleitungshörer
oder ein Cochlea-Implantat handeln, die zur mechanischen oder elektrischen Einkopplung
des Tonsignals in das Gehör des Trägers eingerichtet sind. Unter dem Begriff Hörvorrichtungen
fallen zusätzlich insbesondere auch Geräte wie z.B. sogenannte Tinnitus-Masker, Headsets,
Kopfhörer und dergleichen.
[0003] Typische Bauformen von Hörvorrichtungen, insbesondere Hörgeräten, sind Hinter-dem-Ohr-
("BTE"-) und In-dem-Ohr- ("IdO"- oder "ITE"-) Hörvorrichtungen. Diese Bezeichnungen
zielen auf die bestimmungsgemäße Trageposition ab. So weisen Hinter-dem-Ohr-Hörvorrichtungen
ein (Haupt-) Gehäuse auf, das hinter der Ohrmuschel getragen wird. Hier kann in Modelle
unterschieden werden, deren Lautsprecher in diesem Gehäuse angeordnet ist. Die Schallausgabe
an das Ohr erfolgt dabei üblicherweise mittels eines Schallschlauchs, der im Gehörgang
getragen wird, sowie in Modelle, die einen externen Lautsprecher, der im Gehörgang
platziert wird, aufweisen. In-dem-Ohr-Hörvorrichtungen weisen hingegen ein Gehäuse
auf, das in der Ohrmuschel oder sogar vollständig im Gehörgang getragen wird.
[0004] Je nach Hörminderung kann auch eine monaurale oder eine binaurale Versorgung in Frage
kommen. Ersteres ist regelmäßig dann der Fall, wenn nur ein Ohr eine Hörmindung aufweist.
Letzteres meist dann, wenn beide Ohren eine Hörminderung aufweisen. Bei einer binauralen
Versorgung erfolgt ein Datenaustausch zwischen den beiden, den Ohren des Nutzers zugeordneten
Hörvorrichtungen, um mehr akustische Informationen zur Verfügung zu haben und so das
Hörerlebnis für den Nutzer noch angenehmer, vorzugsweise realistischer gestalten zu
können.
[0005] Außerdem kommt häufig ein sogenannter Klassifikator zum Einsatz, der bestimmte Hörsituationen
- bspw. ein Gespräch in Ruhe, ein Gespräch mit Störgeräusch, Musik, Ruhe, Autofahren
und dergleichen - erkennt, meist mittels Mustererkennung, künstlicher Intelligenz
und dergleichen, erkennen soll. Auf Basis dieser Hörsituationen kann die Signalverarbeitung
angepasst werden, um das Hörerlebnis der jeweiligen Hörsituation zu verbessern. So
kann bspw. bei Gesprächen mit Störgeräuschen eine vergleichsweise schmale Richtwirkung
vorgegeben und eine Rauschunterdrückung eingesetzt werden. Dies ist allerdings für
Musik weniger zweckmäßig, da hier eine möglichst breite Richtwirkung oder Omnidirektionalität,
sowie auch eine geringe oder deaktivierte Rauschunterdrückung von Vorteil sind, um
möglichst wenig "akustische Information" zu "verlieren".
[0006] Insbesondere im Fall von Musik kann aber eine Fehlinterpretation des Klassifikators
- nämlich, wenn zwar Musik vorhanden ist, der Nutzer aber dieser gar nicht zuhört
oder zuhören möchte - die Einstellung zur Verbesserung des Musikhörens negative Auswirkungen
auf das Sprachverständnis und dergleichen haben.
[0007] War bei klassischen Hörgeräten von sogenannten "Hörprogrammen" die Rede, die vergleichsweise
fest vorgegebene Parametersätze aufweisen, wird bei modernen Hörgeräten meist eine
schrittweise Verstellung der einzelnen Parameter angewendet, um Zwischenstufen zwischen
zwei Hörsituationen, ein sanftes Überblenden zwischen verschiedenen Einstellungen
oder dergleichen zu ermöglichen.
[0008] Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, den Nutzungskomfort eines Hörvorrichtungssystem
weiter zu verbessern.
[0009] Diese Aufgabe wird erfindungsgemäß gelöst durch ein Verfahren mit den Merkmalen des
Anspruchs 1. Des Weiteren wird diese Aufgabe erfindungsgemäß gelöst durch ein Hörvorrichtungssystem
mit den Merkmalen des Anspruchs 11. Vorteilhafte und teils für sich erfinderische
Ausführungsformen und Weiterentwicklungen der Erfindung sind in den Unteransprüchen
und der nachfolgenden Beschreibung dargelegt.
[0010] Das erfindungsgemäße Verfahren dient zum Betrieb eines binauralen Hörvorrichtungssystems.
Letzteres weist eine einem linken Ohr und eine einem rechten Ohr eines Nutzers (im
bestimmungsgemäßen Betrieb) zugeordnete oder zuzuordnende Hörvorrichtung auf. Jede
der Hörvorrichtungen weist wiederum jeweils wenigstens ein Mikrofon auf. Im Rahmen
des Verfahrens (d. h. insbesondere im bestimmungsgemäßen Betrieb) werden mittels der
beiden Hörvorrichtungen akustische Informationen erhoben und die akustischen Informationen
(insbesondere in Form von Umgebungsgeräuschen, vorzugsweise in Form von die Umgebungsgeräusche
darstellenden elektronischen Signalen) dahingehend ausgewertet, ob diese Musik enthalten.
Außerdem wird ermittelt, ob für die Musik (d. h. wenn das Vorliegen von Musik erkannt
wird) zwei (insbesondere räumlich getrennte) Quellen detektiert werden können. Ferner
wird ein Raumwinkelbereich in Bezug auf eine Blickrichtung des Nutzers ermittelt,
in dem die jeweilige Quelle der Musik positioniert ist. Für den Fall, dass der jeweilige
Raumwinkelbereich der beiden Quellen der Musik in einem in Bezug auf die Blickrichtung
vorderen Halbraum liegt, wird eine Wahrscheinlichkeit (insbesondere ein Wahrscheinlichkeitswert)
erhöht, dass eine Situation bewussten Musikhörens des Nutzers vorliegt, und bei Überschreiten
eines vorgegebenen Wahrscheinlichkeitsgrenzwerts (also für den Fall des bewussten
Musikhörens) eine Signalverarbeitung für beide Hörvorrichtungen hinsichtlich einer
möglichst natürlichen Wiedergabe der Musik angepasst.
