(19)
(11) EP 0 665 155 A2

(12) EUROPÄISCHE PATENTANMELDUNG

(43) Veröffentlichungstag:
02.08.1995  Patentblatt  1995/31

(21) Anmeldenummer: 95250005.6

(22) Anmeldetag:  10.01.1995
(51) Internationale Patentklassifikation (IPC)6B61L 27/00
(84) Benannte Vertragsstaaten:
AT CH DK LI

(30) Priorität: 28.01.1994 DE 4403037

(71) Anmelder: SIEMENS AKTIENGESELLSCHAFT
D-80333 München (DE)

(72) Erfinder:
  • Schaefer, Harald, Dr.
    D-30659 Hannover (DE)
  • Pferdmenges, Sieglinde, Dipl.-Phys.
    D-82008 Unterhaching (DE)

   


(54) Verfahren zum Betrieb eines Streckennetzes


(57) Den einzelnen Streckenabschnitten (6 bis 17) des Streckennetzes (4) werden fahrzeugindividuelle Belegungszeitrahmen (R107, R207) zugeordnet, deren Überlappungsgrad (φ) ermittelt wird. Durch Auswertung der Überlappungsgrade für benachbarte Streckenabschnitte wird ein Konfliktfall (ALK) erkannt und nach vorgegebenen Konfliktfallmustern (ALK,EFK) klassifiziert, denen Konfliktlösungsmaßnahmen (M1 bis M4) zugeordnet sind. Aus diesen wird nach einer vorgegebenen Wertung eine Konfliktlösungsmaßnahme (M3) ausgewählt, zu deren Umsetzung ein Leitsystem (20) auf die Streckenabschnitte (6 bis 17) und/oder die beteiligten Fahrzeuge (1,2) einwirkt.




Beschreibung


[0001] Die Erfindung betrifft ein Verfahren zum Betrieb eines Streckennetzes für mehrere spurgebundene, insbesondere schienengebundene, Fahrzeuge. Das Streckennetz umfaßt mehrere einzelne Streckenabschnitte, die von einem Leitsystem in an sich bekannter Weise überwacht und beispielsweise gemäß für den Fahrzeugverkehr geforderten Fahrstraßen konfiguriert werden.

[0002] In dem Aufsatz "Bessere Disposition durch schnellere Information" von W. Wunderlich und E. Kockelkorn in ETR (24) 7/8-1975, S. 283 - 294 wird ein derartiges Verfahren beschrieben, das von einer Analyse des herrschenden Zustandes und daraus abgeleiteten Situationsbildern ausgeht. Einer festgestellten Situation werden zur Konfliktlösung geeignete Maßnahmen (Regeln) zugeordnet, wodurch zu treffende notwendige Entscheidungen deutlich werden sollen. Durch Betrachtung der den Fahrzeugen vorauseilenden Reservierungswellen für die zur Fahrstraßenbildung zu reservierenden Streckenabschnitte sind Konfliktfälle erkennbar; ein Konfliktfall ist durch das Zusammenlaufen der beiden den tatsächlichen Fahrzeugbewegungen vorauseilenden Reservierungswellen feststellbar.

[0003] Bei diesem bekannten Verfahren werden die Streckenabschnitte lediglich mit einem den Istzustand (Belegungslage) repräsentierenden Attribut belegt. Wenn somit ein von zwei Fahrzeugen gleichzeitig zu benutzender gemeinsamer Streckenabschnitt bereits von dem ersten Fahrzeug mit einem Belegungswunsch versehen ist, kann der sich anbahnende Konflikt nur noch durch eine Verhaltensänderung des zweiten Fahrzeugs (das den Belegungswunsch später geäußert hat) gelöst werden. Das bekannte Verfahren weist insoweit eine Unflexibilität auf, die beispielsweise unnötig große Fahrplanabweichungen verursachen kann.

[0004] Die Aufgabe der Erfindung besteht daher in der Schaffung eines Verfahrens zum Betrieb eines Streckennetzes, das bei möglichst hoher Netzauslastung und Flexibilität einen zuverlässigen Streckennetzbetrieb gewährleistet.

