(19)
(11) EP 0 519 485 A1

(12) EUROPÄISCHE PATENTANMELDUNG

(43) Veröffentlichungstag:
23.12.1992  Patentblatt  1992/52

(21) Anmeldenummer: 92110353.7

(22) Anmeldetag:  19.06.1992
(51) Internationale Patentklassifikation (IPC)5C06D 5/06, C06B 43/00
(84) Benannte Vertragsstaaten:
DE ES FR GB IT NL PT SE

(30) Priorität: 21.06.1991 DE 4120599

(71) Anmelder: Dynamit Nobel Aktiengesellschaft
D-53839 Troisdorf (DE)

(72) Erfinder:
  • Redecker, Klaus, Dr.
    W-8500 Nürnberg (DE)
  • Weuter, Waldemar, Dr.
    W-8500 Nürnberg (DE)


(56) Entgegenhaltungen: : 
   
       


    (54) Treibmittel für Gasgeneratoren


    (57) Ein Treibmittel für Gasgeneratoren, insbesondere für Lebensrettungssysteme, enthält ein oder mehrere Tetrazolderivat(e) oder jeweils ein oder mehrere Verbindungen aus den Gruppen A) Cyansäurederivate und deren Salze, B) Triazin und Triazinderivate, C) Harnstoff, dessen Salze, Derivate und Abkömmlinge und deren Salze wobei die genannten Verbindungen auch als Mischungen vorliegen können und ein Oxidationsmittel aus der Gruppe der Nitrate von Ammonium, Natrium, Kalium, Magnesium, Calcium und Eisen und/oder Peroxide von Zink, Calcium, Strontium oder Magnesium, wobei weitere gaserzeugende Komponenten, Kühlmittel, Reduktionsmittel, Katalysatoren und/oder Porositätserzeuger zugesetzt sein können.


    Beschreibung


    [0001] Gasgeneratoren finden zunehmendes Interesse zur Lebensrettung beispielsweise in Fahrzeugen. Weltweit enthält die am meisten eingesetzte Mischung zur Erzeugung von Gas Natriumazid. Natriumazid ist jedoch giftig, was besondere Maßnahmen bei der Herstellung des Rohstoffs, der Gassatzmischung, seiner Verarbeitung, Qualitätskontrolle und Entsorgung erfordert. Dies gilt insbesondere bei der Verschrottung von Fahrzeugen.

    [0002] Es hat nicht an Versuchen gefehlt, anstelle von Natriumazid andere Stoffe einzusetzen. So beschreibt die DE-A-21 42 578 einen verpreßten Treibsatz zum schnellen Aufblasen eines Hohlkörpers durch Umsetzung von Tetrazylazen mit Sauerstoffträgern. Die DE-A-18 06 550 schlägt einen druckgaserzeugenden, kühle Gase liefernden Treibsatz auf der Basis von Ammoniumnitrat, Aktivkohle und einer sich endotherm zersetzenden oder sublimierenden Verbindung vor. Dieses System liefert jedoch einen großen Anteil von Wasserdampf, was nachteilig ist, weil Wasser wegen seiner hohen Kondensationswärme zu einer starken Temperaturerhöhung führt.

    [0003] Die DE-A-12 22 418 beschreibt Druckgas entwickelnde Gemische auf der Basis von anorganischen Perchloratoxidatoren, polymeren Brennstoffbindemitteln und einem Kühlmittel. Zubereitungen mit hohen Anteilen an Chlorat oder Perchlorat führen jedoch zu Chloranteilen in den Reaktionsgasen. So beschreibt auch die EP-A-372 733 ein unbefriedigendes Gemisch, da der Treibsatz des vorgeschlagenen Airbags etwa 40 % Ammoniumperchlorat enthält. Selbst Nitrocellulose und Nitroglycerin-Massen finden sich in der Literatur. Für die Verwendung in Lebensrettungssystemen sind solche Vorschläge nicht brauchbar. Nitrocellulose und Nitroglyceringemische oder auch andere kohlenstoffreiche, energetische Verbindungen scheiden wegen der Bildung von Kohlenmonoxid aus.

    [0004] Auch die Treibsätze der DE-A-12 50 318, die Aminotetrazol, Kaliumdichromat, Calciumresinat und metallisches Silicium enthalten, genügen den heutigen Sicherheitsanforderungen nicht. Das gleiche gilt für die DE-C-20 04 620, deren Druckgas erzeugende Ladung Azotetrazol und/oder Ditetrazol und Chlorate oder Perchlorate enthalten. Die Treibsätze der US-A-3 734 789, die 5-Aminotetrazolnitrat und Polyisoprenbinder enthalten, brennen zwar schnell ab, erzeugen jedoch durch den kohlenstoffreichen Binderanteil auch Kohlenmonoxid in gesundheitsgefährdenden Konzentrationen.