[0011] Die "Blickrichtung" des Nutzers bezeichnet hier und im Folgenden insbesondere die
Richtung, in die der Kopf des Nutzers gerichtet ist, unabhängig von der tatsächlichen
Blickrichtung der Augen. In Bezug auf das medizinische Verständnis der Körperrichtungen
bezeichnet die "Blickrichtung" hier im Folgenden also insbesondere eine auch mit "rostral"
(gegebenenfalls auch mit "nasal") bezeichnete (Kopf-) Richtung. Diese Bezeichnung
beruht darauf, dass die beiden Hörvorrichtungen des binauralen Hörvorrichtungssystems
im bestimmungsgemäßen Betrieb (im Rahmen der anatomischen Möglichkeiten) näherungsweise
symmetrisch am Kopf getragen werden, wobei die Blickrichtung üblicherweise einer für
die Signalverarbeitung als 0-Grad-Richtung des Hörvorrichtungssystems herangezogenen
Richtung entspricht.
[0012] Unter "Raumwinkelbereich" wird hier und im Folgenden insbesondere ein vergleichsweise
kleinwinkeliger Bereich, vorzugsweise kegelartig geöffnet und ausgehend vom Gesicht
des Nutzers und/oder der jeweiligen Hörvorrichtung, verstanden. Als "Bereich" trägt
dieser dem Umstand Rechnung, dass eine räumliche Lokalisation einer Quelle regelmäßig
mit vergleichsweise hohen Toleranzen verbunden ist, so dass eine exakte Positionsangabe
meist nicht möglich ist. Gleichwohl deckt der Begriff "Raumwinkelbereich" auch einen
Vektor ab, der auf die lokalisierte Quelle weist.
[0013] Der vorstehend bezeichnete "vordere Halbraum" wird hier und im Folgenden insbesondere
als der Raum verstanden, der von einer Frontalebene des Kopfs, die vorzugsweise an
den Ohren des Nutzers positioniert ist, rostral aufgespannt wird. Somit ist der vordere
Halbraum derjenige, in den der Nutzer "hineinblickt".
[0014] Unter Anpassung der Signalverarbeitung wird hier und im Folgenden insbesondere eine
Veränderung von Parametern, die die Widergabe von erfassten Tonsignalen (insbesondere
der diese repräsentierenden von dem jeweiligen Mikrofon erfassten Mikrofonsignale
oder aus diesen abgeleiteten Signalen) beeinflussen. Diese Parameter sind dabei beispielsweise
(insbesondere frequenzabhängige) Verstärkungsfaktoren, Einstellungen für eine sogenannte
Kompression, Einstellungen von Filtern (die bspw. zur Rauschunterdrückung dienen)
und dergleichen.
[0015] Insbesondere wird aus der Information, dass für die Musik zwei Quellen im vorderen
Halbraum "geortet", also erkannt werden, der Schluss gezogen oder zumindest eine Wahrscheinlichkeit
dafür erhöht, dass eine Stereo-Darbietung der Musik vorliegt und der Nutzer, da sich
die "Musik-Quellen" im vorderen Halbraum befinden, diesen Stereo-Quellen zugewandt
ist und somit der Musik bewusst zuhört. Somit kann also vorteilhafterweise das Klassifikationsergebnis,
dass Musik vorliegt, dahingehend "verfeinert" werden, dass der Nutzer der Musik (zumindest
mit einer hinreichend hohen Wahrscheinlichkeit) auch bewusst zuhört. Eine Anpassung
der Signalverarbeitung zur besseren Wiedergabe der Musik ist somit unter diesen Voraussetzungen
weniger fehleranfällig, also verlässlicher im Vergleich zur bloßen Erkenntnis, dass
Musik in den Umgebungsgeräuschen vorliegt. Insbesondere kann also ein Risiko, dass
fälschlicherweise die Signalverarbeitung in eine Musikeinstellung wechselt, obwohl
der Nutzer der Musik gar nicht bewusst zuhört, verringert werden. Außerdem wird hierdurch
die Möglichkeit geschaffen, die Signalverarbeitung vergleichsweise stark (oder auch
situationsabhängig unterschiedlich stark oder "aggressiv") für die Wiedergabe von
Musik anzupassen. Dies wird aufgrund der bisher möglichen Fehlinterpretationen bisher
vermieden, um bspw. ein Sprachverständnis des Nutzers nicht zu sehr einzuschränken,
falls trotz der Klassifikation Musik keine Situation bewussten Musikhörens vorliegt.
Die vorstehend beschriebene "Lokalisierung" der Musik-Quellen im vorderen Halbraum
stellt somit ein Kriterium dar, um die Wahrscheinlichkeit für bewusstes Muskhören
zu erhöhen und gegebenenfalls die Signalverarbeitung zur besseren Wiedergabe von Musik
anzupassen.
[0016] Optional wird der Wahrscheinlichkeitsgrenzwert derart vorgegeben, dass bereits die
Anordnung der Musik-Quellen im vorderen Halbraum ausreichend ist, um den Wahrscheinlichkeitsgrenzwert
zu überschreiten.
[0017] In einer zweckmäßigen Verfahrensvariante wird (vorzugsweise zusätzlich) ermittelt,
ob die von den beiden Musik-Quellen ausgehenden akustischen Signale innerhalb eines
für Musik, insbesondere für eine Stereo-Darbietung der Musik, typischen Rahmens, d.
h. insbesondere innerhalb vorgegebener Grenzen, einander unähnlich sind. So enthält
eine Stereo-Darbietung eines Musikstücks regelmäßig auf beiden Stereo-Kanälen einander
vergleichsweise ähnliche Signalanteile aber auch wiederum vergleichsweise unähnliche,
um den Stereoeindruck zu vermitteln. Wird ein solcher Unterschied zwischen den beiden
Musik-Quellen erkannt, wird in dieser optionalen Verfahrensvariante eine besonders
hohe Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer echten Stereo-Darbietung und insbesondere
auch für ein bewusstes Anhören dieser Stereo-Darbietung angenommen (anders ausgedrückt
der vorstehend beschriebene Wahrscheinlichkeitswert weiter erhöht). In diesem Fall
kann die Signalverarbeitung, im Vergleich zum bloßen Vorliegen zweier im vorderen
Halbraum Musik-Quellen, "aggressiver", d. h. mit vergleichsweise stärkeren negativen
Auswirkungen auf ein Sprachverstehen oder dergleichen, auf die (möglichst natürliche)
Wiedergabe von Musik angepasst werden. In einer optionalen Weiterbildung wird die
Signalverarbeitung nur dann zur besseren (also möglichst natürlichen) Wiedergabe der
Musik angepasst, wenn wie vorstehend auf eine Situation mit einer echten Stereo-Darbietung
geschlossen wird. Diese Ermittlung, ob eine echte Stereo-Darbietung vorliegt, stellt
mithin vorzugsweise ein verfeinertes Kriterium zur Anpassung der Signalverarbeitung
dar.