[0005] Diese Aufgabe wird erfindungsgemäß gelöst durch ein Verfahren zum Betrieb eines Streckennetzes für spurgebundene Fahrzeuge mit einzelnen Streckenabschnitten und mit einem Leitsystem, das die Streckenabschnitte überwacht und bedarfsweise konfiguriert,
  • bei dem den Streckenabschnitten fahrzeugindividuelle Belegungszeitrahmen zugeordnet werden, die jeweils aus Daten über den voraussichtlichen Zeitpunkt und die Dauer einer zukünftigen Belegung des jeweiligen Streckenabschnitts gewonnen werden,
  • bei dem der Grad der zeitlichen Überlappung (Überlappungsgrad) von Belegungszeitrahmen ermittelt wird, die unterschiedlichen Fahrzeugen für denselben Streckenabschnitt zugeordnet sind,
  • bei dem festgestellte Überlappungen (Elementarkonflikte), die dieselben beteiligten Fahrzeuge betreffen, für benachbarte Streckenabschnitte gemeinsam ausgewertet werden, um einen zu erwartenden Konfliktfallverlauf zu ermitteln,
  • bei dem der zu erwartende Konfliktfallverlauf nach vorgegebenen Konfliktfallmustern klassifiziert wird,
  • bei dem zunächst aus Konfliktlösungsmaßnahmen, die für das klassifizierte Konfliktfallmuster vorgegeben sind, situationsspezifisch realisierbare Konfliktlösungsmaßnahmen ermittelt werden,
  • bei dem dann nur die realisierbaren Konfliktlösungsmaßnahmen mittels in einer vorgebbaren Rangfolge vorgebbarer Bewertungskriterien für das jeweilige Konfliktfallmuster bewertet werden,

    -- indem mit dem ranghöchsten Bewertungskriterium beginnend festgestellt wird, ob das Bewertungskriterium von keiner Konfliktlösungsmaßnahme erfüllt wird, wobei in diesem Fall das rangnachfolgende Bewertungskriterium angewendet wird,

  • bei dem eine Konfliktlösungsmaßnahme angewendet wird, die das Bewertungskriterium erfüllt, und
  • bei dem zum Umsetzen dieser Konfliktlösungsmaßnahme Steuerbefehle an das Leitsystem zur Konfiguration der Streckenabschnitte und/oder an Steuerungen der beteiligten Fahrzeuge übermittelt werden.


[0006] Ein wesentlicher Aspekt des erfindungsgemäßen Verfahrens besteht darin, daß aus den Daten über die streckenabschnittsweise Belegungserfassung - ggf. auch unter Berücksichtigung der fahrzeugspezifischen Randbedingungen wie beispielsweise der Fahrzeugart und damit z. B. der zu erwartenden Pünktlichkeit - eine realitätsnahe Prognose für die Abschnittsbelegung ermöglicht wird. Die jedem Streckenabschnitt zugeordneten fahrzeugindividuellen Belegungszeitrahmen gehen in ihrem Informationsgehalt weit über eine einfache Belegt/Besetzt-Meldung hinaus. Anhand des zeitlichen Abstands der Belegungszeitrahmen für verschiedene Fahrzeuge lassen sich die Verkehrsdichte und eventuelle Konflikte mit anderen Fahrzeugen automatisch erkennen. Dabei wird geprüft, ob sich Belegungszeitrahmen für unterschiedliche Fahrzeuge für denselben bzw. dieselben Streckenabschnitt(e) zeitlich überlappen. Durch Auswertung der Überlappungen, die dieselben beteiligten Fahrzeuge betreffen, für benachbarte Streckenabschnitte kann vorteilhafterweise die weitere Konfliktentwicklung besonders realitätsnah prognostiziert werden. Durch Auswertung von Überlappungsstruktur und Überlappungstrend wird der zu erwartende Konfliktfallverlauf einem von mehreren vorgegebenen Konfliktfallmustern zugeordnet (Klassifizierung). Aus den Konfliktlösungsmaßnahmen, die für das klassifizierte Konfliktfallmuster vorgegeben sind, werden unter Berücksichtigung der situationsspezifischen Umstände (z. B. Verfügbarkeit von erforderlichen Ausweichstrecken, nachfolgend auch als "harte Randbedingungen" bezeichnet) die realisierbaren Konfliktlösungsmaßnahmen ermittelt. Konfliktlösungsmaßnahmen, die z. B. eine während der Konfliktzeit besetzte Ausweichstrecke erfordern, werden dabei als nicht realisierbar eingestuft.