    [0005] Der Erfindung liegt somit die Aufgabe zugrunde, Gassätze bereitzustellen, deren Herstellung und Verarbeitung bzw. Handhabung unbedenklich und deren Umsetzungsprodukte nicht toxisch sind.

    [0006] Diese Aufgabe wird gelöst durch ein Treibmittel für Gasgeneratoren, die als stickstoffhaltige Verbindung a) ein oder mehrere Tetrazolderivat(e) der Formel


    enthalten, worin R₁ und R₂ oder R₃ gleich oder verschieden sein können, jedoch entweder R₂ oder R₃ vorliegt und die Bedeutung haben: Wasserstoff, Hydroxy, Amino, Carboxyl, einen Alkylrest mit 1 bis 7 Kohlenstoffatomen, einen Alkenylrest mit 2 bis 7 Kohlenstoffatomen, einen Alkylaminorest mit 1 bis 10 Kohlenstoffatomen, einen Arylrest, gegebenenfalls substituiert mit einem oder mehreren Substituenten, die gleich oder verschieden sein können, ausgewählt aus der Aminogruppe, der Nitrogruppe, den Alkylresten mit 1 bis 4 Kohlenstoffatomen oder einen Arylaminorest, bei dem der Arylrest gegebenenfalls substituiert sein kann oder deren Natrium-, Kalium- und Guanidiniumsalze
    oder die als stickstoffhaltige Verbindungen
    b) jeweils ein oder mehrere Verbindungen aus den Gruppen

    A) Cyansäurederivate und deren Salze,

    B) Triazin und Triazinderivate,

    C) Harnstoff, dessen Salze, Derivate und Abkömmlinge und deren Salze enthalten,

    wobei die unter a) und b) genannten Verbindungen auch als Mischungen vorliegen können
    und ein Oxidationsmittel aus der Gruppe der Peroxide oder aus der Gruppe der Peroxide zusammen mit Oxidationsmitteln aus der Gruppe der Nitrate enthalten.

    [0007] Die erfindungsgemäß einzusetzenden stickstoffhaltigen Verbindungen sind solche, die im Gemisch mit Oxidationsmitteln bei ihrer thermisch/chemischen Umsetzung hauptsächlich CO₂, N₂ und H₂O bilden, jedoch keine Gase wie CO oder NOx in gesundheitsgefährdenden Konzentrationen entwickeln. Von besonderer Bedeutung ist, daß der Zusatz von Bindemitteln nicht unbedingt notwendig ist.

    [0008] R₁ bedeutet vorzugsweise Wasserstoff, Amino, Hydroxy, Carboxyl, einen Methyl-, Ethyl-, Propyl- oder Isopropyl-, Butyl-, Isobutyl- oder tert.-Butyl, n-Pentyl-, n-Hexyl- oder n-Heptylrest, einen Methylamino-, Ethylamino-, Dimethylamino, n-Heptylamino-, n-Octylamino- oder n-Decylaminorest, einen Phenylaminorest, einen Phenyl-, Nitrophenyl- oder Aminophenylrest.

    [0009] R₂ oder R₃ bedeutet vorzugsweise Wasserstoff, einen Methyl- oder Ethylrest, einen Phenyl-, Nitrophenyl- oder Aminophenylrest.

    [0010] Besonders bevorzugt sind die Tetrazolderivate:
    5-Aminotetrazol, Natrium-, Kalium- oder Calcium-5-aminotetrazolat, 1-(4-Aminophenyl)-tetrazol,1-(4-Nitrophenyl)-tetrazol, 1-Methyl-5-dimethylamino-tetrazol, 1-Methyl-5-methylaminotetrazol, 1-Methyl-tetrazol, 1-Phenyl-5-amino-tetrazol, 1-Phenyl-5-hydroxy-tetrazol, 1-Phenyl-tetrazol, 2-Ethyl-5-amino-tetrazol, 2-Methyl-5-amino-tetrazol, 2-Methyl-5-carboxyl-tetrazol, 2-Methyl-5-methylamino-tetrazol, 2-Methyl-tetrazol, 2-Phenyl-tetrazol, 5-(p-Tolyl)-tetrazol, 5-Diallyl-amino-tetra-zol, 5-Dimethylamino-tetrazol, 5-Ethylamino-tetrazol, 5-Hydroxy-tetrazol, 5-Methyl-tetrazol, 5-Methyl-amino-tetrazol, 5-Methyl-amino-tetrazol, 5-n-Decylamino-tetrazol, 5-n-Heptyl-amino-tetrazol, 5-n-Octylamino-tetrazol, 5-Phenyltetrazol, 5-Phenyl-amino-tetrazol oder Bis(amino-guanidin)azo-tetrazol.

