[0001] Die Erfindung betrifft eine stabile, stickstoffreiche organische Verbindung und deren
Verwendung als pyrotechnische Mischung.
[0002] Stickstoffreiche organische Verbindungen finden in der Chemie und Technik vielfache
Verwendung, sei es als Reaktionspartner in chemischen Prozessen oder als gas-, insbesondere
innertgaserzeugende Substanzen. Problematisch ist, daß bei stickstoffreichen Verbindungen
die direkte Kopplung von N-Atomen miteinander nur wenig stabil ist und solche Verbindungen
deshalb für viele Anwendungszwecke nicht in Frage kommen. So ist zwar beispielsweise
Tetrazol als sehr stabile Verbindung geläufig, weist jedoch einen relativ geringen
Stickstoffgehalt auf. Dieser wiederum ließe sich nennenswert dadurch erhöhen, daß
zwei Tetrazolringe über eine Azo-Brücke zum 5,5' Azotetrazol verbunden werden. Diese
Verbindung ist als freie Säure aber wenig stabil.
[0003] Auch Salze des 5,5'-Azotetrazol sind als Innertgas erzeugende Substanzen schon vorgeschlagen
worden. So ist ein Bis (-triaminoguanidinium)-5,5'-azotetrazolat bekannt (US-A-4 601
344) zur Verwendung in Feuerlöschmitteln bekannt. Diese Verbindung weist jedoch eine
so hohe Reib- und Schlagempfindlichkeit auf, daß sie in die Kategorie der Initialsprengstoffe
einzuordnen ist. Auch die thermische Stabilität ist so gering, daß die Verbindung
bei erhöhter Temperatur nur eine kurze Lebensdauer hat. Den gleichen Nachteil hat
das weiterhin bekannte Aminoguanidinium-5,5'-azotetrozolat (DE-B-2 004 620 mit DE-A-34
22 433).
[0004] Erfindungsgemäß wird mit Diguanidinium-5,5'-azotetrazolat eine Verbindung vorgeschlagen,
die, wie ihre Summenformel C₄H₁₂N₁₆ zeigt, einen hohen Stickstoffgehalt, nämlich 78,7
% bei einem Molekulargewicht von 284,5, aufweist. Sie ist als Salz des 5,5'-Azotetrazols
sehr stabil und in den üblichen organischen Lösungsmitteln mit Ausnahme von Methanol,
Dimetyhlformamid und Dimethylsulfoxid bei Zimmertemperatur praktisch unlöslich. Auch
die Löslichkeit in Wasser ist nur sehr mäßig. Die thermische Beständigkeit ergibt
sich aus dem festgestellten, relativ hohen Schmelzpunkt zwischen 238 und 239 °C. Ferner
zeigt sich bei einer Einlagerungstemperatur von 130°C nach 50 Tagen nur ein Gewichtsverlust
von 1%, der also praktisch vernachlässigbar ist. Der Vorteil der Verbindung insbesondere
für technische Einsätze ergibt sich daraus, daß die bei der Zersetzung entwickelten
Gase für den Menschen unschädlich sind, so das ein Einsatz in der Nähe von Menschen,
insbesondere auch in geschlossenen Räumen möglich ist.
[0005] Bei der Darstellung von Diguanidinium-5,5'-azotetrazolat wird zweckmäßigerweise von
handelsüblichen Substanzen ausgegangen. So wird erfindungsgemäß vorgeschlagen, daß
5-Aminotetrazol durch Oxidation zu Natrium-5,5'-azotetrazolat-Pentahydrat umgewandelt
und in wässriger Lösung mit Guanidiniumchlorid oder -nitrat zu Diguanidinium-5,5'-azotetrazolat
umgesetzt wird.
[0006] Sowohl Aminotetrazol, als auch Guanidiniumchlorid oder -nitrat sind im Handel erhältlich,
so daß sich der erfindungsgemäße Stoff auch preisgünstig herstellen läßt.
[0007] Das Zwischenprodukt Natrium-5,5'-azotetrazolat-Pentahydrat läßt sich dadurch herstellen,
daß 5-Aminotetrazol-Monohydrat in NaOH gelöst, der Lösung pulveriges KMnO₄ zugegeben,
das Reaktionsgemisch abfiltriert und aus dem Filtrat Natrium-5,5'-azotetrazolat-Pentahydrat
auskristallisiert wird. Das Pentahydrat wird anschließend in wässriger Lösung mit
Guanidiniumchlorid oder -nitrat zu Diguanidinium-5,5'-azotetrazolat umgesetzt. Bei
diesem Umsatz fällt das Diguanidinium-5,5'-azotetrazolat als leicht filtrierbarer
gelber Niederschlag mit guter Ausbeute an.