[0007] Ein weiterer Vorteil des erfindungsgemäßen Verfahrens besteht in der einfach automatisierbaren Auswahl der anzuwendenden Konfliktlösungsmaßnahme aus den als realisierbar eingestuften Konfliktlösungsmaßnahmen. Diese Auswahl erfolgt nach einer vorgebbaren Bewertung z. B. in Form einer hierarchischen Prioritätenliste mit in einer vorgebbaren Rangfolge (Priorität) vorgegebenen Bewertungskriterien. Dabei wird beginnend mit dem ranghöchsten Bewertungskriterium geprüft, ob zumindest eine der realisierbaren Konfliktlösungsmaßnahmen das Kriterium erfüllt. Wenn nicht, wird dieses Kriterium automatisch aufgegeben und durch das rangfolgende (als neues gültiges) Kriterium ersetzt. Wird das gültige Bewertungskriterium von mehreren Konfliktlösungsmaßnahmen erfüllt, wird vorzugsweise die Konfliktlösungsmaßnahme ausgewählt, die auch das rangnachfolgende Kriterium erfüllt. Die ausgewählte Konfliktlösungsmaßnahme führt - soweit notwendig - zur Konfiguration der Streckenabschnitte (beispielsweise durch entsprechende Weichenstellungen) und/oder zur entsprechenden konfliktlösenden Steuerung der beteiligten Fahrzeuge (beispielsweise durch geeignete Verminderung der Fahrgeschwindigkeit). Bevorzugt werden die Bewertungskriterien anhand der lokalen Umstände in der Umgebung des Konflikts definiert; dadurch ist die Rechenzeit zur Auswahl und Bewertung der Konfliktlösungsmaßnahmen von der Streckennetzgröße unabhängig. Das erfindungsgemäße Verfahren wird dadurch besonders effizient.

[0008] Ein weiterer wesentlicher Vorteil des erfindungsgemäßen Verfahrens ist in der Trennung zwischen der (zunächst vorgenommenen) Ermittlung realisierbarer Konfliktlösungsmaßnahmen und deren anschließender Bewertung zu sehen, weil dadurch eine Optimierung der Rechenabläufe erreicht wird.

[0009] In der Praxis hat sich gezeigt, daß kurzfristige geringfügige Überlappungen der Belegungszeitrahmen zweier Fahrzeuge für denselben Streckenabschnitt tolerierbar sind; ein zu rasches Ermitteln und Umsetzen von Konfliktlösungsmaßnahmen kann insoweit zu einer ungerechtfertigten Beeinträchtigung des Fahrzeugverkehrs führen. Eine diesbezüglich vorteilhafte Ausgestaltung der Erfindung sieht vor, daß eine Überlappung erst festgestellt wird, wenn der Überlappungsgrad einen Schwellwert Überschreitet. Zur Anpassung an unterschiedliche Sicherheitsanforderungen ist der Schwellwert vorzugsweise einstellbar; zur Berücksichtigung streckenabschnittsspezifischer Anforderungen kann der Schwellwert streckenabschnittsindividuell einstellbar sein.

[0010] Konflikte werden rückwirkungsfrei auf bereits gelöste Konfliktfälle behandelt, indem gemäß einer vorteilhaften Ausbildung der Erfindung die Elementarkonflikte chronologisch in der Reihenfolge ihres Auftretens ausgewertet werden.

[0011] Eine besonders realitätsnahe Bildung der Belegungszeitrahmen unter Berücksichtigung sowohl des Fahrverhaltens des Fahrzeugs als auch der Leistungsfähigkeit der konfigurierbaren Elemente der Streckenabschnitte und des Leitsystems gelingt nach einer vorteilhaften Weiterbildung der Erfindung dadurch, daß die Belegungszeitrahmen jeweils zumindest aus der Summe der Fahrzeit des Fahrzeugs vom Einfahren bis zum vollständigen Verlassen des jeweiligen Streckenabschnitts und der für die Konfiguration des Streckenabschnitts erforderlichen Zeit gebildet werden.

[0012] Die Erfindung wird nachfolgend beispielhaft anhand einer Zeichnung weiter erläutert; es zeigen:

Figur 1 die Bildung eines Belegungszeitrahmens,

Figur 2 einen Konfliktfall,

Figur 3 mögliche konkurrierende Konfliktlösungsmaßnahmen,

Figur 4 verschiedenen Konfliktfallmustern zugeordnete Bewertungskriterien,

Figur 5 detailliert eine der in Figur 3 gezeigten Konfliktlösungsmaßnahmen,

Figuren 6A, 6B und 6C ein weiteres Konfliktfallmuster und konkurrierende Konfliktlösungsmaßnahmen und

Figur 7 schematisch einen Verfahrensablauf.