    [0011] Als Cyansäurederivate werden bevorzugt Natriumcyanat, Cyanursäure, 1-Cyanguanidin, und/oder Dinatriumcyanamid, als Triazinderivate 1,3,5-Triazin, Cyanursäureester und/oder Cyanursäureamid (Melamin) und als Harnstoffderivate Biuret, Guanidin, Nitroguanidin, Guanidinnitrat, Aminoguanidin, Aminoguanidinnitrat, Triaminoguanidinnitrat, Aminoguanidinhydrogencarbonat, Azodicarbonsäurediamid, Dicyandiamidinnitrat, Dicyandiamidinsulfat, Tetrazen und/oder Semicarbazidnitrat eingesetzt.

    [0012] Neben der gesundheitlichen Unbedenklichkeit besitzen die erfindungsgemäßen Gemische eine hohe thermische und klimatische Stabilität, die Voraussetzung für eine einwandfreie Wirkung auch nach langer Lagerung ist.

    [0013] Als Oxidationsmittel können Nitrate von Ammonium, Natrium, Kalium, Magnesium, Calcium oder Eisen, vorzugsweise Natriumnitrat oder Peroxide von Zink, Calcium, Strontium oder Magnesium eingesetzt werden.

    [0014] Die Peroxide werden dabei mit einem Sauerstoffwert eingesetzt, wie er aus stabilen Verbindungen erhalten werden kann. Für Zinkperoxid liegt dieser bei etwa 11 bis 14 Gew.-%. Das entsprechende Molverhältnis von stickstoffhaltiger Verbindung zu Peroxid liegt dabei im Bereich von 1:2 bis 5,5. Calciumperoxid kann einen aktiven Sauerstoffwert von beispielsweise 18,62 Gew.-% und Korngrößen von 15,5 µm aufweisen und wird vorteilhaft im Molverhältnis stickstoffhaltige Verbindung/Peroxid von 1:3 eingesetzt. Im allgemeinen können die obengenannten Peroxide im Molverhältnis 1:1 bis 20 eingesetzt werden.

    [0015] Bevorzugt eingesetzt wird Calcium- und/oder Zinkperoxid. Es können auch Mischungen der Peroxide untereinander oder solche mit anderen Oxidationsmitteln eingesetzt werden. Andere Oxidationsmittel sind beispielsweise die oben erwähnten Nitrate von Ammonium, Natrium, Kalium, Magnesium, Calcium oder Eisen, vorzugsweise Natriumnitrat.

    [0016] Bei Einsatz von Magnesium- und insbesondere Calcium- oder Strontiumperoxid kann es durch die alkalisch wirkenden Hydrolyseprodukte zu Reaktionen mit den übrigen Komponenten des Gemischs kommen. Hier ist eine Beschichtung der Peroxide mit anorganischen oder organischen Materialien nach an sich bekannten Verfahren zweckmäßig. Eine solche Beschichtung bietet darüberhinaus den Vorteil der besseren Handhabbarkeit, da das solchermaßen behandelte Treibmittel nicht mehr staubt.

    [0017] Die erfindungsgemäß einzusetzenden Mischungen aus dem Tetrazol bzw. dessen Derivaten mit den Verbindungen aus den Gruppen A), B) und/oder C) ermöglichen eine feingradige Abstufung der Treibmittel in bezug auf ihre Reaktionsgeschwindigkeit und auf die sich entwickelnden Schwaden und Gase. Eine Abstufung, die erforderlich ist, um die erfindungsgemäßen Treibmittel möglichst vielfältig einsetzen zu können. Je nach Vorgabe der Konstruktion des Generatorgehäuses eines, beispielsweise, Airbags oder eines Gurtstrammers müssen die erfindungsgemäßen Treibsätze gezielt gemischt werden. Nur so ist es möglich, eine jeweils optimale Wirkung zu erreichen. Beeinflußt wird der Wirkungsgrad der erfindungsgemäßen Treibsätze nämlich nicht nur durch die Zusammensetzung, sondern weiterhin durch die Anzündung, und auch von der, durch die Konstruktion bedingte Verdämmung und durch das Abströmverhalten der sich entwickelnden Schwaden und Gase. Die Beurteilung des Wirkungsgrades kann beispielsweise erfolgen durch die Ermittlung des Gasdruckanstiegsgradienten der jeweiligen Mischung in der jeweils konstruktiv bedingten, vorgegebenen äußeren Umgebung und der gewählten Art der Anzündung. Die sich entwickelnden Gaskonzentrationen, insbesondere die der gesundheitsgefährdenden Gase dürfen bestimmte Maximalwerte nicht überschreiten. Diese Werte ergeben sich aus den MAK-Werten (bzw. aus den TLV-Werten in den USA). Aus diesen Werten zusammen mit den erlaubten Expositionszeiten werden technische Anforderungen erstellt, die die jeweiligen Treibsätze zu erfüllen haben. Bei der Festlegung dieser Anforderungen gehen beispielsweise auch die unterschiedlichen Fahrgastzellen ein. Um diese Anforderungen zu erfüllen, bedarf es der gezielten Abmischung des jeweiligen Treibsatzes.