[0018] Beispielsweise wird für die vorstehend beschriebene Detektion der echten Stereo-Darbietung
eine, vorzugsweise frequenzabhängige (d. h. insbesondere auf unterschiedlichen Frequenzbändern
separat durchgeführte), Korrelation (insbesondere ein sogenannter "Stereo-Korrelationskoeffizient")
zwischen den den beiden Musik-Quellen zugeordneten akustischen Signalen ermittelt.
Für diesen (insbesondere den jeweiligen frequenzabhängigen) Stereo-Korrelationskoeffizienten
werden vorzugsweise Grenzen vorgegeben, innerhalb derer dieser Stereo-Korrelationskoeffizient
liegen muss, um auf eine für Stereo typische Unähnlichkeit zu schließen.
[0019] Die vorstehend genannten Grenzen (insbesondere die Ober- und Untergrenzen) für den
(insbesondere den jeweiligen, frequenzabhängigen) Stereo-Korrelationskoeffizienten
werden bevorzugt derart gewählt, dass sie unterhalb von Werten liegen, die für eine
Mono-Darbietung typisch sind, und oberhalb derer für unkorrelierte (oder nur gering
korrelierte) Geräusche. Einerseits könnte eine Mono-Darbietung zwar theoretisch mit
100 Prozent angenommen werden, allerdings werden in einem üblichen Hörumfeld aufgrund
von z. B. Toleranzen der eingesetzten Mikrofone, Umgebungsgeräuschen etc. regelmäßig
geringere Werte des Korrelationskoeffizienten für eine Mono-Darbietung erreicht (bspw.
"nur" 90 Prozent). Andererseits liegen auch Korrelationswerte völlig unkorrelierter
Signale üblicherweise oberhalb von "Null" Prozent, da dieser Wert nur für weißes Rauschen
anzunehmen ist, aber regelmäßig Umgebungsgeräusche (und so auch Musik von nur einer
Musik-Quelle oder "Mono-Musik" von mehreren Musik-Quellen) von allen eingesetzten
Mikrofonen gleichermaßen aufgenommen werden. Beispielsweise werden deshalb die vorstehend
genannten Grenzen so vorgegeben, dass diese einen Bereich zwischen 40 und 90 Prozent,
weiter beispielsweise zwischen 50 und 80 oder sogar nur 70 Prozent (letzteres um einen
hinreichenden Abstand zu einer Mono-Darbietung zu ermöglichen) eingrenzen.
[0020] In einer zweckmäßigen Verfahrensvariante wird (insbesondere im Rahmen eines weiteren
verfeinerten, zur Detektion der echten Stereo-Darbietung zusätzlichen oder auch alternativen
Kriteriums) auf die Situation bewussten Musikhörens des Nutzers geschlossen (oder
zumindest der Wahrscheinlichkeitswert, dass eine solche Situation vorliegt, weiter
erhöht), wenn der jeweilige Raumwinkelbereich der Musik-Quellen in einem Winkelbereich
bis etwa +/- 60 Grad, vorzugsweise bis etwa +/- 45 Grad, zur Blickrichtung liegt.
Eine solche Situation deutet mit vergleichsweise hoher Wahrscheinlichkeit auf ein
bewusstes Hören einer Stereo-Darbietung hin, da insbesondere in Privaträumen die Stereo-Lautsprecher
aufgrund der begrenzten Raumgrenze sich meist in einem derartigen Winkelbereich in
Bezug auf die Position des Zuhörers befinden. Ein Zuhörer wird beim bewussten Stereo-Hören
üblicherweise auch seine Blickrichtung, zumindest die zugeordnete Sagittalebene (oder
insbesondere Medianebene), zumindest grob zwischen die Stereo-Lautsprecher gerichtet
haben.
[0021] In einer weiteren zweckmäßigen Verfahrensvariante weist jede Hörvorrichtung jeweils
zwei Mikrofone auf. In diesem Fall wird der jeweilige Raumwinkelbereich der beiden
Musik-Quellen insbesondere anhand einer Zeitverzögerung eines der Musik zugeordneten
Signals, zweckmäßigerweise zwischen den beiden Mikrofonen einer Hörvorrichtung, ermittelt.
Hierbei wird insbesondere eine "Ankunftsrichtung" oder "Einfallsrichtung" (engl.:
"direction of arrival") bestimmt. Hierzu wird beispielhaft auf
WO 2019 086 435 A1 und
WO 2019 086 439 A1 verwiesen, deren Inhalt hiermit vollumfänglich aufgenommen wird.
[0022] Beispielsweise erfolgt die eingangs beschriebene Erkennung oder Detektion der Musik-Quellen
mittels einer sogenannten (insbesondere "blinden") Quellentrennung. Die Erkennung
der Musik-Quellen, insbesondere der beiden "Stereo-Quellen", erfolgt dabei optional
vor der Ermittlung des zugeordneten Raumwinkelbereichs. Alternativ kann aber auch
zunächst der Raumwinkelbereich bestimmt werden, in dem eine Signalquelle liegt und
erst danach ermittelt werden, ob diese Signalquelle eine Musik-Quelle darstellt. In
letzterem Fall wird also bspw. verschiedenen (insbesondere voneinander separierbaren)
Schallquellen ein Raumwinkelbereich zugeordnet. Die vorstehend beschriebene Quellentrennung,
bspw. anhand von Frequenzbändern, denen eine Quellenart (bspw. Musik, Sprache, Naturgeräusche)
zugeordnet wird, erfolgt dabei optional auch parallel. In einem nachgelagerten Schritt
werden dann die Informationen über die Lokalisation der einzelnen Quellen und über
die Quellenart zusammengeführt. Für den Fall, dass die Quellen anhand eines erhöhten
Pegels in einem bestimmten Segment lokalisiert werden, kann bspw. die Quellenart zugeordnet
werden, indem ermittelt wird, ob die Frequenzen der diesem Pegelwert zugeordneten
Quelle mit den für Musik erkannten Frequenzen hinreichend übereinstimmen, oder auch,
ob der für das Musik-Frequenzband erfasste Pegelwert mit dem der Quelle zugeordneten
Pegelwert hinreichend übereinstimmt. Stimmen die Pegel und/oder Frequenzen überein,
wird ein Wahrscheinlichkeitswert erhöht, dass die ermittelte Quellenart dieser spezifischen
Quelle (und somit auch dem für diese ermittelten Raumwinkelbereich) zuzuordnen ist.