[0013] Wie aus Figur 1 hervorgeht, setzt sich ein hinsichtlich der Wegachse s durch die Länge l eines Streckenabschnitts SA begrenzter Belegungszeitrahmen R aus der Summe folgender Einzelzeiten zusammen:

a) Fahrstraßenbildezeit tFB, die ein Leitsystem zum Bilden einer Fahrstraße benötigt (ca. 0,1 - 2 min),

b) Sichtzeit ts, die zwischen dem Erkennen des Vorsignalbildes durch den Fahrzeugführer und dem Passieren des Vorsignals durch die Fahrzeugspitze FS liegt,

c) Annäherungszeit tA, in der das Fahrzeug F die Strecke zwischen dem Vorsignal und einem Hauptsignal zurücklegt,

d) Fahrzeit tF, die für das Zurücklegen des Streckenabschnitts SA erforderlich ist,

e) Räumzeit tR, die das Fahrzeug braucht, um eine Strecke von der Fahrzeugspitze FS bis zum Fahrzeugende FE (Fahrzeuglänge) zurückzulegen,

f) Fahrstraßenauflösezeit tAUF, die das Leitsystem zum Auflösen der Fahrstraße benötigt.



[0014] Figur 2 illustriert einen Konfliktfall zwischen einem ersten mit einer Geschwindigkeit von 90 km/h fahrenden Fahrzeug (Zug) 1 und einem mit erheblich höherer Geschwindigkeit von 160 km/h fahrenden zweiten Fahrzeug (Zug) 2. In bahnverkehrsüblicher Darstellung sind die Fahrzeugbewegungen als Weg-Zeit-Linien L1, L2 (Zug 1, Zug 2) mit von rechts nach links verlaufender Wegachse s und von oben nach unten verlaufender Zeitachse t dargestellt. Bei dem betrachteten Ausführungsbeispiel wird angenommen, daß die Züge 1, 2 an einem Abzweig A auf ein gemeinsames Gleis eines Teils 4 eines Streckennetzes gelangen, der aus mehreren einzelnen Streckenabschnitten 6 bis 17 besteht. Vor jedem Streckenabschnitt befindet sich ein Signal, wobei die Signalstandorte durch senkrechte, gleichzeitig die Streckenabschnitte begrenzende Linien SST angedeutet sind. Die Streckenabschnitte werden von einem nicht gezeigten Leitsystem überwacht und bedarfsweise konfiguriert.

[0015] Fur jeden Streckenabschnitt 6 bis 17 sind Belegungszeitrahmen R106, R107...R117 für den Zug 1 bzw. R206, R207...R217 für den Zug 2 (schraffiert) eingetragen. Aufgrund der unterschiedlichen Geschwindigkeiten erkennt man eine im Streckenabschnitt 7 beginnende Überlappung der Belegungszeitrahmen R107/R207. Während der Überlappungsgrad φ im Abschnitt 7 vergleichsweise gering ist, nimmt der Grad der Überlappung stetig zu, bis im Streckenabschnitt 12 ein Konfliktschwerpunkt KSP erreicht ist. Die zeitliche Überschneidung (Überlappung) der den unterschiedlichen Fahrzeugen 1, 2 für denselben Streckenabschnitt (z. B. 7) zugeordneten Belegungszeitrahmen (R107,R207) wird ermittelt. Vorzugsweise wird nur dann eine Überlappung (Elementarkonflikt) festgestellt, wenn der Überlappungsgrad φ einen vorgebbaren Schwellwert überschreitet. In diesem Fall wird ein Elementarkonfliktsignal erzeugt, das sowohl eine Angabe über den konfliktbehafteten Streckenabschnitt (z. B. 7) als auch eine Angabe über den Überlappungsgrad enthält. Die Elementarkonfliktsignale für benachbarte Streckenabschnitte (7 bis 16) werden gemeinsam ausgewertet, weil die einzelnen Elementarkonfliktsignale auf der zeitlichen Überlappung von Belegungszeitrahmen R107/R207 bis R116/R216 basieren, die denselben Zügen 1, 2 zugeordnet sind. Der bei dieser Auswertung erkennbare zwischen den Streckenabschnitten 6 bis 12 stetig zunehmende Überlappungsgrad signalisiert, daß es sich bei dem vorliegenden Konfliktverlauf KV um einen sog. Auflaufkonflikt (ALK) handelt. Der vorliegende Konfliktfall wird daher in Abgrenzung zu anderen möglichen Konflikten (z. B. Einfädelkonflikt) als der Klasse "Auflaufkonflikte" zugehörig klassifiziert. Fur diesen Konfliktfall "Auflaufkonflikt" sind wie nachfolgend erläutert verschiedene Konfliktlösungsmaßnahmen vorgegeben.