    [0018] Die in den Tabellen angegebenen Werte wurden ermittelt, indem in einem Näpfchen in loser Schüttung 4 g des jeweiligen Treibsatzes in einer Druckbombe von 25 ml Volumen mit einem Glühdraht gezündet wurden. Nach der Anzündung wurde eine Druck-/Zeit-Kurve aufgezeichnet. Die anfallenden Werte wurden folgendermaßen ausgewertet:

    (1) maximaler Druck(bar): bei gleicher Einwaage sind Unterschiede direkt den entstandenen Gasvolumina zuzuschreiben. Diese werden durch Gasausbeute und Wärmetönung der Reaktion bestimmt.

    (2) Gasdruckanstieg für den Bereich von 40-60 % vom maximalen Druck: In diesem Bereich wird die Kurve nicht mehr verfälscht durch den Anbrand bzw. das Abkühlverhalten der Schwaden durch die innere Bombenoberfläche. Die angegebenen Zeiten in Millisekunden (ms) geben den Druckanstieg wieder und bedeuten unterschiedliche Umsetzungsgeschwindigkeiten. Solche Werte erhält man auch in den jeweiligen Anwendungsfällen, beispielsweise in den diversen, konstruktiv veränderten Gasgeneratorgehäusen. Sie erlauben eine präzise Abstimmung der erfindungsgemäßen Treibsätze im Hinblick auf die Leistungsanforderungen. Durch die Angabe der Druckanstiegszeiten im Bereich von 40-60% vom maximalen Druck wird die Umsetzungsgeschwindigkeit der erfindungsgemäßen Treibsätze ausreichend charakterisiert. Die Zeiten für die Umsetzung bis zum Auftreten des maximalen Druckes dienen zur zusätzlichen Information.



    [0019] Ein Niedrighalten der Gastemperatur kann gezielt durch Zugabe von Diammoniumoxalat, Oxalsäurediamid, Dicyandiamid oder Carbonaten bzw. Bicarbonaten erreicht werden. Sofern es auf die thermische Stabilität nicht ankommt und die Rauchbildung bei Zugabe anorganischer Carbonate oder Bicarbonate vermieden werden soll, kann als organisches Bicarbonat Aminoguanidinbicarbonat eingesetzt werden. Weitere Zuschläge können Oxalsäure oder Harnstoff sein, welche im allgemeinen in einer Menge bis zu 5 Gew.-%, bezogen auf das Gemisch, hinzugegeben werden.

    [0020] Als Reduktionsmittel können Metallpulver von Eisen, Magnesium, Zirkonium oder Titan zugesetzt werden, die im Gegensatz zum Nichtmetall Bor keinen starken Einfluß auf die Abbrandgeschwindigkeit, bei letzterem wohl aber auf die Wärmetönung der Umsetzung und die Reaktionsprodukte haben. Der Anteil der Reduktionsmittel kann bis zu 5 Gew.-% betragen.

    [0021] Als Katalysatoren für eine so heterogen zusammengesetzte Mischung eignen sich Verbindungen, die Einfluß nehmen auf die Zersetzung von Peroxiden wie z.B. Metalle oder ihre Oxide, z.B. Mangandioxid. Zusätze von Vanadiumpentoxid oder Cerdioxid führen zu einer Erhöhung der Umsetzungsgeschwindigkeit. Bei Zugabe bis 5 Gew.-% Molybdän(VI)-oxid wird sie nur wenig verändert, wie auch in Anwesenheit von Cer(III)nitrat- Hexahydrat. Diese Zusätze sind in Mengen bis zu wenigen Gew.-% wirksam. Weitere Katalysatoren sind Metallkomplexe, von denen hier beispielhaft Ferrocen genannt sei, dessen Zusatz bis zu etwa 3 Gew.-% die Umsetzungsgeschwindigkeit deutlich steigert.