Ist der Wahrscheinlichkeitswert hinreichend hoch (bspw. anhand eines Schwellwertvergleichs),
wird der lokalisierten Quelle die Quellenart (insbesondere also die Quellenart "Musik")
zugeordnet.
[0023] In einer alternativen, optional aber auch zusätzlichen, Verfahrensvariante, in der
jede Hörvorrichtung vorzugsweise ebenfalls zwei Mikrofone aufweist, wird der jeweilige
Raumwinkelbereich der beiden Quellen mittels einer Art Abtastung mittels einer Richtungssensibilität
ermittelt, die insbesondere mittels zweier Mikrofone einer Hörvorrichtung gebildet
wird. Optional wird die Richtungssensibilität durch eine binaurale Kombination beider
Hörvorrichtungen gebildet. In letzterem Fall ist auch von binauraler Richtmikrofonie
die Rede. In diesem Fall kann jede Hörvorrichtung grundsätzlich auch nur ein Mikrofon
aufweisen. Vorzugsweise wird in der vorliegenden Verfahrensvariante der vordere Halbraum
abgetastet. Insbesondere wird im vorliegenden Fall der Raum um den Kopf des Nutzers
der Hörvorrichtung, vorzugsweise der vordere Halbraum, in Sektoren unterteilt. In
jeden dieser Sektoren ist eine Art Richtkeule oder ein "Empfindlichkeitsbereich" des
gebildeten Richtmikrofons gerichtet. Die für die jeweiligen Sektoren erfassten akustischen
Intensitäten (auch "Pegel") werden miteinander verglichen und gegenüber anderen Sektoren
erhöhte Intensitäts- bzw. Pegelwerte als Indikator herangezogen, dass in diesem Sektor
eine Signalquelle angeordnet ist. Durch Interpolation zwischen zwei Sektoren kann
dabei auch eine am Sektorrand oder zwischen zwei Sektoren angeordnete Signalquelle
erfasst, konkret dieser ein Raumwinkelbereich, in dem diese angeordnet ist, zugeordnet
werden.
[0024] In einer weiteren zweckmäßigen Verfahrensvariante werden nur Quellen mit einer vergleichsweise
gerichteten Abstrahlcharakteristik - wie es bspw. bei Lautsprechern der Fall ist -
erkannt. Bspw. werden nur Abstrahlwinkel von etwa 90 Grad für eine Quelle erkannt.
[0025] Zusätzlich oder alternativ werden auch nur Quellen bis zu einer vorgegebenen Entfernung
zum Nutzer, bspw. bis zu 8 oder auch nur bis zu 5 Metern, als (Musik-) Quellen erkannt.
[0026] In einer weiteren zweckmäßigen Verfahrensvariante wird - wie auch bereits in vorstehender
Verfahrensvariante angesprochen - eine binaurale Verarbeitung und Auswertung der mittels
beider Hörvorrichtungen erfassten Informationen hinsichtlich dem Vorhandensein der
Musik sowie des Raumwinkelbereichs der jeweiligen Quelle durchgeführt. Insbesondere
erfolgt also ein Datenaustausch zwischen beiden Hörvorrichtungen. Im Rahmen einer
solchen binauralen Signalverarbeitung werden insbesondere die akustischen Informationen
beider Hörvorrichtungen zusammen weiterverarbeitet, um bspw. im Rahmen binauraler
Richtmikrofonie den räumlichen Informationsgehalt zu erhöhen und gegebenenfalls das
Klangerlebnis noch näher an die reale Hörsituation anzunähern und/oder (insbesondere
unter Nutzung des erhöhten Informationsgehalts) das Sprachverstehen, Rauschunterdrückung
und dergleichen zu verbessern. Im Rahmen der Auswertung werden dabei - insbesondere
ebenfalls unter Nutzung des erhöhten Informationsgehalts - die Situationsklassifikation
(insbesondere also, ob Musik überhaupt vorliegt) sowie auch die Erkennung und Lokalisierung
einzelner Musik-Quellen durchgeführt.
[0027] In einer vorteilhaften Verfahrensvariante wird überwacht, dass sich die beiden Musik-Quellen
(d. h. insbesondere die Stereo-Quellen für die Musik) nur innerhalb eines vorgegebenen,
zulässigen (Raum-) Winkelbereichs relativ zueinander bewegen. Insbesondere werden
die beiden Musik-Quellen jeweils "nachgeführt". Das heißt, dass eine Änderung der
Position der jeweiligen Quelle, insbesondere deren Raumwinkelbereichs, in dem diese
lokalisiert wurde, erfasst und "verfolgt" (bspw. indem eine Richtwirkung auf diese
ausgerichtet) wird. Eine Bewegung der Quellen relativ zur Blickrichtung kann bspw.
vorkommen, wenn der Nutzer der Hörvorrichtung seinen Kopf dreht und/oder seine (Körper-)
Position im Raum relativ zu den Musik-Quellen ändert. Handelt es sich bei den Musik-Quellen
um Lautsprecherboxen, bleiben die beiden Musik-Quellen zueinander konstant oder bewegen
sich nur innerhalb eines vergleichsweise engen Raumwinkelbereichs. Bei einer reinen
Kopfdrehung ist dabei anzunehmen, dass ein Winkel zwischen den beiden (vom Nutzer
ausgehenden) auf die beiden Musik-Quellen weisenden Vektoren konstant bleibt. Beugt
sich der Nutzer bspw. aus einem Sessel nach vorne, um bspw. etwas zu trinken, zu essen
oder dergleichen wird sich der Winkel zwischen den beiden Vektoren verändern, aber
üblicherweise nur vergleichsweise gering (bspw. um maximal 20 Grad). Verbleiben die
beiden Musik-Quellen innerhalb dieses zulässigen Winkelbereichs (bspw. bis 10 oder
bis 20 Grad), wird weiter vom Vorliegen der Situation des bewussten Musikhörens ausgegangen.