[0016] Figur 3 zeigt unter Berücksichtigung der zur Konfliktlösung wählbaren Orte (Abzweig A und Bahnhöfe B, C, D) mögliche Konfliktlösungsmaßnahmen M1,M2,M3,M4; die erste Maßnahme M1 besteht darin, den langsameren Zug 1 im Bereich des Abzweigs A vor Einfahrt in die gemeinsam mit dem Zug 2 zu nutzenden Streckenabschnitte 6 bis 17 zu verlangsamen oder anhalten zu lassen. Der Zug 2 kann dann mit unverminderter Geschwindigkeit (wie durch die gestrichelte Linie L2 angedeutet) durchfahren. Dies bedeutet jedoch eine vergleichsweise lange Wartezeit für den Zug 1, wie aus dem Abstand der Linien L1 und L1' erkennbar ist (kreuzschraffierter Belegungszeitrahmen R106').

[0017] Eine Alternative besteht in der Konfliktlösungsmaßnahme M2 im Bahnhof B, wobei der Zug 2 nur geringfügig abgebremst werden muß, wie die nur geringfügig von der gestrichelt gezeichneten Geschwindigkeitslinie L2 abweichende Geschwindigkeitslinie L2' zeigt. Durch die Geschwindigkeitsverminderung des Zuges 2 wird ein Auflaufen solange vermieden, bis der Zug 1 auf einem Ausweichgleis im Bahnhof B von Zug 2 überholt werden kann. Zug 1 kann den Bahnhof B verlassen, wenn der (dick hervorgehobene) Belegungszeitrahmen R209' des Zuges 2 für den Streckenabschnitt 9 endet. Der Belegungszeitrahmen R109 für den Zug 1 verschiebt sich dadurch (kreuzschraffierter Rahmen R109 bzw. Linie L1''). Bei dieser Variante ist eine geringfügige Verzögerung des Zuges 2 bei einer vergleichsweise geringen Wartezeit des Zuges 1 in Kauf zu nehmen.

[0018] Wird Zug 1 im Bahnhof C überholt (M3), muß zur Kollisionsvermeidung eine vorübergehende Geschwindigkeitsverminderung bei Zug 2 erfolgen, die sich in einem verspäteten Durchfahren des Bahnhofs C von dem Zug 2 niederschlägt (parallel verschobene Linie L2''). Auch hier ist seine frühestmögliche Abfahrt von einem Ausweichgleis des Bahnhofs C so anzusetzen, daß sein Belegungszeitrahmen R112' mit dem Belegungszeitrahmen R212' nicht überlappt (Linie L1'').

[0019] Schließlich ist bei einer Konfliktlösung (M4) mittels Ausweichgleis im Bahnhof D eine jeweils vergleichsweise große Verspätung des Zuges 2 bzw. Wartezeit des Zuges 1 in Kauf zu nehmen (Parallelverschiebung der Linien L1'''' und L2'''').

[0020] Welche von den vorgegebenen Konfliktlösungsmaßnahmen M1 bis M4 tatsächlich angewendet wird, wird durch eine nachfolgend beschriebene Bewertung der als realisierbar ermittelten Konfliktlösungsmaßnahmen für den geschilderten Konfliktfall (Auflaufkonflikt) bestimmt.

[0021] Die anwendbaren Bewertungskriterien (nachfolgend auch Strategien oder "weiche Randbedingungen" genannt) orientieren sich z. B. an den lokal geltenden Fahrordnungen, Rangordnungen, Wartezeitvorschriften, Zugarten (z. B. Extrazüge) und/oder Zugladungen. Figur 4 zeigt beispielhaft in hierarchischer Ordnung (vorgebbare) Bewertungskriterien für einen Auflaufkonflikt ALK und für einen "Auflauf-vor-Zugende"-Konflikt AVZ. Ranghöchstes Bewertungskriterium ist bei beiden Konfliktfällen jeweils "Anschlüsse halten". Zweithöchste Priorität hat dagegen "Auflaufenden Zug minimal stören" bzw. "Unnötiges überholen" vermeiden. "Hochwertig hat Vorrang" bezieht sich auf die Zugklasse (z. B. Vorrang eines IC-Zuges gegenüber einem Vorortzug). Die Bezeichnung Langlauf/Kurzlauf bezieht sich auf die jeweils noch zurückzulegende Entfernung. Vorzugsweise enthalten die Bewertungen als letztes Kriterium ein Kriterium (z. B. "Erster zuerst"/der auflaufende Zug wartet, bis der zu befahrende Streckenabschnitt frei ist), das in jedem Fall eine Konfliktlösung ermöglicht. Man erkennt, daß unterschiedlichen Konfliktfallmustern ALK, AVZ individuelle vorgebbare Bewertungskriterien in individuellen vorgebbaren Rangfolgen für die Auswahl einer anzuwendenden Konfliktlösungsmaßnahme zugeordnet sind.