    [0022] Die Herstellung der erfindungsgemäß beschriebenen Gassätze erfolgt durch Mischen der Komponenten nach an sich bekannten Verfahren, ggf. unter Herstellung einer ungefährlichen Vormischung, der weitere Komponenten zugefügt werden. Diese Mischung kann bereits in gepulverter Form eingesetzt werden. Entmischung durch unterschiedliche Dichte der Komponenten kann durch Granulieren der Mischung begegnet werden.

    [0023] In den weitaus häufigsten Anwendungsfällen wird man das Gemisch durch Verpressen oder ähnliche Maßnahmen formen. Zur Vereinfachung dieses Verfahrens können der Mischung Preßhilfen zugesetzt werden. Als solche kommen Graphit, Molybdändisulfid, Teflon, Talkum, Zinkstearat oder Bornitrid in Frage. Diese Mittel wirken bereits in geringsten Mengen und beeinflussen die Eigenschaften und das Abbrandverhalten nicht oder nur geringfügig.

    [0024] In manchen Fällen kann es vorteilhaft sein, die Abbrandcharakteristik des Preßlings durch Porositätserzeugung zu beeinflussen. Eine solche Methode besteht darin, vor dem eigentlichen Formvorgang der Mischung Zusätze wie Salze zuzufügen, die durch Extraktion mit Wasser oder Lösungsmitteln nach der Formgebung wieder entfernt werden können. Eine andere Methode besteht in der Zugabe von thermisch wenig widerstandsfähigen Stoffen, die sich beim Ausheizen des Formlings zersetzen. Die Oberfläche des Gemischs kann auch dadurch vergrößert werden, daß der Mischung vor dem Verpressen Mikrohohlkugeln aus Glas oder Kunststoffen zugesetzt werden. Die hierdurch zu erzielende Dichte des Preßlings kann etwa bis zu 20% von der des unbehandelten Preßlings abweichen, wobei dieser Wert nur ein grober Richtwert sein soll und keine Einschränkung bedeutet. Diese Behandlung führt zu einer extremen Beschleunigung des Abbrennvorgangs.

    [0025] Eine weitere Behandlung der Formlinge kann in einer Oberflächenbeschichtung bestehen. Hierbei wird neben der Beeinflussung der Abbrandcharakteristik insbesondere ein Schutz gegen Umwelteinflüsse erreicht. Eine solche Maßnahme kann auch zur Festigkeitssteigerung des Formkörpers angebracht sein. In Extremfällen wäre hier zusätzlich die Verwendung geeigneter Fasern zur Stabilisierung vorzusehen. Ein Nebeneffekt der Beschichtung ist die Verringerung des Abriebs bei der Transportbeanspruchung der Teile.

    [0026] Die so behandelten Formlinge können in loser Schüttung oder gerichtet in entsprechende druckfeste Behälter eingebracht werden. Sie werden nach üblichen Verfahren mit Hilfe von Anzündsätzen oder thermischen Aufladungen angezündet, wobei die entstehenden Gase ggf. nach Durchströmen eines geeigneten Filters zur Füllung des Lebensrettungssystems in Sekundenbruchteilen führen.

    [0027] Die erfindungsgemäßen Treibmittel eignen sich in besonderer Weise für sogenannte Airbags, Prallsäcke, die in Kraftfahrzeugen oder Flugzeugen zum Schutz der Insassen eingesetzt werden. Bei dem Aufprall eines Kraftfahrzeugs muß der Airbag innerhalb kürzester Zeit mit Gasmengen von etwa 50 bis 300 Litern, je nach System und Wagengröße, gefüllt werden. Die erfindungsgemäßen Treibmittel sind auch geeignet für den Einsatz in Gurtstrammern.

    [0028] Lebensrettungssysteme, die die erfindungsgemäßen Treibmittel enthalten, sind ebenfalls Gegenstand der vorliegenden Erfindung.