Erfolgt eine größere Bewegung der Musik-Quellen zueinander, bspw. weil der Nutzer
der Hörvorrichtungen seine Position im Raum aufgibt, den Raum gar verlässt, wird dagegen
davon ausgegangen, dass die Situation des bewussten Musikhörens nicht mehr vorliegt
und insbesondere die Signalverarbeitung auf die vorhergehenden Einstellungen zurückgesetzt
oder eine neue Klassifikation der Hörsituation vorgenommen. Optional wird hierbei,
insbesondere solange die beiden Musik-Quellen noch vorhanden sind (bspw. weil der
Nutzer nur in einen anderen Bereich des Raums gegangen ist) eine Wartezeit gestartet
und abgewartet, ob der Nutzer wieder in seine vorherige Position relativ zu den beiden
Musik-Quellen zurückwechselt. Dies kann bspw. zweckmäßig sein, wenn der Nutzer sich
nur kurzzeitig im gleichen Raum entfernt, z. B. nur etwas (z. B. zum Trinken) holt,
aber grundsätzlich weiter der Musik zuhören möchte.
[0028] In einer weiteren vorteilhaften Verfahrensvariante wird das Vorliegen der Situation
bewussten Musikhörens ausgeschlossen, wenn nur für eine der beiden Musik-Quellen eine
Bewegung erkannt wird. Insbesondere wird eine solche Bewegung wie vorstehend beschrieben
erfasst. Dass nur eine Quelle sich bewegt, kann insbesondere daran erkannt werden,
dass für die andere Quelle der Raumwinkelbereich, der für diese detektiert wurde,
konstant bleibt, sich für die "erste" Quelle aber ändert. Ein solcher Fall ist insbesondere
mit einer Stereo-Darbietung nicht zu vereinen und deutet eher auf eine andere Situation
hin, bspw. zwei voneinander unabhängige und gegebenenfalls unterschiedliche Musik-Quellen.
[0029] In einer weiteren zweckmäßigen Verfahrensvariante werden spektrale Unterschiede zwischen
der mittels der jeweiligen Hörvorrichtung und/oder für die jeweilige Quelle erfassten
Musik ermittelt. Anhand dieser Unterschiede wird anschließend auf eine Musikart geschlossen.
Für klassische Musik, insbesondere orchestrale Musik, ist regelmäßig aufgrund eines
üblicherweise zum Einsatz kommenden klassischen Orchester-Aufbaus, ein vergleichsweise
großer spektraler Unterschied der beiden Stereo-Kanäle und somit des von den beiden
(Stereo-) Musik-Quellen ausgestrahlten Schalls zu erwarten. Auch für Aufnahmen von
Jazzbands ist vergleichsweise ein eher größerer spektraler Unterschied zu erwarten.
Für Pop-, Rock-Musik oder elektronische Musik ist dagegen ein vergleichsweise geringer
spektraler Unterschied zu erwarten. Um die jeweiligen Unterarten der Musik, bspw.
als Pop- und Rockmusik weiter zu unterscheiden, kann eine weitere spektrale (bspw.
hinsichtlich einer "Betonung" bestimmter Frequenzen) und/oder auch eine harmonische
Auswertung erfolgen. Dieser Ausführung liegt die Erkenntnis zugrunde, dass jede Hörvorrichtung
vornehmlich, d. h. insbesondere mit einem stärkeren Pegel, die akustischen Signale
der im zugeordneten vorderen Viertelraum erfasst. Die aus dem anderen Viertelraum
(also der anderen Gesichtshälfte zugeordneten) akustischen Signale werden dagegen
meist aufgrund Abschattungseffekten nicht oder nur abgeschwächt erfasst.
[0030] Vorzugsweise wird die Signalverarbeitung anschließend, insbesondere weiter verfeinert,
auf die Musikart angepasst. So werden beispielsweise vorstehend angesprochene Parameter
in an sich bekannter Weise (vergleiche bspw. Equalizer-Voreinstellungen in Audio-Systemen)
auf die Musikart angepasst. Beispielsweise werden bei Klassik die "Höhen" also hohe
Frequenzen gegenüber den übrigen Frequenzen hervorgehoben ("betont"), bei Jazz eine
möglichst ausgewogene Einstellung gewählt, während bei Hip-Hop oder Pop bspw. Bässe
hervorgehoben werden.
[0031] In einer zweckmäßigen Verfahrensvariante wird die Signalverarbeitung für Fälle, in
denen mehrere der vorstehend beschriebenen Kriterien betrachtet werden, also bspw.
ob neben der Anordnung der Musik-Quellen im vorderen Halbraum, diese in einem kleineren
Raumwinkelbereich als 180 Grad liegen und/oder ob eine echte Stereo-Darbietung vorliegt,
gleitend an die Wiedergabe von Musik angepasst. Anders ausgedrückt wird die Signalverarbeitung
weniger "aggressiv", d. h. andere Aspekte des Hörens (insbesondere das Sprachverstehen)
vergleichsweise gering negativ beeinflussend, verändert, wenn die beiden Musik-Quellen
nur im vorderen Halbraum lokalisiert werden. Bei weiter zunehmender Wahrscheinlichkeit
(d. h. kumuliertem Erfüllen mehrere Kriterien) für die Situation bewussten Musikhörens,
bspw. wenn der Raumwinkelbereich verkleinert ist, wird die Signalverarbeitung zunehmend
aggressiver in Richtung Musikwiedergabe angepasst, bspw. indem eine Rauschunterdrückung
und/oder eine Richtwirkung reduziert wird und dergleichen.
[0032] Das erfindungsgemäße binaurale Hörvorrichtungssystem weist, wie vorstehend beschrieben,
die dem linken Ohr und die dem rechten Ohr des Nutzers zugeordneten oder zuzuordnenden
Hörvorrichtungen auf. Diese weisen jeweils wenigstens ein Mikrofon auf. Außerdem weist
das Hörvorrichtungssystem einen Controller auf, der dazu eingerichtet ist, das vorstehend
beschriebene Verfahren selbsttätig oder in Interaktion mit dem Nutzer durchzuführen.
[0033] Somit weist das Hörvorrichtungssystem die vorstehend in den jeweiligen Verfahrensvarianten
beschriebenen körperlichen Merkmale in entsprechenden Ausführungsformen gleichermaßen
auf. Der Controller ist ebenfalls entsprechend dazu eingerichtet, in zugeordneten
Ausführungen die im Rahmen der vorstehenden Verfahrensvarianten beschriebenen Maßnahmen
durchzuführen.