[0022] Figur 5 zeigt detailliert die bereits im Zusammenhang mit Figur 3 erläuterte Konfliktlösungsmaßnahme M3 im Bahnhof C, die in diesem Beschreibungsbeispiel im Hinblick auf die Bewertung mit der höchsten Priorität ("Anschlüsse halten") gemäß Figur 4 bevorzugt wird, weil für Zug 1 im Bahnhof C eine pünktliche Ankunft mit anschließender Wartezeit tw1 erforderlich ist. Dieses Bewertungskriterium (Anschluß für Zug 1 halten) wird nur von der Maßnahme M3 erfüllt. Könnte dieses ranghöchste (Figur 4) Kriterium von keiner der realisierbaren Konfliktlösungsmaßnahmen erfüllt werden, würden die Konfliktlösungsmaßnahmen bezüglich des rangfolgenden Kriteriums (auflaufenden Zug 2 minimal stören) bewertet werden. Dieses Kriterium würde von der Maßnahme M1 erfüllt werden. Die Konfliktlösungsmaßnahme M3 mit einem Überholvorgang im Bahnhof C sieht vor, daß Zug 2 in den Streckenabschnitten 6, 7 seine Geschwindigkeit V₂ (Linie L2') geringfügig vermindert, so daß er um eine Stutzzeit tST2 verspätet den Bahnhof C ohne Halt passiert. Anschließend kann er seine Geschwindigkeit erhöhen, um sich der gestrichelt angedeuteten unverzögerten Geschwindigkeitslinie L2 wieder anzunähern.

[0023] Der Zug 1 hält auf einem Nebengleis im Bahnhof C während der Wartezeit tW1 zumindest solange, bis der Belegungszeitrahmen R112' überlappungsfrei an den Belegungszeitrahmen R212' anschließt.

[0024] Aufgrund stark schwankender Streckenabschnittslängen oder einer nur kurzzeitigen Geschwindigkeitsverminderung eines grundsätzlich mit ausreichender Geschwindigkeit in ausreichendem Abstand vorausfahrenden Zuges können eine oder wenige aufeinanderfolgende Belegungszeitrahmen-Überlappung(en) auftreten. Durch die gemeinsame Auswertung der Elementarkonfliktsignale benachbarter Streckenabschnitte ist erkennbar, ob sich die Belegungszeitrahmen-Überlappungen zu einem "harten Auflaufkonflikt" (Figur 2) weiterentwickeln oder ob es sich nur um eine temporäre Belegungszeitrahmen-Überlappung handelt, die kein Eingreifen erfordert.

[0025] Ein weiterer möglicher Konfliktfall besteht darin, daß der nachfolgende Zug 2 (Figur 2) unmittelbar nach dem Konfliktschwerpunkt KSP fahrplangemäß endet. Dieser Konfliktfall wird dem Konfliktfallmuster "Auflauf-Vor-Zugende" (AVZ) zugeordnet. In diesem Fall besteht das prioritätshöchste Bewertungskriterium zur Auswahl der geeigneten Konfliktlösungsmaßnahme in "Anschlüsse halten". Ist z. B. kein Anschlußzug vorgesehen, wird das rangfolgende Kriterium "Unnötiges Überholen vermeiden" (Figur 4) angewendet. Demgemäß wird nach Berechnung der Folgeverspätung des Zuges 2 infolge des Abbremsens bei vertretbarer Folgeverspätung das Zugende (endgültiger Halt) des nachfolgenden Zuges abgewartet.

[0026] Eine entsprechende Strategie ist möglich, wenn die Züge absehbar auf unterschiedliche Strecken verzweigen (Auflaufkonflikt vor einer Abzweigstelle oder Abzweigbahnhof).

[0027] Ein weiteres Konfliktfallmuster (Einfädelkonflikt EFK) wird nachfolgend anhand der Figur 6A zusammen mit schematisch dargestellten, diesem Konfliktfallmuster zugeordneten Konfliktlösungsmaßnahmen M10, M11 beschrieben. Figur 6A zeigt zwei Züge 1, 2, aus deren fahrzeugindividuellen Daten über den voraussichtlichen Zeitpunkt und die Dauer einer zukünftigen Belegung der nachfolgenden gemeinsamen Streckenabschnitte GS1, GS2 im Streckenabschnitt GS2 ein Konfliktfall erkennbar ist (Kreuzung der Zeit-Weg-Linie L1 des Zuges 1 mit der L2 des Zuges 2). Aufgrund der den vor der Einfädelung E liegenden individuellen Streckenabschnitten IS1, IS2 zugeordneten Belegungszeitrahmen R100, R200 und den den gemeinsamen Streckenabschnitten GS1, GS2 zugeordneten, sich überschneidenden Belegungszeitrahmen R101, R201; R102, R202 wird der vorliegende Konfliktfall als Konfliktfallmuster "Einfädelkonflikt" EFK klassifiziert. Ein derartiger Konfliktfall kann auch auftreten, wenn in einem Bahnhof ein Zug neu beginnt.