Beispiel
[0008] 50 g 5-Aminotetrazol-Monohydrat werden in 500 ml 15 %iger Natronlauge bei Siedetemperatur
unter Rühren gelöst. In einem Zeitraum von ca. einer halben Stunde werden 65 g im
Mörser pulverisiertes Kaliumpermanganat eingetragen. Überschüssiges KMnO₄ wird, beispielsweise
mit Äthanol, reduziert. Nach einer 1-stündigen Nachreaktion wird das siedend heiße
dunkelbraune Reaktionsgemisch über einen beheizten Filtertrichter abfiltriert. Im
Filtrat kristallisiert das gelbe Natrium-5,5'-azotretazolat-Pentahydrat aus. Nach
Umkristallisation und 48-stündigem Trocknen über Phosphorpentoxid werden 37,5 g Ausbeute
(51,2 % des theoretischen Wertes) erhalten. Durch Einengen der Mutterlauge und gründliches
Waschen des Braunsteins kann die Ausbeute bis auf 75 % gesteigert werden.
[0009] 12,0 g des so erhaltenen Na-5,5'-azotetrazol-Pentahydrats (0,04 Mol) werden bei 50°C
in 100 ml Wasser gelöst und unter kräftigem Rühren in eine Lösung von 9,76 g Guanidiniumnitrat
(0,08 Mol) eingegeben. Dabei bildet sich ein dicker gelber Niederschlag, der nach
Filtration, einmaliger Umkristallisation aus Wasser von 100°C und 48-stündigem Trocknen
über P₂O₅ im Vakuumtrockenschrank eine Ausbeute von 9,5 g Diguanidinium-5,5'-azotetrazolat
(84,1 % d. Th.) liefert.
- Analyse berechnet für C₄H₁₂H₁₆:
- 16,9 % C; 4,26 % H; 78,8 % N
- Analyse gefunden:
- 16,8 % C; 4,13 % H; 78,2 % N
Die außerordentlich gute thermische Beständigkeit des Diguanidium-5,5'-azotetrazolat
(GZT) gegenüber dem bekannten Bis (-triaminoguanidium)-5,5'-azotetrazolat (TAGZT)
bzw. dem ebenfalls bekannten Aminoguanidium-5.5'-azotetrazolat (AGZT) ergibt sich
aus nachstehender Tabelle I, in der der Gewichtsverlust in % einer Einwaage von 1000
mg bei einer konstanten Temperatur von 130°C in jeweils zwei Versuchsreihen für jeden
der drei Stoffe gegenübergestellt ist.
[0010] Die Erzeugung von großen Gasmengen aus Festkörpern mit relativ kleinem Volumen spielt
in vielen Bereichen der Technik eine große Rolle. Hier sei beispielsweise auf sicherheitstechnische
Rückhaltesysteme in Kraftfahrzeugen (Airbags) verwiesen, die im Ausgangszustand ein
den Komfort der Fahrzeuginsassen, wie auch das äußere Erscheinungsbild des Fahrzeugs
nicht beeinträchtigendes, geringes Volumen aufweisen, aus dem bei einem Aufprallunfall
spontan große Mengen Gas erzeugt werden, um die Fahrzeuginsassen vor gefährdenden
Teilen des Kraftfahrzeugs abzufangen bzw. abzustützen. Weitere Anwendungsgebiete solcher
pyrotechnischen Sätze sind aufblasbare Rettungssysteme, wie Schlauchboote, Flöße,
Fluchtleitern. Ferner können sie zum Beschleunigen von Wurfkörpern, zum schnellen
Transport von Elektrolytflüssigkeiten aus Vorratsbehältern in Akkumulatoren zur Aktivierung
derselben im Bedarfsfall, wie auch zum Verbessern von Raketen-Festtreibstoffen oder
Rohrwaffenpulvern dienen.
[0011] Die bislang zum Aufblasen von Luftkissen für Insassenschutzvorrichtungen in Kraftfahrzeugen,
auch "Airbags" genannt, angewendeten pyrotechnischen Sätze, wie sie in der Praxis
zum Einsatz kommen (DE-A-22 36 175), enthalten das hochtoxische Natriumazid. Bei der
ständigen Zunahme von Kraftfahrzeugen mit solchen Insassenschutzvorrichtungen entstehen
daraus erhebliche Umweltprobleme. Auf Schrottplätzen besteht wegen der guten Wasserlöslichkeit
von Natriumazid die Gefahr der Boden- und Grundwasserverseuchung. Bei Einwirkung von
Säuren, z.B. Batteriesäure, bildet sich die hochexplosive Stickstoffwasserstoffsäure.