[0034] Der Controller ist bspw. in einer der beiden Hörvorrichtungen oder einem diesen zugeordneten,
aber von diesen separaten Steuergerät verkörpert. Insbesondere aber weist jede der
beiden Hörvorrichtungen einen eigenen Controller (auch als Signalprozessor bezeichnet)
auf, die im binauralen Betrieb miteinander in Kommunikation stehen und dabei vorzugsweise
unter einer Master-Slave-Regelung untereinander gemeinsam den Controller des Hörvorrichtungssystems
bilden.
[0035] In bevorzugter Ausgestaltung ist der (oder der jeweilige) Controller zumindest im
Kern durch einen Mikrocontroller mit einem Prozessor und einem Datenspeicher gebildet,
in dem die Funktionalität zur Durchführung des erfindungsgemäßen Verfahrens in Form
einer Betriebssoftware (Firmware) programmtechnisch implementiert ist, so dass das
Verfahren - gegebenenfalls in Interaktion mit Nutzer - bei Ausführung der Betriebssoftware
in dem Mikrocontroller automatisch durchgeführt wird. Alternativ ist der oder der
jeweilige Controller durch ein nicht oder nicht vollständig frei programmierbares
elektronisches Bauteil, z.B. einen ASIC, gebildet, in dem die Funktionalität zur Durchführung
des erfindungsgemäßen Verfahrens mit schaltungstechnischen Mitteln implementiert ist.
[0036] Das vorstehend beschriebene Hörvorrichtungssystem sowie auch das vorstehend beschriebene
Verfahren funktionieren vorteilhafterweise auch bei Sound-Systemen mit mehr als zwei
Schallquellen, bspw. 5.1-System oder dergleichen. Wie vorstehend beschrieben wird
das Vorhandensein von zwei Musik-Quellen im vorderen Halbraum als grundlegendes Kriterium
herangezogen, ob eine Situation bewussten Musikhörens vorliegt. Liegen mehr als diese
zwei Musik-Quellen, insbesondere im hinteren Halbraum vor, werden diese bspw. nicht
erfasst oder als nicht für die Beurteilung der aktuellen (Musik-) Hörsituation relevant
unberücksichtigt gelassen.
[0037] Die Konjunktion "und/oder" ist hier und im Folgenden insbesondere derart zu verstehen,
dass die mittels dieser Konjunktion verknüpften Merkmale sowohl gemeinsam als auch
als Alternativen zueinander ausgebildet sein können.
[0038] Nachfolgend werden Ausführungsbeispiele der Erfindung anhand einer Zeichnung näher
erläutert. Darin zeigen:
- Fig. 1
- in einer schematischen Darstellung ein binaurales Hörvorrichtungssystem,
- Fig. 2
- in einer schematischen Ansicht von oben einen Kopf eines Nutzers der Hörvorrichtung
mit dem Hörvorrichtungssystem im Betrieb,
- Fig. 3
- in Ansicht gemäß Fig. 2 das Hörvorrichtungssystem in einem alternativen Ausführungsbeispiel
des Betriebs, und
- Fig. 4
- anhand eines schematischen Blockschaltbilds beider Hörvorrichtungen das von diesen
durchgeführte Betriebsverfahren.
[0039] Einander entsprechende Teile und Größen sind in allen Figuren stets mit gleichen
Bezugszeichen versehen.
[0040] In Fig. 1 ist ein binaurales Hörvorrichtungssystem 1 schematisch dargestellt. Dieses
weist zwei Hörvorrichtungen 2 und 4 auf. Die Hörvorrichtung 2 ist im bestimmungsgemäßen
Betrieb - schematisch dargestellt in Fig. 2 oder 3 - einem linken Ohr 6 eines Nutzers
8 zugeordnet. Die Hörvorrichtung 4 ist entsprechend dem rechten Ohr 10 des Nutzers
8 zugeordnet. Jede Hörvorrichtung 2, 4 weist ein vorderes Mikrofon 12 und ein hinteres
Mikrofon 14 auf. Außerdem weisen beide Hörvorrichtungen 2 und 4 einen Signalprozessor
16, sowie einen Lautsprecher 18, eine Kommunikationseinrichtung 20 und eine Energiequelle
22 auf.
[0041] Der Signalprozessor 16 ist dazu eingerichtet, Umgebungsschall, der mittels der Mikrofone
12 und 14 erfasst und in Mikrofonsignale MS gewandelt wurde, in Abhängigkeit von einer
Hörminderung des Nutzers 8 zu verarbeiten, konkret frequenzabhängig zu filtern und
zu verstärken, und als Ausgangssignal AS an den Lautsprecher 18 auszugeben. Letzterer
wiederum wandelt das Ausgangssignal AS in Schall zur Ausgabe an das Gehör des Nutzers
8 um.
[0042] In einem binauralen Betrieb des Hörvorrichtungssystems 1 stehen beide Hörvorrichtungen
2 und 4 in Kommunikation miteinander. Konkret übertragen beide Signalprozessoren 16
Daten mittels der jeweiligen Kommunikationseinrichtungen 20 untereinander (angedeutet
durch einen Doppelpfeil 24). Einer der Signalprozessor 16 bildet dabei einen "Master",
der andere einen "Slave". Gemeinsam bilden die beiden Signalprozessoren 16 somit auch
einen Controller des Hörvorrichtungssystems 1. Der Controller (meist der als Master
fungierende Signalprozessor 16) verarbeitet unter anderem die Mikrofonsignale MS beider
Hörvorrichtungen 2 und 4 zu einem binauralen Richtmikrofonsignal. Des Weiteren ist
der Controller dazu eingerichtet, unterschiedliche Hörsituationen anhand der in den
Mikrofonsignalen MS enthaltenen Informationen zu klassifizieren und abhängig von der
Klassifikation die Signalverarbeitung der Mikrofonsignale MS zur verändern, d. h.
Signalverarbeitungsparameter anzupassen. Außerdem sind die Signalprozessoren 16, konkret
der Controller, dazu eingerichtet, ein nachfolgend näher beschriebenes Betriebsverfahren
durchzuführen.
[0043] Dabei ermittelt der Controller, ob Musik in den Umgebungsgeräuschen enthalten ist.