    Beispiel 1



    [0029] 167 g (aus Aminoguanidinsulfat, Natriumnitrit und Salpetersäure dargestelltes) 5-Aminotetrazol (5-ATZ) werden aus ca. 600 ml Wasser unter ständigem Rühren umkristallisiert, nach Filtration bei 110°C getrocknet, gemahlen und mit einem 250 µm Sieb von groben Anteilen abgetrennt (5-ATZ Spezifikation; Schmp./Zers.: > 203°C, mittlere Korngröße 80 µm und H₂O-Anteil < 0,05 %). ZnO₂ wird aus ZnSO₄ x 7H₂O und Wasserstoffperoxid in Ammoniakwasser dargestellt, mit verd. Essigsäure sowie Wasser gewaschen und bei 60°C getrocknet (Spezifikation von ZnO₂: 13,47 Gew.-% akt. Sauerstoff, mittlere Korngröße 10,3 µm).
    5-ATZ und ZnO₂, als Komponenten für nicht toxische Gassätze, werden zusammen im Gewichtsverhältnis 1 zu 7 (dies entspricht einem Molverhältnis ca. 1:5) in Plastikbehältern im Taumel-Mischer 1-2 Std. lang homogenisiert. 3,0 g der Probe werden als Schüttgut in einer 25 ml großen Edelstahldruckbombe durch einen elektrisch aufheizbaren Fe-Draht zur Reaktion gebracht und der Druck-Zeitverlauf mittels einer piezoelektrischen Meßeinrichtung aufgenommen. Es entsteht nach ca. 30 ms ein maximaler Gasdruck von etwa 200 bar, der hauptsächlich auf die Bildung von CO₂, N₂, O₂ und H₂O zurückzuführen ist. Die Reaktion hat einen stark exothermem Charakter von ca. 471 cal/g (ca. 1970 J/g). Als Reaktionsrückstand verbleibt ZnO. Der CO-Anteil entspricht der Forderung. Der Verpuffungspunkt liegt bei 219 °C, die Reibempfindlichkeit bei 240 N, die Schlagempfindlichkeit bei 20 J.

    Beispiele 2 bis 24



    [0030] Die Verwendung von 5-ATZ und ZnO₂ als Komponenten in nicht toxischen Gassätzen entspricht Beispiel 1 unter Verwendung von weiteren Zusätzen. Die folgenden Beispiele 2 bis 24 beschreiben die Umsetzung der in bekannter Weise hergestellten Gemische. Die Ergebnisse sind in den Tabellen 1 bis 4 zusammengefaßt.






    Beispiel 25



    [0031] Die in den Beispielen 1 bis 24 beschriebenen Gassatzmischungen können auch in gepreßter Form eingesetzt werden. Eine Mischung aus 10 g 5-ATZ (H₂O-Anteil < 0,1 %, Schmelzpunkt (Zers.) > 203°C, Korngröße 200-250 µm), 43,9 g ZnO₂ (12,85 Gew.-% akt. Sauerstoff, Korngröße ca. 14 µm) und 23,5 g NH₄NO₃ (Schmelzpunkt 167 - 169°C, Korngröße 315 - 250 µm), Molverhältnis 1:3:2,5; werden entsprechend Beispiel 1 vermischt und zu Tabletten (Durchmesser = 6 mm, Höhe = 2,77 mm, Dichte = 2,18 g/cm³, Radiale Druckkraft = 155,5 +/- 28,4 N) mit 4 t Preßdruck verpreßt. Das Abbrandverhalten der Preßlinge, entsprechend Beispiel 1 geprüft, ist langsamer als das des Schüttguts und erfordert 0,1 g B/KNO₃ oder Ti/ZnO₂ als Anzündmischung. Die Umsatzgeschwindigkeit steigt mit Senkung des Preßdrucks und fällt mit der Größe des Preßguts. Der Rückstand aus den Umsetzungen bleibt weitgehend in Form der Preßlinge erhalten.

    Beispiele 26 bis 32



    [0032] Wie in Beispiel 1 beschrieben, wurden weitere Mischungen aus gaserzeugenden Komponenten und Sauerstofflieferanten wie Zinkperoxid mit einem aktiven Sauerstoffanteil von 13,07 Gew.-% und einer mittleren Korngröße von 11,8 µm bzw. im Falle des Natriumnitrats mit einer mittleren Korngröße < 45 µm hergestellt.