Im Kontakt mit Schwermetallen wie Blei, Kupfer, Messing können hochexplosive Schwermetallazide
entstehen.
[0012] Daher werden Anstrengungen unternommen, den hohen gewichtsprozentualen Anteil von
Natriumazid in solchen gaserzeugenden Mischungen wenigstens zu reduzieren, wenn es
schon nicht gelingt, ganz auf Natriumazid zu verzichten (DE-A-3 733 176 und JP-A-02
184 590).
[0013] Die erfindungsgemäße Verbindung ist in hervorragender Weise als Grundlage für eine
pyrotechnische Mischung zur Erzeugung umweltfreundlicher und ungiftiger Gase geeignet,
die trotz der geforderten Lebhaftigkeit auch unter extremen Einsatzbedingungen beständig
und eine lange Lebensdauer aufweist, indem Diguanidinium-5,5'-azotetrazolat (GZT)
mit einem pulverförmigen, chemisch stabilen Oxidator gemischt wird.
[0014] Das erfindungsgemäß verwendete GZT kann als pulverförmige Substanz verarbeitet werden.
In Verbindung mit einem pulverförmigen, chemisch stabilen Oxidator, der insbesondere
auch nicht hygroskopisch sein darf, läßt sich eine Mischung herstellen, bei der die
Sauerstoffbilanz weitgehend ausgeglichen ist. Diese Mischungen sind thermisch sehr
stabil sowie schlag- und reibunempfindlich. Mit der Erfindung wird also ein azidfreies,
insbesondere natriumazidfreies Produkt vorgeschlagen, das demzufolge wesentlich umweltfreundlicher
ist.
[0015] Als Oxidator wird vorzugsweise KNO₃ verwendet. Eine hieraus mit GZT hergestellte
Mischung läßt sich aufgrund ihrer hohen Handhabungssicherheit - wie aus den weiter
hinten angegebenen Kennwerten ersichtlich - auch in größeren Chargen fein mahlen.
So läßt sich insbesondere ein Korngrößenspektrum herstellen, bei dem über 50 % der
Partikel der Mischung einen Teilchendurchmesser < 15 µm aufweisen. Die Korngrößenverteilung
und die Korngröße selbst bestimmen sehr maßgeblich die Lebhaftigkeit einer solchen
Gasgeneratormischung, wobei naturgemäß auf eine homogene Mischung zu achten ist.
[0016] Durch Zusatz organischer oder anorganischer Bindemittel lassen sich aus der Pulvermischung
Formkörper herstellen. Dabei sollte der Anteil der Bindemittel 5 Gew% nicht übersteigen.
Durch unterschiedliche Geometrie der Formkörper läßt sich das Abbrandverhalten wesentlich
beeinflussen.
[0017] Erkenntnisse über das Abbrandverhalten und die Gaserzeugung lassen sich anhand der
Druckentwicklung (Druck-Zeit-Kurven) bei Zündversuchen in einer ballistischen Bombe
sammeln. In dem beigefügten Diagramm ist das Druck-Zeit-Verhalten einer GZT-KNO₃-Formulierung
ohne Binder bei einer Ladedichte von 10 g auf 100 cm³ wiedergegeben. Zur Anzündung
wurden 0,7 g Anzündmischung aus Bor und KNO₃ verwendet. Entscheidend für einen bestimmten
Einsatzzweck können z. B. der Zündverzug, die Flankensteilheit und die Zeitdauer bis
zum Erreichen des Maximaldrucks sein. Einen wichtigen Erkenntniswert für die Lebhaftigkeit
der Gaserzeugung gibt die 30/80-Zeit, das heißt die Steigung der Abbrandkurve im Bereich
zwischen 30 % und 80 % des Maximaldrucks. Der Kurvenverlauf im Druck-Zeit-Diagramm
läßt sich bei Formkörpern unter anderem auch durch deren Geometrie beeinflussen. Selbstverständlich
üben auch eventuell vorhandene anorganische oder organische Bindemittel einen Einfluß
auf die Flankensteilheit aus.
[0018] Eine weitere Möglichkeit zur Steuerung der Gaserzeugung bzw. der Erzeugungsgeschwindigkeit
ist durch die Verwendung katalytischer Abbrandregler möglich. Sie können mit einem
Anteil von 0,1 bis 5 Gew% eingesetzt werden.
[0019] Als Abbrandregler kommen vornehmlich Oxide der Schwermetalle der Nebengruppen des
Periodensystems der Elemente, insbesondere der I. oder VIII. Nebengruppe und hierunter
vor allem Eisenoxide in Frage.
[0020] Statt dessen können als Abbrandregler auch organische oder anorganische Salze dieser
Metalle vervendet werden.