Um jedoch zu vermeiden, dass die Signalverarbeitung fälschlicherweise auf Musik eingestellt
wird, obwohl nur zufällig Musik in den Umgebungsgeräuschen enthalten ist, ermittelt
der Controller, ob mehrere Schallquellen für die Musik, hier durch zwei Lautsprecherboxen
26 angedeutet, in der Umgebung des Nutzers 8 vorhanden sind. Konkret ermittelt der
Controller, ob die beiden Lautsprecherboxen 26 in einem vorderen Halbraum 28 lokalisiert
sind. Der vordere Halbraum 28 stellt dabei den in Blickrichtung 30 (s. Fig. 2) vor
einer die beiden Ohren 6 und 10 schneidenden Frontalebene 32 liegenden Raumbereich
dar.
[0044] Gemäß einem anhand von Fig. 2 und 4 beschriebenen Ausführungsbeispiel nutzen beide
Signalprozessoren 16 dazu eine "Detektionsstufe 34" (s. Fig. 4), die mittels der beiden
Mikrofone 12 und 14 in bekannter Weise eine sogenannte Ankunftsrichtung für den von
den beiden Lautsprecherboxen 26 ausgehend Schall ermittelt. Die jeweilige Ankunftsrichtung
wird dabei als ein (auf die Blickrichtung 30 als Null-Grad-Richtung bezogener) Raumwinkelbereich
36 (insbesondere in Form eines Vektors) herangezogen, in dem die jeweilige Lautsprecherbox
26 angeordnet ist. Parallel erfolgt eine Klassifikation der aktuellen Hörsituation
in einer Klassifikationsstufe 38. Hier wird ermittelt, ob Musik vorhanden ist. Ist
dies der Fall und werden zwei unterschiedliche, also in jeweils einem Raumwinkelbereich
36 angeordnete Schallquellen erfasst, wird in einer Fusionsstufe 40, in der die Informationen
der Klassifikationsstufe 38 und der Detektionsstufe 34 zusammengeführt werden, geprüft,
ob beide Schallquellen die gleiche Musik ausgeben. Wird für beide Hörvorrichtungen
2 und 4 also jeweils eine Schallquelle für die in der Klassifikationsstufe 38 erkannte
Musik innerhalb eines im vorderen Halbraum 28 angeordneten Raumwinkelbereich 36 ermittelt
- was anhand der Kommunikation beider Hörvorrichtungen 2 und 4 untereinander festgestellt
wird (vgl. Fig. 4) -, nimmt der Controller in der Fusionsstufe 40 an, dass eine Situation
mit einer Stereo-Darbietung der Musik vorliegt. Dies nimmt der Controller als Hinweis,
einen Wahrscheinlichkeitswert, dass eine Situation bewussten Musikhörens vorliegt,
heraufzusetzen. Bei hinreichend hoher Wahrscheinlichkeit (was der Fall ist, wenn nur
überprüft wird, dass die beiden Schallquellen im vorderen Halbraum 28 angeordnet sind)
passt der Controller für eine nachgelagerte Bearbeitungsstufe 42 Parameter für die
Signalverarbeitung von Musik an. Beispielsweise stellt der Controller eine sogenannte
Kompression linear ein und verringert eine Rauschunterdrückung.
[0045] In einer optionalen Variante ist der Fusionsstufe 40 eine Stereo-Detektionsstufe
44 vorgeschaltet, in der ermittelt wird, ob beide Schallquellen hinreichend ähnliche
aber nicht exakt die gleichen Schallsignale ausgeben, letzteres ist bei einer Stereo-Darbietung
mittels einer Stereo-Anlage mit zwei Lautsprecherboxen 26, sofern die Ausgabe nicht
auf "mono" gestellt ist, der Fall. In dieser Variante wird der Wahrscheinlichkeitswert
gegenüber der vorausgehend beschriebenen Variante weiter erhöht, wenn eine solche
Stereo-Darbietung erkannt wird. Hierbei erreicht der Wahrscheinlichkeitswert erst
mit dieser "zusätzlichen" Erhöhung einen Grenzwert, ab dem die Parameter für die Signalverarbeitung
von Musik verändert werden.
[0046] Zusätzlich oder alternativ wird in einer optionalen weiteren Variante der Wahrscheinlichkeitswert
auch erhöht, wenn die beiden Schallquellen nicht nur im vorderen Halbraum 28, sondern
auch in einem schmalen Raumbereich von 60 Grad beidseitig zur Blickrichtung 30.
[0047] Weiter optional schaltet der Controller die Signalverarbeitung bei Erreichen des
Wahrscheinlichkeitsgrenzwerts nicht zwischen zwei Parametersätzen um, sondern verändert
die Parameter zunehmend mit zunehmender Wahrscheinlichkeit, so dass eine situationsabhängig
zunehmende Veränderung der Signalverarbeitung realisiert ist.
[0048] In Fig. 3 ist ein alternatives Ausführungsbeispiel dargestellt. Anstelle der Erfassung
der Ankunftsrichtung wird in der Detektionsstufe 34 eine Richtungssensibilität eines
binauralen Richtmikrofons derart eingestellt, dass in den vorderen Halbraum 28 mehrere
Sektoren 46 mit gegenüber den übrigen Raumbereichen erhöhter Sensibilität fächerartig
verteilt sind. Für jeden Sektor 46 wird ein Pegelwert erfasst und mit denen der anderen
Sektoren 46 verglichen. Ein erhöhter Pegelwert deutet auf eine Schallquelle im Bereich
des Sektors 46 hin. Für eine präzisere Lokalisation wird in einer optionalen Variante
eine Interpolation zwischen den Sektoren 46 vorgenommen, so dass auch eine zwischen
zwei Sektoren 46 angeordnete Schallquelle (in Fig. 3 angedeutet durch die links dargestellte
Lautsprecherbox 26) detektiert, konkret deren Raumwinkelbereich 36 enger eingegrenzt,
werden kann.
[0049] Das weitere Vorgehen entspricht wiederum dem vorhergehenden Ausführungsbeispiel und
gegebenenfalls seinen Varianten.
[0050] Die Entscheidung, ob zwei Schallquellen für die Musik vorliegen sowie die daraus
folgenden Maßnahmen, insbesondere also die Entscheidung über die Veränderung der Signalverarbeitungsparameter,
wird in einer Variante der vorstehend beschriebenen Ausführungsbeispiele durch den
als Master fungierenden Signalprozessor 16 getroffen und an den als Slave fungierenden
Signalprozessor 16 übermittelt.