    [0033] Die nachfolgende Tabelle 4 enthält weitere Angaben zu den Mischungen.
    Tabelle 4
    Komponente Schmp. (°C) Molverhältnisse der Mischung
        26 27 28 29 30 31 32
    5-Aminotetrazol 206-208 1            
    Kalium-5-aminotetrazolat 269   1          
    Bis(aminoguanidin) azotetrazol 224-226     1        
    Nitroguanidin 252       1      
    Guanidinnitrat 210-214         1    
    Semicarbazidnitrat 115-119           1  
    1-Cyanguanidin 208-210             1
    Zinkperoxid 200(Zers) 2,48 2,48 10,64 1,42 1,42 0,71 4,25
    Natriumnitrat - 0,83 0,83 3,55 0,47 0,47 0,24 1,42


    [0034] Die Komponenten wurden in Behältern aus Kunststoff 1/2 h lang mit einem Taumelmischer, 1/2 h mit einem Vibrator und erneut 1/2 h lang mit einem Taumelmischer homogenisiert.
    4 g der so homogenisierten Mischung werden wie in Beispiel 1 beschrieben in eine Edelstahldruckbombe eingebracht und unter Verschluß nach Anzündung mit einem Glühdraht zur Umsetzung gebracht. Gemessen wurden
    • der entstehende Druck (bar) bis zum Maximalwert
    • die Zeit (Millisekunden, ms) bis zum Maximalwert des Druckes
    • Der Druckanstiegsgradient (dp/dt) zwischen einem Druck, der 40 bis 60 % vom Maximalwert des Druckes erreicht. Als Maß diente die Anstiegszeit.


    [0035] Nachfolgende Tabelle 5 zeigt die Werte für den maximalen Druck (bar) und die Zeit in ms bis zum maximalen Druck, die im Bereich derjenigen liegen, wie sie in Beispiel 1 für einen Gassatz aus 5-Aminotetrazol und Zinkperoxid beschrieben werden. Zusätzlich wurde noch die Zeit zwischen 40-60 % des maximalen Druckes bestimmt.
    Tabelle 5
    Beispiel-Nr. Maxim. Druck (bar) Zeit (ms)
        bis maxim. Druck bis 40-60 % vom max. Druck
    26 359 30 1,2
    27 217 123 13,1
    28 352 29 1,5
    29 473 39 1,3
    30 549 14 0,5
    31 917 7 0,2
    32 148 220 20,1


    [0036] Durch Abstimmung der Parameter und Zumischung weiterer Komponenten lassen sich die für den jeweiligen Gassatz notwendigen Vorgaben einstellen.

    [0037] Eine weitere Probe der zuvor genannten Mischungen wurde auf physikalische und sicherheitstechnische Eigenschaften untersucht. Die Ergebnisse sind in Tabelle 6 beschrieben.
    Tabelle 6
    Beisp. Nr. Verpuffungspunkt (°C) * Reib- Schlag- Explosionswärme (J/g)
        empfindlichkeiten *  
        (N) (J)  
    26 180 >360 7,5 2451
    27 207 >360 10 2293
    28 197 >360 4 2411
    29 215 >360 20 2964
    30 364 >360 15 2777
    31 210 >360 2 3128
    32 194 >360 30 2101
    * Die Bestimmung erfolgte nach der Methode der Bundesanstalt für Materialprüfung (BAM) in Berlin.


    [0038] Die Komponenten sind aufgrund ihrer Mischbarkeit, Verarbeitbarkeit, Verpreßbarkeit zur Formgebung sowie Verträglichkeit untereinander und mit weiteren Zuschlägen sowie ihrer sicherheitstechnischen Kenndaten für die Herstellung von Gassätzen geeignet.

    Beispiele 33 bis 44



    [0039] Wie in den Beispielen 26-32 beschrieben, wurden die Mischungen der Beispiele 33 bis 44 aus Zinkperoxid (aktiver Sauerstoffanteil 12,8 Gew.-%, mittlere Korngröße 4,8 µm), Aminotetrazol (mittlere Korngröße ≦ 125 µm), Natriumnitrat (Korngröße ≦ 45 µm) und die aufgelisteten Komponenten mit einer Korngröße ≦ 125 µm hergestellt.

    [0040] Die Reibempfindlichkeit, gemessen nach der Methode der BAM, war in allen Fällen > 360 N. Die zusätzlich aufgelisteten Komponenten sind in der Literatur beschrieben.

    [0041] Die nachfolgenden Tabellen 7 und 8 enthalten weitere Angaben zu den Mischungen.








    Ansprüche

    1. Treibmittel für Gasgeneratoren aus stickstoffhaltigen Verbindungen, dadurch gekennzeichnet, daß sie

    a) ein oder mehrere Tetrazolderivat(e) der Formel

    enthalten, worin R₁ und R₂ oder R₃ gleich oder verschieden sein können, jedoch entweder R₂ oder R₃ vorliegt und die Bedeutung haben: Wasserstoff, Hydroxy, Amino, Carboxyl, einen Alkylrest mit 1 bis 7 Kohlenstoffatomen, einen Alkenylrest mit 2 bis 7 Kohlenstoffatomen, einen Alkylaminorest mit 1 bis 10 Kohlenstoffatomen, einen Arylrest, gegebenenfalls substituiert mit einem oder mehreren Substituenten, die gleich oder verschieden sein können, ausgewählt aus der Aminogruppe, der Nitrogruppe, den Alkylresten mit 1 bis 4 Kohlenstoffatomen oder einen Arylaminorest, bei dem der Arylrest gegebenenfalls substituiert sein kann oder deren Natrium-, Kalium- und Guanidiniumsalze