[0028] Gemäß Figur 6B besteht eine dem Konfliktfallmuster "Einfädelkonflikt" zugeordnete mögliche Konfliktlösungsmaßnahme M10 darin, daß der (langsamere) Zug 1 (Figur 6A) soweit verzögert wird, bis der zuerst von dem Zug 2 befahrene gemeinsame Streckenabschnitt GS1 wieder freigegeben ist; der Zug 1 fährt dann ohne Überlappung seines Belegungszeitrahmens R101' mit dem Belegungszeitrahmen R201' des Zuges 2 in den Streckenabschnitt GS1 ein. Durch die Verzögerung (erkennbar an der zunächst gegenüber der gestrichelt eingetragenen Linie L1 abfallenden Linie L1' in Figur 6B) des Zuges 1 ergibt sich eine Gesamtwartezeit des Zuges 1 vor der Einfädelung E von twz1.

[0029] Eine alternative Konfliktlösungsmaßnahme M11 beim Konfliktfallmuster "Einfädelkonflikt" zeigt Figur 6C. Hier wird der schnellere Zug 2 um eine Stutzzeit tSt2 vor der Einfädelung E soweit verzögert, daß zumindest im ersten gemeinsamen Streckenabschnitt GS1 eine Überlappung der Belegungszeitrahmen R101'', R201'' vermieden wird. Durch die unterschiedlichen Geschwindigkeiten kann sich in nachfolgenden Streckenabschnitten eine erneute Überlappung ergeben. Die in Figur 6C skizzierte Konfliktlösungsmaßnahme M11 wird beispielsweise ausgewählt, wenn gemäß der Bewertungen (Figur 4) für den Zug 1 "Anschlüsse halten" höchste Priorität hat und sich der Anschlußbahnhof beispielsweise am Ende des gemeinsamen Streckenabschnittes GS1 befindet.

[0030] Figur 7 erläutert zusammenfassend (schematisch) wesentliche Verfahrensschritte des erfindungsgemäßen Verfahrens. Ausgehend von der Erkennung einzelner Elementarkonflikte aufgrund festgestellter zeitlicher Überlappungen der vorab aus den fahrzeugindividuellen Daten berechneten Belegungszeitrahmen (Figur 1) werden die Elementarkonflikte nach beteiligten Zügen zusammengefaßt. Aus der zugweisen Zusammenschau der Elementarkonflikte erfolgt eine Klassifizierung nach vorgegebenen Konfliktfallmustern (z. B. Auflaufkonflikt ALK, Einfädelkonflikt EFK). Aus den vorgegebenen und die Möglichkeiten der Konfliktlösungsorte (z. B. Bahnhöfe) berücksichtigenden Konfliktlösungsmaßnahmen, die den jeweiligen Konfliktfallmustern und Konfliktorten zugeordnet sind, werden diejenigen Konfliktlösungsmaßnahmen ermittelt (Figur 3), die unter Berücksichtigung der jeweiligen Konfliktumgebung realisierbar sind. Den möglichen Konfliktlösungsmaßnahmen sind die für den jeweiligen Konfliktlösungsort (z. B. Bahnhöfe B, C, D) vorhandenen Lösungsmittel zugeordnet. Dabei können vorgegebene Konfliktlösungsmaßnahmen ausscheiden, wenn beispielsweise die dazu erforderlichen Resourcen/Umgebungsbedingungen (z. B. freie Ausweichgleise) temporär nicht vorhanden sind. Durch eine anschließende Bewertung nach vorgegebenen Bewertungskriterien (Figur 4) wird die bevorzugte Konfliktlösungsmaßnahme ausgewählt. Ein Leitsystem 20, das die Streckenabschnitte 6 bis 17 (Figur 2) des Streckennetzes 4 überwacht und bedarfsweise konfiguriert, wirkt beispielsweise durch funkübermittelte Steuerbefehle 21 gemäß der bevorzugten, ausgewählten Konfliktlösungsmaßnahme auf die Streckenabschnitte (z. B. 7,8) ein, um diese z. B. durch Weichenstellung zur Lösung des Konfliktfalls zu konfigurieren.