[0021] Für eine GZT-KNO₃-Formulierung ohne Binder konnten folgende Eigenschaften festgestellt
werden:
Ein Maß für die thermische Stabilität läßt sich durch Messung des Gewichtsverlustes
bei 130 °C in lose verschlossenen Prüfröhren feststellen. Er beträgt bei einer GZT-KNO₃-Formulierung
nur 0,3 Gew% nach 34 Tagen.
[0022] Die Entzündungstemperatur dieser Formulierung liegt zwischen 251 und 253 °C bei einer
Einwaage von 0,2 g und einer Aufheizgeschwindigkeit von 20 K/min.
[0023] Die Schlagempfindlichkeit, ermittelt nach der Fallhammermethode der BAM (Koenen und
Ide "Explosivstoffe" 9 (1961) Seite 4, 30), liegt bei über 10 kpm, das heißt mit dem
10-kp-Fallhammer konnte bei einer Fallhöhe von 1 m keine Reaktion beobachtet werden.
Auch die Bestimmung der Reibempfindlichkeit (a.a.O.) ergab bei einer Stiftbelastung
von 36 kp noch keine Reaktion.
[0024] In der nachfolgenden Tabelle II sind die Schlag- und Reibempfindlichkeit von GZT/KNO₃
einerseits, dem reinen GZT und dem bekannten TAGZT und AGZT andererseits gegenübergestellt.

1. Stabile, stickstoffreiche organische Verbindung in Form des Diguanidinium-5,5'-azotetrazolat
der Summenformel C₄H₁₂N₁₆.
2. Verfahren zur Herstellung von Diguanidinium-5,5'-azotetrazolat, dadurch gekennzeichnet,
daß 5-Aminotetrazol durch Oxydation zu Natrium-5,5'-azotetrazolat-Pentahydrat umgewandelt
und in wässriger Lösung mit Guanidiniumchlorid oder - nitrat zu Diguanidinium-5,5'-azotetrazolat
umgesetzt wird.
3. Verfahren nach Anspruch 2, dadurch gekennzeichnet, daß 5-Aminotetrazol-Monohydrat
in NaOH gelöst, der Lösung pulveriges KMnO₄ zugegeben, das Reaktionsgemisch abfiltriert
und aus dem Filtrat Natrium-5,5'-azotetrazolat-Pentahydrat auskristallisiert wird,
das anschließend in wässriger Lösung mit Guanidiniumchlorid oder -nitrat zu Diguanidinium-5,5'-azotetrazolat
umgesetzt wird.
4. Verwendung von Diguanidinium-5,5'-azotetrazolat (GZT) in Mischung mit einem pulverförmigen,
chemisch stabilen Oxidator als pyrotechnische Mischung zur Erzeugung unweltverträglicher,
ungiftiger Gase.
5. Verwendung nach Anspruch 4, dadurch gekennzeichnet, daß als Oxidator KNO₃ eingesetzt
wird.
6. Verwendung nach Anspruch 4 oder 5, dadurch gekennzeichnet, daß die Mischung fein gemahlen
ist.
7. Verwendung nach einem der Ansprüche 4 bis 6, dadurch gekennzeichnet, daß über 50 %
der Partikel der Mischung einen Teilchendurchmesser kleiner 15 µm aufweisen.
8. Verwendung nach einem der Ansprüche 4 bis 7, dadurch gekennzeichnet, daß die Mischung
zu Formkörpern kompaktiert wird.
9. Verwendung nach Anspruch 8, dadurch gekennzeichnet, daß zur Bildung von Formkörpern
organische oder anorganische Bindemittel mit einem Anteil bis zu 5 Gew% zugegeben
werden.
10. Verwendung nach einem der Ansprüche 1 bis 9, dadurch gekennzeichnet, daß zur Steuerung
der Gaserzeugung katalytische Abbrandregler mit einem Anteil von 0,1 bis 5 Gew% zugegeben
werden.
11. Verwendung nach Anspruch 10, dadurch gekennzeichnet, daß als Abbrandregler Oxide der
Schwermetalle der Nebengruppen des Periodischen Systems zugegeben werden.
12. Verwendung nach Anspruch 11, dadurch gekennzeichnet, daß als Abbrandregler Oxide der
Schwermetalle der I. oder VIII. Nebengruppe des Periodensystems der Elemente zugegeben
werden.
13. Verwendung nach Anspruch 11 oder 12, dadurch gekennzeichnet, daß als Abbrandregler
Eisenoxide zugegeben werden.
14. Verwendung nach einem der Ansprüche 4 bis 13, dadurch gekennzeichnet, daß als Abbrandregler
organische oder anorganische Salze der genannten Metalle zugegeben werden.