    oder daß sie

    b) jeweils ein oder mehrere Verbindungen aus den Gruppen

    A) Cyansäurederivate und deren Salze,

    B) Triazin und Triazinderivate,

    C) Harnstoff, dessen Salze, Derivate und Abkömmling und deren Salze enthalten,

    wobei die unter a) und b) genannten Verbindungen auch als Mischungen vorliegen können

    und ein Oxidationsmittel aus der Gruppe der Peroxide oder aus der Gruppe der Peroxide zusammen mit Oxidationsmitteln aus der Gruppe der Nitrate enthalten.


     
    2. Treibmittel gemäß Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß R₁ und R₂ oder R₃ gleich oder verschieden sein können, jedoch entweder R₂ oder R₃ vorliegt und Wasserstoff, Amino, Methyl, Phenyl, Nitrophenyl oder Aminophenyl

    oder

    R₁ Amino, Hydroxy oder Carboxyl und R₂ oder R₃ Wasserstoff, Methyl oder Phenyl bedeutet.
     
    3. Treibmittel gemäß einem der Ansprüche 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, daß als Derivate des Tetrazols 5-Aminotetrazol, Kalium-5-aminotetrazolat und/oder Bis(aminoguanidin)azotetrazol,

    als Cyansäurederivate Natriumcyanat, Cyanursäure, 1-Cyanguanidin, und/oder Dinatriumcyanamid,

    als Triazinderivate 1,3,5-Triazin, Cyanursäureester und/oder Cyanursäureamid (Melamin)

    und/oder als Harnstoffderivate Biuret, Guanidin, Nitroguanidin, Guanidinnitrat, Aminoguanidin, Aminoguanidinnitrat, Aminoguanidinhydrogencarbonat, Azodicarbonsäurediamid, Dicyandiamidinnitrat, Dicyandiamidinsulfat, Tetrazen und/oder Semicarbazidnitrat enthalten sind.
     
    4. Treibmittel gemäß einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, daß Nitrate von Ammonium, Natrium, Kalium, Magnesium, Calcium oder Eisen, vorzugsweise Natriumnitrat und/oder Peroxide von Zink, Calcium, Strontium oder Magnesium, vorzugsweise Zinkperoxid als Oxidationsmittel enthalten sind.
     
    5. Treibmittel nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, daß das Molverhältnis von stickstoffhaltiger Verbindung/Oxidationsmittel im Bereich von 1:1 bis 20 liegt.
     
    6. Treibmittel nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, daß das Molverhältnis von stickstoffhaltiger Verbindung zu Zinkperoxid im Bereich von 1:2 bis 5,5, von stickstoffhaltiger Verbindung zu Calciumperoxid im Bereich 1:3 liegt.
     
    7. Treibmittel nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, daß als weitere Zusätze Kühlmittel, Reduktionsmittel und Katalysatoren enthalten sind.
     
    8. Treibmittel nach Anspruch 7, dadurch gekennzeichnet, daß Ferrocen als Katalysator enthalten ist.
     
    9. Verfahren zur Herstellung eines Treibmittels für Gasgeneratoren nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, daß man das oder die Tetrazolderivat(e) und/oder das oder die Verbindungen aus den Gruppen A), B) und/oder C) mit dem oder den Oxidationsmittel(n) und gegebenenfalls mit weiteren Zusätzen vermischt und das Gemisch homogenisiert.
     
    10. Verfahren nach Anspruch 9, dadurch gekennzeichnet, daß man das Treibmittel, falls erforderlich, unter Einsatz von Preßhilfen wie Graphit, Molybdänsulfid, Teflon, Talkum, Zinkstearat oder Bornitrid verpreßt.
     
    11. Verfahren nach Anspruch 10, dadurch gekennzeichnet, daß man die Preßlinge beschichtet.
     
    12. Verfahren nach Anspruch 10 oder 11, dadurch gekennzeichnet, daß man zur Steuerung der Abbrandgeschwindigkeit eine definierte Porosität der Preßlinge erzeugt.
     
    13. Lebensrettungssystem, enthaltend ein Treibmittel nach einem der Ansprüche 1 bis 8.
     





    Recherchenbericht