[0031] Das Leitsystem 20 kann beispielsweise durch eine Linienzugbeeinflussung auch auf Steuerungen 23, 24 der Fahrzeuge 1, 2 geschwindigkeitsverändernd einwirken. Einer Leiteinrichtung, die Bestandteil des Leitsystems 20 oder separat ausgebildet sein kann, werden fahrzeugindividuelle Daten beispielsweise über Funk eingespeist. Die fahrzeugindividuellen Daten ergeben sich aus den fahrplangemäß vorzusehenden Fahrstraßen für die Fahrzeuge 1, 2 und durch fahrzeugindividuelle Eigenschaften (beispielsweise Fahrzeuglänge, Geschwindigkeitsbeschränkungen, aufgelaufene Verspätungen), die ggf. auch über streckenseitig angeordnete Kommunikationspunkte übertragen und aktualisiert werden können. Aus den fahrzeugindividuellen Daten berechnet die Leiteinheit wie erläutert die den einzelnen Streckenabschnitten zugeordneten fahrzeugindividuellen Belegungszeitrahmen.


Ansprüche

1. Verfahren zum Betrieb eines Streckennetzes für spurgebundene Fahrzeuge (1,2)
mit einzelnen Streckenabschnitten (6 bis 17) und mit einem Leitsystem (20), das die Streckenabschnitte (6 bis 17) überwacht und bedarfsweise konfiguriert,

- bei dem den Streckenabschnitten (6 bis 17) fahrzeugindividuelle Belegungszeitrahmen (R106 bis R117; R206 bis R217) zugeordnet werden, die jeweils aus Daten über den voraussichtlichen Zeitpunkt und die Dauer einer zukünftigen Belegung des jeweiligen Streckenabschnitts (6 bis 17) gewonnen werden,

- bei dem der Grad der zeitlichen Überlappung (Überlappungsgrad (φ)) von Belegungszeitrahmen (R107, R207) ermittelt wird, die unterschiedlichen Fahrzeugen (1,2) für denselben Streckenabschnitt (7) zugeordnet sind,

- bei dem festgestellte Überlappungen (Elementarkonflikte), die dieselben beteiligten Fahrzeuge (1,2) betreffen, für benachbarte Streckenabschnitte (7 bis 17) gemeinsam ausgewertet werden, um einen zu erwartenden Konfliktfallverlauf (KV) zu ermitteln,

- bei dem der zu erwartende Konfliktfallverlauf (KV) nach vorgegebenen Konfliktfallmustern (ALK, EFK) klassifiziert wird,

- bei dem zunächst aus Konfliktlösungsmaßnahmen (M1 bis M4), die für das klassifizierte Konfliktfallmuster (ALK) vorgegeben sind, situationsspezifisch realisierbare Konfliktlösungsmaßnahmen (M1 bis M4) ermittelt werden,

- bei dem dann nur die realisierbaren Konfliktlösungsmaßnahmen (M1 bis M4) mittels in einer vorgebbaren Rangfolge vorgebbarer Bewertungskriterien für das jeweilige Konfliktfallmuster (ALK, EFK) bewertet werden,

-- indem mit dem ranghöchsten Bewertungskriterium beginnend festgestellt wird, ob das Bewertungskriterium von keiner Konfliktlösungsmaßnahme (M1 bis M4) erfüllt wird, wobei in diesem Fall das rangnachfolgende Bewertungskriterium angewendet wird,

- bei dem eine Konfliktlösungsmaßnahme (M3) angewendet wird, die das Bewertungskriterium erfüllt, und

- bei dem zum Umsetzen dieser Konfliktlösungsmaßnahme (M3) Steuerbefehle (21) an das Leitsystem (20) zur Konfiguration der Streckenabschnitte (6 bis 17) und/oder an Steuerungen (23,24) der beteiligten Fahrzeuge (1,2) übermittelt werden.


 
2. Verfahren nach Anspruch 1,
dadurch gekennzeichnet, daß
eine Überlappung erst festgestellt wird, wenn der Überlappungsgrad (φ) einen Schwellwert überschreitet.
 
3. Verfahren nach Anspruch 2,
dadurch gekennzeichnet, daß
der Schwellwert, vorzugsweise streckenabschnittsindividuell, einstellbar ist.
 
4. Verfahren nach einem der vorangehenden Ansprüche,
dadurch gekennzeichnet, daß
die Elementarkonflikte chronologisch in der Reihenfolge ihres Auftretens ausgewertet werden.
 
5. Verfahren nach einem der vorangehenden Ansprüche,
dadurch gekennzeichnet, daß
die Belegungszeitrahmen (R) jeweils zumindest aus der Summe der Fahrzeit des Fahrzeugs vom Einfahren bis zum vollständigen Verlassen des jeweiligen Streckenabschnitts (tF,tR) und der für die Konfiguration des Streckenabschnitts erforderliche Zeit (tFB,tAUF) gebildet werden.
 




Zeichnung