[0051] Aufgrund der vorstehend beschriebenen Vorgehensweise wird die Signalverarbeitung
erst dann durch den Controller verändert, wenn zwei Schallquellen für die Musik, hier
also die zwei Lautsprecherboxen 26 erkannt werden. Eine Fehlinterpretation und Anpassen
der Signalverarbeitung für Musik für Fälle, in denen bspw. nur eine Schallquelle vorliegt,
bspw. bei einem Werbelautsprecher in einer Fußgängerzone oder dergleichen, wird somit
effektiv vermieden.
[0052] Der Gegenstand der Erfindung ist nicht auf die vorstehend beschriebenen Ausführungsbeispiele
beschränkt. Vielmehr können weitere Ausführungsformen der Erfindung von dem Fachmann
aus der vorstehenden Beschreibung abgeleitet werden. Insbesondere können die anhand
der verschiedenen Ausführungsbeispiele beschriebenen Einzelmerkmale der Erfindung
und deren Ausgestaltungsvarianten auch in anderer Weise miteinander kombiniert werden.
Bezugszeichenliste
[0053]
- 1
- Hörvorrichtungssystem
- 2
- Hörvorrichtung
- 4
- Hörvorrichtung
- 6
- Ohr
- 8
- Nutzer
- 10
- Ohr
- 12
- Mikrofon
- 14
- Mikrofon
- 16
- Signalprozessor
- 18
- Lautsprecher
- 20
- Kommunikationseinrichtung
- 22
- Energiequelle
- 24
- Doppelpfeil
- 26
- Lautsprecherbox
- 28
- Halbraum
- 30
- Blickrichtung
- 32
- Frontalebene
- 34
- Detektionsstufe
- 36
- Raumwinkelbereich
- 38
- Klassifikationsstufe
- 40
- Fusionsstufe
- 42
- Bearbeitungsstufe
- 44
- Stereo-Detektionsstufe
- 46
- Sektor
- AS
- Ausgangssignal
- MS
- Mikrofonsignal
1. Verfahren zum Betrieb eines binauralen Hörvorrichtungssystems (1) mit einer einem
linken Ohr (6) und einer einem rechten Ohr (10) eines Nutzers (8) zugeordneten oder
zuzuordnenden Hörvorrichtung (2, 4), die jeweils wenigstens ein Mikrofon (12, 14)
aufweisen, wobei verfahrensgemäß
- mittels der beiden Hörvorrichtungen (2, 4) akustische Informationen erhoben werden,
- die akustischen Informationen dahingehend ausgewertet werden, ob diese Musik enthalten,
- ermittelt wird, ob für die Musik zwei Quellen (26) detektiert werden können,
- ein Raumwinkelbereich (36), in dem die jeweilige Quelle (26) der Musik positioniert
ist, in Bezug auf eine Blickrichtung (30) des Nutzers (8) ermittelt wird, und
- für den Fall, dass der jeweilige Raumwinkelbereich (36) der beiden Quellen (26)
der Musik in einem in Bezug auf die Blickrichtung (30) vorderen Halbraum (28) liegt,
eine Wahrscheinlichkeit erhöht wird, dass eine Situation bewussten Musikhörens des
Nutzers (8) vorliegt, und bei Überschreiten eines vorgegebenen Wahrscheinlichkeitsgrenzwerts
eine Signalverarbeitung für beide Hörvorrichtungen (2, 4) hinsichtlich einer möglichst
natürlichen Wiedergabe der Musik angepasst wird.
2. Verfahren nach Anspruch 1,
wobei ermittelt wird, ob die von den beiden Quellen (26) ausgehenden akustischen Signale
innerhalb eines für Musik typischen Rahmens einander unähnlich sind, und wobei die
Wahrscheinlichkeit, dass die Situation bewussten Musikhörens vorliegt, weiter erhöht
wird, wenn eine solche Unähnlichkeit erkannt wird.
3. Verfahren nach Anspruch 1 oder 2,
wobei die Wahrscheinlichkeit, dass die Situation bewussten Musikhörens vorliegt, weiter
erhöht wird, wenn der jeweilige Raumwinkelbereich (36) der Quellen (26) der Musik
in einem Winkelbereich bis etwa +/- 60 Grad, vorzugsweise bis etwa +/- 45 Grad, zur
Blickrichtung (30) liegt.
4. Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 3,
wobei jede Hörvorrichtung (2, 4) zwei Mikrofone (12, 14) aufweist und wobei der jeweilige
Raumwinkelbereich (36) der beiden Quellen (26) anhand einer Zeitverzögerung eines
der Musik zugeordneten Signals ermittelt wird.
5. Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 4,
wobei der jeweilige Raumwinkelbereich (36) der beiden Quellen (26) mittels einer Art
Abtastung, insbesondere des vorderen Halbraums (28), mittels einer Richtungssensibilität
ermittelt wird.
6. Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 5,
wobei eine binaurale Verarbeitung und Auswertung der mittels beider Hörvorrichtungen
(2, 4) erfassten Informationen hinsichtlich des Vorhandenseins der Musik sowie des
Raumwinkelbereichs (36) der jeweiligen Quelle (26) durchgeführt wird.
7. Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 6,
wobei überwacht wird, dass sich die beiden Quellen (26) nur innerhalb eines vorgegebenen,
zulässigen Winkelbereichs relativ zueinander bewegen.
8. Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 7,
wobei das Vorliegen der Situation bewussten Musikhörens ausgeschlossen wird, wenn
eine Bewegung nur für eine der beiden Quellen (26) erkannt wird.
9. Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 8,
wobei spektrale Unterschiede zwischen der mittels der jeweiligen Hörvorrichtung (2,
4) und/oder für die jeweilige Quelle (26) erfassten Musik ermittelt werden und daraus
auf eine Musikart geschlossen wird.
10. Verfahren nach Anspruch 9,
wobei die Signalverarbeitung auf die Musikart angepasst wird.
11. Binaurales Hörvorrichtungssystem (1) aufweisend eine einem linken Ohr (6) und eine
einem rechten Ohr (10) eines Nutzers (8) zugeordneten oder zuzuordnenden Hörvorrichtung
(2, 4), die jeweils wenigstens ein Mikrofon (12, 14) aufweisen, sowie einen Controller,
der dazu eingerichtet ist ein Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 10 durchzuführen.